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von Helmut Hochstetter |
„Die Straßen der Stadt brausen im morgendlichen Verkehr wie alle Tage. Man ist hierorts seit 2 ½ Jahrtausenden daran gewöhnt, daß auf dem Forum Romanum der ubiculus mundi, der „Nabel der Welt”, und der millenarius aureus, der „goldene Meilenstein”, liegt, an dem die Straßen der Welt zusammenlaufen. Ein Kreiskirchentag andernorts macht mehr öffentlichen Wirbel als ein oekumenisches Konzil in Rom. Allenfalls, daß mal ein Omnibus mit uralten Bischöfen, die den Vatikan nicht mehr zu Fuß erreichen können, vor einer roten Ampel wartet. Vor St. Peter versammelt sich ruhig und wie beiläufig ein christliches Volk aus aller Welt Zungen: Schwatzende, Schweigende, Betende, Lachende, Neugierige, Versunkene - flache und lebende Gesichter. Sie füllen den stolzen, ja herrischen Platz über den Gebeinen der Märtyrer. Das Volk singt - nicht als eine Aufmarsch-Fanfare, auch nicht wie ein Schutz- und Trutzlied, sondern als heimliche Doxologie leise das Nicaenum: credo in unum Deum patrem omnipotentem. Dann beginnt der Introitus des Konzils. Ein Priesterchor singt Psalmen am Portal des Domes; einige Kompanien Soldaten von Anfang des vorigen Jahrhunderts marschieren mit Blaskapelle und dem Papstmarsch von Gounod. Auch die mittelalterlichen Ritter in glänzender Rüstung sind lebendig. Spanische Granden von Philipps II. Hof eröffnen die Prozession. Das alles ist hier gar nicht verwunderlich - hier werden die saecula erinnert und sind rechtens am Platz. Es ist auch nun nicht mehr verwunderlich, daß da eine lange Prozession von Männern hin-schreitet im Mantel der latinischen Hirten, in der Tunika des römischen Bürgers, in der Toga der Senatoren und dem feierlich-stilisierten Staatskleid des byzantinischen Kaiserhofs: so ziehen sie langsamen Schrittes, die patres conscripti, die Bischöfe, Prälaten, Äbte, Hirten christlichen Volkes aus aller Welt, schließlich der päpstliche Hofstaat zur Pforte der Kirche. Wider seinen Willen wird der Papst auf dem Sessel getragen: er möchte demütig zu Fuß gehen - muß aber der größeren Demut halben seinen Wunsch aufgeben, weil er außerordentlich ist und solche Übung der Demut an diesem Tag zu laut ist.” So lautet der Bericht eines Augenzeugen, der am Tag der Konzilseröffnung in Rom weilte. Am Morgen hatte es in Strömen gegossen, wider alles Erwarten ging die Sonne strahlend an reinem Himmel auf. Überraschend wie dieser Wetterwechsel war vieles auf dem Konzil. In einigen Daten sei kurz der Verlauf des Konzils in seiner ersten Session skizziert. Seine feierliche Eröffnung erfolgte am 11. Oktober, sein vorläufiger Abschluß am 8. Dezember. 2540 Konzilsväter waren bei der Eröffnung zugegen. Am 13. Oktober trat die erste Generalkongregation zusammen, um die Kommissionsmitglieder zu wählen. Es gelang den Kardinälen Liénart (Lilie) und Frings (Köln) einen Aufschub zu erreichen, der es den Bischofskonferenzen erlaubte, Vorschläge zu machen und auszutauschen und damit auf den weiteren Fortgang der Verhandlungen Einfluß zu nehmen. Am 22. Oktober begann die Debatte über das Schema von der Liturgie; wenige Tage später wurde das Sekretariat des Kardinals Bea für die Einheit der Christen den Konzilskommissionen gleichgestellt. Einen Höhepunkt, von dem noch zu reden sein wird, stellte die 19. Generalkongregation mit einer ersten Debatte über das Schema (= Entwurf, Vorlage) von den Offenbarungsquellen dar. Leicht und schnell - manchen zu schnell - wurde das Schema über die Massenmedien erledigt. Am 1.12. begann die Debatte über die Einheit der Kirche. Hier ging es unter anderem um die uns besonders interessierenden Fragen des Laienkelchs und der Volkssprache in der Messe: Die Kelchkommunion kam im Lauf des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts bei Laien außer Gebrauch, während die Ostkirche die Kommunion unter beiden Gestalten heute noch kennt. Das Trienter Konzil machte nun aus dem westlichen Brauch ein Gebot, weil es der reformatorischen Lehre von der absoluten Heilsnotwendigkeit der Kommunion unter