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Sakral - profan
von Wilhelm Stählin

LeerDer Strich zwischen den beiden Worten „sakral” und „profan” soll andeuten, daß diese beiden Begriffe nicht einfach als gleichartig nebeneinandergestellt werden können, sondern daß sie in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zueinander stehen, das einer besonderen Erläuterung bedarf.

LeerDas Wort „sakral” deutet immer darauf hin, daß da etwas, ein Gegenstand, ein Raum, eine bestimmte Zeit aus einem Ganzen ausgesondert, dem Gebrauch im Dienste alltäglicher Zwecke entnommen und in einer besonderen Weise der Welt des Heiligen, dem sacrum, zugeordnet und gewidmet ist. Es wird ein Bau und sein von ihm umschlossener Raum aus der Gesamtheit der Räume als Sakralbau oder sakraler Raum ausgesondert, so daß in ihm weder Volksversammlungen, noch Vortragsveranstaltungen gehalten, erst recht nicht Theatervorstellungen oder Tanzvergnügen veranstaltet werden sollen. In gleicher Weise werden im Ablauf der Tage bestimmte Zeiten als „heilige Zeiten” ausgesondert und festlich begangen, nicht bloß als „Feiertage” von Arbeit frei gehalten, sondern der besonderen Beziehung auf jene Welt des Heiligen, dem Gottes-Dienst gewidmet. So gibt es auch eine „sakrale” Sprache, die sich von der Umgangssprache deutlich unterscheidet, vielleicht gar nicht mehr von allen leicht verstanden und eben nur als Ausdruck der Gottesverehrung, in Hymnen, Gebeten und sakralen Handlungen gebraucht wird.

LeerSolche „sakralen” Formen scheinen wie eine Insel in dem Meer oder vielmehr dem Strom der „profanen” Welt zu liegen, inmitten aller jener Räume und Zeiten, Ereignisse und Tätigkeiten, die rein diesseitig, vordergründig, im Dienst irdischer Aufgaben und Zwecke, im Dienst des Erwerbslebens, des Handels oder des technischen Fortschritts, wohl auch des persönlichen Lebensgenusses stehen. Dieser Strom eines rein profanen Lebens flutet an diesen sakralen Bereichen vorbei, ohne sie sonderlich zu beachten, oder gar wichtig zu nehmen, so gleichgültig, wie ein schäumender Wildbach einen in seinem Gefälle liegenden Felsblock umspült. Niemand kann bezweifeln, daß unser Alltagsleben sowohl im persönlichen wie im öffentlichen Bereich sich in diesem Raum der Profanität abspielt und das Dasein jener sakralen Bereiche und Formen, wenn überhaupt, dann nur mit einem gewissen Staunen zur Kenntnis nimmt, ohne davon wesentlich berührt zu werden. Wenn frühere Zeiten und Geschlechter von der verpflichtenden Autorität des Sakralen stark geprägt waren, so hat sich doch unmißverständlich das Schwergewicht des Lebens in den Bereich des Profanen verlagert.

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LeerJa, wir begegnen jedem Versuch und Ansatz sakraler Formen in Bau, Sprache oder Musik mit einem kaum verhohlenen Mißtrauen, mit der Sorge nämlich, daß wird damit dem wirklichen Leben, so wie es nun einmal geworden ist, entfremdet und zu einer unechten Ersatzbildung verführt werden. Wie weit liegt die Zeit hinter uns, in der man meinen konnte, der dem Gottesdienst gewidmete Bau oder Raum müsse sich durch besondere Stilelemente (etwa den „gotischen” Spitzbogen) von den Formen oder dem Raumgefühl zeitgenössischer Architektur unterscheiden, oder es gehöre eben zur Feierlichkeit sakraler Handlungen, wie beispielsweise der Taufe oder der Trauung, daß dabei in einer altertümlichen Sprache geredet wird, die sich eben durch ihre Patina deutlich von der profanen Sprache, in der wir uns normalerweise auszudrücken pflegen, deutlich unterscheidet! Man verweist darauf, daß das Neue Testament, daß die Briefe der Apostel keinesfalls in einen solchen sakralen Sprachstil, vielmehr in der zu jener Zeit in allen Mittelmeerländern verbreiteten griechischen Umgangssprache geschrieben sind, und man betont mit Nachdruck, daß sich das Christsein keinesfalls in jener isolierten sakralen Sphäre, vielmehr nur im irdischen und profanen Lebensraum, in der Atmosphäre des sehr unfeierlichen Alltags darstellen und verwirklichen könne.

