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Widersacher oder Gegner?
von Herbert Goltzen

LeerBei der neuen ökumenischen Übersetzung der Psalmen und anderer Abschnitte der Bibel wurde sorgfältig darauf geachtet, keine altertümlich oder poetisch klingenden Worte oder Wendungen mehr zu verwenden, die uns oft von Luthers Übersetzung vertraut waren. Zu solchen angeblich heute nicht verwendbaren Worten gehört auch die Kennzeichnung der Feinde Gottes und der Gemeinde als „Widersacher”, Luther sagt auch manchmal „die sich wider mich setzen”. „Wider” ist natürlich nach germanistischer Meinung heute unmöglich, obwohl wir noch durchaus von „Widerstand” reden. Welches gängige Wort bot sich nun als heutiger Ersatz an? In den Psalmen spricht nun die ökumenische Fassung mehrmals von „Gegnern”. Ps. 8 „Aus dem Munde der Kinder. .. schaffst du dir Lob, deinen Gegnern zum Trotz” - 10, 5 der Frevler („Gottlose” gibt es auch kaum mehr!) faucht seine „Gegner” an -18,49 „Du (Gott) hast mich über die Gegner erhoben” - 72, 9 vor dem Messiaskönig „sollen die Gegner sich beugen” - 97, 3 das Zornesfeuer des Herrn „verzehrt seine Gegner ringsum”. Luthers Übersetzung kannte keine „Gegner”.

LeerWas ist ein Gegner? Es gibt im gesellschaftlichen Zusammenleben, in der Justiz, im politischen Ringen, in wissenschaftlicher Diskussion Gegner: unvermeidlich gibt es Interessengegensätze, die in einem Prozeß geklärt werden müssen: die andere Seite und ihr Anwalt sind Gegner. Die Oppositionspartei ist Gegner der Regierung. Der Vertreter einer andern wissenschaftlichen oder theologischen „Richtung” kann unser Gegner sein. Der Gegner ist aber kein Feind. Der Gegensatz der Interessen und Überzeugungen kann und muß ausgetragen werden, aber eine menschliche Verbundenheit kann dabei bleiben, die Auseinandersetzung sollte ein Gefecht mit sauberen Waffen und nach fairen Regeln bleiben können.

LeerIn den Psalmen geht es nicht um eine nur akademische oder philosophische Gegnerschaft. Die Gottlosen, die Frevler sind Feinde Gottes und Widersacher seines Volkes - und das Zorngericht des Herrn trifft seine Feinde und Widersacher. So meinen es die Psalmen. Es wäre eine groteske Verzeichnung Gottes, sollte er gegen „Gegner”, etwa gegen Vertreter einer andern religions-philosophischen Ansicht, mit dem Feuer seines Zorns, mit dem Letzturteil seines Gerichts einschreiten. Und es wäre ebenso unmenschlich, wollte die unvermeidliche sachliche Gegnerschaft im gesellschaftlichen Verkehr immer gleich zu einer letzten Geschiedenheit werden, müßte sie als Feindschaft mit letzter Leidenschaft ausgetragen werden.

LeerIm Neuen Testament mahnt uns die Bergpredigt (Matth. 5, 25) im Bilde eines Prozesses, auf dem Weg zum Gericht mit dem „Gegner” Frieden zu machen, damit der Gegner die Sache nicht vor den Richter bringt. Hier gebraucht die ökumenische Übersetzung das Wort „Gegner” richtig (antidikos ist in der Tat in einer Rechtsangelegenheit der, der auf der Gegenseite steht). Merkwürdig, daß dieselbe Übersetzung dasselbe griechische Wort antidikos Luk. 18, 3 mit „Feind” übersetzt, obwohl es sich auch dort darum handelt, daß die Witwe von dem rücksichtslosen Richter Rechtshilfe gegen ihren Gegner erwartet.

LeerDer Verzicht auf geprägte Worte unserer Sprache, weil sie angeblich nicht mehr modern genug klingen, führt zur Verarmung, die dann auf notwendige Unterscheidungen verzichten muß. Wer nicht mehr weiß, was ein „Widersacher” ist und nicht mehr die unerbittliche Härte des Kampfes „wider” das Böse, der muß dann den Ausdruck dafür verharmlosen und vom „Gegner” reden. Was aber viel unheimlicher ist: wo „Feind” und „Gegner” zu Synonymen werden, kann nicht mehr unterschieden werden zwischen einer sachlichen Austragung von Gegensätzen in der unvermeidlichen Begegnung zwischen verschiedenen Standpunkten und dem erbitterten haßerfüllten Kampf mit dem Feinde. Der letzte Widersacher, der Teufel, ist und bleibt Feind und Urheber aller Feindschaft zwischen Gott und Menschen und leider auch unter Menschen. Aber nicht jeder Gegner muß deshalb mit einem Feind gleichgesetzt, muß „verteufelt” werden.

Quatember 1974, S. 126-127

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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