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Theologische Eindrücke von einem Besuch
bei der Reformierten Kirche Hollands

von Hans Joachim Thilo

LeerEs ist immer mißlich, einem Land einen kurzen Besuch abzustatten und dann hinterher einen Bericht zu schreiben, in dem man versucht, Charakter und Wesen eben dieses. Landes zu erfassen. Noch unmöglicher aber ist es, eine so lebendige und weithin so festgeprägte Kirche wie die „Hervormde Kerk” Hollands nach einem Besuch von wenigen Tagen beurteilen zu wollen. Gewiß, die kleine Gruppe deutscher Pastoren, die an der alljährlichen Pfarrerversammlung der reformierten Pfarrer der Hervormde Kerk vom 2. - 4. April in Utrecht teilnahm, hatte nicht nur die Möglichkeit, über 700 holländische Amtsbrüder fast 3 Tage lang in Gespräch, Exegese und gemeinsamem Hören auf Gottes Wort kennenzulernen, sondern hatte auch die einmalige Gelegenheit, bei einem sehr wesentlichen Schritt in der Geschichte der holländischen reformierten Kirche anwesend sein zu dürfen. Ging es doch in diesen Tagen um die Einführung des „Dienstboek voor de Nederlandse Hervormde Kerk”, also um nichts weniger, als um neue kirchenrechtliche und vor allem agendarische Verankerungen des kirchlichen Lebens unserer holländischen Brüder. Dennoch kann dieser Bericht nur als die Wiedergabe von persönlichen Eindrücken aufgefaßt werden und darf keineswegs den Eindruck erwecken wollen: So und nicht anders ist die Hervormde Kerk - die weitaus größte und bedeutendste Gruppe innerhalb des holländischen Protestantismus. Bei erster rein äußerlicher Betrachtung der Pfarrerschaft der holländischen Kirche fällt auf, wie bedeutend niedriger das Durchschnittsalter der holländischen Amtsbrüder zu sein scheint. Wenn man dann noch erfährt, daß der Andrang zum Theologiestudium so beträchtlich ist, daß das Moderamen Mühe hat, die Vikare unterzubringen, fällt einem beachtlich der Unterschied zu der sonstigen Situation im europäischen Protestantismus ins Auge. Eine große Gelöstheit und eine beherrschte Fröhlichkeit schienen mir weithin Kennzeichen zu sein, die in dem Maße bei deutschen Pfarrerversammlungen nicht anzutreffen sind. Aber nun zum Wesentlichen, insonderheit zu dem, was mich als Michaelsbruder in diesen Tagen theologisch bewegt hat.

LeerUm es vorwegzunehmen: Von sieben theologischen Vorträgen befaßten sich fünf mit liturgischen Fragen und Fragen gottesdienstlicher Gestaltung. Bei den Aussprachen nach sämtlichen Referaten stand das Interesse nach den Dingen, die auch uns bewegen, im Für und Wider beherrschend im Vordergrund. Wenn ich auch gerade durch die „Jahresbriefe” davon unterrichtet war, daß von der Theologie Karl Barths aus sich liturgisches Denken in der reformierten Theologie stärker und starker durchzusetzen beginnt, war ich doch unendlich überrascht, zu erleben, mit welcher Anteilnahme hier gerade im reformierten Raum die Fragen nach gottesdienstlicher Gestaltung durchdacht und besprochen wurden.

LeerDas zur Einführung gelangende „JDienstboek” sieht für die Sakramentsgottesdienste und auch für den Predigtgottesdienst vier verschiedene Formen vor, von denen jeweils die erste Form die liturgisch ärmste und die vierte die liturgisch reichste ist. Es soll den Pfarrern freigestellt werden, welche Formen sie in ihren Gottesdiensten in den nächsten Jahren gebrauchen wollen. Willkürlich selbstgewählte Gottesdienstordnungen, auch bei nur geringen Abweichungen, sollen unter allen Umständen vermieden werden. Das Endziel sollen nach -Möglichkeit die Ordnungen des Formulars 4 sein. Jedoch wird mit großem Nachdruck darauf hingewiesen, daß ein solcher Weg mit allergrößter Vorsicht und nur ganz langsam zu gehen sei. Ds. Burger erklärte in dem grundlegenden Referat der Versammlung, daß es eine Frage von Jahrzehnten sein müsse, bis eine endgültige Regelung gottesdienstlicher Gestaltung verbindlich für alle Gemeinden angenommen werden könne. Bei einem Blick in die einzelnen Formulare fällt auf, daß die Grundanliegen liturgischer Gestaltung durchaus berücksichtigt und erkannt sind, daß aber der dem Calvinismus eigene Zug zur Betonung des Pädagogischen allen vorgelegten Entwürfen stark anhaftet. So wurde auch zu vielen Malen den skeptischen Amtsbrüdern die liturgische Gestaltung immer wieder mit dem Hinweis auf pädagogische Aussicht und Erfolgsmöglichkeit „schmackhaft” gemacht. Wir würden von uns aus sagen müssen, daß wir diesen Ansatzpunkt für nicht unbedenklich halten, da gerade an ihm alle Vorwürfe gegen neue gottesdienstliche Gestaltung ansetzen, und dies tatsächlich zu recht. Gerade die Möglichkeit der Ästhetisierung und des Nur-Künstlerischen liegt dort besonders nahe, wo mit der Liturgie pädagogische Wirkung erreicht werden soll. Zugleich aber erinnern wir uns, daß in den Anfängen der Berneuchener Bewegung die vorgelegten Entwürfe ebenfalls weitgehend den Zug zum Pädagogischen an sich trugen. So ist z. B. dem respondierenden Singen in der uns bekannten Form kein Raum zugewiesen, wohl aber hat das respondierende Sprechen großer Stücke des Credos und des Heidelberger Katechismus einen meines Erachtens überbreiten Raum eingenommen. Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß dadurch eben die Gemeinden zum Lernen und zur Rückerinnerung an Gelerntes kommen sollen. Erfreulich ist, daß die vorgelegten Formulare sich rein textlich weitgehend der sprachlichen Formulierungen sowohl des Common Prayer Book als auch den Formulierungen deutscher liturgischer Stücke anpassen, ja sie sogar teilweise in holländischer Sprache wörtlich wiedergeben. So begegnet uns z. B. der Eingangsspruch: „Unsere Hilfe steht...”, weiterhin begegnen uns die Worte über Wein und Brot aus dem Hebräerbrief: „Das Brot, das wir brechen...”. Theologisch wichtig ist eine starke Herausarbeitung des eschatologischen Zuges in der Abendmahlsliturgie. Die Wiederkunft Christi klingt vor allem bei den reicheren Formularen der Entwürfe 3 und 4 an vielen Stellen durch. Auch die Hinwendung zum Amtsbegriff als dem „koninklijen dienst” wird in der Liturgie verankert und scheint wesentlich.

