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von Horst Schumann |
In der Presse konnte man kürzlich lesen, daß in Marienau bei Seibranz im Allgäu, nahe Ottobeuren, der Grundstein zu einer neuen Kartause gelegt worden sei. Sie soll 1964 fertig und ein Ersatz sein für die bisher einzige Kartause Deutschlands „Hain”, wenige Kilometer nördlich von Düsseldorf. Man kann diese von der Bahnlinie nach Duisburg aus liegen sehen, mit ihren 32 Häuschen inmitten dichter Bäume um einen riesigen Kreuzgang gelegen, der über 150 Meter im Geviert mißt. Durch den nahen Flugplatz und den Großstadtlärm fühlen sich die Kartäuser von dieser Stätte vertrieben und bauen daher in der Einsamkeit eine neue Kartause, die für 25 Patres und 25 Brüder bestimmt ist und 25 erdgeschossige Einsiedlerwohnungen haben wird, je mit einem Wohnraum, einem Schlafraum, einer Werkstatt und einem von keiner Seite einzusehenden Gärtchen, dazu Kirche, Kapellen, Refektorium, Kapitelsaal, Bibliothek und Fremdenkapelle sowie das Brüderkloster. Es gibt in der Welt nur noch 18 Kartausen mit ungefähr 600 Mönchen, und man weiß im allgemeinen von ihnen sehr wenig, da sich ihr Leben ganz und gar den Blicken der Öffentlichkeit entzieht - ein Leben des Schweigens und der Einsamkeit. Auch vom Begründer des Ordens, Bruno von Köln, wissen wir nur karge Daten. Er hat, als reifer und zu kirchlichen Ehren gelangter Mann, 1084 in Verzweiflung über den tiefen Verfall der Kirche mit einigen Gefährten die Einsamkeit gesucht und in einer fast unzugänglichen Felsenschlucht La Chartreuse bei Grenoble ein eigentümliches gemeinsames Eremitentum begründet, aus dem dann sein Orden erwachsen ist. Der Gottesdienst vollzieht sich in altertümlichen Formen in feierlicher Langsamkeit; jegliches Musikinstrument wie aller Schmuck sind verpönt. Die übrigen Horen des Breviers betet der Kartäuser für sich allein in der Zelle, und zwar eigentlich doppelt: Neben dem normalen Offizium steht ein zweites, das marianische Offizium. Dabei bleibt in dem voll ausgefüllten klösterlichen Tageslauf nur etwa eine halbe Stunde für persönliches Gebet frei - alle andere Zeit ist von dem festgelegten Dienst ausgefüllt, dem ununterbrochenen Gotteslob und der ununterbrochenen Fürbitte für alle Menschen in den Formen des Breviers. So spielt sich das Leben des Kartäusers in tiefer Verborgenheit ab. Er darf nichts veröffentlichen - oder wenn etwas geschrieben werden muß, dann heißt es „von einem ungenannten Kartäuser”. Zu wissenschaftlicher Arbeit ist kaum Zeit und Gelegenheit - die Kölner Kartause war in der Zeit der Gegenreformation eine Ausnahme. Wohl schreiben die Patres je und dann handschriftlich ihre Erfahrungen mystischer Gottesgemeinschaft auf und geben sie von Zelle zu Zelle weiter. Eine Zeitung liest der Kartäuser naturgemäß nicht - er soll nur lesen, was vor Gott wesentlich ist. So steht die Zeit in der Kartause still - man ist eigentlich aus dem Flusse der Zeit herausgetreten. Auch im Tode bleibt der Kartäusermönch der Verborgene; ohne Sarg wird er mit seiner Kutte auf ein Bett gelegt und so begraben, keine Inschrift kündet seinen Namen - er ist den Menschen unbekannt, nur Gott bekannt. So ist das Dasein des Kartäusers also etwas dem Lauf der Welt total Entgegengesetztes, „ein christliches Dasein von beispielloser Härte und Unbedingtheit”; und wenn man dazunimmt, daß auf jede greifbare Wirksamkeit nach außen völlig verzichtet wird, so taucht ja doch die Frage auf, welchen Sinn dieses scheinbar der Welt ganz nutzlose Dasein denn wohl hat. Walter Nigg hat in seinem schönen Buch „Vom Geheimnis der Mönche” - als reformierter Christ! - gerade dieser eigentümlichen Fremdheit gegenüber begeisterte Worte gefunden, die man nachlesen möge, in denen er geradezu darzutun versucht, daß die Kirche dieses Leben der Ganzhingabe in der Verborgenheit gar nicht entbehren kann - auch wenn sie kaum weiß, was da in der Einsamkeit von diesen ihren Gliedern für sie und an ihrer Stelle getan wird. Denn in der Tat, es geht um stellvertretende Loslösung, stellvertretende Fremdheit dieser Welt gegenüber, stellvertretendes Gebet. Es hat mich tief beeindruckt, als mir bei meinem Besuch ein Kartäuser sagte, daß er sein verborgenes Amt dennoch als ein „munus publicum”, ein öffentliches Amt ansehe. Wenn es nur um ein Tun des Mönches für sich selber und um sein eigenes Heil ginge, so wäre das geradezu teuflisch - es geht um einen Dienst für die anderen. Im letzten Grunde wollen die Kartäuser nichts anderes sein als die betend erhobenen Hände des Mose, auf dem Berge droben scheinbar fern von dem Kampfe, der unten in den Niederungen gekämpft wird - und doch fallen die Entscheidungen gerade in diesem geistlichen Kampfe des betenden Eintretens für die Kämpfenden vor Gottes Angesicht. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die Kartäuser - allein von allen anderen Orden - nie eine Änderung ihrer Ordnungen oder eine Reform nötig gehabt haben; dieser strenge Orden kennt keinen Abstieg oder Verfall in seiner Geschichte - ja wir hören, daß die strengen beschaulichen Orden bei uns, aber auch in Amerika und auf den Missionsfeldern, heute einen stärkeren Zuzug an Nachwuchs haben als die „tätigen” - obwohl man bei der heutigen Schätzung des nur tätigen, am Erfolg zu messenden Lebens das Gegenteil erwarten sollte und obwohl viele Novizen wieder weggeschickt werden müssen, denn nur ganz starke Naturen halten dieses strenge, ja harte Leben und das völlige Alleinsein mit sich selber auf die Dauer aus. Es ist uns das alles sehr fern; es geht dem heutigen Menschen völlig gegen den Strich - aber man bedenke, daß Nigg von dem strahlenden Leuchten in den Augen der Kartäuser spricht und einem tiefen inneren Gleichgewicht - und halte dem die nervösen, zerfahrenen Gesichter von uns gehetzten Menschen „draußen” gegenüber. Dann ist man doch dankbar, daß es dieses „Geheimnis der Mönche” gibt, und weiß, daß da in einem tiefen Sinne „unsere Sache betrieben wird”. Quatember 1963, S. 32-34 Siehe auch den Bericht von Horst Schumann über die Kartause in Hain: Eine Stätte des Gebets |
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