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Maria Platytera
von Hans Carl von Haebler

Maria PlatyteraLeerDie Mariendarstellungen der alten Kirche und der Ostkirche machen das Dogma und das Gebet der Kirche bildhaft. Da finden wir die Hodegetria, die Wegweiserin, die mit der Rechten auf das Christuskind auf ihrem Arm hinweist, die Galaktotrophusa, die das Kind stillt und ihm an ihrer menschlichen Natur Anteil gibt, die Glykophilusa oder Liebkosende, die Elëusa oder Erbarmerin, die thronende Mutter, die dem Menschgewordenen selber als Thron und Stuhl Davids dient.

LeerUnsere Ikone zeigt die sogenannte Platytera. Um diesen Namen zu verstehen, muß man die Worte $tau;ϖν ουρανϖν hinzufügen. Das heißt dann auf Deutsch: „Die weiter ist als die Himmel.” Die Aussage des Bildes deckt sich also sehr genau mit der Strophe in Luthers Weihnachtslied:
Den aller Welt Kreis nie beschloß,
der liegt in Marien Schoß;
er ist ein Kindlein worden klein,
der alle Ding erhält allein.
LeerWas Luther nur in zwei einander widersprechenden Sätzen aussagen konnte, macht die Ikone unmittelbar anschaulich: Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir den Kreis auf dem Leibe Marias, in dessen Mitte Christus erscheint, als den Weltkreis deuten. Die Hände zur Rede und zum Segen erhoben, greift der Herr über das Weltall hinaus und ist dabei doch das Kind in Mariens Schoß. Wenn der Name der Ikone sich auf Maria bezieht, so haben wir doch in Wirklichkeit ein Christusbild vor uns: das Bild des Immanuel, der sich anschickt, das Fleisch seiner Mutter anzunehmen und zu uns zu kommen (Jes. 7, 14).

LeerWir pflegen zu sagen, daß die Mutter dem Kinde das Leben schenkt. Hier ist es umgekehrt. Das Kind schenkt der Mutter das Leben. Es hat von ihrem Herzen und damit zugleich von der Welt Besitz ergriffen. Es blickt und spricht uns an, während die Augen Marias in die Weite gehen und zugleich nach innen gekehrt sind. Sie weiß um das göttliche Geheimnis und bewegt es in ihrem Herzen. Die Gebärden Christi aufnehmend, erhebt sie Arme und Hände zum Lobpreis: „Meine Seele erhebt den Herrn.” Aber sie wiederholt nicht einfach die Gebärden des Sohnes: Vielmehr setzt sich die gebieterische Geste des Immanuel in der Gebetsgeste der Mutter fort. Betend läßt sie an sich geschehen, was Gott in ihr wirkt.

LeerÜber den erhobenen Händen der Mutter Gottes erscheinen die Medaillonbilder der Erzengel Michael und Gabriel: Das Wort Gottes wird aufgehoben im Gebet der Gläubigen, und das Gebet der Gläubigen holt Seine himmlischen Diener herab auf die Erde.

LeerDer Nimbus des Immanuel aber strahlt aus und weitet sich im Nimbus seiner Mutter, der genau den Umfang des Weltkreises hat. Er „gibt der Welt ein' neuen Schein”.

Quatember 1962, S. 1

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-05
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