LeerIndes wird diese Entwertung des Sakralen und die radikale Hinwendung zur Profanität dem Verhältnis der beiden Bereiche und der zwischen ihnen bestehenden unaufhebbaren Spannung keineswegs gerecht. Sie verkennt vor allem, daß die Aussonderung eines sakralen Bereichs immer und notwendigerweise einen „repräsentativen” Charakter hat, das heißt, daß immer das Ganze der Lebens- und Weltwirklichkeit mitgemeint und auf jene Welt des Heiligen bezogen ist. Wir erliegen nur zu gerne einem antithetischen Denken, das heißt einem Denken in Gegensätzen, wo es sich doch um bestimmte Beziehungen handelt, die nicht aufgelöst werden können. So wie wir aus dem Wort Protestant kaum mehr etwas anderes heraushören, als den streitbaren Protest (so als ob das Wort nicht Protestant, sondern Kontra-Testant hieße!) so machen wir uns kaum klar, daß die Wortbildung pro-fan eben nicht jenen naiven Gegensatz zu allem Sakralen erlaubt, vielmehr eine positive Beziehung zur Welt des Heiligen in sich schließt. Pro-fanum ist das, was im Vorraum oder an der Schwelle des Heiligen (des fanum) liegt, also darauf wartet und daraufhin angelegt ist, in diesen Raum des Heiligen einbezogen zu werden, und nur wenn diese Intention auf das Heilige sich in eine entschiedene Abkehr und also das pro in ein contra verwandelt hat, entsteht jener entleerte Begriff der Profanität, wie dieses Wort heute fast durchweg verstanden und gebraucht wird.

LeerEs sollte auf der andern Seite deutlich sein, daß jene Aussonderung eines sakralen Raumes immer stellvertretend für den ganzen Bereich der Wirklichkeit geschieht, aus dem etwas ausgesondert wird. Die mittelalterliche Stadt war in allen ihren Häusern und Gassen betroffen von dem mächtigen Sakralbau, der sich in ihrer Mitte erhob, und man sollte nicht übersehen, daß auch heute bestimmte neue Stadtteile oder Siedlungen durch die eingeplanten Kirchenbauten ein bestimmtes Gepräge erhalten. Wenn ein Anfang, ein erster Tag der Woche oder des Jahres, das erste Blatt eines Buches in diesem Sinn geheiligt werden, so sind damit immer alle Tage jenes Zeitraumes, alle Blätter und Seiten dieses Buches, (vielleicht eines höchst profanen Kassenbuches) mit dem Heiligen in eine verpflichtende Beziehung gesetzt. Wenn die erste Furche, die der Pflug durch das Ödland zog, die erste Garbe, die von der Ernte eines Jahres eingebracht wurde, mit besonderer Feierlichkeit umgeben wurde, so ist damit die ganze Arbeit an der noch jungfräulichen Erde, die ganze Ernte dem Bereich „bloßer” Profanität entnommen; und wenn - keineswegs nur nach den Ordnungen des Gottesvolkes des alten Bundes - die Erstgeburt von Tier und Mensch Gott geweiht und also dem Raum des Heiligen übergeben wurde, so wurde das durchaus als ein symbolisch repräsentativer Ausdruck dafür verstanden, daß alle Geburt und alles Lebendige etwas zu tun hat mit dem unserer menschlichen Verfügungsgewalt entnommenen Geheimnis des Lebens überhaupt.

