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Zwiesprache mit Karl Bernhard Ritter
von Walter Uhsadel

LeerAls ich kürzlich in älteren Briefen blätterte, fielen mir wieder drei Briefe Karl Bernhard Ritters (gest. 1968) in die Hand, von denen ich glaube, daß sie heute für die Leser von Quatember interessant sein könnten, da ihr Inhalt seither an Aktualität gewonnen hat. Sie bezogen sich auf einige meiner Veröffentlichungen, die Ritter gelesen hatte. Was ich ihm geantwortet habe, kann ich leider nicht mehr ermitteln, aber es lockt mich, ihm heute noch einmal zu antworten, indem ich aus der gegenwärtigen kirchlichen und theologischen Lage zurückblicke.

LeerDer erste Brief stammt vom 4. April 1963:

Leer„Zweimal bist Du mir in den letzten Tagen begegnet, einmal im Deutschen Pfarrerblatt mit einem Aufsatz über den Osterglauben, den ich mit sehr großer Zustimmung und sehr dankbar gelesen habe, und dann in ‚Christ und Welt’ mit Bemerkungen zur Pastorinnenfrage. Diese Bemerkungen machen darauf aufmerksam, daß hinter diesem Kampf um die Pastorin sich sehr hintergründige Fragen verbergen, die zumeist gar nicht gesehen werden, die aber die Grundlagen christlichen Glaubens, Verkündigens und Denkens angreifen. Das kommt m. E. sehr deutlich heraus in dem geradezu enthüllenden Beitrag von Frau N. N., insbesondere in ihrer Bemerkung, daß der Logos (männlich) allein keine Ordnung zu schaffen vermag. Sie will ihn offensichtlich ergänzen durch einen weiblichen Demiurgen. Hier geht es nun wirklich nicht mehr um patriarchalische oder matriarchalische Leitbilder, sondern um die Frage einer völligen Preisgabe aller Gestalten, in denen die Christenheit bisher die Offenbarung Gottes entgegengenommen hat. Ich wollte nichts anderes, als Dir aus Anlaß dieser Bemerkungen einen herzlichen österlichen Gruß zu senden.”

LeerMein Aufsatz über den Osterglauben war aus einem Vortrag hervorgegangen, den ich in einer Vortragsreihe der Bielefelder Gemeinden gehalten hatte. Zum 70. Geburtstag Alfred Dedo Müllers (1959) erschien er neu bearbeitet in der Festschrift „Reich Gottes und Wirklichkeit”, jedoch mit Rücksicht auf die DDR-Zensur gekürzt. Das Deutsche Pfarrerblatt brachte dann 1963 den vollen Text unter dem Titel: „Mythos und Wirklichkeit, Erwägungen zu dem Satz ‚Am dritten Tage auferstanden von den Toten’”.

LeerEs lag mir daran, die Mißverständnisse der Aufklärung abzubauen und zu zeigen, warum die historisch-kritische Forschung nicht in der Lage ist, religiöse Texte zu interpretieren. Bultmanns Versuch einer religionsphilosophischen, „existentialen” Interpretation führte zu einem neuen Mißverständnis, das durch den Begriff „Entmythologisierung” gekennzeichnet ist. Es ist der folgenschwere Fehler Bultmanns, daß er den Mythos für eine Denkform hält. Der Mythos ist jedoch nicht Denkform, sondern eine Form innerer Anschauung (Kant). Er erschließt dem Verstehenden das, was durch die „Vernunft” nicht „vernehmbar” ist, also eine Wirklichkeit, die rational nicht erklärbar ist. Diese Einsicht ist uns erst durch die Tiefenpsychologie, genauer: durch die Analytische Psychologie Carl Gustav Jungs erschlossen worden.

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LeerHeute würde ich Karl Bernhard Ritter antworten, daß unsere Sorgen sich bestätigt haben. Die Theologie ist immer weiter in eine bloß anthropologische Deutung des Evangeliums geraten - bis hin zu der amerikanischen Formel „Gott ist tot”. Neuerdings ist eine Deutung auf der soziologischen Ebene hinzugekommen, die es vielen jungen Theologen zu ermöglichen scheint, sich als Marxisten oder Maoisten zu verstehen. Einer meiner Heidelberger Studenten berichtete mir jüngst, daß eine bekannte Theologin in einem Vortrag, den er hörte, einen neuen „Slogan” (so weit ist die Theologie heruntergewirtschaftet!) habe. Sie erklärte, bisher habe sie die Meinung vertreten „Gott ist tot”, jetzt wisse sie „Gott ist rot”.