beiden Gestalten nicht beipflichten wollte und konnte, ohne die römische Kirche in ihrer seit langem geübten Praxis einer Irrlehre zu zeihen. So verhärteten sich die Fronten und führten zu einer Art Grabenkrieg, der eine ausgreifende Bewegung im theologischen Gelände nicht zuließ. Dabei war der Tridentiner Beschluß nur mit einer minimalen Mehrheit - gegen die Stimmen der päpstlichen Legaten - zustande gekommen. Heute nun zeigt sich wieder große Offenheit für den Laienkelch, der zwar nicht generell, aber für besondere Gelegenheiten, etwa Brautmessen, angeboten werden soll. Nicht ohne Leidenschaft rangen die Konzilsväter um die Frage nach der Muttersprache in der Liturgie. Ein Missionsbischof von den Philippinen ging hier am weitesten mit der Forderung, neben der klassischen Form der römischen Messe die Möglichkeit zur Meßfeier in der Landessprache zu geben, wobei ausschließlich biblische Worte verwendet werden sollten; ihre Gestalt sollte es jedem Neuhinzukommenden erlauben, an der Feier andächtig teilzunehmen. „Warum auch soll ein Priester, mit dem Rücken zur Gemeinde, dem Herrgott immer wieder die Lektionen, Episteln und Evangelienabschnitte vorflüstern, und zwar in Latein, die er doch selbst verfaßt und inspiriert hat.” Die Andächtigen „müßten jeden Tag, oder doch jeden Sonntag mit dem Worte Gottes, das sie hören und verstehen, erquickt, gestärkt, gewappnet, in ihren Alltag zurückkehren”. Bei den Verhandlungen ergab sich ein merkwürdig gutes Einverständnis verschiedener Gruppen wie der deutschen und der lateinamerikanischen. Dies vor allem deshalb, weil die Misereor-Kollekte gegen den Hunger und die Adveniat-Kollekte für Lateinamerika den deutschen Katholiken viel Vertrauen eingebracht hat. Die erste Abstimmung auf dem Konzil - wenn man von den Wahlen für die Kommissionen absieht - erfolgte über das Schema von der Liturgie. Der Beschluß hatte folgenden Wortlaut: „Das Konzil, welches von dem Schema über die heilige Liturgie Kenntnis genommen hat, billigt dessen Leitsätze, die darauf hinzielen, mit Klugheit und Verständnis die verschiedenen Teile der Liturgie selbst so zu gestalten, daß sie entsprechend den heutigen seelsorglichen Bedürfnissen größere Lebens- und Bildungskraft für die Gläubigen erlangen.” 2162 Konzilsväter stimmten mit ja, 46 mit nein, sieben Stimmen waren ungültig. Anders gesagt, es zeigte sich die Spannung zwischen dem Heiligen Offizium und dem Päpstlichen Bibelinstitut. Das reaktionäre Schema wurde von einer starken Gruppe abgelehnt. Schon der Titel, der zwei Offenbarungsquellen postulierte, forderte zum Widerspruch heraus. Dennoch hoffte das Heilige Offizium, daß die zur Ablehnung erforderliche Zweidrittelmehrheit sich nicht finden würde. Ottaviani hatte knapp, aber richtig gerechnet. Die Abstimmung ergab ein Verhältnis von 1300 zu 800. Nun war das Dilemma da. Die Spannung, die sich bereits bei der Verhandlung über das Liturgieschema gezeigt hatte, kam offen zum Austrag. Damals hatte der präsidierende Kardinal Alfrink dem Kardinal Ottaviani das Wort entzogen - durchaus zu Recht, denn er hatte die Zehnminutengrenze überschritten, aber es war das erstemal, daß dies einem Kurienkardinal geschah, und um so peinlicher, als Kardinal Alfrink zuvor über das gleiche Thema andere Meinungen entfaltet hatte und die Entziehung des Wortes unter lautem Beifall vieler Konzilsväter geschah. Tags darauf war Ottaviani den Verhandlungen ferngeblieben und hatte durch den präsidierenden Kardinal Ruffini darum ersuchen lassen, man solle die Kurie nicht immer wieder angreifen, denn sie sei ein Organ des Heiligen Vaters und tue nichts, was dieser nicht geboten hätte. Außerdem seien Beifalls- und Mißfallenskundgebungen geeignet, zu einem persönlichen Affront zu werden. Wie sehr der Papst selbst über der Kurie steht, zeigte sich jetzt, als das Konzil mit seiner zu kurz geratenen Zweidrittelmehrheit nicht weiterkam. Am 23. November ordnete er an, das Schema sei von der Tagesordnung abzusetzen und eine neue Kommission zu berufen, die das umstrittene Schema neu zu gestalten hat. Diese