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Otto Heinrich von der Gablentz †
von Jürgen Boeckh

LeerIm vorigen Heft hat sich Otto Heinrich von der Gablentz zweimal an dieser Stelle zu Wort gemeldet. Als die „Briefe” erschienen, war er bereits nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben - am 27. April 1972.

LeerAls langjähriger Direktor der „Hochschule für Politik” - des heutigen Otto-Suhr-Instituts - in Berlin ist Gablentz weiten Kreisen bekannt geworden. Noch vor einem Vierteljahr wurde in Berichten über Auseinandersetzungen an der Freien Universität sein Name erwähnt. Wenn wir uns hier seiner erinnern, so geschieht es besonders darum, weil er zu den „Vätern” unserer Berneuchener Bewegung gehört und bis zuletzt ein treues, tätiges und kritisches Glied der Evangelischen Michaelsbruderschaft gewesen ist. Schon im Jahre 1918 ist er bei den „Jungdeutschen” mit Wilhelm Stählin zusammengetroffen, und im Jahre 1926 steht sein Name neben vielen anderen unter dem Berneuchener Buch. Er hat sich gern als „Heidenchristen” bezeichnet. Damit wollte er sagen, daß er als junger Mensch zum Christentum keine innere Beziehung hatte, dafür aber als erwachsener Mann eine bewußte Hinwendung zum christlichen Glauben vollzog.

LeerDer konservative Sozialismus Möllendorfs, der religiöse Sozialismus Tillichs und die revolutionäre Theologie Rosenstock-Huessys haben seine politischen Überzeugungen, die er in einer vielseitigen Lehr- und Vortragstätigkeit entfaltete, beeinflußt. Seine ersten Erfahrungen in der Wirtschaft fanden in einem Aufsatz über „Industriebürokratie” ihren Niederschlag. Den Staatsdienst - Statistisches Reichsamt und Reichswirtschaftsministerium - mußte er 1934 auf Betreiben der „Partei” verlassen. Beruflich war Gablentz dann bis 1945 in der chemischen Industrie tätig. Er gehörte zum Kreisauer Kreis, der den Wiederaufbau Deutschlands im Zeichen des Christentums und der sozialen Gerechtigkeit erstrebte.

LeerIm Jahre 1933 wurde Gablentz in die Evangelische Michaelsbruderschaft aufgenommen. Im Weihnachtsheft 1933 der „Jahresbriefe des Berneuchener Kreises” - den Vorgängern von „Quatember” - finde ich einen Aufsatz von ihm über den „Stern der Weisen”, und zwei Jahre später schreibt er - in Auseinandersetzung mit Wilhelm Hauer - zum Thema „Deutsche Gottschau und christlicher Glaube”: „Der Kern des Evangeliums ist nicht Ethik, ist nicht Metaphysik, sondern ist die Botschaft von der wirklichen Auferstehung des wirklichen Menschen Jesus vom wirklichen Tode.” Wie aus diesem Satz das Wissen um das Zentrum unseres Glaubens spricht, so aus einem anderen die Verpflichtung zur Katholizität: „Das Buch in der Kirche ist nichts ohne das Sakrament. Lehre und Kultus und Gemeindeleben sind nichts ohne die Erfahrung des einzelnen Christen, daß Gott ihn führt durch Natur und Geschichte.”

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LeerIm Jahre 1937 wurde in der Bruderschaft ein ökumenisches Amt geschaffen, dessen Leitung Gablentz übernahm. Er selbst wollte in diesem Amt besonders die Verbindung mit der russischen Orthodoxie pflegen. Zeitweise gehörte er dem Rat der Bruderschaft an, und von 1940 bis 1951 war er Ältester des Konventes Berlin-Brandenburg. Damals begegnete ich ihm zum ersten Mal, auf einem Michaelsfest unseres Konventes in dem ehemaligen Kloster Lehnin. Für mich war es eine ganz neue Erfahrung, daß ein Mann, der im politischen Leben eine bedeutende Rolle spielt - 1945 hatte er in Berlin die CDU mitbegründet - in dieser Weise in einer Bruderschaft und im Gottesdienst eine geistliche Heimat haben konnte. So verstand ich, wo die Wurzeln seines Buches „Geschichtliche Verantwortung” (1949) lagen.

LeerAuch in offiziellen Laienämtern der Kirche ist Gablentz tätig gewesen. Eine Zeitlang gehörte er dem Rat der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union an. Er beteiligte sich am Leben der Studentengemeinde und am Leben seiner Ortsgemeinde. In den letzten Jahren wuchs seine Enttäuschung darüber, daß das protestantische Landeskirchentum in Deutschland, das er theologisch und soziologisch für überholt hielt, nicht in der Lage war, sich eine dem Evangelium und der ökumenischen Entwicklung entsprechende Gestalt zu geben. Sein Buch „Die versäumte Reform” ist ein Dokument für Unterlassungssünden im politischen Bereich, besonders in der Hochschulpolitik.

LeerGablentz war immer, wenn er anderen begegnete, hellwach, er hörte auf jeden, aber er sparte auch nicht mit der Härte des Urteils. Einmal sagte er zu mir: Gerade wenn ich nicht weiß, wie ich alles bewältigen soll, nehme ich mir Zeit zur Meditation. In den letzten Monaten mühte er sich noch besonders um eine neue Grundlegung der Meditation und um die Bewältigung des von Günter Howe aufgenommenen Themas „Das Sakrament in der technisch-physikalischen Welt”. In einem Memorandum über die „Evangelische Kirche in Deutschland heute” aus dem Jahre 1968, das im Rundbrief der Bruderschaft abgedruckt wurde, lesen wir: „Was wir zu lehren haben, ist eine wahrhaft trinitarische Theologie, die um die neue Schöpfung weiß und darum die alte lieben kann, ohne sie romantisch zu verklären; die zur Freiheit und Schöpferkraft des Menschen Ja sagen kann, weil sie an die Erlösung und an den Bruder Jesus glaubt; und die zugleich frei ist von jeder Illusion über die Güte des Menschen, weil sie vom Abfall des Menschen und vom Opfer Gottes weiß.”

Quatember 1972, S. 186-188

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-10
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