LeerDamit komme ich zu dem zweiten Aufsatz, den Ritter erwähnt und zu dem er sich selbst etwas näher äußert: über die Pastorinnenfrage. Ich war von der Schriftleitung von „Christ und Welt”, Hans Schomerus, neben anderen gebeten worden, mich dazu zu äußern. Ich habe seinen Wunsch damals nur mit Bedenken erfüllt; denn ich war mir bewußt, mit wieviel Affekten dies Thema belastet ist. Daher beschränkte ich mich denn auch auf den Hinweis, daß in der Erörterung dieser Frage - abgesehen von den grundlegenden theologischen Problemen - durch die klischeehafte Forderung nach Gleichberechtigung der Frau psychische Faktoren und psychologische Erkenntnisse zugedeckt werden. Das kann nicht nur, es muß zu schweren Schädigungen der Frauen, die es angeht, führen, wie es bei jeder Mißachtung der Eigentümlichkeit der Geschlechter der Fall ist.

LeerAuf ein Beispiel, in dem sich zeigt, daß solche Schädigungen auch die Theologie und die Gemeinde treffen, weist Karl Bernhard Ritter hin. Damit ist keineswegs gesagt, daß Frauen nicht intellektuell den Männern gleichwertig oder überlegen sein könnten. Doch hier fängt das Problem eigentlich erst an. Ich würde mit Karl Bernhard Ritter heute gern darüber sprechen, ob man die hier angesprochene Frage überhaupt bloß vom Intellekt her entscheiden kann, ob nicht vielmehr das ganzheitliche Menschenverständnis sein Recht fordert, das die geschlechtliche Besonderheit einschließt. Daß schon seit langer Zeit Theologen nur aufgrund ihrer intellektuellen Ausbildung als für das geistliche Amt geeignet angesehen werden, hat schon viel Schaden in der Kirche angerichtet. Wenn nun auch gar die Frau vom Intellektuellen her bewertet wird, kann der Schaden noch vergrößert werden. Nur zwei ergänzende Fragen: Warum soll eigentlich eine Pastorin, wenn sie heiratet, ihr Amt aufgeben? Und: Muß eine Pastorin, da sie im geistlichen Amt steht, nicht auch eines Tages Bischof werden können? Es gibt noch viele ungeklärte Fragen, die sichtbar machen, wie wenig die Gleichberechtigung im kirchlichen Amt durchdacht worden ist.

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LeerDer zweite Brief, 17. Dezember 1963:

Leer„Verstehe es recht, wenn ich Dir einen kurzen Gruß sende, um Dir meine Freude an Deinem Aufsatz ‚Das seelsorgerliche Amt in der Gegenwart’ im ‚Deutschen Pfarrerblatt’ auszudrücken. Du sagst eine Menge Dinge, die mir am Herzen liegen und die mich genau wie Dich sehr besorgt machen. Es ist wirklich besorgniserregend, auf welches einseitige und beschränkte Gleis unsere offizielle und zur Zeit beherrschende Fakultätstheologie geraten ist, so als ob es das Wort pastoral überhaupt nicht gäbe. Welch ein Gegensatz zu der mächtigen Bewegung, die unter dem Zeichen der pastoralen Verantwortung in der römischen Kirche aufgebrochen ist. Ich konnte mich kürzlich von der überzeugenden Atmosphäre dieser Konzilsversammlung beeindrucken lassen, als ich für acht Tage Rom besuchte und eine Reihe wertvoller Kontakte dort aufnehmen konnte. Die Thesen, mit denen sich unsere Bruderschaft zu dem Schema ‚De ecclesia’ geäußert hatte, sind mit erstaunlicher Offenheit aufgenommen worden und haben deutlich eine Rolle gespielt. Man hört mit gespannter Aufmerksamkeit auf alle Äußerungen, die nicht von Polemik und Mißtrauen diktiert sind, sondern der Reformation zu Hilfe kommen wollen ...”

