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Jesus Christus das Licht der Welt
Was geschieht in Neu-Delhi?

von Reinhard Mumm

LeerNach einer Pause von sieben Jahren tritt im November die Vollversammlung des Ökumenischen Rates in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi zusammen. In Amsterdam wurde der Weltrat der Kirchen 1948 gegründet, in Genf hat er seinen Sitz. Mehr und mehr hat der Einfluß amerikanischer Christen zugenommen. So war es folgerichtig, da6 die zweite Vollsitzung des Ökumenischen Rates 1954 in den USA stattfand (Evanston).

LeerEs zeugt von Weitblick, daß das Zentralkomitee beschloß, die dritte große Versammlung nach Asien zu verlegen. Ohne Frage gehen starke Kräfte der Weltgestaltung von diesem Kontinent aus, in dem älteste Kulturen beheimatet sind. Auch wächst der Einfluß der zahlenmäßig kleinen Kirchen Süd- und Ostasiens innerhalb der ökumenischen Christenheit. Sie werden sich deutlich in Neu-Delhi bemerkbar machen. Wir können nur hoffen, daß unsere alten Kirchen gute Impulse von den jungen erhalten. Umgekehrt wird die christliche Minderheit, die heute auf Ceylon und anderwärts hart um ihre Existenz ringen muß, durch den Besuch des Weltkirchenrates gestärkt.

LeerDie kommende Tagung in Neu-Delhi ist aber nicht nur von Hoffnungen, sondern auch von Sorgen begleitet: Wird man in der Umwelt der Hindu-Religion begreifen können, daß Jesus .Christus so ausschließlich von sich sagt: „Ich bin das Licht der Welt”? Wird man ein derartig anspruchsvolles Glaubenszeugnis den Europäern und Amerikanern abnehmen, deren Lebensstil so weit entfernt ist von der Nachfolge Christi in der Armut? Von den anderen Sorgen ganz zu schweigen, die vom politischen Feld her auf die Völker zukommen.

LeerEine konfessionell, national und politisch so weitgespannte Versammlung wie die des Ökumenischen Rates fordert von denen, die sie einberufen, einen starken Glauben an die Führung des Heiligen Geistes. Probleme und Nöte, Empfindlichkeiten und Mißverständnisse liegen reichlich am Wege. Um so kühner mutet uns das Programm dieser Tage an, aus dem nur einiges mitgeteilt sei:

Leer1. Im Jahre 1948 legten die Kirchen eine gemeinsame „Basis” fest, einen Richtpunkt, der für alle gelten sollte: „Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die unseren Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland anerkennen.” Diese Basis bezeichnet ein Minimum an gemeinsamer Glaubensüberzeugung und schließt nur die Gruppen aus, die die Gottheit Jesu Christi leugnen, zum Beispiel die sogenannten Unitarier. Orthodoxe und Anglikaner, Altkatholiken und Lutheraner, Reformierte und Methodisten, Baptisten und Kongregationalisten - sie alle stimmten dieser Basis zu.

LeerAber vielen Christen ist sie zu schmal. Den Orthodoxen fehlt hier ein ausdrücklicher Bezug auf die Heilige Dreifaltigkeit, den Evangelischen die Heilige Schrift, den Freikirchen der missionarische Eifer. So wird der Versammlung in Neu-Delhi eine erweiterte Basis zur Annahme vorgelegt werden: „Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland bekennen entsprechend der Heiligen Schrift und die deshalb ihre Gemeinschaft zu erfüllen trachten, zur Ehre des einen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.”

LeerIn St. Andrews (Schottland) ist diese Formel nach eingehenden Beratungen 1960 vorbereitet worden. Wenn sie angenommen wird, so vollzieht sich in der ökumenischen Christenheit des 20. Jahrhunderts ein ähnlicher Vorgang wie einst in der Urkirche. Denn das älteste Bekenntnis im Neuen Testament lautet: „Herr ist Jesus Christus”. Aus diesem Ur-Bekenntnis hat sich Stufe um Stufe das altkirchliche trinitarische Bekenntnis entfaltet. Man wird - besonders auf katholischer Seite - diesen Vorgang sehr aufmerksam registrieren.

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Leer2. Die gleiche Kommission für Glaube und Kirchenverfassung (Faith and Order), die in St. Andrews beisammen war, legt eine noch weit kühnere Erklärung zur Einheit der Kirche vor: „Die Einheit, die zugleich Gottes Wille und Gottes Gabe an seine Kirche ist, hat darin ihr Kennzeichen, daß sie alle Menschen an jedem Ort, die Jesus Christus als Herrn bekennen, durch die eine Taufe in ihm zu einer ihm völlig verpflichteten Gemeinschaft miteinander verbindet. Sie hält fest an dem einen apostolischen Glauben, predigt das eine Evangelium und bricht das eine Brot. Sie hat ein gemeinsames Leben, das sich in Zeugnis und Dienst an alle wendet. Diese christliche Gemeinschaft vereinigt sie mit der ganzen Christenheit an allen Orten und zu allen Zeiten solcherart, daß Amt und Glieder von allen anerkannt werden und daß alle gemeinsam handeln und sprechen können, wie es die Umstände erfordern bei den Aufgaben, zu denen Gott die Kirche beruft.”

LeerDiese Erklärung greift unerhört weit. Denn jeder, der nur etwas Einblick hat in das dogmatische Selbstverständnis der Kirchen und ihr Verhältnis zueinander, weiß, daß sich unserem menschlichen Blick bisher kein Weg zeigt, wie die verschiedenen christlichen Kirchen zu einer solchen Einheit praktisch gelangen sollen. Wir sind in unserer Lehre, in der Auffassung vom geistlichen Amt (Priester- und Bischofsweihe) und am Altar nach wie vor gründlich voneinander getrennt.

