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Das Jahr der Kirche
von Alexander Völker

Leer„Man muß die Feste feiern, wie sie fallen”, sagt eine Redensart. Die Feste im Jahreskreis wie die großen Tage eines Lebens „fallen” auf einen Tag, gleichsam von außer ein in den Ablauf der gleichförmigen, technischen Zeit. So wird ein Feiertag. Ein Fest, durch den Feiertag angezeigt, verpflichtet uns. Feiertage sind Ereignisse eines unverfügbaren „Jetzt”, das uns zuteil wird. „Heute ist Weihnachten”: So gilt an diesem Tag, daß Weihnachten ist und sonst nichts. Der Feiertag verlangt, wie jedes echte Fest, den Exodus aus dem Alltäglichen. Die verwandelnde Kraft der Feiertage entspringt einem sehr tiefen Grund. Das Leben, das im Fest eines Feiertags über den Tod triumphiert, bietet sich uns nicht anonym dar. Der Feiertag trägt einen Namen zum Zeichen, daß ihm ein stiftender Anlaß gegeben und eine bestimmte Gestalt eigen ist. Vergangenes oder Erhofftes steht den Feiernden als jetzt und ewig Gültiges vor Augen, prägt den hervorgehobenen Augenblick des verrinnenden Lebens. Der Tag mit seiner Feier bringt zustande, daß die Gesetze dieses Lebens - Tag und Nacht, Herrschaft und Dienst, Arbeit und Pause - nicht mehr gelten dürfen kraft des Geistes, der die Feiernden in eine neue Ordnung nimmt und den Einzelnen in die ihm gedachte Rolle hineinverwandelt.

LeerFeiertage kehren in jedem Jahr wieder. Jährlich feiert mein Geburtstag das Wunder, daß mein Leben noch nicht vom Tod ereilt worden ist. Durch die Feiertage verbindet mich die Erlebenseinheit eines Jahres mit dem Geschick der Menschheit. Erst das zählt im Leben eines Menschen, was nach Jahren bemessen werden kann: Lebensalter und berufliche Erfahrung, Regierungszeiten und geschichtliche Epochen. Das Jahr ist die dem Menschen und seiner Geschichte gemäße Zeitgestalt. „Wenn zahllose Menschen einmal im Jahre ... den Gottesdienst besuchen, so ist das keine Heuchelei und es ist nicht lächerlich. Sie mögen frömmer oder mindestens gläubiger sein als die ‚alle-52-Sonntage-Kirchgänger’. Aber sie empfinden, daß erst das Jahr aus dem Spiel zu Ernst aufsteigt. Was kürzer währt, ist noch nicht als ernst erwiesen. Einmal im Jahre muß ein Wegerecht ausgeübt, ein Eigentum bestätigt werden, um die Verjährung zu unterbrechen” (Eugen Rosenstock).

LeerHervorgehobene Tage und Zeiten des Jahres, einstmals mit einem Sinn erfüllt, halten sich lange und zäh. Sie existieren nie an sich, sondern immer in Beziehung zu bestimmten Gruppen und Kulturen. Feiertagstraditionen können abreißen, denn jede neue Generation hat „ihre” Feiertage. Jeder von uns kennt das Gefühl der Fremdheit gegenüber einem nichtssagenden Datum im Kalender: Ob nicht dieses Bewußtsein viele unserer Zeitgenossen bestimmt, wenn sie den Daten des Kirchenjahres begegnen?

LeerUnsere Betrachtung soll dem kirchlichen Festkalender dienen. Er ist eines der erstaunlichsten Gebilde, die in der Geschichte der Kirche geworden sind, dem geistlichen Rang nach wohl der großen eucharistischen Danksagung, dem Ämterordo, dem Kirchenbau und der musica sacra ebenbürtig. Wie diesen Größen sind auch dem Kirchenjahr zwei Prinzipien zu eigen: Es hat eine feste Mitte - das Gedächtnis des gekreuzigten und auferstandenen Christus; gleichzeitig ist es offen für neue Bildungen, das Abstoßen, Verändern oder Aufnehmen neuer Tage. Gerhard Kunze, ein hervorragender Kenner der Geschichte des Kirchenjahres, vergleicht es gelegentlich mit einem Gebäude: Jahrhunderte haben an ihm gebaut, Ungezählte in ihm eine Behausung gefunden, noch immer stehen Räume leer, noch immer gibt es unentdeckte, ungenutzte Tage und Zeiten.