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LeerUnsere kirchliche Sprache kennt das Wort „konsekrieren”; ich halte es aber für ein sehr verhängnisvolles Mißverständnis, daß dieses Wort ausschließlich mit Bezug auf das gebraucht wird, was in der Feier des Sakramentes mit Brot und Wein (durch die Rezitation der Stiftungsworte) geschieht; es bedeutet eine unzulässige und irreführende Verengung, wenn in lutherischen Agenden und Gesangbüchern über den Einsetzungsworten die Bezeichnung „Konsekration” steht. Konsekration ist vielmehr der umfassende Ausdruck für den Sinn jeder sakralen Aussonderung überhaupt: das, was der irdischen Situation, eben dem profanen Alltag angehört, soll einbezogen (kon-sekriert) werden in den Raum des Heiligen, von dem ja allein es seinen letzten Sinn und seine letzte Würde empfängt.

LeerDie von jenem Strich zwischen „sakral” und „profan” angedeutete Spannung kann von beiden Seiten her aufgelöst und damit unfruchtbar gemacht werden. Wir sind sehr empfindlich geworden gegen jede sakrale Feierlichkeit, die die echte Beziehung auf den profanen Alltag verloren hat und verleugnet, gegen eine Sprache, die eine gewollte Altertümelei für besonders ehrwürdig hält, gegen eine eifrige Pflege liturgischer Formen, die den nüchternen und oft mühsamen Dienst an der äußeren Welt, den praktischen Dienst der Nächstenliebe und der Fürsorge als profan entwertet oder versäumt. Aber wahrscheinlich sind wir viel mehr von der entgegengesetzten Gefahr bedroht. Luther hat dem profanen Werk in dieser Welt seine Ehre und Würde wiedergegeben und hat vor jeder Überbetonung und Überschätzung frommer Leistungen im sakralen Bereich gewarnt; aber das hat sich in der Folgezeit so ausgewirkt, daß das Christsein gänzlich in den Bereich der Profanität verlagert und jene Aussonderung einer sakralen Sphäre weithin für unnötig gehalten worden ist. Ja, man kann es als eine ernsthafte theologische Meinung hören, daß der Unterschied zwischen sakral und profan durch die Erscheinung Jesu Christi aufgehoben sei und diese Spannung im Raum des christlichen Glaubens ihren Sinn verloren habe. Aber dies ist ein typisches Beispiel für die Schwärmerei als eine dauernde Gefahr der Kirche. Es ist eine Schwärmerei, wenn hier, im irdischen Raum, vorweggenommen wird, was erst in der endzeitlichen Erfüllung geschehen kann. In der himmlischen Stadt, wie sie der Seher der Offenbarung geschaut und beschrieben hat, wird kein Tempel gefunden, keine ausgesonderte Stätte des Heiligen, weil das ganze Leben durchdrungen und durchwaltet ist von der alles durchdringenden Gegenwart Gottes; hier bedarf es keiner sakralen Aussonderung, weil das ganze Leben in allen seinen Bereichen von dem lebendigen Gottesgeist geheiligt ist. Aber dieses ist in unserem irdischen Räum weder wirklich, noch auch nur ein erstrebenswertes Ideal. Weil unser Alltag - im weitesten Sinn dieses Wortes - eben keineswegs von der Gegenwart Gottes erfüllt und von seinem Geist beherrscht ist, darum bedarf es immer wieder jener stellvertretenden Aussonderung eines sakralen Bereichs, damit die ganze „profane” Wirklichkeit in den Raum des Heiligen, in dessen Vor-raum (pro-fanum) sie sich darstellt, konsekriert, das heißt in die Nähe und in den Herrschaftsbereich des Heiligen gezogen und dadurch in ihrem eigentlichen Sinn erfüllt werden kann. Alles Sakrale ist um des Profanen willen da, und alles Profane wartet darauf, von dem Sakralen erreicht, gewandelt und selbst „konsekriert” zu werden.

Quatember 1964, S. 26-29

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-27
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