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Sankt Michael in den USA
von Hans Carl von Haebler
(nach Berichten von Richard I. Knudsen und James Driver)

LeerMan weiß, daß die Evangelische Michaelsbruderschaft von Anfang an ökumenische Züge hatte und schon zu Beginn der dreißiger Jahre in den deutschsprachigen Teilen Europas Fuß faßte. Weniger bekannt ist, daß die Impulse, die von ihr ausgingen, bis nach Amerika reichen. Der Erzengel, der von Chonae in Klein-Asien über den Monte Gargano nach Deutschland gekommen war, hat nun auch in der „Neuen Welt” Fuß gefaßt. In Chicago besteht seit einigen Jahren die Evangelische St. Michaels-Gemeinschaft, die sich uns verpflichtet und verbunden fühlt und uns kürzlich von ihrem Leben und von ihren Zielen berichtet hat. Wir erfahren, daß sie eine intersynodale Gesellschaft für Erneuerung in der lutherischen Kirche ist und daß sie ihre Aufgabe vor allem darin sieht, ihrer Kirche durch Verkündigung, Gottesdienst und tätige Liebesarbeit die Katholizität zurückzugewinnen. (Auch ihr geht es also, um in unserer Terminologie zu reden, um die rechte Martyria, Leiturgia und Diakonia.) Sie ist bestrebt, gleiches Gewicht auf die katholischen wie auf die evangelischen Elemente des historischen Luthertums zu legen und damit eine gesunde Spannung herzustellen. Auf dem Boden der lutherischen Konfession stehend, ist die Gemeinschaft ökumenisch ausgerichtet.

LeerIndem man den Erzengel Michael zum Patron wählte, wollte man zum Ausdruck bringen, daß man der Hilfe Gottes bedarf, ohne die alle Erneuerungsversuche vergeblich bleiben müssen. Die Gemeinschaft weiß auch, daß sie nur dann zur Erneuerung der Kirche beitragen kann, wenn sie selbst Disziplin hält und sich geistlich zurüstet.

LeerZur Zeit zählt die Evangelische St. Michaels-Gemeinschaft rund 85 Pastoren, die ungefähr zu gleichen Teilen den drei Hauptzweigen des amerikanischen Luthertums angehören (der LCA mit über drei Millionen und der Missouri-Synode und A.L.C. mit je 2,5 Millionen Mitgliedern), und einen ständig wachsenden Kreis von Laien. Provost (Leiter) der Gemeinschaft ist Pastor Knudsen.

LeerDie Zusammenkünfte in Chicago, auf denen Männer vom Range Paul Tillichs und Joseph Sittlers über „Die Liturgie in einer mündigen Welt” gesprochen haben, gipfeln in einem feierlichen Choral-Vespergottesdienst mit Psalmengesang. (Von einer Feier der Eucharistie ist nicht die Rede.) Die Predigt in einem dieser Gottesdienste hielt der Bischof von Illinois, LCA (= Lutherische Kirche in Amerika).

LeerDie Gemeinschaft hat sich unter anderem die Aufgabe gestellt, theologisches und liturgisches Schrifttum der Evangelischen Michaelsbruderschaft ins Englische zu übersetzen und einem größeren Kreis zugänglich zu machen. Pastor Knudsen, dem wir diesen Bericht verdanken, hat 1961 während eines Studienaufenthaltes in Deutschland mit einer Reihe von Brüdern Verbindung aufgenommen, und Pastor Wiebe Vos EMB hat ein Jahr später vor der Gemeinschaft in Chicago gesprochen. Leider ist die Erde noch nicht klein und das Flugzeug nicht billig genug, um diese Verbindung intensiver zu pflegen und für beide Teile fruchtbarer zu machen.