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LeerIn diesem Beitrag kann keine noch so kurzgefaßte Geschichte des Kirchenjahrs gegeben werden. Unbestritten ist, daß die neue Ordnung der Zeit, die wir nach Christi Geburt rechnen, seit der Auferstehung Jesu datiert. Das Gedächtnis dessen, was Gott in der Auferweckung von den Toten an dem Gekreuzigten für uns getan hat, bestimmt den wöchentlichen Herrentag (Offb.1, 10) wie das Lebenszentrum des ganzen Jahres, den Karfreitag und das Osterfest. Die Erwartung des kommenden Herrn, in der die junge Christengemeinde ursprünglich von Woche zu Woche lebte, weitet sich aus zum Jahreskreis von der Bethlehemgeburt bis zum adventlichen Ewigkeitssonntag. Gottesdienst und Kirchenjahr gehören unlöslich zueinander; nur vom Gottesdienst her läßt sich der Heilsweg erkennen, den Gottes Geist mit der Kirche ein Jahr hindurch geht.

LeerDaß die christliche Gemeinde am „ersten Tage der Woche” in Herrenwort und Gebet, Lobgesang und Mahl das Gedächtnis des Opfers Christi und seiner Auferstehung begeht, entscheidet - soweit wir heute sehen können, ein Jahrtausend lang - über die Gestalt, die das Jahr der Kirche annimmt. Die hervorgehobenen Tage der jüdischen wie der übrigen antiken Umwelt werden formal (nie genau) übernommen und mit dem erfüllt, was Jesus Christus in der Fülle der Zeit gebracht hat. So ist das Werden des jährlichen pascha, der Osterfeier mit der dazugehörigen Pentekoste, der fünfzigtägigen österlichen Freudenzeit zu erklären; so die Zeit der Fasten, die in Reue und Einkehr die Gemeinde zur Erneuerung durch Christus anleitet. Im Gottesdienst liegen die Motive zur Aufnahme des 6. Januar und des 25. Dezember, die, anderen Kulturkreisen entstammend, in kompliziertem historischen Werdeprozeß zum Weihnachtsfestkreis (mit Epiphanias) geführt haben. Die Adventszeit ist erst im 6. Jahrhundert nachweisbar, die Reihenzählung der übrigen Jahressonntage erst zweihundert Jahre später.

LeerHatte die Kirchenjahrsordnung in Rezeption und Durchbrechung antiker Sonnenjahr- und Mondphasenzeitrechnung zwei einander widersprechende Zeitkategorien in sich vereinigt (die Woche, vom Herrentag her; das Jahr, vom jährlichen Auferstehungsgedächtnis her), so bringt der vor allem im zweiten Jahrtausend komplettierte Heiligenkalender das biographische Datum als neues Gestaltungselement hinzu: Der Todestag eines Märtyrers oder Heiligen wird gottesdienstlich begangen - eine indirekte Bestätigung dafür, daß die gottesdienstliche Zeit der Kirche aus dem österlichen Ur-Datum der Auferstehung zum Leben entspringt.

LeerIn dem Maß, in dem das Kirchenjahr festere Konturen gewinnt, bildet sich auch die Ordnung des Gottesdienstes. Seit frühen Anfängen sind, wie die Perikopenforschung hat feststellen können, bestimmte Abschnitte der Heiligen Schrift festen Tagen und Zeiten des Jahres zugewiesen worden. Zu den gemeinchristlichen Perikopen rechnen die Passions- und Todesberichte der Evangelien in der Karwoche und am Karfreitag, die Einsetzungsberichte am Gründonnerstag, die Auferstehungsberichte an Ostern, der Pfingstbericht aus Apg 2 und die Joelprophetie, Lk 2 und Mt 2 am 25. Dezember bzw. an Epiphanias. In einer äußerst differenzierten, in vielen Einzelheiten noch nicht aufgehellten Geschichte bilden sich Zuordnungen von Tagen und Texten, geprägten Zeiten und ganzen biblischen Büchern.

