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Ökumenischer Aufbruch in Spanien
von Johannes Krinke

LeerUnter den europäischen Staaten ist Spanien derjenige, der am längsten und beharrlichsten an der Einheit im römisch-katholischen Glauben festgehalten hat. Der 800jährige Kampf gegen die islamische Fremdherrschaft hat tiefe Spuren im Wesen des spanischen Volkes hinterlassen. Nachdem er erfolgreich 1492 beendet war, stellte sich die eben erst national und religiös geeinte Nation entschlossen gegen jeden Versuch, die so hart errungene Einheit erneut in Frage zu stellen. Die spärlichen Ansätze einer Öffnung für Ideen der lutherischen und calvinischen Reformation wurden schnell und wirksam beseitigt. Die berüchtigte Inquisition tat ganze Arbeit. Sie verhinderte für mehr als 300 Jahre die Entstehung nicht-katholischer Glaubensgemeinschaften. Noch 1826 verurteilte sie einen Häretiker in Valencia zum Tode. Er war der letzte, der aus Glaubensgründen sterben mußte.

LeerUnter den europäischen Staaten ist Spanien derjenige, der am längsten und beharrlichsten an der Einheit im römisch-katholischen Glauben festgehalten hat. Der 800jährige Kampf gegen die islamische Fremdherrschaft hat tiefe Spuren im Wesen des spanischen Volkes hinterlassen. Nachdem er erfolgreich 1492 beendet war, stellte sich die eben erst national und religiös geeinte Nation entschlossen gegen jeden Versuch, die so hart errungene Einheit erneut in Frage zu stellen. Die spärlichen Ansätze einer Öffnung für Ideen der lutherischen und calvinischen Reformation wurden schnell und wirksam beseitigt. Die berüchtigte Inquisition tat ganze Arbeit. Sie verhinderte für mehr als 300 Jahre die Entstehung nicht-katholischer Glaubensgemeinschaften. Noch 1826 verurteilte sie einen Häretiker in Valencia zum Tode. Er war der letzte, der aus Glaubensgründen sterben mußte.

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LeerIn den folgenden Jahrzehnten kommt es zu verschiedenen protestantischen Missionsversuchen, vor allem durch die Briten. Ermutigt durch revolutionär veränderte politische Verhältnisse, erfolgten an einigen wenigen Orten Konversionen von Spaniern. Noch einmal - im Falle des Katalanen Ruet - wurde eine Verurteilung zum Scheiterhaufen ausgesprochen. Aber das Urteil wurde umgewandelt in eine Ausweisung aus dem Lande. Trotz zeitweiser Lockerung der Gesetzgebung blieb das Klima für Nicht-Katholiken ungünstig. Der spanische Historiker Soldevila stellt fest: „Der Abweichende ist der Feind, der Ketzer, der vernichtet werden muß. Der Respekt vor fremden Meinungen, das Bewußtsein, daß normalerweise das Menschsein eine Verschiedenheit des Denkens und Fühlens voraussetzt, das Vergnügen an der friedlichen Kontroverse haben im Erbgut der Spanier keinen großen Anteil.” Dementsprechend wurde auch nach dem grauenhaften Bürgerkrieg (1936 bis 1939) im Konkordat von 1953 der Katholizismus wieder Staatsreligion und der Katholik der einzige Vollbürger - wie unter den Westgoten seit Reckared, wie unter Alfons dem Weisen, wie unter Philipp II., wie unter den Bourbonen. Die Wiederherstellung einer solchen Kontinuität ist in Europa ein einzigartiges Phänomen.

LeerUnter den geschilderten Bedingungen ist es nicht verwunderlich, daß die Mitgliederzahl der nichtkatholischen Gruppen nie über 32 000 hinausgekommen ist. Das sind 1 auf 1000! Ohne tatkräftige Hilfe aus dem Ausland wären es noch weniger. Ihre Existenz ist kaum wahrnehmbar. Frühere administrative Maßnahmen haben für die Nicht-Wahrnehmbarkeit durch einengende und diskriminierende Bestimmungen Sorge getragen. Es gibt ganze Provinzen, in denen die Bevölkerung noch nie einen „Protestanten” zu Gesicht bekommen hat. Zum Schicksal des spanischen Protestantismus gehört auch das Schicksal des Welt-Protestantismus: die Aufspaltung in die verschiedensten Richtungen, bis hin zu den Adventisten, Pfingstlern und Zeugen Jehovas. Was bedeutet dies im Blick auf die ohnehin verschwindend kleine Gesamtzahl! Wie kann da überhaupt von einer „ökumenischen Lage” gesprochen werden? Die konfessionellen Proportionen bieten - anders als in Deutschland und anderswo - für inner-spanische Verhältnisse kein sich aufdrängendes Problem. So stellen zum Beispiel die „Mischehen”, die lawinenartig über uns gekommen sind, in Spanien nur eine seltene Ausnahme dar.

