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Die Kraft Gottes
von Rose Matz

LeerDurch die Auferstehung Christi hoffen wir auf Leben und unvergängliches Wesen. Nicht aus eigener Kraft bewegen wir uns aus Zeit und Raum in eine überirdische Wirklichkeit, unser „rechtes Vaterland”, sondern eine göttliche Kraft hebt uns zu sich empor. Um diese Kraft, die vom Vater und vom Sohne ausgeht, müssen wir bitten. Diese Kraft ist Heiliger Geist, und ehe wir darum bitten, müssen wir innewerden, wie furchtbar ernst das Wort „heilig” ist.

LeerSo dürfen die Lieder, die mit der Bitte um den Heiligen Geist beginnen, die flehentlich rufen: „Komm”, nur leise und in tiefer Besinnung gesungen werden (EKG 97). Die Kraft Gottes berührt uns nicht flüchtig, sondern „besucht das Herz der Menschen”, die Gott angehören, dringt in die Mitte unseres Lebens ein. Leer muß dies Herz sein, damit die göttliche Fülle einströmen kann; ganz und gar hingewendet zum Schöpfer. Wir sind wohl Gottes Geschöpfe, aber so lange tot, wie uns seine heilige Kraft nicht anrührt und immer wieder lebendig macht und lebendig erhält. Das irdische Dasein schlägt uns Wunden, wir selbst verletzen uns, und wir tun unserm Nächsten weh: Gottes Kraft, „des Allerhöchsten Gabe teur”, ist eine „geistlich Salb, an uns gewandt”, die alle Wunden heilen kann. Diese Gabe hat ordnende Kraft im Verhältnis der Menschen untereinander.

LeerDas Unbegreifliche, das in Worte nicht mehr zu fassen ist, nimmt seine Zuflucht zu Bildern. So wird der Heilige Geist ein Brunnen, wird Feuer, wird Licht. Nicht tief genug kann man sich den Brunnen denken, aus dem das Wasser des Lebens quillt. Er geht hinab an die Wurzeln des Seins. Aus dem Urgund, in immer neuem Schöpfungsakt, sammeln sich die Quellen, aus denen unser Leben gespeist wird. Gott wohnt im Dunkel wie im Licht. Dieses Licht kann zur lodernden Flamme werden, die das Nichtige verzehrt und das Bleibende läutert. Aber dieses Licht kann auch mit sanftem Leuchten unsern Verstand erhellen und uns mit siebenfacher Gabe beglücken. Denn das ist der „Geist des Herrn, daß er uns mit Weisheit und Verstand, mit Rat und Stärke, mit Erkenntnis und der Furcht des Herrn beschenkt” (Jes. 11, 2). Aber „wenn ich mit Menschen - und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht”: die höchste Gabe, die der Heilige Geist verleihen kann, ist „der Liebe Brunst”. Aus dieser bewegenden Kraft heraus nähert sich Gottes Finger in Michelangelos Erschaffung des Adam der noch unbelebten Hand des Menschen, und der göttliche Funke springt über. Gottes Finger, der ordnende Geist, schrieb die Gebote in die steinernen Tafeln. So ist das Wort Hülle des Geistes. Die wie Flammen erscheinenden Zungen geben das Wort weiter. Folgen wir seinem Leiten, so wird des Feindes List vertrieben, und die Seele wird vor Schaden bewahrt.

LeerWährend das Lied „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist” die Wirkung der Gotteskraft auf die menschliche Seele schildert, ergreift in dem Lied „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott” (EKG 98) des himmlischen Lichtes Glast das Volk aus aller Welt Zungen. Dieses Lied ist recht eigentlich ein Bild der Kirche. In Luthers Katechismus kommt das Wort „Kirche” nicht vor, in seinen Liedern nur in der Paraphrase des Vaterunsers (EKG 241). Da wird die Kirche dem Reich Gottes gleichgesetzt; nur durch den Heiligen Geist ist die Bitte möglich: „Es kommt dein Reich zu dieser Zeit und dort hernach in Ewigkeit”. Der Heilige Geist „wohn uns bei” (EKG 109). Durch seine Gaben wird des „Satans Zorn und groß Gewalt” zerbrochen und die Kirche erhalten. Denn wohl naht Gottes Geist in Sturm und Feuer, aber nur der ruhige Atem und die milde Flamme bewahren das Leben. Heilige Nüchternheit ist das innerste Wesen des Geistes.