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LeerAm Ende des ersten Jahrtausends zeigen die liturgischen Dokumente listenmäßig, wie Schriftzeugnis und Christusgedächtnis im Kirchenjahr zusammengehören (die jährliche Evangelienreihe bildet sich zuerst aus): Das 1. Buch Mose gehört der Fastenzeit zu, Apostelgeschichte und Johannesevangelium bestimmen die Osterzeit, höchstgewertete Zeitabschnitte wurden mit den Briefen der Urapostel und des Herrenbruders Jakobus ausgezeichnet. Die uns aus der ungeteilten vorreformatorischen Kirche überkommene Reihe der sogenannten altkirchlichen Evangelien und Episteln beweist dies aufs deutlichste. Besonders durch die in der Regel mehrfache Schriftlesung, selbstverständlich immer aber auch durch das Gedächtnis des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu in der Eucharistie sind die Feste und Sonntage geprägt: So wird das Christusgedächtnis in einer großartigen Entfaltung dem Jahr eingeschrieben. Im Gottesdienst wiederholt das biblische Wort der Apostel und Propheten erinnernd den Ursprung des Gekommenen für die Heutigen, in ihm verbindet die Mahlgemeinschaft die Kirche mit ihrem kommenden Herrn.

LeerDie Reformation des 16. Jahrhunderts hat am Bestand der gottesdienstlichen Tage und Feste nicht viel verändert. Mit der Abschaffung der Heiligentage, die aus theologischen Gründen erfolgte, verband sich, trotz vielfacher und guter Neuansätze, auch der Verlust der Werktagsgottesdienste. Für die Sonn- und Festtage behielten die Kirchen lutherischer Herkunft trotz erheblicher Kritik ihrer Theologen die altkirchliche Perikopenüberlieferung bei, darin dem Predigtbrauch Luthers folgend. Lediglich die reformierten Kirchen gingen in der Auswahl biblischer Lesungen eigene Wege (lectio continua), vom Kirchenjahr hielten sie die christlichen Hauptfeiertage fest. Spätestens im 18. Jahrhundert beginnt dann für die evangelischen Kirchen der Prozeß der Säkularisierung, den man von der liturgischen Erneuerung unseres Jahrhunderts her - nicht ganz sachgerecht - eine „Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen” genannt hatte.

LeerDer Kalender, den der Landesfürst seinen Untertanen vorschrieb, führte nun neben den kirchlichen Hauptfesten die gebotenen Regionalfeiertage wie auch die Geburtstage der regierenden Fürsten auf. Die Epoche der Aufklärung, die Kirchenjahr und Gottesdienst am Naturjahr, aber auch an der ständischen und politischen Ordnung orientierte, ist gewiß nicht lediglich literarisch geblieben. Der Gedenktag des Thesenanschlags am 31. Oktober, das preußische Totenfest sowie der Heldengedenktag entstammen dieser Zeit, während die Begehung von Silvester/Neujahr und Bußtag in frühere Zeiten hineinreicht. Diese gewiß epigonalen Neubildungen versuchen, ausgehend von der engen Verklammerung von Staat und Kirche, von der christlichen Überlieferung aus die politischen Ereignisse zu deuten. Die Kirchen in unserem Jahrhundert haben - aus guten Gründen - darauf verzichtet, diesen Versuch fortzusetzen.

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LeerEs ist das geschichtliche Verdienst der Väter der liturgischen Erneuerung - neben Theodor Knolle müssen hier Wilhelm Stählin, Christhard Mahrenholz und Rudolf Spieker genannt werden -, die Ursprünge der gottesdienstlichen Zeit im Gottesdienst der Kirche wieder sichtbar gemacht zu haben. Das Jahrbuch „Das Gottesjahr” begann jeweils mit einem Kalender, der die Sonntage im Jahreskreis mit „Leitbild” und Wochenspruch vorstellte und die Werktage, wie später Jörg Erbs „Wolke der Zeugen” mit Namen und Daten aus der Geschichte der Kirche und der Welt auszeichnete. Die agendarische Neuordnung nach 1945 hat gezeigt, wie sehr Kirchenjahr und Festordnung von den Gemeinden und von einzelnen Christen angeeignet worden ist. Eine gewachsene Ordnung hat sich erneuert: Von der Mitte der Schriftverkündigung, der Evangelienperikope aus, gestaltet sich der Sonn- oder Festtag mit dem Gefolge liturgischer Stücke wie Wochenlied und -spruch, den Psalmen, den Propriumgesängen und -gebeten.

