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Konzil und Rekonziliation
Kirchweih in Taizé

von Hans Carl von Haebler

LeerWer im Duden oder Brockhaus nachschlagen sollte, was das ungewöhnliche Fremdwort Rekonziliation bedeutet, dem sei gleich gesagt, daß dort nur die prägnante Bedeutung angeführt ist, die ihm das römische Kirchenrecht gegeben hat, nämlich Wiederaufnahme des Häretikers in den Schoß der Kirche. Im Französischen und Englischen aber hat das Wort seinen ursprünglichen, umfassenden Sinn behalten und bedeutet schlechthin „Aussöhnung”. In diesem Sinne gehören Konzil und Rekonziliation zusammen. Konzilien, kann man. sagen, sind erforderlich, um die sich ständig wandelnde und veruneinigende christliche Welt immer wieder zusammenzubringen und zu versöhnen. Kein Konzil ohne Rekonziliation!

LeerMan mag von dem bevorstehenden Konzil viel oder wenig erhoffen, so viel steht fest, daß die Stunde der Konzilien gekommen ist und daß wir uns in einem Stadium der Rekonziliation befinden. Deshalb werden wir uns auch nicht entmutigen lassen, wenn das Vaticanum II uns enttäuschen sollte. Man fürchtet, der Papst werde sich gegen die Kurie nicht durchsetzen; die Herderkorrespondenz spricht von ausgezeichneten Anregungen, die aber angesichts der allgemeinen Mentalität noch nicht konzilsreif seien. Das mag alles zutreffen. Trotzdem wird sich der Geist der Rekonziliation nicht unterdrücken lassen. Er ist schon am Werke und hat soeben, zwei Monate vor Eröffnung des Vaticanum II, einen überwältigenden Ausdruck gefunden.

LeerÉglise de la Réconciliation - Versöhnungskirche, so heißt das neue Gotteshaus der Communauté de Taizé, das am 5. und 6. August, man kann wohl sagen, unter den Gebeten der ganzen Christenheit, eingeweiht wurde. In vierzehn Monaten freiwilliger Arbeit ist es von jungen Deutschen im Rahmen der Aktion „Sühnezeichen” erbaut worden. Stellvertretend für Deutschland haben sie den Willen zur Wiedergutmachung des im Kriege begangenen Unrechts bekundet, und die Kommunität hat diese Sühne angenommen. Nicht nur die Kommunität! Viele hundert Franzosen nahmen an den Einweihungsgottesdiensten teil und hörten die Botschaft von Präses Kreyßig, Magdeburg, der die Aktion ins Leben gerufen hat. Präses Scharf verlas sie in deutscher Sprache, Graf Lehndorff, der der Aktion den Erlös aus seinem Ostpreußischen Tagebuch zur Verfügung gestellt hat, gab anschließend den französischen Wortlaut wieder.

LeerDas Werk der politischen Versöhnung wurde in den Dienst der Versöhnung der Kirchen gestellt. Die Gottesdienste begannen mit einem ostkirchlichen Tedeum. Die Predigt vor der Feier der Eucharistie hielt der ehrwürdige Präsident Marc Boegner von der reformierten Kirche Frankreichs. Am stärksten trat der ökumenische Charakter der Festgemeinde im Abendgottesdienst in Erscheinung, als sich zu der Menge der reformierten, anglikanischen, lutherischen, orthodoxen Geistlichkeit auch der römisch-katholische Klerus gesellte: der greise Erzbischof von Rouen, die Bischöfe von Autun und St. Loup, Dominikaner, Franziskaner, Zisterzienser - die deutschen Benediktiner waren u. a. durch Abt Heufelder aus Niederaltaich vertreten. Im Schiff saßen neben den reformierten Schwestern von Grandchamp und neben lutherischen Schwestern aus Schweden eine Reihe von Dominikanerinnen - es war, als wäre die Einheit der Kirche hier schon vorweggenommen, und eine große allgemeine Glaubensfreude fand ihren Ausdruck in dem gemeinsamen Psalmengesang. Von der Evangelischen Kirche in Deutschland nahmen außer den oben Genannten u. a. Superintendent Encke, Köln, Kaiserswerther Diakonissen, Glieder der Evangelischen Michaelsbruderschaft, der Bruderschaft vom Gemeinsamen Leben und der Kommunität Imshausen teil.

