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von Helmut Hochstetter |
In einem Vortrag zu Köln erklärte der bekannte katholische Konzilstheologe Karl Rahner, es habe sich gezeigt, daß das Konzil wirklich dazu berufen sei, die oberste Leitungs- und Lehrgewalt der katholischen Kirche auszuüben. Unsere herkömmliche Auffassung, daß der Papst als Inhaber des römischen Primates allein die Geschicke der Kirche entscheidet, müssen wir also aufgeben. Und doch hat Paul VI. ebenso wie Johannes XXIII. die Geschicke der Kirche in die Hand genommen und entscheidend gelenkt. Sein Primat hat ihm dazu die äußere Möglichkeit, sein Charisma die innere Vollmacht gegeben. Mit großer Spannung erwartete die Welt den Fortgang des Konzils. Es war ja nach dem Tode Johannes XXIII. ungewiß, ob der neue Papst das Konzil überhaupt fortsetzen werde. Indessen wurden alle Hoffnungen übertroffen. Es zeigte sich, daß in der Gestalt des neuen Papstes ein Mann erschienen war, der das Werk seines Vorgängers mit Hingabe, Weisheit und Energie weitertrieb. Beginnen wir mit einem Überblick der zweiten Konzilsperiode: sie begann mit der 37. Generalkongregation am 30. September 1963 und endete mit der 78. am 29. November 1963. In diesen 41 Hauptversammlungen wurde eine überaus schwere und wichtige Arbeit geleistet, deren Ergebnis zwar nur die Annahme von zwei Schemata war, die aber von außerordentlich weitreichender Bedeutung sind. Diese Arbeit geschah nicht nur auf dem Konzil selbst, sondern war in mühevoller Kleinarbeit von den verschiedensten Gremien in der Zwischenzeit vorbereitet worden. Die Berufung von Moderatoren und eine Verbesserung der Geschäftsordnung hatte die Arbeit erleichtert. Die Moderatoren, von denen drei der Reformpartei zugehören, haben die Aufgabe, das Konzil mit vollziehender Vollmacht zu leiten. Außerdem wurden qualifizierte Vertreter der katholischen Laienschaft als Auditoren zugelassen. Der Geschäftsgang auf der zweiten Konzilsperiode ging schneller und glatter vonstatten. Das bedeutet freilich nicht, daß alles reibungslos verlaufen wäre, die Spannungen waren vielmehr stellenweise so stark, daß man mit einer Vertagung des Konzils rechnen mußte. Sein Ergebnis aber ist für uns nicht nur erstaunlich, sondern im höchsten Maße verpflichtend. Die Ansprache, die der Papst am Michaelstag 1963 zur Eröffnung der zweiten Sitzungsperiode hielt, gehört zu den großen Dokumenten der neuesten Zeit. In diesem kurzen Bericht müssen wir uns damit begnügen, die wichtigsten seiner Gedanken anzuführen. Zu Eingang sagte der Papst: „Der Herr ist unser Zeuge, wenn wir Euch sagen, daß in unserem Geist keinerlei Absicht zu menschlichem Herrschen besteht, sondern nur Wunsch und Wille, den göttlichen Auftrag auszuüben.” Die Ansprache stellt Christus in die Mitte und führt das Wort Jesu aus dem 15. Kapitel des Johannesevangeliums an: „Ich bin der Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen, und jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, damit sie mehr Frucht trage.” In diesem Sinn wollte der Papst die Wiedererneuerung der Kirche verstanden wissen. Er sagte wörtlich: „Wir müssen die Kirche der Liebe erstreben, wenn wir wollen, daß sie imstande sei, sich und die Welt um sie herum in der Tiefe zu erneuern.” Einen besonderen Gruß richtete er an die Vertreter der von der katholischen Kirche getrennten christlichen Kirchen (Die in der Presse veröffentlichte erste deutsche Übersetzung dieser Ansprache verzeichnet hier anstelle von „Kirchen”: „Bekenntnisse”. Wie der Berichterstatter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aber gleich darauf feststellte, steht in der Originalansprache das Wort „Kirchen”.) In der zweiten Konzilsphase ging es um die großen Problemkreise der Liturgie, der Rechte der Bischöfe, um das Diakonat und um die Ökumene. In jeder dieser Fragen war eine Fülle von Problemen enthalten, die als Sprengstoff wirken konnten. Wie heiß das Eisen war, das angefaßt werden mußte, zeigte sich schon im Vorfeld des Konzils, als der Kreis der deutschen Bischöfe der „Verschwörung” bezichtigt wurde, eine Behauptung, die von den Deutschen energisch zurückgewiesen wurde. Tatsächlich aber argwöhnte man in den konservativen Kreisen, daß die Reformpartei mit ihren Forderungen alle Bastionen niederreißen würde, die die Kirche in Jahrhunderten aufgebaut hatte. Nun war allerdings Deutschland und der Westen in besonderer Weise dazu geeignet, ein Reformprogramm vorzulegen, einmal