LeerJa, es werden besorgte Stimmen laut, die den Ökumenischen Rat daran erinnern, daß er - nach seiner Erklärung von Toronto - nicht eine Art Ober-Kirche bilden könne. Das Einigungswerk des Ökumenischen Rates wäre in der Tat gefährdet, wenn einige Gruppen in begreiflichem Eifer die Fragen nach der Wahrheit, nach der reinen Lehre und der rechten Ordnung der Kirche zurückdrängen zugunsten einer enthusiastischen Einheit.

LeerDennoch sollten wir die Einheitsformel von St. Andrews begrüßen, weil sie vom Evangelium her tief berechtigt ist. Diese Formel ist eine notwendige Frage an das überlieferte Selbstverständnis der Kirchen. Sie läßt die Theologen nicht in Ruhe. Sie fordert, Tradition und Lehre neu zu prüfen. Sie drängt heilsam auf das Ziel zu, für das der Herr selbst in seinem hohenpriesterlichen Gebet bittet (Joh. 17, 21).

Leer3. Eine weitere Aufgabe wird es sein, in Neu-Delhi die beiden großen christlichen Weltorganisationen des Ökumenischen Rates und des Internationalen Missionsrates miteinander zu verschmelzen. Dies ist nicht nur eine technische Frage, sondern fordert von den Volks- und Staatskirchen, daß sie in ganz anderem Maß als bisher den Auftrag der Mission als ihre ureigene Sache annehmen. Wir sind in Deutschland gewohnt, die Mission den Missions-Gesellschaften zu überlassen. Die verfaßten Kirchen beschränken sich nur auf ihr Land. Das geht fortan nicht mehr. Wenn der Ökumenische Rat den Missionsrat in sich aufgenommen hat, dann sind alle Mitgliedskirchen verpflichtet, selber dafür zu sorgen, daß das Evangelium in aller Welt verkündigt wird.

LeerWie soll das künftig geschehen? Wie werden sich die verschiedenen Kirchen einigen, wo und mit welchen Mitteln sie arbeiten sollen? Wir müssen uns hüten vor der Gefahr des Proselytismus (oder „sheepsteeling”).Niemand hat ein Recht, der Schwester-Kirche ihre Mitglieder abzuwenden.

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4. In diesem Frühjahr wurde bekannt, daß der Patriarch von Moskau um Aufnahme seiner Kirche in den Ökumenischen Rat nachgesucht hat. Die seit Jahren gepflegten Kontakte mit Genf haben zu dieser Bitte geführt. Nach eigenen Angaben sind heute noch dreißigtausend orthodoxe Priester in Sowjet-Rußland tätig. Das Patriarchat Moskau ist demnach immer noch die größte autokephale orthodoxe Kirche. Wieviel Seelen sie tatsächlich erreicht, wird freilich niemand sagen können.

LeerWenn Moskau in Neu-Delhi aufgenommen ist, dazu die Patriarchate von Rumänien und Bulgarien, dann wird sich das Gewicht der Orthodoxen im Ökumenischen Rat erheblich verstärken. Wird der Ökumenische Rat auch dann noch durch seine Kommission für internationale Angelegenheiten (F. Nolde) so freimütig und bestimmt für das Recht unterdrückter Völker eintreten können? Oder wird er nunmehr politisch stärker gehemmt sein? Diese Frage läßt sich nicht ganz unterdrücken, ebensowenig die andere: Wo ist die lutherische Kirche Rußlands geblieben, die noch um 1930 über eine Million Mitglieder zählte und deren letzter Bischof Malmgren 1947 starb?

Leer5. Und wo bleibt Rom? Bisher war es noch nie geschehen, daß die römisch-katholische Kirche an den großen Versammlungen des Genfer Ökumenischen Rates teilnahm. Im Gegenteil: Die örtlichen Bischöfe in Holland und den USA untersagten ökumenisch gesonnenen römisch-katholischen Christen jede Beteiligung.

LeerNunmehr hat die römische Kirche unter der Leitung des deutschen Kurien-Kardinals Bea ein besonderes Sekretariat für diese Fragen gebildet. An einer Stelle ist verlautet, daß die römisch-katholische Kirche - zum erstenmal - Beobachter zur 3. Vollversammlung des Ökumenischen Rates entsenden würde. Ein enger Mitarbeiter des Kardinals Bea, der holländische Professor Monsignore Willebrands, sagte uns in Loccum, daß seine Kirche grundsätzlich sogar Mitglied des Ökumenischen Rates werden könne, da sie ja durch solche Mitgliedschaft ihr Selbstverständnis nicht aufzugeben brauche! Es sei allerdings derzeit nicht opportun, einen solchen Schritt zu tun.

LeerWir müssen das Verhalten der römischen Kirche abwarten. Die Tür zum Ökumenischen Rat steht auch ihr offen, und es gibt viele katholische Christen und Theologen, die von Herzen eine enge Zusammenarbeit begrüßen und auch bereits praktizieren. Vorläufig wird beides noch nebeneinander hergehen, die Versammlung des Ökumenischen Rates in Neu-Delhi und das geplante Konzil im Vatikan. Aber wir schließen uns von Herzen dem Wunsch an, den der evangelische Theologe Peter Meinhold über -den Sender des Vatikans ausgesprochen hat, da8 beide Versammlungen Vertreter der anderen Kirchen in ihrer Mitte als Beobachter und Mitarbeiter sehen möchten.

LeerDie Gesamtlage der Christenheit und der Menschheit ist ernst genug. Apokalyptische Zeichen umdrohen die Welt. Die Zeit drängt. Gottes Geist erleuchte alle, die den Namen Christi bekennen!

Quatember 1962, S. 28-30

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-05
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