LeerDennoch gibt es seit zehn Jahren auch jenseits der Pyrenäen eine ökumenische Situation von Ausmaßen, die man auf dem gezeichneten Hintergrund als erstaunlich bezeichnen muß. Der Anstoß kam von außen. Erstens brachte der Tourismus Begegnungen, die unvermeidbar waren. Die unter der Zensur des Erzbischofs von Toledo erscheinende Wochenschrift der katholischen Aktion „Ecclesia” verweist 1962 auf den großen Zustrom protestantischer Touristen und empfiehlt den Katholiken, sich mit der Idee und Praxis der Duldung religiöser Minderheiten zu befreunden. „Duldung” - der erste Schritt auf einen neuen Weg! Sie kann Menschen kaum verweigert werden, die das so bitter nötige Geld ins Land bringen. Die positiven wirtschaftlichen Folgen der alljährlichen Urlauber-Invasion können in einer so armen Nation nicht ohne Wirkung auf ihre Mentalität bleiben. Der zweite Anstoß zu einer Öffnung ging aus vom II. Vatikanischen Konzil. Seine Konstitution über die Religionsfreiheit führte zu einer Neuordnung der Rechtsstellung nichtkatholischer Spanier. Hatten diese vorher nur das Recht, in ihrem religiösen Glauben nicht belästigt zu werden, während nur katholische Kulthandlungen öffentlich vorgenommen werden durften, garantiert jetzt der Staat Verteidigung und Schutz der religiösen Freiheit (Art. 6 der spanischen Verfassung).

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LeerTatsächlich hat sich in den letzten Jahren ein ungewöhnlich rascher Klimawechsel vollzogen, der sich in einer Fülle von ökumenischen Aktivitäten ausdrückt. Schon 1963 fand in Zaragoza der erste Weltkongreß der Organisten aller Konfessionen statt. Ein Jahr später begegneten sich in Madrid zu einer Gebetswoche für die christliche Einheit Katholiken, Orthodoxe und Protestanten. Die Leitung hatte abwechselnd ein katholischer Priester und ein evangelischer Pastor. Bei der Wiederholung dieser Gebetswoche im Jahre 1965 nahm der Erzbischof von Madrid persönlich teil. Der Bischof von Gerona, zu dessen Diözese die von Touristen überschwemmte Costa Brava gehört, genehmigte sogar die Abhaltung evangelischer Gottesdienste in katholischen Kirchen. Zur Propagierung des ökumenischen Gedankens wurden an verschiedenen Orten „ökumenische Zentren” geschaffen, die dem Studium und der Begegnung aller christlichen Kirchen und Gemeinschaften dienen.

LeerUnter diesen nimmt Salamanca eine führende Stellung ein. Das Zentrum ist der Päpstlichen Universität angegliedert und wurde vor einem halben Jahr zu einem „Instituto Ecumenico Juan XXIII” angehoben. Es umfaßt zwei Sektionen: eine seccion universitaria, die der Erforschung der ökumenischen Disziplinen und der ökumenischen Aspekte der kirchlichen Wissenschaften dient und durch Vorlesungen, Seminare, Vorträge, Publikationen und andre Mittel den ganzen Fragenkomplex akademisch behandelt, und eine seccion de pastoral ecumenica, die ökumenische Gesinnung und Bildung in den Gemeinden fördert. Während der Semesterferien werden in die leerstehenden Studentenheime Christen aller Konfessionen zu verbilligten Preisen eingeladen, ihren Urlaub mit ökumenischen Begegnungen zu verbinden.

LeerDie vom Zentrum herausgegebene Monatszeitschrift „Renovacion Ecumenica”, in deren Redaktion auch der anglikanische Ortspfarrer sitzt, bringt nicht nur wertvolle Informationen über das ökumenische Geschehen in Spanien und in der christlichen Welt, sondern auch konfessionskundliche Aufsätze über die getrennten Brüder - „Wer sind die Methodisten? Wer sind die Baptisten?” Die Zeitschrift brachte jüngst eine Darstellung des spanischen Protestantismus in Geschichte und Gegenwart aus protestantischer Feder (Jose Grau), eine ausführliche Statistik über die protestantischen Gruppen Spaniens, ihre Einrichtungen und Druckerzeugnisse, und sogar das Tagungsprogramm der Zeugen Jehovas, die im August vergangenen Jahres in Salamanca mit 4000, in Barcelona mit 8000 Teilnehmern öffentliche Kongresse abhalten und in den Häusern um Freiquartiere bitten durften.

