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von Walter Lotz |
Einer Reportage in dem amerikanischen Magazin „Time” (22. 12.1961) entnehmen wir folgendes: In der lutherischen St. Markuskirche in Chikago (Illinois-Synode) wurde Weihnachten vor 7 Jahren mit zwei Feiern begangen, die Rev. Pastor J. St. Bremer zwei „ziemlich undefinierbare Gottesdienste” nannte. In der nächsten Woche wird Pastor Bremer und seine Gemeinde die Geburt Christi mit vier Hochämtern begehen, bei welchen alle Gebete und Responsorien gregorianisch gesungen werden. An Stelle des einfachen schwarzen Gewandes, das sein Vorgänger trug, wird dieser Pastor die volle eucharistische Gewandung tragen: Alba, Stola, Manipel und Kasel - alles in Weiß. Der Altar in St. Markus wird nicht mehr zwei, sondern sechs Kerzen tragen, und der Einzugsprozession werden Lichter und ein Vortragekreuz vorangetragen werden. Solche Feiern sind in St. Markus keine Seltenheit. Mit Zustimmung des Kirchenvorstands und der Gemeinde hat Pastor Bremer ein tägliches Morgengebet, den Abendmahlsgottesdienst an allen Sonn- und Festtagen und die Oster-Vigil eingeführt. Auch kann jedes Gemeindeglied jederzeit zur Einzelbeichte kommen. Das Beispiel von St. Markus steht nicht allein da. Im ganzen Land ist eine radikale Gottesdienstreform nach Form und Inhalt im Gange, und zwar sowohl bei den Lutheranern wie bei den Reformierten, in der bischöflichen Kirche wie auch bei den Methodisten. Diese liturgische Erneuerungsbewegung geht einerseits auf die Urchristenheit zurück, in der das Altarsakrament noch im Mittelpunkt des Gottesdienstes stand, andererseits möchte sie möglichst viel von den später reich entfalteten Formen der Tradition zurückgewinnen. „Sie hat der Kirche zum Bewußtsein gebracht, daß der Gottesdienst ein Ganzes darstellt, in welchem die Predigt und das Mahl des Herrn nicht voneinander getrennt werden dürfen”, sagt Dr. Edgar S. Brown, der geschäftsführende Leiter der Abteilung für Gottesdienst in der Vereinigten Lutherischen Kirche in Amerika. Im Protest gegen den Mißbrauch der römisch-katholischen Messe hatte die Reformation auf Kosten des Sakramentsgottesdienstes die Verkündigung des Wortes Gottes in der Gestalt der Predigt in den Vordergrund gestellt. Dr. Brown weist darauf hin, daß diese Überbetonung in den Vereinigten Staaten noch verstärkt wurde durch die Entwicklung des Protestantismus im 18. und 19. Jahrhundert, die vorwiegend durch die methodistische und baptistische Art einer gefühlsmäßigen Frömmigkeit bestimmt war. Sogar in Kirchen mit strenger liturgischer Überlieferung - wie der lutherischen und der bischöflichen Kirche - betonte das Gemeindelied mehr die individuelle Frömmigkeit als die Anbetung und das Lob Gottes. Im Kirchenbau trat die Kanzel an Stelle des Altars in den Mittelpunkt. Obwohl die Predigt noch immer im Brennpunkt der meisten protestantischen Gottesdienste steht, ist das hervorstechendste Merkmal der liturgischen Bewegung die Wiederherstellung der zentralen Stellung des Sakramentsgottesdienstes. In der reformierten Redford-Kirche in Detroit wird das Heilige Abendmahl jetzt monatlich und nicht mehr nur viermal im Jahr gefeiert. Man überlegt aber bereits die Einführung einer sonntäglichen Feier. In der methodistischen Travis-Park-Kirche in San Antonio bat die Gemeinde ihren Pfarrer vor kurzem, die Kommunion in Zukunft an jedem Sonntag und nicht mehr nur einmal im Monat zu feiern. Viele lutherischen Kirchen haben die gesungene Form der Deutschen Messe Martin Luthers wieder eingeführt. Rev. Franklin Senger an der Heiliggeistkirche in Washington gebraucht den liturgischen Altargesang in allen Sonntagsgottesdiensten, und etwa die Hälfte seiner Gemeinde kniet bei den Gebeten. Auch auf die Kleidung hat sich die Erneuerung liturgischer Formen ausgewirkt. In den Gemeinden der Vereinigten Kirchen Christi in Neu-England, deren Pfarrer noch vor wenigen Jahren selten etwas anderes als einen dunklen Anzug trugen, machen jetzt mehr als die Hälfte der Pfarrer Gebrauch von dem klerikalen Collar. Noch 1941 trugen nach einer damals durchgeführten Befragung in einem Teil der lutherischen Kirche (ULC) 1 500 unter 2 000 Pfarrern entweder den schwarzen Talar oder überhaupt kein liturgisches Gewand beim Gottesdienst. Jetzt tragen zwei Drittel der gleichen Pfarrerschaft entweder den schwarzen Cassock mit weißem Superpellizium und Stola oder die vollen Meßgewänder. Wenn den Gemeinden die liturgischen Veränderungen erklärt werden, können sie fast immer dafür gewonnen werden. „Zuerst gibt es Widerstand”, gibt Rev. J. van der Graaf von der Methodistenkirche in St. Louis zu, „aber wenn erst einmal die Bedeutung der Symbole erklärt ist, gewöhnen sie sich daran und haben sie schließlich gern.” Freilich befürworten nicht alle Protestanten die neue Entwicklung. In Opposition stehen vor allem die Quäker und pfingstlerische Sekten. Auch gibt es immer noch viele Theologen, die in der Betonung kultischer Formen eine gefährliche Anlehnung an die römisch-katholische Kirche erblicken, die ihrerseits mitten in einer liturgischen Erneuerungsbewegung steht. Rev. Robert E. Lee von der lutherischen Erlöserkirche in Atlanta sagt: „Wer sich hinter liturgischen Formen versteckt, ist mir äußerst verdächtig. Oftmals versteckt sich hinter bunten Gewändern, wer in der Predigt nichts zu sagen hat.” Demgegenüber betonen die Liturgiker, daß es sich in dieser Erneuerungsbewegung keinesfalls um äußere oder leere Formen handele. „Es liegt uns nicht an irgend welchen Machenschaften, die den Gottesdienst anziehender gestalten sollen”, sagt Rev. Donald Roberts von der reformierten Bundeskirche in Los Angeles. „Wir bemühen uns wieder um das Herzstück unseres Glaubens. Wir gehen zurück zu dem Konzept der Kirche als einer Gemeinschaft.” Die Erneuerung des sakramentalen Gottesdienstes, so fügt Dr. Robert M. Brown vom theologischen Seminar in New York hinzu, „versucht nicht nur zu tun, was man früher getan hat. Sie ist vielmehr ein Versuch, die Ganzheit des christlichen Gottesdienstes in moderner Form wieder zu gewinnen. Die Kritiker werfen der Kirche vor, daß sie ihre Versäumnisse auf dem Gebiet der sozialen und religiösen Probleme durch eine Wendung nach innen verdecken wolle. Ich würde antworten, daß die liturgische Erneuerungsbewegung im Gegenteil bemüht gewesen ist, Liturgie und Leben in Verbindung zu bringen. Der Ausdruck ‚Liturgie’ kommt aus dem Griechischen und bedeutet dort ‚Der Dienst des Volkes’. Der Gottesdienst der Gemeinde in der Kirche ist aber aufs innigste verbunden mit dem Gottesdienst in der Welt.” Quatember 1962, S. 127-128 |
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