LeerDie in den fünfziger Jahren herausgegebene Predigttextordnung, in den deutschsprachigen evangelischen Kirchen allgemein anerkannt, ist eine späte Frucht der Neuordnung des kirchlichen Jahres. Aber manche Bemühungen blieben auch ohne Erfolg. Die Zählung der Sonntage der Trinitatiszeit nach Pfingsten, nach Johannis (24. Juni), nach den Aposteln (29. Juni) und nach Michaelis (29. September) hat sich nicht durchgesetzt; neben der Lesung für das Jahr der Kirche, die den Werktag mit kirchenjahresbezogenen Lesungen ausstattet, steht der Bibelleseplan der kirchlichen Werke und Verbände mit Jahreslosung, Monatsspruch und -lied, im wesentlichen an der fortlaufenden Bibellesung interessiert (und nunmehr von den beiden großen Konfessionen gemeinsam erarbeitet).

LeerDie Zeit, in der wir leben, ist auch an der kirchlichen Zeitordnung nicht spurlos vorübergegangen. Hier ist von der ökumenischen Bedeutung des überlieferten Jahreskreises zu sprechen. War bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil die doppelte gottesdienstliche Schriftlesung von Evangelium und Epistel ein die Konfessionen der westlichen Christenheit einigendes Band gewesen (es hatte bislang nur unbedeutende Verschiebungen in der Trinitatiszeit gegeben), so änderte sich dies mit der Einführung der neuen Lesungsordnung der römischen Kirche 1969. „Auf daß den Gläubigen der Tisch des Gotteswortes reicher bereitet werde, soll die Schatzkammer der Bibel weiter aufgetan werden, so daß innerhalb einer bestimmten Anzahl von Jahren die wichtigsten Teile der Heiligen Schrift dem Volk vorgetragen werden” lautet der für die Reform maßgebliche Satz des Konzils (Liturgiekonstitution 51).

LeerAußerhalb der vom Festinhalt vorgeprägten Tage des Weihnachts-, Oster- und Pfingstkreises werden die drei Evangelien Matthäus, Markus (mit Einschüben von Johannes) und Lukas jeweils fortlaufend ein Jahr hindurch verlesen. Der Einzelabschnitt (Perikope, wörtlich: das rings behauene Stück) tritt zurück gegenüber der Evangelienschrift im Ganzen, die in dreijährigem Zyklus wiederkehrt. Diese Verfahrensweise hat den Vorzug, Profil und Eigenart eines neutestamentlichen Autors der Gemeinde im Zusammenhang nahezubringen; sie setzt den regelmäßigen Besuch der Messe selbstverständlich voraus. Ebenso wie die vier Evangelien kann die lectio continua die hauptsächlichsten Abschnitte der insgesamt 21 neutestamentlichen Briefe in drei Jahren bewältigen. Ist mit diesem respektablen Programm nicht ein evangelisches Anliegen aufgenommen?

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LeerFür das Kirchenjahr bedeutet dies: Vom 2. Sonntag nach Epiphanias bis einschließlich Estomihi und vom 2. bis letzten Sonntag nach Trinitatis gilt das neue liturgische „tempus per annum” mit 33 bzw. 34 Sonntagen fortlaufender evangelischer und epistolischer Lesung. Der durch die prinzipale Evangelienperikope geformte Sonntagscharakter ist aufgegeben: Vernimmt das evangelische Gemeindeglied jährlich wiederkehrend am 5. Sonntag nach Trinitatis den Bericht vom Fischzug des Petrus (Lk 5,1-11; Leitbild „Nachfolge”), hört der römisch-katholische Christ an demselben Sonntag im ersten Jahr den Jubelruf Jesu nach Mt (11, 24-30), im Jahr darauf seine Verwerfung in Nazareth, wie sie Mk (6,1-6) berichtet, schließlich im dritten Jahr die Aussendung der Siebzig nach Lk (10,1-2.17-20).

LeerDer für unsere Begriffe willkürliche und schematische Umgang mit den bestimmten Tagen angestammten Texten (dem man allerdings mit dem Vorwurf ungeistlichen Pensumdenkens nicht gerecht wird) wirft ein Licht auf Unterschiede in den liturgischen Wertigkeiten der Kirchen: Die seit Jahrhunderten unverändert gebliebene, mit biblischer Wortfülle gesättigte Liturgie der römischen Messe erlaubt es der nachkonziliaren Kirche viel eher, mit der Perikopenordnung und dem Kirchenjahr frei zu schalten und beliebig zu verfahren. Der evangelische Gottesdienst, bereits durch eine lange Geschichte gravierender Strukturveränderung gegangen, zieht seine Kraft sehr viel entschiedener aus dem gehörten und gepredigten Evangelium, das ihm vorgegeben ist.