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LeerDer 6. August (Verklärung Christi) begann mit einer Messe, die der Bischof von Autun in der überfüllten Krypta der neuen Kirche zelebrierte. Epistel und Evangelium wurden von einem Franziskaner französisch gelesen, der Bischof predigte im Geiste christlicher Verbundenheit und reichte dann den zahlreich erschienenen Katholiken das Sakrament. Die Predigt im Hauptgottesdienst hielt der aus der ökumenischen Arbeit wohl bekannte anglikanische Bischof Stephen Neill in französischer Sprache.

LeerDie fünfzig Brüder von Taizé waren zur Einweihung ihres neuen Gotteshauses von überall her zusammenkommen. Die Betonkirche mag an die tausend Menschen fassen. Im erhöhten Altarraum steht die schlichte steinerne Mensa, auf der während der orthodoxen Feier die Ikonen der Heiligen Dreifaltigkeit, der Mutter Gottes, des Täufers und der Erzengel Michael und Gabriel aufgestellt waren. Die Brüder tragen im Gottesdienst weiße Kutten. Sie sitzen längs der 1 m hohen Betonschranken, die den vorderen Teil des Schiffs von der übrigen Gemeinde abtrennen und ein großes Quadrat aussparen, von dem drei Stufen zum Altarraum emporführen. In diesem Raum legten am 5. und 6. August vier neue Brüder ihre Profess (lebenslängliche Verpflichtung) ab, durch diesen Raum zog der von vier Akoluthen (Kerzenträgern) umgebene Diakon in die Gemeinde hinein, um hier das Evangelium zu lesen auf französisch, auf deutsch, auf englisch.

LeerDer Eindruck, den ich von den fünfzig Männern der Kommunität empfing, war der einer starken, disziplinierten, aber auch innerlich frohen und einander in Liebe zugetanen militia Christi, Man hat weitgehend verwirklicht, was man im Glauben erstrebte, und Taizé ist zu einer Art ökumenischer Abtei herangewachsen, die zu einem Vergleich mit dem nahegelegenen Cluny herausfordert. Freilich bedeutet Cluny auch eine Warnung. Aber das werden die Brüder besser wissen als der Berichterstatter, der zum ersten Male auf dem geschichtsträchtigen Boden von Burgund stand. Im Schatten der alten Bäume des Klostergartens, mit dem Blick über die Mauerbrüstung auf das weite Hügelland und seine von Hecken umrahmten Koppeln, Felder und Weinberge kam es am Nachmittag der Kircheneinweihung noch zu allerlei ökumenischen Gesprächen. Die Brüder bewirteten ihre Gäste mit Wein und Obst. In kurzen Ansprachen wurde das Werk gewürdigt, das hier vollbracht war. Unter anderen wurden Präses Scharf, Graf Lehndorff und Pastor te Reh, ein Angehöriger der Michaelsbruderschaft, der an der Aktion führend beteiligt war, um Berichte gebeten.

LeerDer Erzbischof von Rouen, ein zierlicher Greis mit freundlich-schalkhaftem Humor faßte die Bedeutung dessen, was mit dem Kirchenbau geschehen war, in zwei kleinen Geschichten zusammen: Er machte auf zwei Narben an seiner Nase aufmerksam, Reste einer Verwundung aus dem ersten Weltkrieg. Damals hätte er den Tod auf der Nasenspitze gesehen. Bei der Arbeit der jungen Deutschen sei Besseres herausgekommen als in einem Kriege, der in der Regel nichts Gutes hervorbringe. Das sollten sie beherzigen. In einem zweiten Geschichtchen spielte der Erzbischof auf die Kirchenspaltung an: Als kleiner Junge hätte er einmal vor einem Kamin gesessen und traurig zugesehen, wie ein Holzscheit auseinanderbarst und wie seine beiden Teile allmählich verglühten und zu erlöschen drohten. Da hätte seine Mutter die Teile wieder zusammengefügt, und das verglimmende Feuer sei alsbald aufgelodert und zu neuem Leben entfacht worden. Die Mutter aber hätte ihm gesagt: „Vergiß niemals, mein Junge, was du da gesehen hast.”

Quatember 1962, S. 176-177

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© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-05
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