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von Hans Carl von Haebler |
Wir würden eine falsche Vorstellung von „Ökumene” haben, wenn wir meinten, sie sei eine Angelegenheit der Theologen und diese brauchten sich nur auf eine Lehre zu einigen, damit die Einheit der Kirche Ereignis wird. Es sind ja nicht nur die Lehrmeinungen der Konfessionen, sondern auch die Verschiedenheiten der Nationen und Rassen, der Sprachen und Kulturen, die uns trennen und die gegenseitige Kritik herausfordern. Ja, die Konfessionsunterschiede selbst sind zweifellos auch geschichtlich und geographisch begründet. Wir brauchen nicht erst nach Asien und Afrika zu fliegen, um das festzustellen. Schon bei unseren europäischen Nachbarn treffen wir eine andere Denkweise und ein anderes Lebensgefühl an, die nicht ohne Einfluß auf ihre Theologie geblieben sind. Hier soll von England die Rede sein. Als Glied einer Delegation der Evangelischen Michaelsbruderschaft, die von dem Council on Foreign Relations der Kirche von England eingeladen war, hatte ich Gelegenheit, die anglikanische Kirche in ihrem Heimatland kennenzulernen. Ich will hier nicht über die Konferenz reden, die sich mit Fragen der Eucharistie befaßte und eine erfreuliche Übereinstimmung ergab; ich will auch nicht ein Bild der Kirche von England entwerfen. Wer hierüber Auskunft erhalten will, greife zu dem vorzüglichen Büchlein von Georg Günter Blum (Begegnung mit der Kirche von England. Johannes Stauda Verlag, Kassel 1959) oder zu der historischen Darstellung von Stephan Neill (Anglicanism. Penguin Books Ltd., Harmondsworth, Middlesex 1960). Nur einige Eindrücke möchte ich wiedergeben, um dem Leser, der noch nicht in England war, dieses Land näherzubringen. Ich beginne mit London. London ist nicht England. Es ist eine internationale Großstadt, mit der Berlin sich nicht messen kann (obwohl es auch nicht gerade ein Kuhdorf ist). Alle Nationen sind vertreten. Seit dem Kriege haben Hunderttausende von Polen hier ihr Asyl gefunden. Der Farbige gehört zum Straßenbild. Nicht weniger als 7000 farbige Studenten besuchen die Londoner Universität. Das alte Stadtbild hat sich durch den Bau von Wolkenkratzern verändert, die die klassische Silhouette von St. Paul's überragen. Aber der historische Kern ist geblieben: der Tower mit seiner düsteren Geschichte, Westminsterhall und Westminster Abbey mit den alten Königsgräbern, Lambeth-Palace, seit 800 Jahren Residenz des Erzbischofs von Canterbury und Primas von England. Bauten aus den Zeiten der Stuarts und Hannoveraner, Standbilder Karls I., Cromwells, Nelsons und anderer Nationalhelden halten das Gedächtnis an die große, aber auch blutige Geschichte der Stadt und des Landes wach. Aber vielleicht sind die Parkanlagen mit ihren weiten Rasenflächen und alten Baumgruppen und die Vorgärten, die in manchen Stadtvierteln zu jedem Hause gehören, noch charakteristischer. Wenn die Hafengegend mit ihren Docks, Werften und Lagerhäusern London mit den fernen Kontinenten verbindet, so wird in jenen Parks und Blumengärten eine ländliche Atmosphäre spürbar. Liebe zur natürlichen Landschaft hat den Engländer schon ausgezeichnet, als der Kontinent seine Gärten noch der Architektur anpaßte und Hecken und Bäume verschnitt. Die Verbundenheit mit dem Lande schließt die Liebe zum Tier ein. In den englischen Kinderliedern, den nursery rhymes, spielen Hunde und Katzen eine große Rolle. In all dem liegt eine gewisse Sentimentalität - das Wort „sentimental” ist zu Goethes Zeit aus England eingeführt worden -, damit hängt aber auch ein Sinn für das Drollige und für komische Situationen zusammen, der dem englischen Humor eigen ist. Wer durch die Säle und Gänge des house of parliament geht, bekommt einen unmittelbaren Eindruck von der Kontinuität der englischen Geschichte und spürt, daß man