LeerDer neue römische Generalkalender zeigt die nicht unerheblichen Folgen für das Kirchenjahr. Epiphanias- und Vorfastenzeit sind aufgegeben zugunsten des jährlichen Gedächtnisses der Taufe Jesu (1. Sonntag n. Ep.) und der dann einsetzenden Bahnlesung; sie wird Invocavit unterbrochen (damit erhält die Fastenzeit einen klaren Anfang), um am 1. bis zum letzten Sonntag n. Trin. (jetzt Christkönigsfest) mit demselben Evangelium fortzufahren. Neben nicht unbedeutenden Uminterpretationen (etwa des 1. Januar zur Sollemnitas Sanctae Dei Genetricis) wird eine Fülle zweckmäßiger Verlegungen vorgenommen, vor allem aber die Zahl verpflichtender Heiligengedenktage (1950: 262 im Jahr) drastisch herabgesetzt.

LeerNeben den Hauptdaten Christfest, Triduum Sacrum, Ostern, Christi Himmelfahrt und Pfingsten stehen künftig 12 Hochfeste (sollemnitas: 1. Januar Marienhochfest, 6. Januar Epiphanias, 19. März Joseph, 25. März Mariae Verkündigung, 24. Juni Johannes der Täufer, Trinitatis, Fronleichnam, Herz-Jesu-Freitag, 29. Juni Peter und Paul, 15. August Himmelfahrt Mariens, 1. November Allerheiligen, 8. Dezember Unbefleckte Empfängnis). Das Jahr kennt fernerhin 25 Feste (festum), unter ihnen Taufe und Verklärung Jesu, die Apostel- und Evangelistentage; weitere 63 in der Gesamtkirche geltenden Gedenktage fügen sich an. Hinzuzurechnen sind schließlich Gedenktage von nur regionaler Bedeutung, die im jeweiligen Diözesankalender erscheinen.

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LeerDie Reform läßt nunmehr 126 fest- bzw. gedenkfreie Tage (mit den 88 Tagen „memoria ad libitum” insgesamt 214) im Jahreskreis bestehen, eine für römische Kalenderverhältnisse erstaunlich hohe Zahl. Das bisherige komplizierte Klassifizierungssystem, das einen Ausgleich zwischen Kirchenjahr und Heiligenkalender ermöglichte, konnte zugunsten einer klareren Profilierung des an der historia salutis (und erst in zweiter Linie an der historia ecclesiae) orientierten Kirchenjahrs aufgegeben werden. Insbesondere muß die Bemühung, die grundlegende Bedeutung der Osterfeier für den Jahreskreis hervorzuheben, anerkannt werden. Inzwischen ist auch in den evangelischen Kirchen eine Revision der gottesdienstlichen Lesungen in Gang gekommen. Die Tatsache, daß Rom die bisher verbindlichen Evangelien- und Epistelreihen aufgab, veranlaßte die im Lutherischen Weltbund vereinten Kirchen (einschließlich Skandinaviens und der USA), diese Lektionen auf Geeignetheit und Verständlichkeit zu überprüfen.

LeerDer Entwurf eines Probelektionars (dem die umgearbeitete Predigttextordnung alsbald folgen wird) liegt vor in dem Büchlein „Neue Lesungen für den Gottesdienst” (Lutherisches Verlagshaus Hamburg, 1972, 158 S.); es steht zu erwarten, daß die revidierten Lesungen in diesem Jahr von allen deutschsprachigen evangelischen Kirchen zur Erprobung freigegeben werden. Texte, die nicht beim ersten Anhören ohne Auslegung verständlich waren (z. B. Gal 4, 22 - 5, 1a an Laetare) wurden ausgewechselt, Doubletten getilgt, Schriftabschnitte mit zentralen Aussagen in die Reihe der jährlich wiederkehrenden Sonntagstexte eingesetzt. Immer aber sind Auswahl oder Neuwahl prinzipiell von der Evangelienlesung als dem „rector” des Tages oder Festes bestimmt gewesen.

