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Kelham
von Manfred Knodt

LeerEine der erfreulichsten Begleiterscheinungen des Marburger Michaelsfestes war die starke Anteilnahme verwandter Gruppen aus der ökumenischen Christenheit. Neben den Bruderschaften, mit denen wir seit langem in regelmäßiger Fürbitte verbunden sind, war auch die Anglikanische Kirche vertreten durch den Domherrn von St. Paul in London, Rev. Gage-Brown und zwei Angehörige des anglikanischen Mönchsordens, der „society of sacred mission” zu Kelham, den Priestermönch Rev. Frederick Willcox und den Novizen Alan C. Priestley.

LeerAuf Grund eines engeren Austausches mit den Genannten sowie eines fünftägigen Aufenthaltes in Kelham im Jahre 1947 während meiner Kriegsgefangenschaft möchte ich die Darstellung, die Gerhard Tetzlaff im Weihnachtsheft 1956 gab, nachstehend ergänzen.

1. Entstehung und Gründer

LeerGeistlicher Aufbruch entsteht in der Kirchengeschichte meist, wenn besondere Nöte nach Abhilfe verlangen. Wenn Gott dann Menschen dafür sehend macht und sie nicht eher zur Ruhe kommen läßt, bis Wege beschritten sind, die der Not steuern, geschehen große Dinge.

LeerAn Allerheiligen 1889 wurde der ehemalige Marinepfarrer Charles Corfe zum anglikanischen Bischof von Korea geweiht. Nach längerem erfolglosem Mühen, Missionare für den Dienst zu gewinnen, der dort größte persönliche Opfer und den Verzicht auf Ehe verlangte, meldete sich der neunundzwanzigjährige anglikanische Pfarrer Herbert Kelly. Aus verschiedenen Gründen - einer davon war Schwerhörigkeit - scheiterte die Berufung. Geeignete Pfarrer waren nicht willig, aber mehrere willige junge Leute waren nicht ausgebildet. Deshalb bat der Bischof, Kelly möge die Ausbildung dieser willigen Leute für die Missionsarbeit in Korea übernehmen. Das war die Geburtsstunde der society of sacred mission (SSM, im Deutschen schwer zu übersetzen, etwa: Vereinigung für heilige Mission, geistlichen Dienst). Zuerst nannte sich der Kreis, den Fr. Kelly sammelte, „Corean Missionary Brotherhood”; in Kennington in der Nähe von Oxford, fand sich ein Haus für die kleinen Anfänge. Im Jahre 1894 wurde der Name in den jetzigen geändert, 1897 siedelte die SSM nach Mildenhall und 1903 schließlich nach Kelham über, etwa 180 Kilometer nördlich von London.

LeerIn der Konstitution charakterisierte Fr. Kelly die SSM als eine Gemeinschaft (community) von Priestern und Laien, die aus freien Stücken geloben, ihr Leben zu opfern nach dem Vorbild und mit Hilfe der heiligen Engel, damit Gottes Ehre gefördert werde durch die Erfüllung Seines Willens.

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2. Wesen und Aufgaben des Ordens

Leer„Durch Ihn wurdest du geschaffen - durch den Willen Gottes, und zu diesem Ziel - dem Lob Seiner Herrlichkeit”, so beginnt die zweiundzwanzig Abschnitte umfassende Ordensregel (principles). Gott wird verherrlicht, wenn Sein Wille getan wird (XII), nicht nur in der Welt, sondern in dir selbst, nach dem Vorbild Christi, der, entsprechend Psalm 51, 19 und Micha 6, 8, den Willen Gottes erfüllt und die Welt erlöst hat (II). Erkenntnis ist gut und nützlich, aber die Liebe Gottes ist über allen Gaben, durch sie muß die Welt regiert werden (III), wichtiger als Wissen und Erkenntnis ist es, den Geist in Zucht zu nehmen (VII). Die Überschriften der Regel-Abschnitte geben ein Bild von den Erkenntnissen und Absichten des Ordens, zum Beispiel: Vom Gottesdienst; öffentliches und privates Beten; von der Erkenntnis; vom Weg der Erkenntnis; vom Gebrauch der Zeit; vom Schweigen; vom Ansehen (reputation); von der Selbsterkenntnis; von der Arbeit; von der Unterwerfung, welche Arbeit zu wählen ist, vom Gehorsam; wie man sich bei einer Zurechtweisung verhält; vom Vergnügen (pleasure, hier: Dinge die man tun und lassen kann); vom Zölibat; vom Leben in der Gemeinschaft.

LeerIn dem unsrem Brudergebet entsprechenden Kollektengebet heißt es:

Leer„Und ich sah einen Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu verkündigen denen, die auf Erden wohnen. Fürchtet Gott und gebt Ihm die Ehre, denn die Stunde Seines Gerichts ist gekommen. (Offbg. Joh. 14, 6f.).

