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Freizeit
von Hartmut Löwe

LeerWas Freizeit ist und wie man sie gebrauchen soll, ist dunkel. Das Wort zwar übt einen verlockenden, fast magischen Reiz aus: ein jeder wünscht sich mehr davon; Berufe, die sie reichlicher besitzen, werden beneidet. Aber wenn sie da ist, macht sie uns Mühe. Die Langeweile wird unerträglich, das leere Geschwätz ödet uns an, die Unfähigkeit zum Gespräch wirkt bedrückend.

LeerFreie Zeit auszukaufen wird so zu einer schwierigen Arbeit. Weil die Anforderungen unsere Kräfte übersteigen, verkaufen wir sie an andere, die versprechen, bei ihnen sei sie gut aufgehoben. So scheint der Wunsch unerfüllbar, den vielerlei Abhängigkeiten aus der Arbeitswelt zu entfliehen. Das Land der Freizeit sehen viele nur vom Fenster eines Eisenbahnzuges aus, es bleibt irgendwo draußen in der Ferne. Freilich: trotz aller Enttäuschungen nehmen wir immer wieder einen neuen Anlauf, träumen wir den alten Traum: daß es doch einmal glücken möchte, in der Zeit frei zu sein. Aber wie?

LeerVor kurzem noch konnte sich der Zeitgenosse in der griechischen Sagengestalt des Sisyphos wiederfinden. Der war von den Göttern bestraft worden mit der Fron, unermüdlich einen Fels den Berg hinaufzuwälzen, der immer herunterrollte. Arbeit ist also das eintönige Geschäft, das von vorn beginnt, wenn es eben vollbracht zu sein schien. Immer wieder. Heute, in unseren freien Stunden, teilen wir eher das Schicksal des Tantalos: der steht zwar im Wasser der Freiheit, aber noch ehe er sich bückt, um seinen Durst zu löschen, ist es versiegt. Und die Zweige, an denen die Früchte der Freiheit locken, schnellen zurück, bevor sie ergriffen sind. Tantalos ist ebenso armselig dran wie Sisyphos. Gibt es da überhaupt noch eine dritte Möglichkeit?

LeerVielleicht für den, der sich weigert, seine Freiheit zu verkaufen oder zu verplanen. Vielleicht für den, der die Gelegenheit ergreift: zu warten - zu schweigen - Abstand zu gewinnen - aufmerksam zu horchen . .. Worauf?

Linie

LeerIn der Zeit der Arbeit sind wir bestimmt von fremden Forderungen. Wir müssen uns einpassen, stehen an einem Platz, den ebenso gut ein anderer ausfüllen kann, sind abhängig. Wir üben uns in Sachlichkeit, Geduld, zuweilen sogar Selbstlosigkeit. Arbeit ist die Möglichkeit, sich an das Fremde dranzugeben, sich selber zu verlieren. In der Arbeit werden wir uns fremd.

LeerIn der freien Zeit dagegen blicken wir uns in die Augen. Erfahren unsere Bedürftigkeit, verlangen nach Gemeinschaft, nach Liebe, Freude, Tanz, Gesang. Wer sich selber begegnet, entdeckt, wie schwer es ist, mit sich allein zu sein. Er hält es bei sich nicht aus, er muß von sich wegkommen. Gerät er dann nicht aber wiederum in neue Abhängigkeit? Der Fesseln der Arbeit ledig, droht er sich zu verlieren an andere. Wie kann man diesem Teufelskreis entkommen?

LeerNur so, daß wir die Verfügung hinnehmen, daß über uns verfügt ist. Nur wer sich liebend weggibt, wird frei. Nur wer sich nach dem ganz anderen, dem Absoluten sehnt, wird sich selber los. Die Leere, in die hinein die freie Zeit uns setzt, verweist auf eine Fülle, die wir nicht selber sind, derer wir aber bedürfen, der wir gehören, die sich uns liebend gibt.

LeerDas alte Israel kannte den Rhythmus von sechs Arbeitsjahren und einem Sabbatjahr, sechs Werktagen und einem Sabbat. Das brachliegende Feld, der von jeder Hantierung freigehaltene Sabbat waren das sichtbare Zeichen dafür, daß die Arbeit sich erst in der Ruhe vollendet, daß die Erde letztlich unverfügbar, nur geliehen ist, daß sie offen gehalten werden muß zu dem hin, dem sie gehört. Die wachsende freie Zeit in unserer Welt erfüllt ganz entsprechend erst dann ihren Sinn, wenn sie zur Gelegenheit wird, uns loszulassen, Zutrauen zu gewinnen zu dem, der alle Zeit erlösen kann, wenn wir hinabfallen auf den Grund der Welt, der Gott heißt. Wie das möglich wird?

LeerDer einzelne ist da in aller Regel überfordert. Er braucht Gruppen, die solch eine Haltung einüben und vorleben. Er ist angewiesen auf die Weisheit der Alten, die sagt: „Ich sah, daß alles von Gottes Hand kommt. Denn wer kann fröhlich essen und genießen ohne ihn?”

LeerDie Freiheit der Zeit gewinnt jedoch niemand durch gescheite Überlegungen. Sie will gelebt werden im selbstvergessenen Spielen der Kinder, im Tanzen und Singen, Lieben und Beten; sie hat ihre Heimat im Kultus, dem Spiel vor Gott, in dem wir nicht eigentlich mehr handeln, sondern nur noch empfangen, nur noch sind. Viele aber haben Angst, in ihre eigene Leere und Sinnlosigkeit zu fallen, betäuben sich deshalb mit Betriebsamkeit oder ersticken in öder Langeweile. Es ist besser, den spielenden Kindern zuzuschauen und ihrem Beispiel zu folgen im Lachen und Lieben, im Singen und Tanzen, im Nachdenken vor Gott, im Beten.

Quatember 1972, S. 189-191

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-10
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