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Eine Ausstellung in Corvey
von Waldemar Wucher

LeerIn einem Vortrag auf dem Evangelischen Kirchbautag in Hannover 1966 hat sich Anton Henze mit den „Möglichkeiten und Grenzen des christlichen Bildes im 20. Jahrhundert” beschäftigt. Ohne den damaligen Anlaß zu erwähnen, ist dieser Vortrag erneut abgedruckt in dem Katalog, den das Museum Höxter-Corvey zu einer Ausstellung mit dem Titel „Christliche Kunst” herausgegeben hat. Nicht nur dies, auch das dem Katalog vorangestellte Vorwort zeigt, daß die Ausstellung im Gespräch über das Thema besonderen Rang beanspruchen möchte. Wenn also die Corveyer Ausstellung ein einigermaßen repräsentativer Ausschnitt aus dem weiten Feld dessen gewesen ist, was sie selbst heute als „ christliche Kunst” versteht, dann verdient sie einige Bemerkungen. Da ist zunächst festzustellen, daß Architekten und Künstler nur aus Nordrhein-Westfalen eingeladen waren. Diese Beschränkung auf eine Landschaft - auch wenn diese eine starke künstlerische Tradition aufweist mit verhältnismäßig vielen Künstlern, die mit Aufträgen der katholischen Kirche rechnen konnten - gibt kein uneingeschränkt gültiges Bild. Dennoch lassen sich einige charakteristische Züge ablesen.

LeerRecht wenig hat die Ausstellung dazu beigetragen, die Probleme des heutigen Kirchenbaus zu illustrieren, in denen sich die Pluralität der Theologie wie der Gottesdienstformen widerspiegelt. Auch die von Henze zum Verhältnis von Raum und Bild entwickelten aktuellen Gedanken, die in der bis zum Ende des Barock selbstverständlichen Idee des „bewohnbaren Bildes” münden und die Henze gewiß mit Recht in der Taufkapelle von Audincourt neu verwirklicht sieht, fanden in den ausgestellten Architekturfotos keinen überzeugenden Beleg. Der Versuch einer engeren Verbindung von Architektur und Plastik war in der von Harald Deilmann gebauten Herz-Jesu-Kirche in Bad Homburg zu erkennen. In einer im Prinzip ohnehin unverzichtbaren Wechselwirkung zueinander standen die Arbeiten von Ima Hartmann-Rochelle und Bernd Hartmann-Lintel, nämlich eine Mosaikwand und das vor ihr stehende figürlich gestaltete Taufbecken in der Verkündigungsbasilika zu Nazareth.

LeerIn überwiegender Zahl waren die Bildhauer vertreten. Die Plastik prägte vornehmlich das Gesicht der weiträumig angeordneten Ausstellung. Aber gerade in ihr begegnete man auf Schritt und Tritt der Problematik einer „christlichen Kunst” der Gegenwart. Die verschiedenen Stiltendenzen verrieten nur zu oft eine bewußte oder unbewußte Anlehnung an mittelalterliche Bildkunst. Das gilt sogar noch für einen in seiner Ausdruckskraft überzeugenden „Schmerzensmann” von Bernhard Kleinmann, obwohl diese Plastik nur noch Metapher für Schmerz zu sein scheint. Das Problem einer wie auch immer verstandenen abbildhaften Realität stellt sich hier gar nicht mehr, die traditionelle Vorstellung eines christlichen Bildes scheint überschritten zu sein.

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LeerFormal erinnert dieser „Schmerzensmann” an Germaine Richiers „Gekreuzigten” und liegt in einer Linie, die bei Giacometti neu ansetzt. Doch die letzte Konsequenz einer wenn auch gewalttätigen Fixierung auf das geschändete Menschenbild des 20. Jahrhunderts, wie wir sie bei Francis Bacon finden, der selbst eine „Kreuzigung” gemalt hat, wird nicht gewagt. Wenigstens der geschändete, geknechtete und verlorene Mensch könnte mit Recht an dem gegenwärtigen Ende der Bildgeschichte der abendländischen Christenheit stehen, weil darin vielleicht der Keim neuer Hoffnung zu finden wäre.

LeerOb eine an Mataré erinnernde formschöne Bronzetür von Rudolf Breilmann für die Christuskirche in Ahaus „Das Licht der Welt”, ob die blockhaft-kantigen Skulpturen von Josef Rikus (Golgatha, Pietà u. a.), die sich an den materialbedingten Architekturformen der Gegenwart zu orientieren scheinen, für einen fruchtbaren Dialog mit dem Betrachter viel austragen? Von rückgewandter Sehnsucht nach den „besseren” Zeiten christlicher Kunst scheinen die formal sorgfältig ausgewogenen Plastiken von Karl Ehlers zu zehren. Da gab es drei Entwürfe für Kapitelle, Erinnerung an mittelalterliche, in Gestaltungsmöglichkeiten des Betonzeitalters übersetzte Architekturelemente, oder auch eine pyramidenhaft spitz zulaufende Holzplastik aus verschieden großen offenen Dreiecken, die Ehlers „Sakral” nennt. Wird damit nicht eine Bedeutsamkeit hervorgekehrt, die geeignet ist, Offenheit für das Transzendente, das unter uns in Spuren gegenwärtig und zuweilen schon fast greifbar ist, im Keim zu ersticken?