LeerAllmächtiger und ewiger Gott, von dessen Antlitz die Engel ausgehen, zu tun Deinen Willen, schenke es den Brüdern der society of sacred mission, daß sie der Ehre Deines Namens im Gehorsam dienen und, überschattet von Deinem Schutz, zuletzt die Krone des Lebens empfangen durch denselben, Jesus Christus, unsern Herrn, Amen.”

LeerDen Willen Gottes tun, hieß für die SSM seit ihrer Entstehung: Als erstes Ziel, die Zahl derer zu vermehren, die ihr Leben dem Dienste Gottes (divine Service) weihen, und sie dazu auszubilden, vor allem als Priester. Wo die Berufung besteht, soll zweitens die Bereitschaft zum Ganzopfer des Lebens gefördert werden. Drittens soll die SSM für die Bekehrung und Vervollkommnung der Seelen arbeiten, besonders unter Heiden und in der Kirche in der weiten Welt. Schließlich muß die Pflege der theologischen Wissenschaft einen angemessenen Platz haben.

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3. Die Arbeitsfelder des Ordens

LeerDie Fürbittenliste der SSM vom September 1961 nennt besondere Anlässe, die zu Dank Anlaß geben (z. B. die Profeß einiger Brüder, die Zulassung zum Noviziat, Ordinationen von Kandidaten, die Gebefreudigkeit der Freunde, die Fertigstellung der Pfarrkirche in Welkom, die in Afrika in der Obhut der SSM ist, die Wiederherstellung von Fr. Anthony nach schwerer Operation) und Fürbitte erfordern (z. B. Vorbereitung der großen Kapiteltagung der SSM 1962; die 45 Männer und Jungen, die zu Michaelis zur Ausbildung kommen; die Planung der Rüstzeiten im Gästehaus; ehemalige Schüler des Hauses, die einen zwölfmonatigen Dienst in der Industrie anfangen; spezielle Anliegen im Zusammenhang mit den Stationen in Südafrika, Australien und anderes mehr). Diese Liste gibt insgesamt 53 Priester und 26 Laienbrüder als derzeitige Angehörige des Ordens an. Davon arbeiten 24 Priester und 15 Brüder in England, zum größten Teil im Mutterhaus in Kelham. Drei Pfarreien sind von Kelham-fathers besetzt, in Nottingham, Bristol und Sheffield. Der Bischof von Southwell ist Visitator der SSM und stellt die Verbindung mit der anglikanischen Kirche her.

LeerIm Priesterseminar unterrichten Ordensangehörige. Die Studenten, die während ihres Studiums nach der Ordnung des Hauses leben, sind nicht genötigt, Ordensangehörige zu werden. Sofern sie in den Pfarrdienst der Kirche eintreten, bleiben sie mit ihrer theologischen Ausbildungsstätte verbunden und halten sich zu der „fellowship der SSM”, die als Freundeskreis sich in ähnlicher Weise der SSM zugeordnet weiß, wie der Berneuchener Dienst unsrer Michaelsbruderschaft. Fr. Kelly hat von Anfang an dafür gesorgt, daß mit der theologischen Ausbildung geistliches Leben Hand in Hand geht. Im Anglikanismus gab es nie die Kluft zwischen theologischer Ausbildung und geistlichem Leben, die dem kontinentalen Protestantismus soviel Not gemacht hat. Die Kirche wird schwerlich junge Menschen für den Pfarrdienst gewinnen, wenn nicht Menschen vorleben, wie eine vollkommene Hingabe in diesem Dienst aussieht, das war die Überzeugung des Ordensgründers.

LeerDie SSM unterhält 5 Priorate in Südafrika, im Oranje-Freistaat und im Basutoland. Fr. Willcox, der unser Gast in Marburg war, wurde Ende 1961 nach Ha Chooko im Basutoland versetzt und schrieb, daß er mit einem weiteren Priester, einem Arzt, einer Krankenschwester und einem Baumeister den Auftrag hat, ein Hospital zu errichten. Modderpoort ist der Sitz des Ordensprovinzials; dort befindet sich eine „ordination test school”, ein College, das wohl die Aufgabe hat, für den Pfarrdienst geeignete Kandidaten auszuwählen.

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LeerEin Ordensangehöriger ist Bischof der Diözese von Acra in Ghana, ein weiterer arbeitet in Zentralafrika. Insgesamt sind 18 Priester und 6 Laienbrüder der SSM in Afrika.

LeerIn Crafers in Australien ist ein weiteres College mit Noviziat unter der Leitung der SSM, in Perth ein Priorat. Insgesamt befinden sich 11 Priester und 5 Laienbrüder in diesem Erdteil. Überall wo Angehörige der SSM arbeiten, mühen sie sich, Anregungen zu bruderschaftlichem Leben zu geben.