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LeerDas neue Dienstbuch enthält aber ebenso Formulare zur Ordination, zur Einsegnung von Diakonen und verschiedene Vorschläge zum Taufgottesdienst bei verschiedenen Gelegenheiten. Die ausgezeichnete liturgische Monatsschrift „Kerk en Eredienst” bezeichnet in einem Artikel von E. van der Schoot das neue Dienstbuch ausdrücklich mit dem Wort „Book of Common Order”. Natürlich ist die reformierte Pfarrerschaft in ihrer Gesamtheit keineswegs „liturgisch”. Die Einwände gegen das, was hier neu in der Kirche ausbricht, sind zum Teil außerordentlich stark und ernst. Im ganzen aber hatte ich doch den Eindruck, daß die oft kindhaften Argumentationen, mit denen im Raum der deutschen Kirche gegen die gottesdienstliche Erneuerung vorgegangen wird, fast ganz fehlten. Die Annahme des Dienstbuches jedenfalls ist mit Ausnahme einer kleinen, durchaus unbedeutenden Gruppe Tatsache geworden. Ich hatte auch den Eindruck, daß der wirklich geistig aktive Teil der Pfarrerschaft der liturgischen Bewegung gegenüber sich zumindest aufgeschlossen zeigte. Eine solche Zeitschrift wie „Kerk en Eredienst”, die so ausgezeichnet im Inhalt und in der Aufmachung die Fragen der liturgischen Bewegung an die Pfarrerschaft heranträgt, ist mir in Deutschland nicht bekannt. In einem Gottesdienst in Utrecht am Sonntag vormittag sah ich auf einem kleinen Tisch brennende Kerzen, Blumen und in der Mitte die Opferschale für das Gemeindeopfer. Gerade aber an solchen Punkten, die keineswegs verallgemeinert werden dürfen, wird auch das Tastende und das oft noch Romantisierende der gottesdienstlichen Erneuerung Hollands klar, denn ein Tisch mit zwei Kerzen und einer hölzernen Opferschale wird darum noch lange nicht zum Altar oder zum kultischen Mittelpunkt für die Gemeinde. Hier werden wohl mit der Zeit vor allem theologische Entscheidungen fallen müssen, um von innen her. die Beziehung zur neuen gottesdienstlichen Gestaltung zu gewinnen.

LeerNirgends habe ich einen Versuch angetroffen, das Gebetsleben auch außerhalb des kirchlichen Lebens in irgendeiner Weife zu ordnen. Das Wesen des Calvinismus würde dem weniger entgegenstehen als bestimmte Gemeindetraditionen Hollands, die durch den scharfen Konfessionskampf, der auch heute keineswegs als abgeschlossen gelten kann, entstanden sind. Eine sehr kleine Gruppe junger Pfarrer hat sich zu einer Art Bruderschaft zusammengefunden, trägt aber eindeutig hochkirchlichen Charakter. Hier scheint mir noch viel Schwärmerei und nicht ganz saubere theologische Arbeit vorzuliegen. So wäre noch manches zu berichten: Der erstaunlich hohe Prozentsatz Männer im Gottesdienst, die weithin gelungene Verbindung zum Sozialismus über die „Partei der Arbeit” aus den Tagen des Widerstandskampfes, der große Ernst der Ältesten und ihre erfreulich starke Anteilnahme an kleinen und großen Dingen des kirchlichen Lebens, vor allem aber die unerhörte Herzlichkeit und Brüderlichkeit uns deutschen Pfarrern gegenüber, die hier und dort anzutreffende große Zurückhaltung auf der Straße und in den Geschäften, die nach allem, was geschehen ist, nur allzu verständlich ist, und - die vornehme und so wohltuend humorvolle Würde des Präses der Hervormde Kerk, der in einer unübertrefflichen Weife die Pfarrertagung leitete. Möchten wir im Raum der deutschen Kirche doch nur ein wenig mehr ernst machen mit der Verwirklichung oekumenischen Denkens bis hinein in unsere Stellung zu den Brüdern der anderen Konfessionen im eigenen Land. Es waren Tage, an denen Oekumene gerade dort sichtbar wurde, wo die Gegensätzlichkeit theologischen und kirchlichen Denkens sichtbar zu Tage trat.

Evangelische Jahresbriefe 1951, S. 225-227

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 15-12-01
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