hier größere Verantwortung empfinden und seine Entscheidungen bedächtiger treffen muß als in einem modernen Konferenzraum ohne Atmosphäre. So bewahrt auch die anglikanische Kirche frühchristliche, römisch-katholische, lutherische und reformierte Traditionen. Jede Epoche, jede Strömung hat ihren Beitrag geleistet, alles hat sie integriert. Trotzdem kann man ihr nicht vorwerfen, daß sie indifferent oder synkretistisch wäre. Anhänger der high church üben Kritik an der low church und umgekehrt, und der popery (dem Papsttum) mit ihren Jurisdiktionsansprüchen steht man ebenso ablehnend gegenüber wie dem unfruchtbaren Lehrgezänk der Protestanten. Aber man legt mehr Wert auf Andacht und Anbetung und auf ein geistliches Leben. So wahrt man nicht nur den Frieden im eigenen Hause, sondern kommt auch ökumenisch voran, wie der Zusammenschluß in der südindischen Kirche, aber auch das aussichtsreiche Gespräch zeigt, das die Kirche von England zur Zeit mit Presbyterianern und Methodisten führt. Es geht uns freilich zu weit, wenn ein anglikanischer Bischof nach Lourdes pilgert und sich hier mit einer Reliquie der hl. Bernardette beschenken läßt - natürlich gibt es auch Anglikaner, denen das zu weit geht -, aber wir sollten nicht überhören, was der Erzbischof von Canterbury auf dem Kongreß der 18 anglikanischen Kirchen in Toronto erklärt hat. Dr. Ramsey führte aus, daß das Werk der Einung immer in einem Geben und Empfangen bestehe und daß wir nur dann geben, wenn wir demütig genug sind zu empfangen. Man wisse nicht, ob im Verlaufe der Einung die anglikanische Kommunion als solche verschwinden wird und welche Rolle Gott in der geeinten Kirche Canterbury, Rom und Konstantinopel zugedacht hat (Church Times vom 16. 8.1963). Warum hat der Erzbischof in diesem Zusammenhang nicht auch von Wittenberg und Genf gesprochen? Vielleicht, weil er hier das ökumenische Engagement, die ökumenische Sehnsucht vermißt, die in den anderen Kirchen brennt. Aufs Ganze gesehen ist die Zahl der praktizierenden Christen jedoch gering, und, da nur diese freiwillige Beiträge leisten und weder Kirchensteuern erhoben noch staatliche Beihilfen gewährt werden, erfreut sich die Kirche keiner Reichtümer. Aber wenn ich an unsere wohlhabenden Kirchen denke, die weniger vom Opfer der Gläubigen als vom Wirtschaftswunder leben, scheint mir dies das geringere Übel zu sein. Die anglikanische Kirche dürfte die erste gewesen sein, die den Sport förderte. Sie tut das nicht mit missionarischen Hintergedanken, aus Propaganda, sondern einfach in der Erkenntnis, daß Sport etwas Gutes ist. Sport ist ein englisches Wort und schließt in England eine ethische Haltung ein. To be a good spart heißt, ein ordentlicher Kerl und guter Kamerad und wohl auch ein guter Verlierer sein. In der Erziehung, wurde mir gesagt, steht hier an erster Stelle die Charakterbildung, an zweiter der Sport und an dritter das Wissen. Das mag zugespitzt sein und, was das Wissen anbetrifft, ein Understatement enthalten. Aber sicherlich stellt man in England den Menschen über die Sache. Der Student findet in der Universität nicht nur einen Lernbetrieb vor, sondern kann sich einem Tutor anvertrauen, der ihn in allen seinen Angelegenheiten berät. In Bezug auf die Ausbildung zum geistlichen Amt gibt man neidlos zu, daß wir Deutschen die besseren Theologen haben, aber man legt selbst mehr Wert auf das Pastorale und wundert sich, daß bei uns so wenig dafür getan wird. So befindet sich der anglikanische Pastor auch nicht in der splendid Isolation des Akademikers und Gelehrten, sondern mitten in der Gesellschaft, auch dann, wenn er in seiner Dorfkirche in Ermangelung eines Küsters am Glockenstrang zieht und seine Gemeinde wissen läßt, daß er jetzt für sie betet. Quatember 1964, S. 35-37 |
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