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Assenheim
1946 - 1951
„Ordenshaus der Evangelischen Michaelsbruderschaft”
von Horst Schumann

LeerWenn jetzt das umfassende „Evangelische Tagzeitenbuch” der Evangelischen Michaelsbruderschaft erscheint, so wird damit das Facit einer jahrelangen Arbeit gezogen. Auch wenn wir heute nicht wissen, wie wir morgen zu unseren Bemühungen stehen werden, so ist es doch in gewissem Sinne eine Ernte, die Ernte einer Aussaat, die für mich im Jahre 1946 in Assenheim aufging. Da seither mehr als zwanzig Jahre vergangen sind und viele von diesen Anfängen - den zweiten nach den Jahren von Berneuchen - nichts mehr wissen, ist es vielleicht gut, davon zu erzählen oder die Wissenden daran zu erinnern.

LeerSchloß Assenheim liegt bei Friedberg in Hessen und gehört der Familie der Grafen zu Solms-Rödelheim. Es war, vom damaligen Besitzer Professor Dr. Max Grafen zu Solms gemietet, von 1946 bis 1951 das „Ordenshaus” der Evangelischen Michaelsbruderschaft. Ich stand ihm als Rektor vor.

LeerSchloß Assenheim ist an und für sich wunderschön. Ein Barockbau auf alten Mauern, dem französischen Stile angeglichen, mit prachtvollen Repräsentationsräumen im ersten Stockwerk, dem Vortragssal, dem „Kapitelsaal”, wie wir ihn nannten, und dem „Teezimmer” mit reichen Schnitzereien in und über den tiefen Fensternischen und an den Türen, mit schönem Mobiliar, das von der Rokokozeit bis ins Empire reichte; vom Empire auch geprägt der (in jeder Hinsicht) kühle Tanzsaal, davor geräumige Treppenflure, die zur Statio vor den Feiern oder zu freiem Gespräch einluden. Um das Schloß ein herrlicher Park mit uralten Bäumen und sehenswerten seltenen Pflanzen, durchflossen von der stark strömenden Nidda, in der man herrlich baden konnte (auch wenn sie zeitweilig stark „chemisch stank”).

LeerEs war allerdings überaus schwierig, eigentlich unmöglich, aus dem Tanzsaal eine für uns geeignete Kapelle zu machen. Das gelang erst einigermaßen, als wir den eigens dafür gebauten Altar etwa in die Mitte rückten, so daß die Gemeinde ihn von drei Seiten umgeben konnte. Dann war dieser Raum allerdings lange Zeit ein wichtiger geistlicher Mittelpunkt der Bruderschaft. Eigentlich ist aber ein Barockschloß für Zwecke eines Freizeitenheimes denkbar ungeeignet. Es gab zu viele große Räume, die man nicht unterteilen konnte, und wir wundern uns heute darüber, was wir unseren Gästen an Unbequemlichkeiten haben zumuten müssen: Bis zu sechs Menschen in einem Zimmer, kleine Waschbecken mit schweren Kannen, unbequeme quietschende Betten mit schweren Decken, oft kein Licht, nur spärlich laufendes Wasser (das auch zuweilen ganz wegblieb) - dazu Kälte und Hunger! Mit der mühselig zusammengerafften „Verpflegung” wäre auch der bescheidenste Mensch heute nicht mehr zufriedenzustellen. Es war ja die Zeit unmittelbar nach dem Kriege; es geschah alles in ständiger Not und Bedrohung. Die Bewohner des Dorfes standen uns trotz brüderlichen Entgegenkommens des Ortspfarrers nicht sehr freundlich gegenüber; sie hatten kein Verständnis für unsere Bemühungen und hätten lieber in ganz anderem Sinne „etwas Soziales” im Schlosse gesehen. Der Flüchtlingsnot wegen drohte uns ständig die Beschlagnahme, die auch eines Tages, mitten im kältesten Winter, wirklich geschah.

