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Wettkampf der Christen
von Hans Carl von Haebler

LeerIn seiner Rede bei der Überreichung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels hat Carl Friedrich von Weizsäcker von einer allmählichen Verwandlung der bisherigen Außenpolitik in Weltinnenpolitik gesprochen. Diese, meinte er, würde zwar kein Goldenes Zeitalter herbeiführen, keine Überwindung der Konflikte, wohl aber eine besonders gefährlichen Art ihres Austrags eliminieren. Mir scheint, daß diese Tendenz auch in der Kirche wirksam ist. Kirchen und Kirchengebilde, die einander bekämpften und miteinander rivalisierten, suchen heute nicht mehr die Gegensätze, die sie trennen, in verderblicher Polemik zu überspitzen und in einem kalten Kriege zu konservieren, sondern verstehen sie als innere Angelegenheiten und gehen daran, sie in gemeinsamen Anstrengungen zu verarbeiten. Ich denke dabei nicht nur an das römische Konzil, sondern auch an die Bemühungen der orthodoxen Kirchen um einen Vergleich mit Monophysiten und Nestorianern und an die Gespräche der anglikanischen Kirchen mit Presbyterianern und Methodisten. Aber natürlich ist unser Blick in erster Linie auf Rom gerichtet, wo man die konfessionellen Unterschiede, die zur Spaltung der Kirchen führten, als interne Probleme erfaßt hat und bereit ist, sich von den nicht-katholischen Brüdern helfen zu lassen. Der Ernst dieser Bestrebungen sollte nicht in Zweifel gezogen werden, nachdem Paul VI. ausdrücklich erklärt hat, daß er nichts „Hinterlistiges” im Schilde führt, und so weit gegangen ist, im Namen seiner Kirche ein Schuldbekenntnis abzulegen. Die Selbstbesinnung der römischen Kirche, die mit dem denkwürdigen Pontifikat Johannes' XXIII. eingesetzt hat, ist nicht ohne Wirkung geblieben. „Wir erwarten viel vom Konzil, und wir werden aus der Isolierung herausgehen”, erklärte kürzlich der Patriarch von Konstantinopel, und der russisch-orthodoxe Konzilsbeobachter, Erzpriester Vitaly Borovoy, versicherte, daß seine Kirche immer bereit sei, „unsere römisch-katholischen Brüder in allem zu unterstützen, was zur Annäherung und zur Einigung aller Christen beitragen kann, auf daß alle mit einem Mund und aus einem Herzen gemeinsam lobsingen dem hochheiligen Geist.” Erheblich weiter ging der Leiter der anglikanischen Delegation, der auf einem Interview meinte, die anglikanische Gemeinschaft würde sich bereit finden, das Papsttum als Tatsache hinzunehmen, obgleich sie große Schwierigkeiten hätte, die Grundlage, auf der der Primat des Papstes beruht, anzuerkennen (Church Times, 25. 10.). Den evangelischen Christen wird besonders interessieren, was ein Vertreter des Lutherischen Weltbundes, Professor Skydsgaard, sagte. Ich zitiere nach dem LWB-Pressedienst: „Ein Protestantismus, der jetzt nicht bereit sei, sich zu erneuern, und nicht eine Antwort auf das Konzil fände, die frei von allem Mißtrauen gegenüber Rom zu sein habe, würde überrannt werden.”

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LeerUm so deprimierender ist die Haltung des deutschen Protestantismus. Während viele Kirchen und kirchliche Organisationen der Einladung des Sekretariats Bea gefolgt sind und ihre Beobachter verstärkt haben, begnügen wir uns nach wie vor mit einem einzigen Beobachter und versäumen die Gelegenheit, uns an Ort und Stelle zu orientieren, persönliche Kontakte aufzunehmen, unseren Wünschen Gehör zu verschaffen. Die Berichterstattung der protestantischen Presse ist äußerst dürftig. Das Schuldbekenntnis des Papstes hat eine peinliche Verlegenheit ausgelöst. Zur Zeit deutelt man daran herum, als ginge es um einen diplomatischen Notenwechsel und als könnte die Wahrheit verdunkelt werden, wenn man sich seinerseits zu einem Schuldbekenntnis bequemen würde. Man glaubt noch immer die Wahrheit gepachtet zu haben, die angeblich „zwischen uns steht”, als hätte Gott den Epigonen der deutschen Reformation das Eigentumsrecht an der Wahrheit verbrieft und als wäre das aggiornamento der Rechtfertigungslehre nicht vorerst an den Meinungsverschiedenheiten der deutschen Theologen gescheitert (Christ und Welt, 16. 8.). „Welche Wahrheit steht zwischen uns?” fragte ein evangelischer Christ im bayerischen Rundfunk und fuhr dann fort: „Es kann die Wahrheit, welche die Christen Christus nennen, unmöglich zwischen den Christen stehen.” An der „Spitze” des deutschen Protestantismus verzweifelnd stellte er schließlich den Satz auf: „Der ökumenische Impuls unserer Generation ist danach zu beurteilen, ob er die Kraft hat, nicht nur Spezialisten, sondern den einzelnen Christen zu ergreifen” (Johann Christoph Hampe laut KNA Nr. 54/63, S. 7 ff.). Es ist müßig, danach zu fragen, was hier mit „Spitze” gemeint ist: die EKD oder die VELKD, die eifersüchtig über ihre Souveränität wachenden siebenundzwanzig Landeskirchen oder die ihre Meinungsverschiedenheiten kultivierenden Theologieprofessoren. Aber solange diese Frage unbeantwortet bleibt, werden wir uns damit abfinden müssen, daß man uns als Kirche nicht ganz ernst nimmt. Es ist auch müßig zu fragen, worauf das Versagen der Spitzen des deutschen Protestantismus zurückzuführen ist, auf mangelnden Weitblick, Mißtrauen, Ratlosigkeit oder Uninteressiertheit, auf Selbstgenügsamkeit oder Angst vor dem ökumenischen Wagnis. Genug, sie hat versagt und damit dem Kirchenvolk eine Verantwortung zugeschoben, der es sich auf die Dauer nicht entziehen kann. Im Augenblick sind wir dieser Verantwortung leider noch nicht gewachsen. Lassen wir uns doch nicht dadurch täuschen, daß man uns mündig gesprochen hat l Auch wir bedürfen einer Kirche, die uns mater et magistra ist. Aber was schon jetzt jeder einzelne tun kann, ist, dem Gegner von gestern zu vergeben und sich von ihm vergeben zu lassen, ihn besser zu verstehen, mit ihm zu beten, gemeinsam den Dienst zu tun, den die Kirche der Welt von heute und morgen schuldig ist. Wir raten nicht zu einem faulen Frieden, aber wir halten die Zeit für gekommen, in der die Christen der Welt nicht mehr das unerfreuliche Schauspiel eines Bruderzwistes oder einer aneinander uninteressierten Koexistenz bieten, sondern zu einem Wettkampf antreten, in dem es allein darum geht, daß ein jeglicher so gesinnt ist, wie Jesus Christus auch war.

LeerIn Rom wird zur Zeit hart gekämpft. Es muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß das Konzil vertagt wird. Das sollte uns dann nicht irre machen, sondern erst recht in der Bitte vereinigen: „Komm Heiliger Geist, erfüll die Herzen Deiner Gläubigen.”

Quatember 1964, S. 33-35

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-27
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