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Station Exaudi
von Helmut Kühne

LeerDas Kirchenjahr steht wie andere geschichtliche Gebilde augenblicklich nicht hoch im Kurs gegenüber dem Aktuellen. Aber es repräsentiert das göttliche Eingreifen in unsere Zeit und bringt darum eine heilsame Spannung in den gleichmäßigen Kalenderablauf. Sein Rhythmus will uns in jedem Jahr neu helfen, die Nachfolge Jesu als einen Weg mit vielen Stationen zu erfahren, die auf einen inneren Weg des Glaubenden und der Kirche hinweisen. Wieder und wieder gehen wir inmitten des Zeitlaufes diesen „Weg” zusammen mit anderen Gliedern des ökumenischen Gottesvolkes und dringen immer tiefer in das Verständnis des Ganzen ein.

LeerAuf jeder Station will der gesamte Weg im Blick bleiben, von der Selbstentäußerung Christi bis zur Sammlung und Sendung der Kirche und der Aufrichtung des Reiches Gottes. Aber jede hat auch ihren eigenen Wert und darf nicht übersprungen werden. Jede will durchgangen, durchwacht, durchbetet sein. Da wir in unserer Begrenztheit die Fülle nie mit einem Blick erfassen können, gewährt uns Gott, daß wir je und dann den Wert einer Station erfahren und dort dem Herrn begegnen, der ja auch sie durchschreitet.

LeerIn den letzten Jahren bricht eine jahrhundertelang unterdrückte Tradition pfingstlicher Erfahrung auf. Ihre Vertreter weisen darauf hin, daß schon Papst Johannes XXIII. „eine Erneuerung des wunderbaren Pfingstgeschehens in unserer Zeit” erwartet habe. Diese Erneuerung sei nun da. Was von allen wahren Christen ersehnt werde, eine Erweckung der müde gewordenen Kirche, die Zeit des Geistes, - sie sei nun greifbar. Es gelte nur, Anschluß zu gewinnen, so würden die urchristlich bezeugten Charismen, etwa Sprachenreden und Krankenheilung, Prophetie und vollmächtige Predigt, uns beglücken.

LeerDiesen Stimmen folgend wäre heute „Pfingsten” die entscheidende Station, von der aus allein der Zugang zum Leben gefunden werde. Ihnen zu entgegnen ist, daß der Tag der Pfingsten nur „erfüllt” wird nach dem Durchgang aller anderen Stationen. Da behalten nicht nur die 40 Tage der österlichen Freudenzeit ihre Bedeutung, sondern auch die meist übersehenen 10 Tage nach der Himmelfahrt Christi. Diese nenne ich „Station Exaudi” nach dem Sonntag, der in ihrer Mitte liegt. Hier werden wir der kleinen Gruppe der Elf ansichtig, die auf dem Ölberg ratlos zurückgeblieben sind, nur mit der Anweisung in den Ohren, in Jerusalem zu bleiben und auf die Verheißung des Vaters zu warten: „ .. und nachdem Er sie versammelt hatte, befahl Er ihnen, daß sie nicht von Jerusalem wichen, sondern warteten auf die Verheißung des Vaters ...” (Apg. 1, 4)

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LeerDie Station Exaudi enthält eine harte Zumutung: Nicht den Geist herbeizwingen, in die Welt hinausstürmen oder auf andere schielen, die schon am Ziel zu sein scheinen! Jetzt gilt es, in der Stadt des Tempels und der Feinde, der Wunder und des Widerspruchs zu bleiben, einander auszuhalten in der Zusammensetzung, die so gar nicht aufeinander abgestimmt zu sein scheint. Diese Elf waren ja auseinandergelaufen, hatten sich auch nicht mehr sehen wollen. Doch der Herr hatte sie wieder aneinander gekettet. Und als die Engel, einer Legende zufolge, Jesus bei seiner Ankunft im Himmel fragten, wer denn seine Aufgabe da unten übernehmen solle, hatte Er auf dies Häuflein gedeutet. „Hast Du keine anderen?”, hatten sie fassungslos gerufen. „Nein, nur diese!”

LeerDiese erwarten nun, was sie nicht begreifen können, was über sie kommen wird in einer Weise, die man vorher nie, hinterher nur in Andeutungen beschreiben kann. Aber sie warten auf die Verheißung. Es ist ein gezieltes, gespanntes, vom Vertrauen durchglühtes Erwarten. Die kleine Schar darf nicht auf sich schauen; denn da ist nicht viel Ermutigendes zu sehen. Sie darf aber über die Grenzen schauen, dorthin, wo Christus den Posten des Erlösers besetzt hält und auf keinen Fall aufgeben wird. Sie darf darauf warten, daß Er Seinen machtvollen, leben-gebenden Geist zu ihr senden wird, jenen Geist, der den gesamten Kosmos verändern, Menschen friedlich und gerecht machen, das Gottesreich bringen wird.

LeerGewiß ist es für einige von uns tröstlich, daß uns diese oft übersehene Station geschenkt wird. Sie bedeutet, daß wir dort aushalten dürfen, wo Gott uns hingestellt hat, mitten unter den Menschen, deren Wohlstandsoptimismus angeknackt ist, in der oft winzigen Gemeinde, wo die „Basis-Ökumene auf Kriechspur” fährt, und mit denen Bruderschaft zu üben, die nicht wir selbst, sondern Gott ausgesucht hat. „Der Tag wird kommen, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, daß die Welt darunter verändert und erneuert wird ... Bis dahin wird die Sache der Christen eine stille und verborgene sein, aber es wird Menschen geben, die beten und das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten.” (Bonhoeffer).

LeerDiese Menschen warten in einer Haltung, die zugleich nüchtern und brennend, verhalten und vorwärts drängend ist. Sie warten ja nicht auf „Godot”, der niemals kommt, sondern auf den Geist, den Gott senden wird, wie und wann Er will, ja der schon jetzt mächtig in der Welt wirkt, auch unter uns.

Quatember 1974, S. 65-66

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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