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LeerDaher die immer wiederkehrende Bitte: behüte, hilf uns, daß wir beständig bleiben. „Herr dein Heilig Geist uns nimmer laß, der uns geb zu halten rechte Maß” (EKG 163); „laß uns nicht durch Trübsal abtreiben” (EKG 98); „laß uns im Frieden auf einem Sinn bleiben” (EKG 99), und immer wieder die Bitte um Kraft im Lebenskampf, um ein ritterliches Streiten und Siegen. Denn als Glieder der Kirche werden wir durch die Taufe Träger des Geistes und damit aufgerufen zur Verantwortung. Das Verweilen im Geist führt uns über den Tod hinaus, aus der Fremde ins „rechte Vaterland”. Die Melodie des Liedes „Nun bitten wir den Heiligen Geist” (EKG 99) mahnt durch ihre Intervalle an Glockengeläut, Glocken aus einer anderen Welt. In dem Lied „Komm Heiliger Geist, Herre Gott” bildet das Leben auf dieser Erde den Kern; in diesem Liede des Heimwehs und der Sehnsucht aber wendet sich die Seele an den Heiligen Geist als den Tröster in Todesnot. Um heiliges Leben, seliges Sterben bittet auch die Pfingstsequenz (EKG 101).

LeerWohl soll uns der Geist in Unruhe versetzen, doch aus dieser Unruhe hinaus zum Frieden führen. Schön geschieht das in der Melodie des Liedes „O Heiliger Geist, o heiliger Gott” (EKG 104). Dem bewegten Eingang mit seinem flehenden Rhythmus steht die ruhige Gewißheit im Abschluß gegenüber.

LeerIn Hessen wurde noch im 19. Jahrhundert jeder Gottesdienst mit der Bitte eröffnet: „Komm, Heiliger Geist, erfüll die Herzen deiner Gläubigen” (EKG 124). Luther sagt in den Tischreden, das sei „ein feiner schöner Gesang”. Der Heilige Geist habe ihn selber von sich gemacht, beide, Worte und Melodei. Die Melodie weicht nur zweimal von dem pentatonischen Gang ab, wirkt gregorianisch und meditativ. Während sich das Lied „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist” an alle Menschen wendet, ergeht hier die Bitte an die Gläubigen, also an die Kirche im engeren Sinne. Nichts verbindet die Menschen mehr als gemeinsamer Gesang. Rhythmus und Tonhöhe fassen die Stimmen in einer Weise zusammen. So ist die Bitte um den Heiligen Geist am Anfang des Gottesdienstes ein Mittel dieses Heiligen Geistes, Kirche zu schaffen.

LeerImmer wieder bitten wir um Erkenntnis des Wesens Gottes, das sich dreifach entfaltet. Das Trinitatisfest ist ein junges Fest, das erst im 11. Jahrhundert die drei großen christlichen Feste auf einen beliebigen Sonntag zusammenfaßt. Papst Johannes XXII. führt es 1334 für die ganze Kirche ein, und allmählich wird es auf den ersten Sonntag nach Pfingsten festgelegt. Die Trinitatislieder durchziehen das Kirchenjahr. Das Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Te Deum und die Litanei (EKG 130-138) loben und preisen die Heilige Dreifaltigkeit. Die deutsche Fassung der Mehrzahl dieser altkirchlichen gewaltigen Gesänge verdanken wir Luther. In den Chor der Apostel, Märtyrer und Propheten stimmen alle Engel, Cherubim und Seraphim ein. In diesen Gesängen ist das Glaubensgut der Kirche beschlossen. Der Lobpreis wird zum Bekenntnis.

LeerSind diese liturgischen Lieder bewegt von der Macht der Dreifaltigkeit, so klingt diese Macht wie ein Basso continuo durch das ganze Gesangbuch.

