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Eucharistische Gastfreundschaft
von Reinhard Mumm

LeerImmer wieder erreichen uns Nachrichten, daß Christen aus verschiedenen Kirchen gemeinsam zum Tisch des Herrn gehen. Ja, einigen scheint das so selbstverständlich zu sein, daß sie sich wundern über Christen, die in solcher Gemeinschaft noch ein Problem sehen. Andere wiederum halten es für bedenklich, eine Abendmahlsgemeinschaft so zu praktizieren, als wären alle Unterschiede zwischen den verschiedenen Kirchen bereits überwunden. Von einer allgemein anerkannten umfassenden Kirchengemeinschaft sind wir ja offensichtlich noch immer beträchtlich entfernt.

LeerGeht dergleichen nur die Theologen an? Sind das Sorgen und Fragen gar nur von Kirchenleitungen? Gewiß geht das die Theologen an. Es stünde nicht gut um sie, wenn sie es nur für selbstverständlich oder nur für bedenklich ansehen, was heute in den Gottesdiensten der verschiedenen Kirchen vor sich geht. Sie wollen und sollen sich in erster Linie informieren, mitdenken und mithandeln, damit wir nicht stehenbleiben, sondern voranschreiten. Aber es geht wahrlich nicht nur die Theologen an, sondern jeden mitdenkenden und mithandelnden Christen, wenn man hier und dort in der Christenheit daran arbeitet, die Türen ein Stück weiter zu öffnen, wie das im vergangenen Jahr in Frankreich geschehen ist. Davon soll jetzt zunächst die Rede sein. Wir wollen uns dann weiter umsehen, wo ähnliches gedacht wird und auch schon geschieht.

LeerSeit Jahrzehnten begehen wir die ökumenische Gebetswoche, teils im Januar, teils um Pfingsten. Sie ist vor Jahrzehnten in Frankreich aus einer Anregung des Abbé Paul Couturier entstanden und hat sich allmählich über Europa und die Weltchristenheit verbreitet. Zu dieser Gebetswoche meinte der berühmte Dominikaner Yves Congar, es gehe bei ihr zu wie zwischen zwei Verlobten, die sich jedes Jahr die Ehe versprechen und einander nie heiraten. Um das Verlöbnis nun doch ein Stück näher an die Heirat heranzubringen, hat eine Gruppe von rund 40 katholischen, reformierten und lutherischen Theologen zwei hervorragende Dokumente erarbeitet, die eine wesentliche Übereinstimmung im Verständnis der Eucharistie und des geistlichen Amtes anbahnen.

LeerDiese „Gruppe von Dombes”, wie sie genannt wird, ist schon lange im Stillen an der Arbeit - bereits seit 1937. Auch sie geht auf Abbé Couturier zurück. Man trifft sich abwechselnd in Taizé und in der Trappisten-Abtei von Dombes. Die beiden Dokumente, die aus einer gründlichen Beschäftigung mit dem Wesen der Eucharistie und des kirchlichen Amtes hervorgegangen sind, lenken unsere Aufmerksamkeit auf diesen freien Kreis. Keine offizielle Instanz hat jene Männer beauftragt. Sie sind aus freien Stücken zusammengekommen, neutestamentlich gesprochen „getrieben vom heiligen Geist”. Und dieser Antrieb hat Verheißung. Das hat die Geschichte der Kirche oft bewiesen.