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LeerEs kam uns dann die Rettung von Seiten des Hifswerkes, das offiziell das Haus übernahm und mit dem wir uns in die Räume und in die Tagungszeiten teilen mußten. Es gab aber doch schließlich eine wunderschöne Zusammenarbeit mit dem vom Hilfswerk bestellten Leiter, Professor Steinruck, und einem ständig im Hause tagenden Ausschuß des Werkes, dem wir manches gute Gespräch verdankten.

LeerIn den kleinen Räumen des obersten Stockwerkes wurde ein Altersheim eingerichtet - und so hatten wir schließlich ein diakonisches Werk im Hause, wenn auch aus mancherlei Gründen die Eingliederung in unsere eigentliche Arbeit schwierig war. Das Unstete der ständig wechselnden Gäste und der fröhliche Lärm der Jugendfreizeiten machten Beschwernisse - und doch wurde zu unserer großen Freude einer der „Alten” unser Bruder.

LeerÜberaus beglückend war in jenen Jahren die große geistige und geistliche Aufgeschlossenheit der Menschen. Man konnte ihnen damals tatsächlich all die genannten Unbequemlichkeiten und Nöte zumuten, und sie haben sie tapfer ertragen - weil sie geistig ausgehungert waren und buchstäblich danach lechzten, in geistliches Leben einzutauchen und sich mit den Problemen auseinanderzusetzen, die auf uns zustürzten.

LeerDie Hauptaufgabe des Hauses sollten geistliche Wochen sein, getragen von den geistlichen Erkenntnissen der Michaelsbruderschaft, von täglichem geordnetem Gebet und womöglich täglicher Sakramentsfeier. Wir haben damals eine Menge Fragen praktisch anzupacken gewagt und schöne Entdeckungen gemacht. Wir machten unsere ersten Erfahrungen mit der täglichen Feier der Messe. Dabei wurde uns neben dem feierlichen sonntäglichen Amt die schlichte gesprochene Werktagsmesse besonders lieb.

LeerDamals entstanden unsere „Horen”, die vier tagaus tagein gehaltenen Gebetsstunden Mette, Mittagsgebet, Vesper und Komplet (auch bei der letzteren liebten wir besonders die schlicht gesprochene Form für den Werktag). Wir haben dies „Stundengebet” ohne genügende liturgiegeschichtliche Kenntnisse, vielleicht ungeschickt genug, zusammengestellt - einfach weil wir sie nötig sofort brauchten. Um seiner Vorläufigkeit willen wurde das Buch „Das Stundengebet” ausdrücklich „Entwurf” genannt.

LeerIch sehe uns noch mit den Brüdern K. B. Ritter und Hans Kappner zusammen in einem der kleinen Kämmerchen des Obergeschosses sitzen und die Ordnungen nach unserem damaligen Verständnis zusammentragen. Sie haben sich dann immerhin zwanzig Jahre lang bewährt, und daß der „Entwurf” 7 Auflagen erleben würde, hätten wir nicht zu träumen gewagt.

LeerDamals entstand auch aus vielen kleinen Einzelzetteln „Die heilige Woche” als Ergebnis dessen, was allmählich in der Bruderschaft zu dieser Feier zusammengewachsen war. Und ich sehe uns wiederum in Marburg in der Stube unseres Bruders Ritter sitzen und den großen österlichen Preisgesang, das „Exsultet”, sorgfältig aus dem lateinischen Original gemeinsam übertragen.

LeerEs entstand damals die Agende für das Michaelsfest - wobei wiederum aus vielen Einzelnotizen und kleinen Handzetteln ein liturgisches Buch wurde - eine Befreiung nach allen Vorläufigkeiten, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann! Und ich konnte im Auftrag der Bruderschaft nach langer Unterbrechung den bruderschaftlichen Rundbrief wieder aufleben lassen, wenn auch vorerst auf unerträglich schlechtem Papier.