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LeerDas Adventslied „Macht hoch die Tür” (EKG 6) besingt den Schöpfer, den Heiland, den Heiligen Geist. Das alte Lied „Nun komm, der Heiden Heiland” (EKG 1) schließt mit dem trinitarischen Lobpreis. Zu Weihnachten heißt es: „Laß sehn dein herrlich Angesicht, das Wesen der Dreifaltigkeit” (EKG 3). In dem Epiphaniaslied „Herr Christ, der einig Gotts Sohn” (EKG 46) liegt die Innigkeit der Verbundenheit von Gott dem Vater und dem Sohne in dem Bild: „Aus seim Herzen entsprossen”, und der Geist schenkt Liebe und Erkenntnis.

LeerOft werden die drei göttlichen Personen am Anfang, mitten im Lied oder am Schluß genannt. Eine kraftvolle Anrufung im Kampf um die reine Lehre ist Luthers Lied „Erhalt uns, Herr, bei Deinem Wort” (EKG 142). In seinem Lied „Christ, unser Herr, zum Jordan kam” (EKG 146) kommt es ihm darauf an, daß Gott der Vater bei Jesu Taufe in seiner Stimme zugegen war, Gottes Sohn selbst empfing die Taufe, und der Heilige Geist fuhr „in Taubenbild verkleidt” hernieder. Also sollen wir nicht daran zweifeln, daß bei unserer Taufe auch „all drei Person getaufet han” (selten wird die Taube in den Liedern erwähnt, vgl. noch EKG 153, Str. 2). Auch die Tauflieder „Gott Vater, höre unsre Bitt” (EKG 150) und „Ich bin getauft auf deinen Namen” (EKG 152) rufen die Heilige Dreieinigkeit an.

LeerWie jeder Gottesdienst im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes anhebt, sollte jeder Tag mit diesem Segen begonnen werden. „Des Morgens, so du aus dem Bett fährst, sollst du dich segnen mit dem heiligen Kreuz und sagen: Das walt Gott Vater, Sohn, Heiliger Geist. Amen” (Luther). Das Morgenlied „O Heilige Dreifaltigkeit” (W. Thomas, K. Ameln: Das Morgenlied, Nr. 17) fleht um des Vaters Huld, des Sohnes Weisheit und des Heiligen Geistes Glanz und Schein. Der Segensstrom des Schöpfers, des Erlösers, des Trösters fließt in eins zusammen.
„Herr, segne und behüte mich,
Erleuchte mich, Herr, gnädiglich,
Herr, heb auf mich dein Angesicht
Und deinen Frieden auf mich richt.”
LeerAus dem 14. Jahrhundert stammt der Sabbatvesperhymnus O Pater sancte, mitis atque pie (O Vater heilig, milde und fromm). Franziskus Algermann hat ihn seiner Nachdichtung zugrunde gelegt (W. Thomas, K. Ameln, Das Abendlied, Nr. 17). Es ist ein Abendlied, das die Allmacht und Gnade des milden Gottes, die gleiche Majestät seines Sohnes und die tröstende Kraft des Heiligen Geistes besingt: „all drei in einem Wesen”. In den Lobpreis der Menschen fällt der Chor der Geschöpfe ein, und die Heilige Dreifaltigkeit behütet nicht nur die Welt, sondern ist auch ein „Licht der Engel”. Die sanft auf- und absteigende Melodie strömt Abendfrieden aus. Das gleiche gilt von der Nachdichtung des Hymnus O lux beata Trinitas (O seliges Licht Dreifaltigkeit), die Luther 1543 veröffentlicht hat (EKG 352). Anfang und Schluß des Liedes bewegen sich zwischen d und a, auch der mittlere Teil pentatonisch zwischen f und c. Das gibt der Melodie, die ja nur zarte Modulation des Textes bedeutet, die Ruhe stiller Einkehr. „Laß leuchten uns dein göttlich Licht”.

LeerMan möchte die Bitte eines anderen Abendliedes anschließen:
Laß doch dein Licht
Auslöschen nicht
Bei uns allhier auf Erden (EKG 358).
Quatember 1962, S. 103-106

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-05
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