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Zum Gedächtnis an Christian Geyer
von Wilhelm Stählin

LeerDer 1. Oktober ist ein erwünschter Anlaß, des längst verstorbenen Freundes, der am 1. Oktober 1862 geboren war, in Verehrung, Dankbarkeit und Liebe zu gedenken. Ich wüßte kaum einen Mann zu nennen, der so nachhaltig auf mich gewirkt hat und dessen Bild mir so gegenwärtig ist, wie den „Hauptprediger Dr. Geyer”, mit dem ich, der um 20 Jahre Jüngere, in meinen früheren und späteren Nürnberger Jahren (zwischen 1906 und 1926) in naher Freundschaft verbunden war. Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen, was die kirchliche Wirksamkeit der beiden Männer Geyer und Rittelmeyer für das Nürnberger Kirchenvolk und insbesondere für uns junge Theologen bedeutet hat. In einer leider trotz aller reichen Überlieferung unkirchlich gewordenen Stadt, in der es nicht üblich war, in die Kirche zu gehen, drängten sich auf einmal Hunderte um die Kanzeln von St. Sebald und Heilig Geist, und man mußte schon sehr frühzeitig zu Stelle sein, um auch nur irgendwo in einer Ecke stehen zu können. Das war alles ungewöhnlich, gänzlich unlangweilig, aufregend lebendig, ohne betonte Feierlichkeit und ohne jedes Pathos, kurzum beglückend anders als fast alles, was wir bis dahin als Predigten kennengelernt hatten. Wenn ich predigen gelernt habe, dann habe ich es nicht von einem meiner akademischen Lehrer, sondern unter der Kanzel von Christian Geyer - und unter der Kanzel von Friedrich Rittelmeyer - gelernt.

Aber ich bin mindestens ebenso oft wie unter seiner Kanzel in seinem Studierzimmer gesessen oder mit ihm spazierengegangen; und da Geyer sein Ferienhäuschen nur etwa eine Viertelstunde von meinem Egloffsteiner Pfarrhaus entfernt hatte, sind wir sehr oft zusammen gewesen auf diesen Wanderungen, und es ist eine seltsame Tatsache, daß ich von Christian Geyer zum ersten Male die Lieder des Wandervogels gehört habe.

LeerEine umfassende theologische und philosophische Bildung und mehr noch seine warmherzige Menschlichkeit und sein sprühender Humor (der nie zum verletzenden Witz entartete) machte jede Begegnung und jedes Gespräch mit Christian Geyer zu einer Quelle der vielfältigen Belehrung, der Freude und der Ermutigung. Viele Fragen, mit denen ich mich dann Jahre hindurch beschäftigt habe und auf die ich in meinen Arbeitsgemeinschaften eine Antwort zu geben versucht habe, sind mir in den „Besprechungsabenden”, die Geyer gemeinsam mit Rittelmeyer eingerichtet hatte und die er mit souveräner Überlegenheit und gleichzeitig mit großer menschlicher Güte und Lebensnähe leitete, zum erstenmal begegnet, und ich habe darin das nie vergessene Vorbild für solche so dringend nötigen Aussprachen empfangen.

LeerViele einzelne Aussprüche von Geyer haben sich mir unverlierbar eingeprägt, und wenn ich dazu komme, meine Lebenserinnerungen aufzuschreiben, so wird man darin manche dieser klassischen Worte von Christian Geyer finden, manche vergnügliche und manche mit bitterem Ernst. Wenigstens eine Äußerung soll hier nicht fehlen; er, der völlig frei war von jeder Eitelkeit, konnte es sich leisten zu sagen: „Wenn ein Pfarrer eitel ist, dann ist es mit ihm vorbei!”

LeerEinmal sagte er mir, es sei doch schade, daß er nie einen Orden gekriegt habe. „So habe ich gar keine Gelegenheit gehabt, die Annahme zu verweigern.”

LeerSein Buch „Heiteres und Ernstes aus meinem Leben” (das längst vergriffen, nun in neuer Auflage erscheinen soll) gehört zu den köstlichsten Büchern, die ich besitze; man lernt daraus ein gutes Stuck bayerischer Kirchengeschichte, erfährt von dem Aufbruch der „Freier Gerichteten”, die man in Bayern mit Unrecht liberal nannte, und man bekommt ein reichliches Pensum Pastoraltheologie und nebenbei eine Vielzahl vergnüglicher Anekdoten, die zu erzählen Christian Geyer nicht müde wurde. Er war einer jener seltenen Theologen, die wissen, daß man Gott auch mit fröhlichem Lachen ehren kann.

LeerSein 100. Geburtstag laßt mich von neuem dieses verehrten Freundes in großer Dankbarkeit gedenken, und die Leser von „Quatember” sollen an diesem Gedenken teilnehmen, weil sie auch Anteil haben an dem, was ich von Christian Geyer gelernt und empfangen habe.

Quatember 1962, S. 189-190

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-05
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