LeerWas es in der Kunst des 20. Jahrhunderts an Spuren dieses Suchens und Wiederfindens gibt, das fehlte in Corvey gewiß nicht ganz. Doch nur sehr allmählich können sich inmitten der heutigen disparaten Weltkunst Maßstäbe für das Gültige bilden. Man muß mit um so größerer Zurückhaltung davon sprechen, wenn solche Maßstäbe in „christlicher Kunst” gesucht werden. Vielleicht benennt Wolfgang Kreutter eine abstrakte Figur, vor der man „Zuversicht” meditieren möchte, ganz bewußt mit dem verfremdenden lateinischen Wort „Angelus”. Vielleicht ist es auch mehr als Zufall, wenn der Glasmaler Wilhelm Buschulte in seinen schönen Ölbildern das Engelthema in einem farblich überspielten Realismus umkreist. Die abstrakte Bronzeskulptur von Karl J. Dierkes, die er „Seraph” genannt hat, drückt Bewegung und Gelöstheit so überzeugend aus, daß der Betrachter mit allen Sinnen der dem Blitz vergleichbaren Spur des Engels nachgehen möchte.

LeerIn der Fülle mittelalterlicher Kunst ist uns ein so unerschöpflich breites Spektrum christlicher Heilsgeschichte überliefert, daß ihres Schauens gewiß auch heute kein Ende zu sein braucht. Aber der Mensch des 20. Jahrhunderts ist unter der Überfülle flüchtiger Augenblicksbilder, der er täglich ausgesetzt ist, der Betrachtung von Abbildern müde geworden. Es kommt aber doch hinzu, daß es zur gleichen Zeit in der Kunst von heute nicht zufällig um eine Wirklichkeit geht, die nicht Reproduktion der sichtbaren Natur ist, was mit den nun einmal unumkehrbaren Wandlungen zu tun hat, die sich in unserem Weltverhältnis ganz allgemein vollzogen haben. Die neue Bildwelt setzt ungeachtet gleichzeitiger Notwendigkeit des Verstehens Fähigkeit zur Meditation voraus.

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LeerNun klammert sich Meditation heute noch weithin an vorgeformte Bilder, fest geprägte Vorstellungen, ikonographische Formeln. Sie sollte jedoch frei von Fixierungen einsetzen und in einen echten Dialog einmünden. Ein solches Gegenüber könnte unter den Bildern zum Beispiel der „Seraph” von Dierkes sein, aber sogar eine in den äußeren Maßen unscheinbare, durch ihr beschwingtes Formenspiel aber zum Mitgehen anregende Nähspitze von Hanne-Nüte Kämmerer, vieldeutig „Hieroglyphen” genannt. Man wird sofort den Unterschied begreifen, wenn man eine von der Hand der gleichen Künstlerin stammende Leinenstickerei daneben sieht, die durch die Benennung „Das Auge Gottes” und durch die formelhaften Zeichensymbole des Kreuzes auf der Weltkugel und des Alpha und Omega so fixiert ist, daß der Betrachter des Meditierens glattweg enthoben ist.

LeerAuf einer etwas anderen Ebene sind die Arbeiten des Bildhauers Heinrich-Gerhard Bücker zu sehen, dem die Veranstalter einen ganzen Raum zur Verfügung gestellt hatten. Er versteht seine Arbeiten bewußt als Meditationsbilder. Wenn er einige davon als „Genesis” bezeichnet, so will er möglichst nahe an den Ursprung heranführen. So fügt er zum Beispiel in die Mitte einer aus Edelstahl geformten konvexen Scheibe einen Bergkristall mit Turmalineinschlüssen ein. Damit lenkt er das Auge auf ein Dokument der Erdgeschichte, auf ein originales Stück Genesis, anstatt zum gehorsamen Nachvollzug einer mythisch oder wissenschaftlich verpackten Entwicklungstheorie aufzufordern.

LeerDer im frühen Expressionismus für das religiöse Thema neu entdeckte Holzschnitt scheint inzwischen so strapaziert zu sein, daß man sich eine längere Zeit der Askese wünschte. Dreißig Farbholzschnitte zur Bibel von Wolfgang Fräger, denen man einen ganzen Raum eingeräumt hatte, ließen an Manessier denken. Dieser jedoch besaß die seltene künstlerische Fähigkeit, bis an die Grenze des Deutbaren so zu abstrahieren, daß an Stelle des Abbildhaften ein neuartiges optisches Ereignis trat. Man sollte hier wohl noch die Farbholzschnitte von Ingrid Moll-Horstmann erwähnen, die auf christliche Bildtitel verzichten. Ihre abstrakten Formen ebenso wie die Bildtitel („Goldene Gestirne”, „Licht in dunkler Nacht”, „Brücken in eine bessere Welt”, „Hoffnung der Gefangenen” oder einfach „Ikone heute”) lassen für das Zwiegespräch weiten Spielraum.

LeerHaben die für die Ausstellung Verantwortlichen alles, was sie gezeigt haben, als „christliche Kunst” verstehen wollen? Auf diesem Wege würden sie wohl immer mehr in ein kaum zu überwindendes Dilemma geraten. Auch in Corvey war der Horizont hier und da schon ein wenig aufgerissen. Er kann nicht weit genug sein. Denn in der Kunst der Gegenwart wird es jenseits von Corvey gar vieles zu entdecken geben, was infolge der Veränderung des Bildbegriffes für das Thema „Bild und Kultus” künftig ebenso notwendig wie bedeutsam werden kann.

Quatember 1973, S. 41-44

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-29
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