LeerZwei Ereignisse verdienen besondere Beachtung: der 3. Kongreß der „Internationalen ökumenischen Gesellschaft” (I.E.F.) im August 1970, und der 1. Kongreß lutherischer und katholischer Theologen im April 1971, beide in Salamanca. Der erste Kongreß hatte seine eigne Note durch die Anwesenheit einer sehr starken Gruppe amerikanischer Pfingstler. Für die täglichen Gottesdienste stand eine große katholische Kirche zur Verfügung. Jede Konfession feierte in ihrer eignen Liturgie in Anwesenheit des ganzen Kongresses. Die Eröffnungsmesse zelebrierte der katholische Bischof von Astorga. An der lutherischen Abschlußmesse waren vor allem Vertreter der Evangelischen Michaelsbruderschaft beteiligt. Erregend war die Abendmahlsfeier der französischen Reformierten an diesem Platz und genau an jenem Bartholomäustag (24. 8.), der für die Hugenotten Frankreichs die Erinnerung an blutige Unterdrückung einschließt. Daß dies hier und so geschehen konnte, markiert das Ende einer leidvollen Vergangenheit. Die spanische Presse berichtete laufend an bevorzugter Stelle über die Ereignisse der Kongreßwoche.

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LeerAuf der Ebene gelehrter Diskussion vollzog sich - zum ersten Mal auf spanischem Boden - das Treffen von 70 Vertretern der lutherischen und katholischen Theologie. Unter dem Bild des Konzils von Trient, das die Aula der Päpstlichen Universität ziert, wurden die beiderseitigen Vorträge über das Gesamtthema „Die lutherische Reformation und der spanische Katholizismus” gehalten und diskutiert. Den deutschen Beitrag brachte Prof. Martin Schmidt-Heidelberg, der den wenig bekannten Beziehungen zwischen lutherischem Pietismus und spanischer Mystik nachging und damit ein weites Feld von Berührungen und Übereinstimmungen aufdeckte. Der begonnene Dialog wird fortgesetzt werden.

LeerAuf das Beispiel von Salamanca ist die ökumenische Landschaft keineswegs beschränkt. Der spanische Episkopat hat eine Comision Episcopal de Ecumenismo en España gebildet und damit diese Aktivitäten in seine hirtenamtliche Verantwortung einbezogen.

LeerEs gibt ein nationales Sekretariat für Ökumene und in jeder Diözese Beauftragte für dieses Arbeitsgebiet. Die Gebetswoche für die Einheit wird überall mit einem großen missionarischen Aufwand unter Beteiligung von Nicht-Katholiken betrieben. Die Diözese Sevilla hat erstmals sogar Protestanten zu einer Synode als Beobachter eingeladen. In Vivero (Galizien) forderte der Diözesanbeauftragte die Ordensschwestern auf, die Ausschmückung einer evangelischen Kirche in El Ferrol wirtschaftlich zu unterstützen. An freundlichen Gesten fehlt es also nicht. Die Nicht-Katholiken werden nicht mehr bekämpft, sie werden umworben. Dabei ist man keineswegs auf den protestantischen Sektor fixiert. Die Beziehungen zu den Orthodoxen werden ebenso fleißig gepflegt. Auch das Judentum erlebt eine ganz neue Beachtung. Die Haltung der Versöhnlichkeit hat Juden und Moslems ermutigt, in Toledo ihre alten Kultstätten wieder zu eröffnen. Sie können mit katholischer Unterstützung rechnen. In dieser Stadt, die im Mittelalter als das zweite Jerusalem angesehen wurde, feierte die „Jüdisch-christliche Freundschaft” Ende 1971 ihren 10. Jahrestag, und im ökumenischen Zentrum von Salamanca hielt der Rabbiner von Madrid über das Verhältnis von Judentum und Christentum einen Vortrag, der zum gemeinsamen Gebet führte.

LeerMan spricht bei uns davon, daß der ökumenische Gedanke hierzulande bereits an vorwärtsdrängender Kraft verloren habe. In Spanien ist die ökumenische Bewegung im Aufbruch. Sie ist hier keine Sache von wenigen Spezialisten und Liebhabern. Sie stellt sich vielmehr dar als die Form einer geistlichen Erneuerung des Katholizismus. Sie korrigiert das zitierte Urteil Soldevilas über den spanischen Nationalcharakter und vollzieht in ihrer Weise jene Europäisierung, um die sich auch der spanische Staat bemüht. Sie ist überzeugt, eine große Aufgabe auf nationaler Ebene erfüllen zu müssen, um auf internationaler Ebene „hoffähig” und gesprächswürdig zu sein. Der um sich greifende Atheismus und die beklemmende Entkirchlichung im eigenen Lande macht den spanischen Katholizismus aufgeschlossen für die religiösen Kräfte außerhalb seiner Traditionen. Es bleibt abzuwarten, in welchem Maße sich die nicht-katholischen Gemeinschaften für die katholischen Werte öffnen werden.

Quatember 1973, S. 101-105

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-11
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