LeerZwei Beispiele mögen zeigen, wie sehr Gehalt und Gestalt eines Tages im Jahreskreis durch den Tagestext geprägt werden, wie sehr aber auch die Bildekraft der Kirchenjahrszeit auf die biblische Verkündigung zurückwirkt. Die Episteln vom 1. Advent und von Invocavit (Rm 13,8.10-12 bzw. 2. Kor 6,1-10) sprechen vom hereinbrechenden Heil, von Zeit und Stunde der Heilsverwirklichung, um derentwillen die Christen die Werke der Finsternis ablegen, kein Ärgernis geben, im Heiligen Geist und der Kraft Gottes ehrbar leben sollen (nach Chr. Mahrenholz). Die Verbindung von Heilszeitansage und Paraklese am Beginn der Fasten- und Adventszeit erweist den „Sitz im Leben” des Kirchenjahrs, umgekehrt aber auch, wie sehr die geprägte Zeit als ganze (Der kommende Herr; der Satan und Sünde überwindende Herr) Wahl und Aufnahme der Tagestexte bestimmt.

LeerAuf den ersten Blick erscheinen die Evangelienlesungen von Laetare und dem 7. Sonntag n. Trin., vom 2. und vom 20. Sonntag n. Trin. als Doubletten; jedoch entscheiden biblischer Kontext und Placierung im Jahreskreis über das proprium jedes der genannten Abschnitte. Der johanneische Speisungsbericht soll die Vollmacht des in die Welt Gekommenen dokumentieren; die Markusperikope scheint im Kern von der Mahltradition bestimmt (kein Grund, aus dem 7. Sonntag n. Trin. - parallel zum vorangehenden „Tauf”-Sonntag - einen Themensonntag „Abendmahl” zu gestalten). Das Gleichnis vom großen Abendmahl verkündigt die Unwiderruflichkeit der göttlichen Einladung, die „königliche Hochzeit” betont, schon endzeitlich bestimmt, die richterliche Hoheit des himmlischen Vaters. Es wäre kurzschlüssig, angebliche Verdoppelungen zu beseitigen und damit die Entfaltung der biblischen Botschaft, die das Kirchenjahr gewährt, zu verhindern.

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LeerDas Jahr der Kirche als ein geschichtlich gewachsenes Gebilde bewahrt in sich die verschiedensten Verkündigungselemente und -motive, die sich einer theologischen Thematisierung wie jeder Art chronologischer Systematisierung widersetzen. In seinen hauptsächlichsten Partien gliedert es sich in festgeordnete Tage und Zeiten, deren Gehalt sich erst dem erschließt, der sie begeht. Gleichwohl stellen Tradition wie gegenwärtige Erfahrung ihre Fragen an die überlieferte Zeitordnung. Wie gedenkt die ökumenische Christenheit künftig die Advent- und Weihnachtszeit als Erwartung des Kommenden und Gedenken an die Menschwerdung zu feiern angesichts der Welt und Kirche beherrschenden quasifestlichen Euphorie des Jahresendes? Evangelische Gemeinden beachten wohl die Epiphaniaszeit; der Tag der Erscheinung des Herrn jedoch wird kaum gottesdienstlich begangen.

LeerEntgegen römischem und anglikanischem Brauch weisen unsere Kirchen dem letzten Sonntag nach Epiphanias die Verklärung Jesu zu: In welchem Verhältnis steht er zu den „Zwischensonntagen” der Vorfastenzeit, und wie verhält sich diese zur folgenden Fastenzeit? Möglicherweise stehen wir erst vor einer geistlichen Wiederentdeckung dessen, was „Fasten” meint. Die vierzigtägige Vorbereitung auf die Auferstehungsfeier mit ihren exorzistisch geprägten und katechetisch angelegten Evangelienlesungen der frühen Taufunterweisungspraxis kann jedenfalls nicht unbesehen zur Passionszeit (mit fortlaufender Leidensberichtslesung) umgedeutet werden. Die Karwoche und das Osterfest, Herzmitte des Kirchenjahres, zeigen, wie sehr Tage und Zeiten eine vielfältige und differenzierte Weise, zum Hören und Bedenken, Beten und Feiern zusammenzukommen, verlangen: Der stereotyp erscheinende Hauptgottesdienst (oder auch die Messe) als einziger Gemeindegottesdienst wird ihnen kaum gerecht.

