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Dreieinigkeits-Ikone von Andrei Rublev
von Jürgen Boeckh

LeerÜber die Dreieinigkeits-Ikone von Andrei Rublev ist in „Quatember” schon manches geschrieben worden. Von zwei zunächst merkwürdig erscheinenden Äußerungen zu dieser Ikone - aus ganz verschiedenen Bereichen - soll an dieser Stelle berichtet werden.

LeerVor dem Original der „Alttestamentlichen Dreifaltigkeit” in der Moskauer Tretjakovgalerie erklärte unsere sowjetische Dolmetscherin: „Diese Ikone ist ein Symbol für die Einigung der russischen Fürstentümer unter dem Großfürstentum Moskau im Kampf gegen die Tataren.” Diese Deutung erregte unseren Widerspruch. Sie enttäuschte auch darum, weil unsere atheistische Führerin aufs ganze gesehen doch mehr von den Ikonen wußte als ein großer Teil unserer kirchlichen Reisegruppe. - In einem in Moskau erworbenen Bildwerk (M. A. Ilyin, „Zagorsk. Trinity-Sergius Monastery”, Sovietzky Khudozhnik Publishing House. Moscow 1967 - Made and printed Great Britain) stellte ich später fest, daß unsere Dolmetscherin eine dort allerdings erst an zweiter Stelle angeführte Bemerkung zur Entstehung der Ikone in den Vordergrund gestellt hatte. Der sowjetische Autor gibt die uns geläufige Deutung der Ikone als Bild der Dreieinigkeit. Dann aber fährt er fort: „Die abstrakte Idee des dreieinigen Gottes erlangte eine konkrete, äußerst lebendige Ausprägung während jener Periode, in der die Ikone gemalt wurde. Die Konzeption fiel zusammen mit dem Wunsch, alle Kräfte des Volkes im Kampf gegen den Streit der Feudalherren und gegen das tatarische Joch zu einen.”

LeerDaß dieser geschichtliche Hintergrund für den Ikonenmaler nicht unwichtig war, bestätigt auch Rudolf M. Mainka („A. Rublev's Dreifaltigkeitsikone”, Ettal 1964, s. Besprechung in H. 3, 34 Jg. dieser Zeitschrift). Er bezeichnet - unter Anführung von A. A. Hackel - das alte Holzkirchlein des heiligen Sergius von Radonez, des geistlichen Vaters von Andrei Rublev, „als Spiegel für die, die er zum gemeinsamen Leben um sich gesammelt hatte, damit im Blick auf die heilige Dreieinigkeit die Furcht vor der haßvollen Zerrissenheit der Welt überwunden werde”. So hatte die Dolmetscherin nicht etwas ganz Abwegiges behauptet, wohl aber durch Weglassung der Hauptsache einen falschen Akzent gesetzt.

LeerDie andere verblüffende Äußerung kam von einem griechischen Athos-Mönch, dessen Ikonen im Berliner „Haus der Kirche” ausgestellt wurden. In einem persönlichen Gespräch versicherte der Archimandrit, der vor seinem Eintritt in das Kloster profaner Maler gewesen war, noch niemals etwas davon gehört zu haben, daß unsere Ikone ein Bild der Dreieinigkeit sein solle. Sein Erstaunen wuchs, als ich mit Hilfe einiger Ikonenbücher die trinitarische Deutung belegte.

LeerEs ist bekannt, daß auf dem Athos verschiedene zeitliche Stufen des Kultus und der Frömmigkeit „konserviert” sind. Unser Mönch verkörperte demnach eine Tradition, in der die Ikone „Philoxenia” - d. h. Gastfreundschaft Abrahams - lediglich im Wort-Sinn des Alten Testamentes verstanden wurde. Rudolf M. Mainka schreibt in dem angeführten Buch: „Doch ist die Frage berechtigt, ob die Philoxenie-Ikone überall und von Anfang an als Dreifaltigkeitsbild ‚geschrieben’ und gedeutet wurde. Wir haben diese Frage . . . aus den Zeugnissen der Väter und der Ikonographie negativ beantwortet.” Auch die Unwissenheit des Malermönches vom heiligen Berg bestätigt diese Meinung, die nebenbei ein Zeichen dafür ist, daß man auf dem Athos nicht nur weltabgeschieden, sondern auch ökumenisch isoliert lebt.

Quatember 1972, S. 61-62

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-10
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