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Verantwortung
von Gunther Haupt

LeerIm 24. Kapitel der „Nachfolge Christi” des Thomas von Kempen stieß in der Übersetzung des Bischof Sailer auf den erstaunlichen Satz: „Für andere brauchst du nicht Verantwortung zu tragen.” Und einige Zeilen später heißt es in Fortführung des Gedankens: „Laß den Geschäftigen geschäftig sein, soviel er Lust hat.” Sollte hier tatsächlich einer der liebsten Begriffe unseres allgemeinen Wertsystems mit ironischer Deutlichkeit abgewertet und in die Nähe bloßer Geschäftigkeit gerückt werden? Zweifellos muß es schon bedenklich stimmen, wie inflationistisch etwa auch in den jüngsten politischen Auseinandersetzungen die Wörter „verantwortlich” und „unverantwortlich” gebraucht wurden, - auch in der Auseinandersetzung um die Frage, wie weit ein kirchlicher Würdenträger öffentlich mit bestimmter Meinungsäußerung zu einer politischen Streitfrage Stellung nehmen darf. Gerade auch derjenige, der sich auf seine Verantwortung berief, mußte sich unverantwortliches Handeln vorwerfen lassen, - ebenso derjenige, der etwa im Bundestag seine Fraktion wechselte. Es ist schon zum Klischee von scharfen Auseinandersetzungen geworden, wo immer und worüber sie auch stattfinden, daß jemand unter selbstverständlicher Berufung auf eigene, hohe Verantwortung dem Gegner den Mangel an Verantwortungsbewußtsein zum Vorwurf macht, - wie denn auch bei einer Laudatio oder bei einem Nachruf die lobende Hervorhebung eines solchen, stets wachen Bewußtseins zweifellos zum Klischee gehört.

LeerWas ist das eigentlich: Verantwortung? Spürt man dem Sinn nach, den das Wort im derzeitigen Sprachgebrauch bekommen hat, so wäre er vielleicht zunächst nur mit „Überlegtes Denken und Handeln” zu umschreiben, weiterführend mit einer „Gewissenhaftigkeit”, die einem sittlichen Anspruch Genüge zu tun sucht, - das Gegenteil von einer Entscheidung oder auch einer Handlungsweise, die von anderen als lauteren, selbstlosen, moralisch vertretbaren Interessen bestimmt wurde. Selbstverständlich wird auch erwartet oder unterstellt, daß man für das, für das man Verantwortung trägt, mit seiner ganzen Person eintritt und sich dafür haftbar machen zu lassen bereit ist, - um das Modewort „Engagement” zu vermeiden. Es könnte durch das Wort „Verbindlichkeit” ersetzt werden, wenn nicht auch das schon bis zur Unkenntlichkeit seines eigentlichen Sinnes abgeschliffen worden wäre. Befragt man die etymologische Wissenschaft, so rückt dort die Herkunft des Wortes Verantwortung in die Nähe einer altgermanischen Wurzel mit dem Begriffskern: „Vor einem Gericht Rede und Antwort stehen”, dann aber auch direkt: „auf seinen Eid nehmen”, „Schwören”. Geht man also dem ursprünglichen Sinn von Verantwortung nach, so stellt sich heraus, daß entgegen dem modernen Sprachgebrauch keine besondere Tugend damit gemeint ist, kein positiver Besitz, sondern etwas, was jemand erst dann zu leisten hat, wenn er vor einem faktischen Richter steht. Verantwortungsbewußtsein ist also das Wissen um diese mögliche Situation, - nicht mehr und nicht weniger, - aber auch das Wissen, daß man dann nicht selbst der Richter über sein Handeln ist, sondern ein Anderer. Für den gläubigen Menschen ist der Andere „der” Andere, - der ganz Andere!

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LeerIn der Lutherbibel ist bezeichnenderweise besonders im Buch Hiob von „Verantwortung” und „sich verantworten” die Rede, etwa 13, 15: „Siehe, er (Gott) wird mich doch umbringen, und ich habe nichts zu hoffen; doch will ich meine Wege vor ihm verantworten”; oder 40, 2: „Wer Gott tadelt, soll's der nicht verantworten”, im revidierten Text etwas abgeschwächt: „Wer Gott zurechtweist, der antworte.” Ebenso abgeschwächt, wenngleich hilfreich für unsere Bemühung um den rechten Wortsinn/erscheint auch die revidierte Übersetzung von 23, 3-4, wo es ursprünglich hieß: „Ach, daß ich wußte, wie ich ihn finden und zu seinem (Richt-)Stuhl kommen möchte und das Recht von ihm sollte verlangen und den Mund voll Verantwortung fassen.” Jetzt heißt es dort: „Ach, daß ich wüßte, wie ich ihn finden und zu seinem Thron kommen könnte! So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen.” Auch in der Apostelgeschichte und in den Briefen des Neuen Testaments ist deutlich eine Verantwortung eines Angeklagten vor seinem Richter gemeint, also das tatsächliche Geschehen des Sich-Verantwortens und nicht nur, wie es heute so erscheint, eine allgemeine, im Grunde unverbindliche Bereitschaft zu einer Rechenschaftsablegung vor etwaigen Kritikern.

LeerDenn das scheint mir das Kennzeichen des heutigen inflationistischen Gebraucht des Wortes „Verantwortung” zu sein, daß man keineswegs geneigt ist, den Maßstab für verantwortliches oder unverantwortliches Handeln einem tatsächlichen Gericht, geschweige dem „Höchsten Richter” zu überlassen. Man nimmt die Urteilsfähigkeit aufgrund eigener Anschauung, Meinung, Parteinahme mit Selbstverständlichkeit in Anspruch. Die Verteilung des Lobes „verantwortlich” oder des Tadels „unverantwortlich” bedeutet im Grunde nur noch eine besonders betonte Zustimmung oder Ablehnung eines politischen oder gesetzgeberischen Vorhabens. Für dieses Urteilen nach den Maßstäben der eigenen Position trifft jedoch, wenn wir ehrlich sind, eine andere Bemerkung aus der „Nachfolge” zu: „Wir alle machen das Gute zum Vorwande bei unserm Reden und unseren Handlungen, aber der Schein des Guten trügt nur zu viele” (Kapitel 54).

LeerDas ist wohl auch die eigentliche Meinung des Satzes, von dem wir ausgegangen sind: „Für andere brauchst du nicht Verantwortung zu tragen.” Er will eine eindringliche Warnung vor der leichtfertigen und fragwürdigen Gleichsetzung eigener Meinungen, eigener Vorurteile, eigenen Starrsinns, eigener Rechthaberei mit „verantwortungsbewußtem” Denken und Handeln sein!

LeerZugleich will Thomas von Kempen vor der Anmaßung warnen, die auch darin liegt, einem anderen seine Meinung oder seinen Willen unter dem schönen Schein aufzuzwingen, daß man Verantwortung für ihn trüge. Eifrige Geschäftigkeit ist noch kein Verantwortungsbewußtsein, - zur bloßen Verunglimpfung eines Andersdenkenden ist das Wort „unverantwortlich” zu schade. Verantwortung trägt jeder nur für sich selbst, in dem Maße, in dem man sich dermaleinst vor dem zu verantworten getraut, der allein die Waage für Gut und Böse in seiner Hand hält.

Quatember 1974, S. 124-126

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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