LeerVon den lateinischen Namen her haben sich Sonntage der Osterzeit häufig programmatisch als „Tag der Kirchenmusik” (Kantate) oder des Gebetes (Rogate) verstehen lassen; wie aber feiert die Christenheit die österliche Freudenzeit recht, die durch die Auferstehung Jesu, seinen Abschied aus der sichtbaren Welt und die Erwartung des Geistes gekennzeichnet ist? Sollte die lange Trinitatiszeit künftig nicht doch zu einer fortlaufenden Lesung auch in den evangelischen Kirchen genutzt werden? Man wird nicht sagen können, daß die sogenannten kleineren Feste wie Johannes der Täufer, Apostel- und Marientage, Michaelis usw. fest im Bewußtsein der Gemeinden verankert seien: Sollen sie am Werktag belassen, mit dem benachbarten Sonntag begangen oder als Relikt vergangener Zeit endgültig abgetan werden? Bemerkenswert fest bleibt der Erntedanktag, aus dem Jahreskreis in Landgemeinden nicht wegzudenken; wie anders steht es um den wohl nur halbherzig bejahten Reformationstag! Durch den Volkstrauertag mit seinen öffentlichen Feiern und durch den Totensonntag beherrscht das Totengedenken den Novembermonat fast vollständig: Der Ruf zur Buße und die eschatologische Verkündigung sind unter diesem ausschließlichen Vorzeichen nicht immer recht auszurichten.

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LeerUnsere Beobachtungen und Anfragen beschränkten sich auf den binnenkirchlichen Bereich, den die christlichen Feste markieren. Doch darf nicht vergessen werden, daß wir in verschiedenen, untereinander konkurrierenden Kalendern leben. Die Arbeitszeiten und die dienstfreien Wochenenden, die Konferenztermine und Urlaubswochen, die Industriedaten, Sportereignisse und Festspiele kämpfen miteinander um den Menschen und die für ihn wirklich erfüllte Zeit. Nur in der erfüllten und für ihn sinnvollen Zeit des „Jetzt” erkennt der feiernde Mensch seine Vergangenheit, erfährt er Gegenwart des Geistes und gewinnt er seine Zukunft. Daß die Zeitgenossen in verschiedenen Kalendern existieren, beweist, daß sie verschiedenen Zeiten zugehörig, also wandelbar sind.

LeerSpätestens seit die Staaten der Neuzeit durch ihre Verfassung die Festordnung der Christenheit garantierten, hat diese Wesentliches an eschatologischer Aussagekraft eingebüßt: Auch die der Kirche und ihrer Gottesdienstfeier entfremdeten Menschen erleben die Feste Jesu Christi, ohne daß es für sie nötig wäre, ihm und seinem kommenden Reich zu glauben. Hinzu kommt, daß die Geschichte der Völker und Staaten der nachchristlichen Moderne scheinbar keine Ereignisse aufweist, die „denkwürdig” und imstande wären, neue Feiertage zu stiften. Der 1. Mai wirkt recht abgelebt und kaum mehr überzeugend; beim 17. Juni, der sich in diesem Jahr zum zwanzigsten Male jährt, ist die allgemeine Verlegenheit offenbar. Die Generationen, die heute leben, haben eine wesentlich negative Feiertagserfahrung: Daß staatlich befohlene Feiertage kein Fest hervorbringen, daß politische Ereignisse und Katastrophen in einer Maßlosigkeit hereinbrechen, daß es einem ganzen Volk die Sprache verschlägt und das Feiern vergeht.

LeerMitten durch die persönlichen Jahresdaten eines Lebens, durch die künstlichen und darum recht blassen Thema-Feiertage (Muttertag zum Beispiel) und die Fülle der gegenwärtigen Ereignisse, die unseren ganzen Glauben auf die Probe stellen, bleibt das durch Christi Opfer gestiftete Jahr der Kirche bestehen. Gewiß ist es in den Kirchen willkürlich entstellt, in gewisser Weise denaturiert und im Jahreslauf der zivilisierten Weltgesellschaft scheinbar stillgelegt. Doch macht es uns in seinem großartigen, logisch nicht auflösbaren Zusammenhang an jedem seiner Tage gleichzeitig mit dem, was unsere Zeit heilt und umwandelt: Mit der Gegenwart dessen, der uns berufen hat, Zeugen seiner Auferstehung zu sein.

Quatember 1973, S. 67-75

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-11
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