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LeerDas erste Dokument von Dombes legt die Grundlage für eine übereinstimmende Auffassung von der Eucharistie dar. Man stützt sich dabei auf Vorarbeiten im ökumenischen Raum. Katholiken, Reformierte und Lutheraner bezeugen gemeinsam: „Die Eucharistie ist das sakramentale Mahl, das neue Passahmahl des Gottesvolkes, das Christus seinen Jüngern, die er bis ans Ende liebte, vor seinem Tode gegeben hat, damit sie es im Licht der Auferstehung feiern, bis er kommt.” Hinzugefügt wird der wichtige Gedanke: „Die Welt, die Gott in Christus mit sich selbst versöhnt hat, ist bei jeder Eucharistie anwesend: im Brot und im Wein, in den Gläubigen und in den Gebeten, die diese für alle Menschen darbringen. So eröffnet die Eucharistie der Welt den Weg zu ihrer Verwandlung.” Die weiteren, wohldurchdachten Ausführungen befassen sich mit dem Sinn der Anamnese und Epiklese. Um die sakramentale Gegenwart Christi zu bezeugen, ist es nötig, daß man seitens der Protestanten die gesegneten Elemente mit mehr Respekt behandelt, als das leider oft geschieht. Man sollte sie für den späteren Empfang eigens aufbewahren; das war auch Luthers Meinung, die er gelegentlich sehr nachdrücklich vertreten hat.

LeerWer an der Eucharistie teilnimmt, bekennt sich zur Gemeinschaft der Liebe und ist bereit, auch diejenigen Mitchristen anzunehmen, die politisch, sozial oder kulturell anders stehen als er selbst. Das kommt zum Ausdruck in der Bereitschaft zur Vergebung, im Friedenkuß und in der Sammlung der Gaben für Notleidende.

LeerChristus selber lädt zu seinem Mahl ein. Zeichenhaft wird das dargestellt im Vorsitz eines Amtsträgers, den er beruft und sendet. Christus bleibt der Herr der Amtsträger und der Gemeinde; die Herausnahme eines Gesandten macht deutlich, daß er der Herr seines Mahles bleibt. Hier stellen sich noch Fragen. Aber da in den verschiedenen Konfessionen so wesentliche Einsichten übereinstimmen, „sind wir der Auffassung, daß Christen einer anderen Konfession, die sich den hier bekannten Glauben zu eigen gemacht haben, die Zulassung zur Kommunion aus Gründen des eucharistischen Glaubens nicht verweigert werden dürfte”. Das ist die „eucharistische Gastfreundschaft”, zu der die Gruppe von Dombes die Kirchen aufruft.

LeerWer die römisch-katholische Kirche kennt, weiß, daß sie und ebenso die orthodoxen, anglikanischen und altkatholischen Kirchen großen Wert auf eine rechte Begründung und Weitergabe des kirchlichen Amtes legen. Leider wird dieser Gesichtspunkt im Protestantismus immer wieder beharrlich übersehen oder aber nur polemisch darum gestritten, ohne daß man sich in ausreichender Weise der Mühe unterzieht, den Unklarheiten und Verwirrungen im eigenen Lager gründlich nachzugehen. An diesem Punkt setzt das zweite Dokument der Gruppe von Dombes mit einem „Teilkonsens über das kirchliche Amt” ein. Die katholischen und reformatorischen Theologen sind sich einig über die Sendung Christi und seiner Apostel. Sie bezeugen gemeinsam das „pastorale Amt” zur Verkündigung des Wortes, zur Feier der Sakramente und zur Versammlung der Gemeinde. Um der Zersplitterung der Kirche entgegenzuwirken, sollte man auf protestantischer Seite dem bischöflichen Amt eine höhere Bedeutung zumessen. Eine wechselseitige Annahme der Ämter wäre durch eine gegenseitige Handauflegung möglich.

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LeerWir wissen, daß auch hier wesentliche Unterschiede in der Lehre und Tradition noch bestehen bleiben. Das wird offen ausgesprochen. Das Wesen des päpstlichen Amtes und die Bedingungen der apostolischen Ämterfolge bleiben vorerst kontrovers. Trotzdem erlaubt der erreichte Teilkonsens die Frage, ob es nicht in dem einen oder anderen Bereich zu einer gegenseitigen Annahme der Ämter kommen kann. In der Praxis werden die Ämter ja beiderseits längst anerkannt. Das beweisen die ökumenischen Gottesdienste, die gemeinsamen Handlungen bei Trauungen, die mannigfachen Beratungen zwischen Bischöfen und anderen Amtsträgern der Kirchen, kurz die ganze Art, in der wir miteinander umgehen.

