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Von der spontanen zur methodischen Meditation
von Paul Rohleder

LeerIn der Michaelsbruderschaft haben wir immer gewußt, daß Meditation zunächst einen allgemein menschlichen, nicht von vornherein einen geistlichen, kirchlichen Sinn hat. Nicht die Theologen, sondern die Therapeuten haben die Meditation wieder aufgebracht. Vielleicht haben wir diesen Zusammenhang nicht genügend durchdacht und bei unserer Praxis berücksichtigt. Haben wir uns damit nicht um das Wissen und die Erfahrung vieler Möglichkeiten gebracht und manches getan, ohne die ersten Schritte getan zu haben? Ich halte es für besonders dankenswert, daß uns Professor Lotz S. J. bei seiner Meditationswoche im August 1971 in Kirchberg gerade dafür wichtige Hinweise, ja wesentliche Hilfen zu einer theologisch-philosophischen Klärung gegeben hat. In seinen Einführungsvorträgen entfaltete er zunächst das allgemein Menschliche, die Spontanmeditation, und führte von da aus zur methodischen Meditation und zum Christlichen. Meditation ist nichts, was von weither importiert werden muß. Sie ist uns gegeben. jeder vollzieht in irgendeinem Maße Meditation. Sie ist ein Element des Erkenntnisvorganges. Sie ergänzt das gegenständliche, zweckhafte Denken, auf welchem Leistung und Weltbewältigung beruhen, durch jenes andere, zweckfreie, nach innen gekehrte Denken, welches das Ganze des Lebens in den Blick zu bekommen und Sinn und Mitte zu finden trachtet.

LeerEin elementarer Ausdruck der Spontanmeditation begegnet uns im Kind. Schon im Erwachen ist der menschliche Geist auf das Ganze der Welt und des Lebens hin offen und auf eine personale Sinnmitte hin angelegt. Warum muß das Kind sinnen und unerbittlich fragend nach dem Grund aller Dinge forschen? Weil es staunt und staunend erfährt, daß im scheinbar Kleinen etwas überwältigend Großes transparent wird. Auch in Bezug auf dieses ehrfürchtige Staunen gilt das Christuswort: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen!

LeerSpontanmeditation widerfährt dem Menschen, alle Verschüttungen durchbrechend, immer wieder von der Natur her. Wie in der großen Kunst im Teil das Ganze ist, so auch in der Schöpfung. Wir haben sie noch nicht so zerstören können, daß sie nicht mehr zum Spiegel Gottes werden könnte: "Ein Staunender, der am Abend durch seinen kleinen Garten geht und das Wunder einer einzigen Blume erlebt, kann mehr vom Sinn und Wesen der Welt erfahren als ein Stumpfer, der eine Weltreise macht." Es darf dabei freilich nicht unterschlagen werden, daß es in der Natur Dinge gibt, die sich nicht einordnen lassen. Sie müssen bewältigt werden. Trotz alles Negativen erfahren wir immer neu die Gegenwart Gottes in der Schöpfung.

LeerIn vielen Variationen bricht aus der menschlichen Begegnung, aus der Ich-Du-Beziehung in Freundschaft, Brautschaft und Ehe die Spontanmeditation hervor. Der vertrauende, verehrende, liebende Mensch beginnt zu meditieren. Im sinnenden Verweilen beim Partner kann er zum Dichter werden. Es ist da ein Aufleuchten des Hintergründigen im Vordergründigen. Der Partner steht für den Liebenden so sehr im Mittelpunkt seines Bewußtseins, daß er sich nicht genug mit Wort und Art des Geliebten beschäftigen kann. Er hat das Gefühl, nie das Geheimnis des Du erschöpft zu haben. Es wird zum Transparent für das göttliche Du. Diese Meditation der Liebe wandelt den Menschen.

