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Der Vorläufer des Vorläufers
von Hans Carl von Haebler

Elia in der WüsteLeerWoran liegt es, daß dem Alten Testament in unseren Gottesdiensten so wenig Raum gegeben wird? Hängt das damit zusammen, daß es seinen Platz in den Lektionen der Wochentage hatte, die heute kaum noch gottesdienstlich begangen werden, oder damit, daß sich die Volksfrömmigkeit des späten Mittelalters, vor allem nach Verbreitung des Rosenkranzgebetes, nur noch den zentralen Ereignissen der Geburt, der Passion und der Auferstehung Jesu Christi zuwandte? Wahrscheinlich liegt die Ursache noch tiefer und hat sich unser Verständnis des Alten Testaments gewandelt, das von der Kritik der Historiker nicht unberührt bleiben konnte. Für die alte Kirche hatte das Alte Testament jedenfalls nicht historischen, sondern prophetischen Wert. Die Gottesmänner des Alten Bundes und ihre Taten wurden schon von den Evangelisten mit Jesus Christus in Verbindung gebracht und dadurch gegenwartsnahe und zukunftsträchtig. Man könnte sagen - und die Glaubensaussage „niedergefahren zur Hölle” hat zweifellos auch diesen Sinn -, daß die gefallene Schöpfung durch den Tod Christi und dadurch, daß Er Sein Kreuz in der Unterwelt aufpflanzte, rückwirkend getauft und befähigt wurde, für Ihn zu zeugen.

LeerEin solcher Zeuge ist auch der Prophet Elia. Die Ostkirche hat die Erinnerung an diesen gewaltigen Gotteskämpfer bewahrt und ihm den Heiligenschein zugebilligt. Sie gibt noch heute ihrer Liebe und Verehrung und ihrer Verbundenheit mit ihm Ausdruck, indem sie am 20. Juli sein Gedächtnis feiert und ihn auf ihren Ikonen darstellt.

LeerUnser Bild zeigt, wie der Prophet die Zeiten der Trockenheit, die er dem König Ahab geweissagt hat, in der Wüste übersteht. Gott hat ihn der Rache des Königs entzogen und in die Einsamkeit entführt und hat ihn wissen lassen: „Ich habe den Raben geboten, daß sie dich daselbst sollen versorgen” (1. Kön. 17). Mit dieser Begebenheit beginnt die Geschichte Elias, des Thisbiters. Ehe er den Sohn der Witwe von Zarpath von den Toten auferweckt, ehe er auf dem Karmel Gottes Feuer vom Himmel herabfleht, ehe er, vom Engel gespeist, nach vierzigtägiger Wanderung sein Gotteserlebnis auf dem Berge Horeb hat, ehe er unter Donner und Blitz auf einem feurigen Wagen gen Himmel fährt, führt Gott den Propheten in die Einsamkeit der Wüste und prüft und stärkt ihn für die Aufgaben, für die Er ihn ausersehen hat.

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LeerVon einer unwirtlichen, zerklüfteten Landschaft umgeben, sitzt Elia im Eingang einer dunklen Höhle. Bergend und finster zugleich, hüllt sie ihn ein: Leere und Verlassenheit außen und innen - der Welt entrückt, die ihn verfolgt, der Zeit entrückt, die hier zum Stillstand gekommen ist. Nur der Rabe, der schwarze Sendbote Gottes, bringt Leben in die erstarrte Landschaft, wann immer Gott ihm befiehlt, dem Propheten Nahrung zu bringen. Später, wenn sein Blick sich geschärft hat, wird Elia bemerken, daß ein Engel ihn speist. Aber wo der Glaube sich der göttlichen Fürsorge anvertraut, kann wohl auch im Raben der Engel sichtbar werden, im Schwarzen das Lichte. Der Prophet neigt sich leicht zurück. Mit dem Haupt durchbricht er die Finsternis seines Höhlendaseins, dem Raben entgegenschauend, der auf ihn herabflattert. Ohne Zeichen der Verwunderung streckt er die Hand aus, um die Himmelsspeise zu empfangen. Mit gläubigen Augen gesehen wird das Wunder zur Selbstverständlichkeit, das Alltägliche zum Wunder. Im Vertrauen auf Gottes Zusage hat Elia den Vogel erwartet: „Meine Seele hat Deiner geharrt!” singt die Ostkirche mit dem Propheten in der Liturgie seines Gedenktages.

LeerNeben unserer Ikone gibt es andere, die, den Lektionen und Hymnen der Liturgie folgend, die Speisung des Propheten durch den Engel, seine Himmelfahrt auf dem feurigen Wagen und die Übergabe des Prophetenmantels an seinen Nachfolger Elisa abbilden. Die bekannteste und wichtigste Ikone aber stellt Elia und Moses zur Rechten und Linken Christi auf dem Berge Tabor dar. Hier haben die Apostel den Thisbiter zusammen mit dem verklärten Herrn gesehen, hier hat der Herr selber Elia als seinen Vorläufer bezeichnet und mit Johannes dem Täufer zusammen-gesehen (Matth. 17). So feiert die Ostkirche ihn auch als den „Vorläufer des Vorläufers” und als das Vorbild der Wüstenväter und Einsiedler.

LeerWie ein erratischer Block aus vorgeschichtlicher Zeit ragt der Prophet Elia in die Heilsgeschichte hinein. Feuer und Wasser, Donner und Blitz, stehen ihm zu Gebote, auf den Bergen (Karmel, Horeb, Tabor) und in der Wüste hält er Zwiesprache mit Gott. Der Schöpfung verbunden und auf den Erlöser und Vollender der Schöpfung ausgerichtet, nimmt Elia den Platz ein, den Gott dem Menschen zwischen Tieren und Engeln zugedacht hat.

Quatember 1962, S. 49-50

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-05
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