4. Die Ökumenische Bereitschaft der SSM

LeerVon dem Gründer her, der 60 Jahre Ordensleben gestaltete und mitbestimmte, hat die SSM eine starke ökumenische Bereitschaft und Verantwortung mit auf den Weg bekommen.

LeerDer christliche Studentenweltbund (Student Christian movement) hatte in Fr. Kelly und den Kelham-fathers gute Freunde und Förderer. An der ersten Weltmissionskonferenz in Edinburg im Jahre 1910 nahm Fr. Kelly teil. Die Mitarbeit in den ökumenischen Bemühungen befürwortete er, weil er darin eine Gelegenheit erkannte, den eignen Standort zu überprüfen. „Wir tun gut, an die Kirche zu glauben, aber das ist nicht gleichbedeutend mit unsrem eignen Begriff von der Kirche. Die Einheit kann nicht dadurch erreicht werden, daß man rückwärts geht, sie liegt vor uns. Sie liegt darin, daß wir mehr lernen, nicht daß wir unbelehrbar sind. Wir haben Gottes Weg zu lernen und welcher Art Gottes Einheit ist, nicht eine Einheit herzustellen, wie sie uns vorschwebt.”

LeerAus dieser grundsätzlichen Bereitschaft war Kelham immer offen für Gäste und Studenten anderer nichtrömischer Kirchen. Der Kontakt mit den nordischen Kirchen in Schweden und Dänemark wird z.B. von Fr. Hebert gepflegt, der sich auch mit der deutschen Theologie beschäftigt. Unvergeßlich ist mir anläßlich meines Aufenthalts in Kelham im Jahre 1947 eine Stunde am Kamin geblieben, bei der nacheinander das gleiche Stück aus dem griechischen Neuen Testament von einem Engländer, Holländer, Amerikaner und Deutschen gelesen wurde.

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5. Abschließende Würdigung

LeerBei dem Weg durch die Geschichte und Arbeitsgebiete der SSM ist bisher noch nicht davon gesprochen worden, daß alles geistliche Leben dieser Gemeinschaft von der Anbetung und der Feier der Eucharistie ausgeht und zu ihr zurückkehrt. Wer in der so eindrucksstarken Kapelle mitgebetet und mitgefeiert hat, wird diese „schönen Gottesdienste des Herrn” nicht mehr vergessen. Dem mit den vielfältigen Erscheinungsformen des Anglikanismus wenig Vertrauten wird es schwerfallen, in dem gottesdienstlichen Brauchtum und den Zeremonien Unterschiede zur römisch-katholischen Kirche festzustellen. Die strenge mönchische Zucht und der durch die Horen und die intensive geistliche Arbeit bestimmte und geordnete Tag atmen viel von dem Geist alten klösterlichen Lebens, dessen die Kirche Christi immer bedürfen wird. Wer die Hausgemeinschaft auf dem Sportplatz gesehen hat, stellt aber auch fest, daß dem geistlichen „Training” die notwendige körperliche Ertüchtigung zugeordnet ist.

LeerKelham ist ein Beispiel dafür, daß starkes geistliches, im Sakrament, im Gebet, in der Hingabe des ganzen Lebens an Gott verwurzeltes Leben die beste Zurüstung ist, die Verantwortung in der Kirche und in der Welt zu sehen und wahrzunehmen.

LeerDurch die Aufgaben, die an der Wiege des Ordens standen, ist die SSM gedrängt worden, „den niedrigsten, sklavischsten, gefährlichsten, am wenigsten auffallenden und am wenigsten populären Dienst zu tun (Regel XIV). Wer Gottes Willen allein um Gottes willen ausführt, muß bereit sein, Arbeit ohne Zögern anzufangen oder einzustellen. Viele Menschen können ihren eignen Erfolg sehen, wenige ihren eignen Mißerfolg messen. Nimmst du eine Arbeit oder einen Dienst an, zu dem dich Gott ruft, sei sofort bereit, sie niederzulegen, wenn eine bessere oder geeignetere Person von Ihm gesandt wird.”

LeerFr. Willcox hat auf unsrem Michaelsfest mit den Grüßen seines Ordens die Einladung übermittelt, wer von den Michaelsbrüdern Gelegenheit hätte, solle Kelham besuchen.

LeerEs wäre zu begrüßen, wenn die Verbindung zwischen Kelham und unsrer Bruderschaft sich erweiterte und vertiefte. Fr. Willcox, der auch von seiner Station in Südafrika weiter mit der Bruderschaft Kontakt pflegen soll, hat sehr beeindruckt über unser Fest geschrieben, und sein junger Novizenbruder Alan Priestley tat in Kelham das Seine, um uns bekannt zu machen.

Quatember 1962, S. 77-80

[Die SSM hat sich inzwischen für Frauen und Ehepaare geöffnet. Der englische Zweig ist kleiner geworden. Weitere Häuser bestehen in Australien und Südafrika.
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© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-03
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