LeerWas ist neu an den beiden Dokumenten aus Frankreich? Das hat Bischof Elchinger von Straßburg gezeigt. Er hat die Pfarrer seiner Diözese ermächtigt, Christen anderer Bekenntnisse, die den Glauben an den im heiligen Mahl gegenwärtigen Herrn teilen, zur Kommunion zuzulassen. Dabei denkt er besonders an konfessionsverschiedene Ehepaare. Ja, er ist noch einen sehr bedeutsamen Schritt weitergegangen. Katholische Christen dürfen auch an einer evangelischen Abendmahlsfeier teilnehmen, da diese viele Merkmale des in ihr gegenwärtigen Herrn trägt. Er fügt freilich hinzu, daß die ganze Fülle der Eucharistie nur in der römisch-katholischen Kirche gegeben sei; dieser Zusatz ist vom Standpunkt eines Bischofs dieser Kirche verständlich. Vom evangelischen Bekenntnis her hätten wir Anlaß, auch unsererseits einen Vorbehalt auszusprechen. Gleichwohl hat Bischof Elchinger einen Schritt getan, der in der Konsequenz der Vorschläge von Dombes liegt und die Hoffnung auf weitere Schritte dieser Art stärkt.

LeerEucharistische Gastfreundschaft - das heißt noch nicht, alle Probleme seien gelöst. In der theologischen Begründung bleibt manches offen. Wir leben weiterhin in verschiedenen und vorläufig getrennten Kirchen. Aber die aufgetürmten Mauern haben neue Tore bekommen, durch die wir zueinander finden können. Die bestehenden Unterschiede werden nicht verwischt. Wir können noch nicht allerwärts gemeinsame Feiern des Herrenmahles halten. Aber wir dürfen uns unter bestimmten Voraussetzungen gegenseitig einladen und den Zugang zum Tisch des Herrn eröffnen.

LeerIn diese Richtung zielen vielfältige Bemühungen, über die im „Quatember” schon früher berichtet worden ist. Gespräche zwischen katholischen und lutherischen Theologen in den USA haben dieses Ziel, ebenso die Erklärungen des Rates der Evangelischen Michaelsbruderschaft zu Amt und Ordination und zur Gemeinschaft im heiligen Mahl. Weitere Zeichen der von uns erhofften Gemeinsamkeit finden sich in den Arbeitsergebnissen zwischen Beauftragten des Lutherischen Weltbundes und des vatikanischen Einheitssekretariates, die unter der Überschrift „Das Evangelium und die Kirche” 1971 auf der Insel Malta verabschiedet wurden. Der ökumenische Arbeitskreis katholischer und evangelischer Theologen, der seit 1946 unter der Leitung von Kardinal Jaeger und Bischof Stählin gearbeitet hat, legte 1971 einen Band „Evangelisch-katholische Abendmahlsgemeinschaft?” vor mit Beiträgen von Josef Höfer, Karl Lehmann, Wolfhart Pannenberg und Edmund Schlink, der ein eigenes Studium verdient.

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LeerAuch nach einer anderen Seite hin, im anglikanisch-lutherischen Gespräch, sind beachtliche Ergebnisse erreicht worden. In Pullach bei München hat eine gemeinsame Studienkommission unter dem Vorsitz des früheren Erzbischofs von Uppsala Hultgren und des Bischofs Williams von Leicester 1972 einen Bericht abgeschlossen, der ein verstärktes Maß an Interkommunion zwischen beiden Seiten rechtfertigt. Ausgehend von der Heiligen Schrift, den Bekenntnissen und der Tradition kommen diese Theologen zu gemeinsamen Aussagen über die Kirche, die Taufe und das Abendmahl. In der Lehre und Praxis des Amtes hat man so viele Gemeinsamkeiten herausgefunden, daß empfohlen wird, die Anteilhabe am Abendmahl sich künftig gegenseitig zu gewähren. Auch in anderer Weise möchten die hier beteiligten Kirchen zusammenarbeiten.