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LeerWarum aber dann methodische Meditation, wenn es Spontanmeditation gibt? Zunächst einfach deshalb, weil wir Sünder sind. Wir sind auch in der Meditation durch Selbstsucht gefährdet. Wir fallen Verkürzungen und Verzerrungen anheim, geraten an die Peripherie, bleiben bei vorletzten Dingen stehen. Wir ehren und lieben die Geschöpfe mehr als den Schöpfer. Es ist erforderlich, den feinen Lockungen des Geistes, den stillen Zügen der Gnade, welche uns zur Spontanmeditation führen, bewußt und redlich nachzugehen. Johannes sagt: "Die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden." Wir sehen in Christus den Mittler der Schöpfung und der Erlösung. Der Weg der Meditation ist keine Selbsterlösung, welche den Glauben verdrängt oder über ihn hinausführt. Der Glaube ist die Norm der Meditation. Er läßt sie zu einem pneumatischen Geschehen werden. Der Heilige Geist ist der Lehrende. Christus bleibt und wird immer mehr die Mitte und der Mittler, der zum Vater führt. In der Gemeinschaft mit dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geist erkennen wir das Ziel. Mit diesem bewußten Eintreten in das Kraftfeld Christi beginnt die Geburt von oben, die neue Kreatur, die Wandlungsbereitschaft in Jesu Bild nach dem Maß der Gnade. So kommen wir anders ausgerichtet und ausgerüstet in jene Grenzsituationen, an welchen der Mensch entweder scheitert und (mit Sartre) sein Leben wie sein Sterben für sinnlos erachtet oder (mit Jaspers) den Absprung ins Transzendentale wagt.

LeerWie sollen wir einen unerfüllten, stumpfsinnigen Alltag bewältigen; die unstillbare Sehnsucht nach dem Du als Geborgenheit in einer Welt; Schicksale, die vergiften und verbittern; dunkle Geschicke und Verbrechen der Zeit; Leid und Angst, die hundertfach nach uns greifen; den Tod, der uns gewiß einholt und überwältigt. Keiner soll annehmen, daß er an seinem Leben vorbei in die andere Dimension der großen Bergung gelangen kann. In dem letzten Tagebucheintrag eines Fliegeroffiziers, der vom Feindflug nicht mehr heimkehrte, heißt es: "Habe dein Schicksal lieb; es ist Weg Gottes mit deiner Seele!" Meditation ist keine Droge, die mich von mir befreit. Es geht um ein Standhalten, um die "Annahme seiner selbst" in Christus und mit Christus. Durch ihn wird die andere Dimension gewonnen, in welcher der lange Atem der Geduld, die Kraft des Opfers, bedingungslose Liebe, Vergebung von Schuld, ja Hoffnung im Tod und übers Grab hinaus empfangen und gelebt werden kann.

LeerDas ist eine Andeutung des Weges, auf welchem die vom Glauben geführte Meditation zur Reife kommt. So gewiß das Leben lebenslang gelernt werden muß, so gewiß muß auch lebenslang das Sterben gelernt werden, um recht, d. h. in fortschreitender Wandlung von der Mitte her aufs Ganze hin, auf ein jenseitiges Ziel zu, leben zu können. Spricht nicht die östliche apersonale Meditation in ihrer Weise von dieser Dimension, wenn sie vom Finden des Sinnes in allem Unsinn redet? Sie meint damit die Erfahrung eines Sinnes, der allen Unsinn trägt und überwölbt.

LeerSo wird Meditation zu einer inneren Erfahrung, welche Wandlung bewirkt; zur Erfahrung einer Transzendenz, welche wir "überweltlich" nennen, weil sie sich nicht ohne weiteres aus dem gewohnten und vertrauten Weltdasein ergibt. Augustin sagt: Lasset uns einkehren in unser Herz und wir werden Gott finden. Er ist mir innerlicher als mein Innerstes und höher als mein Höchstes.

Quatember 1972, S. 35-36

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-09
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