wegen der beiden Weltkriege und der schweren Auseinandersetzungen in Mittel- und Westeuropa, dann wegen der liturgischen Bewegung, die hier beheimatet ist, und wegen der Freiheit der Forschung in unseren Gebieten. Auf dem Konzil zeigte sich sehr bald, daß die Reformpartei das Übergewicht hatte. Das vorgelegte Schema von der Kirche hatte keine Aussicht angenommen zu werden. Als das zweite Kapitel über die Hierarchie behandelt werden sollte, kam es zu ernsthaften Spannungen. Kardinal Siri von Genua hatte verlangt, den Passus von der unteilbaren Einheit von Papst und Bischofskollegium zu streichen. Der Papst allein sei Haupt und Grundlage der Kirche in ganz eigenartiger Weise, die er nicht mit dem Bischofskollegium teile. Auch an dem Diakonat übte er Kritik mit dem Hinweis, daß die Kirche an dieser Frage nicht, wohl aber am Zölibat interessiert sei. Zur Entscheidung aber gelangten die Schemen über die Liturgie und über die publizistischen Mittel. Auf der öffentlichen Schlußsitzung der zweiten Konzilsperiode wurde die Konstitution über die heilige Liturgie und das Dekret über die Kommunikationsmittel von Papst Paul VI. feierlich verkündet. Die erste wurde mit 2147 Jastimmen gegen nur vier Nein-Stimmen angenommen, das zweite mit 1960 Ja-Stimmen gegen 164 Nein-Stimmen. Die Konstitution soll nach Ablauf von zwei Monaten, also zu Beginn der Fastenzeit 1964, in Kraft treten. Die Liturgiereform ist der eigentlich religiöse Ertrag des Konzils. Es wird gewiß noch einige Zeit dauern, bis sie Gemeinbesitz der Gläubigen innerhalb der römisch-katholischen Kirche geworden ist. Sie ist aber der Sieg des Evangeliums im Kultus der Kirche. „In der Liturgie spricht Gott zu seinem Volk; in ihr verkündet Christus noch immer die frohe Botschaft. Das Volk aber antwortet mit Gesang und Gebet.” Bei der Erneuerung der Liturgie sollen folgende Regeln beachtet werden: „Die Riten sollen den Glanz edler Einfachheit an sich tragen und knapp, durchschaubar und frei von unnötigen Wiederholungen sein.” Sie seien der Fassungskraft der Gläubigen angepaßt und sollen nicht vieler Erklärungen bedürfen. Die Schriftlesung soll reicher und mannigfaltiger, der Dienst der Predigt getreulich und recht erfüllt werden. Zu fördern sind eigene Wortgottesdienste, auch an Sonn- und Feiertagen, „besonders da, wo kein Priester zur Verfügung steht; in diesem Fall soll ein Diakon oder ein anderer Beauftragter des Bischofs die Feier leiten”. Die Kirche soll sich den verschiedenen Sprachen und Gebräuchen auf mannigfaltiger Art und Weise anpassen. „Die Schatzkammer der Bibel” soll weiter aufgetan werden, in den Sonn- und Feiertagsmessen darf die Predigt nicht fortfallen, das allgemeine Fürbittengebet wird eingeführt, für gewisse Fälle ist die Kommunion unter beiden Gestalten vorgesehen, ebenso die Konzelebration. Das Stundengebet wird auch den Laien empfohlen, der Taufritus soll überarbeitet werden. Von höchstem Interesse war die Behandlung des ökumenischen Schemas. Hier befaßte man sich nicht nur mit dem Verhältnis zu den nicht römisch-katholischen Kirchen, sondern auch mit dem zu den Juden. Aufsehenerregend waren die Äußerungen zur Toleranz und religiösen Freiheit. Besondere Aufmerksamkeit fand das unerschrockene Auftreten des Kölner Erzbischofs Frings, dessen Zusammenstoß mit Kardinal Ottaviani in der Tagespresse lebhaft erörtert wurde. Es ging dabei um die Frage der Kurie, also des höchsten Verwaltungsapparates der römisch-katholischen Kirche. Enttäuscht haben dann freilich die Erklärungen von Kardinal Frings nach seiner Rückkehr in seine Bischofsstadt, zumal seine Ausführungen über die Mischehe in der Silvesteransprache. Aber Karl Rahner hat in einer kritischen Betrachtung darüber zu Geduld und Hoffnung ermahnt, denn die Frage der Mischehe ist angefaßt worden und wird, wenn nicht auf dem Konzil selbst, so im Zuge einer großen Gesetzesreform behandelt werden. In jedem Falle ist der Sieg der Reformpartei festzuhalten. Der beste Bürge ist wohl der Papst selbst, der das Tor weit geöffnet hat und der selbst außer Landes gegangen ist und an heiliger Stätte als Bote des Friedens und in überzeugender Demut seine Vorstellung von der Pilgerschaft der Kirche bestätigte. Seine Begegnung mit dem oströmischen Patriarchen Athenagoras ist mehr als eine Geste brüderlicher Gesinnung. Es ist ein geschichtliches Ereignis von noch nicht vorstellbarer Tragweite. Quatember 1964, S. 76-79 |
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