LeerDiese erfreulichen Fortschritte, die noch durch weitere Berichte zu ergänzen wären, wollen nicht darüber hinwegtäuschen, daß große Schwierigkeiten und Verwirrungen im Wege stehen. Diese Hemmungen zeigen sich nicht nur zwischen den Kirchen, sondern mehr noch in ihnen selbst. Zweifel und Unklarheiten, dazu Richtungskämpfe verschiedener Art vernebeln die Gesamtlage der Christenheit. Wer aber Einblick hat in größere Zusammenhänge und über die Streitigkeiten des Alltags hinaussieht, erkennt, daß mitten in der uns oft bedrängenden Wirrnis eine Bewegung im Gang ist, die vorwärts weist. Ein Zeichen dieser Bewegung ist die sich öffnende Tür zur eucharistischen Gastfreundschaft in Frankreich und in anderen Teilen der Welt.

LeerGilt das auch für die evangelischen Kirchen in Deutschland? Dafür hat der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche, D. Wölber, 1972 ein Signal vor der Generalsynode gegeben: „Wir müssen uns selbst fragen, ob wir zu eng sind. Unsere Kirchenleitung hat sich in ihrer Septembersitzung mit diesem Problem befaßt und laut Kommuniqué den Gliedkirchen empfohlen, die einseitige begrenzte offene Kommunion zu prüfen und in Aussicht zu stellen. Unsere Synode sollte das aufnehmen.” Bischof Wölber hat damit die Tür zur eucharistischen Gastfreundschaft behutsam und zugleich entschlossen geöffnet. Man wird freilich hinzufügen müssen, was Landesbischof Dietzfelbinger wiederholt ausgesprochen hat, daß wir nur dann glaubhaft zur Abendmahlsgemeinschaft einladen können, wenn wir selber tiefer und kräftiger am Mahl des Herrn teilnehmen und dadurch eine einladende Gemeinde bilden. Solange aber bei uns immer noch das Abendmahl „nach dem Gottesdienst” stattfindet, empfindlich verkürzt wird oder sonst in den Winkel gerät, können wir nicht erwarten, daß eine Einladung in ökumenischer Weite überzeugend wirkt.

LeerBischof Wölbers Anregung ist auf kritische Gegenäußerungen gestoßen und hat zu vereinfachenden Behauptungen geführt. Auch das muß man zur Kenntnis nehmen. Immerhin ist es fortan nicht mehr nur die Sache einzelner Pfarrer und Gemeindeglieder, an verschlossene Türen zu pochen, sondern auch einige, denen die Leitung der Kirche anvertraut ist, weisen darauf hin, daß wir die Offenheit brauchen. Ein tiefes und weites Verständnis dessen, was der Herr seiner Kirche im eucharistischen Mahl gibt, und der Vollzug der Feier in diesem Sinn stimmen zusammen.

LeerZur „Reform und Anerkennung kirchlicher Ämter” hat die Arbeitsgemeinschaft ökumenischer Universitätsinstitute in Deutschland jüngst ein Memorandum mit 23 Thesen herausgebracht, dem zufolge einer gegenseitigen Anerkennung der Ämter in der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche nichts Entscheidendes mehr im Wege steht. Bekannte Theologen wie H. Fries, H. Küng und P. Lengsfeld auf katholischer Seite, W. Pannenberg, E. Schlink und H. H. Wolf auf der evangelischen stellen fest, daß damit ein hauptsächliches Hindernis für die Abendmahlsgemeinschaft überwunden ist. Zu der alten Streitfrage, ob man die Priesterweihe oder die Ordination als ein Sakrament bezeichnen könne, meinen sie - übereinstimmend mit der Apologie der Augsburgischen Konfession -, dies sei eine Frage der Sprachregelung; es kommt eben darauf an, was unter dem Begriff „Sakrament” verstanden wird. Jedenfalls bildet auch dieser Punkt kein unüberwindliches Hindernis. Nimmt man dies alles zusammen, so sind trotz den Einreden, die uns weiter begleiten werden, Zeichen der Hoffnung gegeben, die vorwärts weisen.

Quatember 1973, S. 86-91

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-11
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