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Recht und Gerechtigkeit
von Wilhelm Stählin

LeerIm Rahmen der diesjährigen Tagung der Abendländischen Akademie, die diesmal das Thema „Die Gesellschaft und ihr Recht” behandelte, hatte ich es übernommen, eine Betrachtung über das Recht im Alten Testament zu halten. Dabei mußte mir daran liegen, an einer Reihe von Beispielen aufzuzeigen, wie sehr dort überall das Recht und die Rechtsprechung in Gott selber verankert ist, sozusagen als Projektion der in Gottes eigenem Wesen beschlossenen Gerechtigkeit auf das menschliche Miteinander. Dabei machte ich eine sprachliche Entdeckung, die mich selber aufs äußerste überrascht hat. In jenem Vers (Ps.94,15), der in Luthers Übersetzung lautet „Recht muß doch Recht bleiben”, sind im hebräischen Text zwei verschiedene Vokabeln für Recht gebraucht, von denen die eine (mischpath) die Rechtsprechung, die andere (zedek) aber die (an Gott selbst gebundene) Gerechtigkeit bezeichnet; und das Verbum bedeutet nicht eine unveränderte Dauer des „Rechts”, vielmehr eine Bewegung, Hinwendung, Umkehr des Einen zum Anderen. Der Vers bedeutet also entweder: der Spruch des Richters wird sich (immer wieder) dem „Gerechten” zuwenden und ihm zu seinem Recht verhelfen, oder nach der wahrscheinlich dem Wortlaut besser entsprechenden Deutung: die Rechtsprechung muß sich immer wieder zurückwenden zu dem in Gottes Willen gemeinten Recht. Das heißt mit anderen Worten: die Norm jedes Rechtes ist ein nicht von Menschen formuliertes Gesetz, sondern das, was uns Menschen ein für alle Mal „gesetzt” ist in dem Willen Gottes, der auf das Heil und das rechte Miteinander der Menschen zielt. Womit im Grunde alles gesagt ist, was über die Gesellschaft und „ihr” Recht überhaupt gesagt werden könnte.

Quatember 1964, S. 46

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-27
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