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LeerVon ganz anderer Art ist der Order of St. Michael in Crown Point, Indiana. Er besteht seit zehn Jahren und verdankt seine Entstehung einem Rufe des Erzengels. Um es gleich zu sagen, es handelt sich hier um einen ganz kleinen Kreis von Menschen, ein Ehepaar mit Baby und zwei ledige Männer, die sich auf einer Farm, unweit Chicago, zu einem gemeinsamen Leben zusammengeschlossen haben. Aber dieser kleine Kreis geht aufs Ganze. Kein Minimal- sondern Maximai-Christentum! Völlige und freudige Hingabe an Gott! Man hofft, daß dem Orden in der schönen ländlichen Umgebung Wachstum beschieden ist, wo er sich der Erneuerung der Kirche, dem Laienapostolat, Einkehrtagen, Erziehungsaufgaben und der geistlichen Krankenheilung widmen will. Eine Regel ist schon da. (Das scheint etwas verfrüht zu sein. Aber hat nicht Charles de Foucauld seine Regel entworfen, ohne einen einzigen Anhänger zu haben?) Die Regel sieht nach einer Postulanten- und Novizen-Zeit von mindestens zwei Jahren die lebenslängliche Bindung und Profeß vor mit den Gelübden der persönlichen Armut und des Gehorsams. Ehelosigkeit wird in diesem Orden, dem ja schon ein Ehepaar angehört, nicht verlangt. Das ist neu und darin liegt ein großes Wagnis. Aber es entspricht dem Ansatz, der auf eine Verwirklichung des Laienapostolates zielt und die Taufe zum Fundament der Gemeinschaft macht. Praktische Bestimmungen über das Zusammenleben der Verheirateten und Ledigen - jeder hat seine Wohnung, aber einige Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen - zeigen, daß es sich nicht um Schwarmgeisterei, sondern um einen gut durchdachten und ausführbaren Plan handelt.

LeerAn Stelle der Ehelosigkeit wird aber ein anderes Gelübde abgelegt: die Wiedergeburt (rebirth) in Christus. Man gelobt, daß man als ein in Christus Neugeborener täglich und unablässig an sich arbeiten wird und daß man sich dabei von der Liebe, dem Urteil und den Gebeten der christlichen Gemeinschaft abhängig weiß. Gegenseitiges Sündenbekenntnis und brüderliche Beratung und Ermahnung gehören nach den Erfahrungen des Ordens zu den größten Gnaden, die dem Gemeinschaftsleben in Christus gegeben sind.

LeerDie Angehörigen des Ordens sind Glieder der Episcopal Church, die, wie sie sagen, bei all ihren Schwächen die Wesenszüge des katholischen und apostolischen Glaubens mit den Erkenntnissen der protestantischen Reformation noch immer am besten verbindet. Jeden Sonntag feiern sie als Gemeindeglieder der Christophorus-Kirche in Crown Point die heilige Eucharistie. In der eigenen Kapelle kommen sie täglich zum Morgengebet, zu den mittäglichen Fürbitten und zur Vesper und Komplet zusammen. Daneben pflegen sie, soweit die Zeit es zuläßt, das persönliche Gebet, die schweigende Anbetung und die Meditation. Zur Zeit gehen zwei Ordensangehörige auf Arbeit, die anderen beiden verrichten die Hausarbeit, bewirtschaften die Farm und betreuen die Gäste. Großer Wert wird auf die Handarbeit gelegt, die in der Demut übt und uns mit den physischen Gegebenheiten der Schöpfung Gottes in enge Berührung bringt. In der Freizeit aber ist durch Sport und Spiel dafür gesorgt, daß der Geist der Schwere nicht Überhand nimmt.

Diese Informationen sind einem Heft entnommen, in dem der Orden über sein Leben berichtet und sein Programm entwickelt. In einem Anschreiben fügte der Absender hinzu, daß sein Orden als sol cher im Augenblick noch keinen offiziellen Status in der Episcopal Church habe, daß aber diesbezügliche Besprechungen mit dem Bischof bevorständen. Er bat um unser Gebet, daß Gottes Heiliger Geist dem Bischof und dem Orden zeigen möge, welchen Dienst Gott von diesem erwartet.

[Der Order of St. Michael hat von 1954 bis 1972 bestanden]

Quatember 1964, S. 84-85

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-29
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