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„Verborgen im Brot so klein”
von Hans Carl von Haebler

LeerEucharistieUnser Bild stellt eine Meßfeier dar, wie sie im späten 13. Jahrhundert begangen wurde. Der Maler schildert nicht einen bestimmten Augenblick, sondern zieht, was im Kanon der Messe nacheinander geschieht, in einem Bilde zusammen: Der Mönch, der links hinter dem Priester steht, gibt das Glockenzeichen, das man damals einführte, um die Ankunft Christi im Sakrament anzukündigen. Der Priester aber hat die Konsekration bereits vollzogen und bittet Gott nunmehr mit erhobenen Händen um Annahme der Opfergabe; und der Engel, der herabfährt, um diese in Empfang zu nehmen, erfüllt damit schon die weitere Bitte, die der Priester in tief gebeugter Stellung aussprechen wird: der Bote Gottes möge das Opfer zum himmlischen Altar emportragen und die Kommunikanten mit himmlischem Segen erfüllen. Diese Bitte (supplices te rogamus) nimmt in der römischen Messe dieselbe Stelle ein wie die Bitte um den Beistand des Heiligen Geistes in der ostkirchlichen Liturgie (Epiklese). Zwei verschiedene Vorstellungen: im einen Falle vermittelt der Engel zwischen dem himmlischen und irdischen Altar, im anderen läßt sich der Heilige Geist herab, um Menschen und Gaben zu segnen und zu heiligen. Hinter beiden aber steht die Bitte um Einung mit dem Opfer Christi.

LeerDiese Einung ist das eigentliche Thema unserer Miniatur. Auf dem Altar steht der Crucifixus. Christus hat sich auf Golgatha geopfert. Er war tot. Aber siehe, er lebt. Über dem Gekreuzigten geht, mit demselben Nimbus geschmückt, ein Kind aus der Hostie hervor: der Auferstehungsleib des Herrn, der eucharistische Heiland. Das Kind schließt die Kluft zwischen den Menschen und dem Engel Gottes. Von den Blicken und Händen der betenden Gemeinde steigt als beherrschende Bildkomponente eine Diagonale empor, die in der Hostie und in dem Kinde mündet und sich in der gegenläufigen Bewegung des Engels vollendet. Diese große Diagonale ist nicht nur ein Kompositionselement. Sie stellt die Gebetsbewegung dar, durch die Gemeinde und Priester sich in das Opfer Christi einschließen und die in der Annahme der Opfergabe durch den Engel ihre Erfüllung findet. Der Glaube selbst findet seinen Ausdruck in dieser Diagonale, die in ihrer Kraft und Unbeirrbarkeit an die Verse von Luther erinnert: Du sollst glauben und nicht wanken, daß's ein Speise sei den Kranken. - Die Beter schauen im Glauben, wie die Gabe, in der sie sich selber darbringen wollten, durch eine bessere, vollkommene Gabe ersetzt wird. Sie erkennen „verborgen im Brot so klein” den Leib des Herrn.

LeerBei dem Engel, der in die Eucharistie eingreift, fällt uns jener Engel ein, der der Opferung Isaaks Einhalt gebot. So wie dieser die Blicke Abrahams auf den Widder in der Hecke lenkte, öffnet der Engel in der Eucharistie uns die Augen, daß wir in der Hostie das Lamm Gottes erblicken, das am Stamm des Kreuzes hängt. Auch auf evangelischen Altarbildern des 16. und 17. Jahrhunderts finden wir nicht selten das Opfer Abrahams als Hinweis auf das Kreuzesopfer dargestellt.

Quatember 1963, S. 49

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-13
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