überaus weise und glückliche Lösung zeigt uns, wie wenig man mit einer Schwarzweißmalerei der katholischen Kirche gerecht wird. In der Tat hat hier der Bischof von Rom seine bischöflichen Brüder gegen seine kuriale Behörde in Schutz genommen, und der besseren Einsicht, entgegen allem Rechtsschematismus, zum Durchbruch verhelfen. Bei dem Schema der Offenbarungsquellen geht es um die Frage von Schrift und Tradition, also eine Frage von zentraler Bedeutung für die gesamte Kirche. Das Trienter Konzil hatte auf das Sola-Scriptura-Prinzip (die Schrift allein ist Offenbarungsquelle) mit der Lehre von der doppelten Offenbarungsquelle Schrift und Tradition geantwortet. In der nachtridentinischen Theologie verschärften sich die Gegensätze. Durch die moderne biblische Theologie kam es aber in letzter Zeit zu einer gewissen Annäherung, woran nicht zuletzt die sogenannte Formgeschichtliche Schule ihr Verdienst hat. Das Neue Testament selbst ist ja schriftlicher Niederschlag der ursprünglichen mündlichen Überlieferung, beide aber haben den gemeinsamen Ursprung in der Einen Offenbarung Gottes in der Geschichte. Indem aber Offenbarung geschieht, wird auch die Kirche, der diese Offenbarung anvertraut wird, die sie weiter bewahrt, und die durch ihr ganzes Leben das Verständnis der Offenbarung erschließt und vermittelt. Die Unerschrockenheit, mit der die römische Kirche sich selbst kritisiert, verpflichtet auch uns zu einer solchen selbstkritischen Haltung. Hilfreich dafür ist zweifellos die offene und entgegenkommende Weise, mit der die nichtkatholischen Beobachter in Rom behandelt werden. Entscheidend aber wird für uns die Konzilsdiskussion über „Kirche und Einheit” sein. Nicht ohne Verheißung sind gewisse äußere Zeichen, die dieses Konzil im Stil von anderen unterscheiden. Am eindrucksvollsten ist vielleicht die feierliche Aufstellung der Heiligen Schrift „Expositio Testamenti” auf dem selben Altar, an dem die Eingangsmesse - zur Gemeinde hin - gehalten wird. Dieser Vorgang wiederholt sich vor allen Konzilssitzungen, deren Organisation ein Kunststück für sich ist. Als gegen Ende der ersten Sitzungsperiode noch das umfangreiche Schema von der Kirche behandelt werden sollte, schlug Kardinal Ottaviani vor, an seiner Stelle das Schema de Beata Maria Virgine (Von der seligen Jungfrau Maria) zu behandeln. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt; es soll nunmehr im Zusammenhang mit dem Schema von der Kirche behandelt werden. Damit scheint die Hauptsorge des Evangelischen Bundes beseitigt, der schon für den 8. Dezember die Verkündigung eines neuen Mariendogmas in Aussicht gestellt hatte. Als weiterer Fortschritt kann verzeichnet werden, daß der Tübinger Fundamental-Theologe Hans Küng, der der reformatorischen Theologie sehr nahe steht, zum offiziellen Konzils-Theologen berufen wurde. Wenig Verständnis bringt man der Entscheidung der Riten-Kongregation entgegen, welche die Nennung des Heiligen Josef im Kanon der Messe vorsieht. Seine inner- und außerkirchliche Bedeutung ist nicht recht einsichtig. Doch galt er als Patron dieses Konzils, und dieser Tatsache wollte man offenbar Rechnung tragen. Hinzu kommt wohl die große Rolle dieses Heiligen in der römisch-katholischen Volksfrömmigkeit. Wenn die anglikanische Church-Times feststellt, daß die erste Session des Konzils schon den. Anfang des Endes der Latin domination (lateinischen Vorherrschaft) der römisch-katholischen Kirche erkennen ließ, so ist das eine sehr weitgehende Behauptung, die vielleicht auch einem gewissen Wunschdenken entsprungen ist. Aber eines ist zweifelsfrei, daß die Kirchengeschichte eine Wendung erfahren hat, wie sie von vielen zwar erhofft, aber nicht erwartet wurde. Es wird sich vieles ändern, nicht nur in der katholischen Kirche, sondern auch bei uns. Es wird aber auch viel wachsen, was lange verkümmert blieb: die Liebe zu den Brüdern und der feste Glaube, daß Gott seine Kirche durch alle Verwirrungen der Menschen unbeirrbar zum Ziel führt. Quatember 1963, S. 78-81 |
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