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LeerDas Entscheidende ist aber doch wohl gewesen, daß die geistlichen Wochen der Bruderschaft in Assenheim endgültig ihre Form gefunden haben - so wie sie fast unverändert in Kloster Kirchberg weiterleben, seinerzeit behutsam und weise von unserem Bruder Planck übernommen, der aus unseren Fehlern gelernt, aber auch gehegt und gepflegt hat, was als richtig befunden war.

LeerNaturgemäß war das Ordenshaus vornehmlich ein Mittelpunkt innerbruderschaftlichen Lebens. Unvergeßlich für die, die dabei waren, die Rats- und Kapiteltagungen unter dem damaligen Bruder Ältesten Erwin Schmidt oder die Michaelsfeste und die Osternachtfeiern mit der Lichterprozession bis hinunter in den Park. Es entstanden die Bruderehepaar- und die Bruderkinderwoche; es kamen die Jungbrüder. Und was haben wir - in eben jenen Notzeiten - an brüderlicher Hilfe nicht alles erlebt! An materieller durch die Schweizer Brüder, die ganze Wagenladungen mit Kleidern und Nahrungsmitteln schickten, und an geistlicher Hilfe durch die Marburger und Hamburger Brüder. Nicht zu vergessen ist hier auch die ausgezeichnete brüderlich-schwesterliche Nachbarschaft mit dem Caritashause Ilbenstadt, dessen herrliche romanische Kirche wir gern bei unseren Freizeitspaziergängen besucht haben.

LeerZu den geistlichen Wochen kamen Freunde des Berneuchener Dienstes aus ganz Deutschland, oft mit erstaunlich weiter Anreise, und wir hören heute noch mit großer Dankbarkeit, daß manche Menschen entscheidende Anstöße für ihr ganzes Leben auf unseren Wochen in Assenheim empfangen haben.

LeerAber wir trafen uns auch über den B. D. hinaus mit Menschen der verschiedensten Gruppen. Unvergeßlich wiederum eine Woche „mit Männern der jungen Generation”, den nach dem Kriege um den Sinn des Geschehens Ringenden - ferner Tagungen mit Liturgikern beider Konfessionen, wo es um die Frage der nun wirklich der deutschen Sprache gemäßen Gregorianik ging. Wir haben eine Tagung der Ökumenischen Arbeitskreise unter Bischof Stählin und Erzbischof Jaeger in Assenheim gehabt, ferner ein sehr entscheidendes Gespräch mit Vertretern der Christengemeinschaft über die Frage der Anerkennung ihrer Taufe durch unsere Kirche; eine Begegnung mit Bischöfen und Priestern der Orthodoxen Kirche im Exil - und vieles andere mehr. Außerhalb dieser Wochen konnte es dann sein, daß wir zu drei Brüdern allein im Hause waren, und es war uns oft wehmütig zu Sinne, wenn nach einem Fest oder einer großen Tagung die Brüder wegfuhren. Wir mögen damals viele Anfängerfehler gemacht haben, über die andere urteilen mögen. So war es sicher unglücklich, daß jeweils der An- und Abreisetag der Gäste auf einen Tag fiel. So war unser „Personal” überlastet und konnte nicht am geistlichen Leben teilnehmen und zur Hausgemeinde werden.

LeerFinanziell sind wir wohl an der Währungsreform gescheitert - und auf die Dauer war ein Barockschloß eben doch ungeeignet für die Ansprüche, die man heute an ein solches Gästehaus stellen muß. Vielleicht war auch der Name „Ordenshaus” zu großartig und eine Vorwegnahme einer Entscheidung, die noch gar nicht getroffen war: Ist die Evangelische Michaelsbruderschaft ein Orden?

LeerMan darf aber doch bei der Rückschau dankbar feststellen, wie Vieles in Assenheim geworden ist, das geblieben ist - eigentlich doch erstaunlich viel, gerade wenn es an anderem Orte weiterlebt. Und was geblieben ist, das haben letztlich nicht wir Einzelnen gemacht - das hat die Michaelsbruderschaft als Ganze gemacht und getragen.

Quatember 1968, S. 29-31

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-07
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