LeerIn dem erwähnten Aufsatz hatte ich vor dem „akademischen Klerikalismus” gewarnt, der nach dem Abbau des konsistorialen aufgekommen ist und den Pastor als theologischen Akademiker über die Gemeinde erhebt. Wenn man, wie es heute fast allgemein in der Theologie geschieht, das neutestamentlich begründete Amt mit „Beamtentum” verwechselt, ist die Folge eine überhebliche Bewertung der zeitbedingten Theologie. Das seelsorgerliche Amt hat seine Begründung im Opfer Jesu Christi (Luther WA 30, 2). Daher ist es der einzige Auftrag des Seelsorgers, die Glieder der Gemeinde anzuleiten, in ihrer konkreten persönlichen Lage ihr allgemeines Priestertum zu verwirklichen, also nicht über sie zu herrschen. Dazu ist es notwendig, daß der Seelsorger einen tieferen Einblick in die Ergebnisse der Analytischen Psychologie gewonnen hat, der es ihm ermöglicht, seine Gemeindeglieder in der gegenwärtigen „pluralistischen” Zeit zu verstehen. Hat jedoch die Theologie ihre christozentrische Ausrichtung verloren und ist sie in anthropologische und soziologische Doktrinen abgesunken, so wird sie chaotisch. Der „Verlust der Mitte” ist die große Not der Seelsorger und Gemeinden.

LeerSeit jener Zeit, in der ich solche Gedanken mit Ritter austauschte, hat sich die Lage weiter zugespitzt. Damals stand ich mit meinem Versuche, die Jungsche Psychologie und Psychotherapie als eine Hilfe für den Seelsorger, der nicht gewillt ist, die Substanz des Evangeliums und der Kirche als Mysterium Christi preiszugeben, in die Praktische Theologie einzuführen, (neben Otto Haendler, Alfred Dedo Müller, Karl Bernhard Ritter und sehr wenigen anderen) ziemlich allein auf weiter Flur. Heute müßte ich mit Karl Bernhard Ritter darüber sprechen, daß in den letzten Jahren eine Flut von psychologischem Interesse über uns hereingebrochen ist, die zum großen Teil aus dem amerikanischen Behaviorismus, einer sozialpsychologischen Forschung, aber auch aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds stammt. Dabei ist der eigentliche Auftrag der Seelsorge verlorengegangen. Das kann so weit führen, daß Theologiestudenten erklären, die Seelsorge müßte überhaupt abgeschafft werden. In sogenannten „pastoralpsychologischen Übungen” geht es oft nur noch um gesellschaftspolitische Probleme. Von „pastoral”, also dem geistlichen Hirtenamt, das als autoritär verdächtigt wird, ist kaum noch etwas zu spüren.

LeerDoch es gibt auch eine gegenläufige Bewegung. Ein Buch wie das von Helmut Barz, „Selbsterfahrung. Tiefenpsychologie und christlicher Glaube” (Kreuz Verlag Stuttgart) hätte Ritter tief erfreut. Es wurde von Studenten, die ich darauf hinwies, mit großem Interesse aufgenommen. Das gilt auch von zwei anderen Büchern: Christa Meves, „Die Bibel antwortet uns in Bildern. Tiefenpsychologische Textdeutungen im Hinblick auf Lebensfragen heute” (Herderbücherei 1973 - in 4 Monaten 3 Auflagen!), und Helmut Harsch und Gerhard Voß (Hg.), „Versuche mehrdimensionaler Schriftauslegung” (Katholisches Bibelwerk, Stuttgart, und Chr. Kaiser Verlag, München). Dieses Buch ist aus Gesprächen hervorgegangen, die seit 1968 in dem ökumenischen Institut Niederaltaich geführt wurden. Hier wird ein kühner Schritt gewagt, die Enge der bisherigen Methoden der Schriftauslegung zu durchbrechen. Alle drei Bücher wenden sich an sogenannte Laien ebenso wie an Theologen. Sie lassen hoffen, daß sich das geistliche Leben in Theologie und Kirche in einem Erneuerungsprozeß befindet.

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LeerDer dritte Brief Karl Bernhard Ritters, 23.12. 63, bilde den Abschluß:

Leer„. . . Ich bin glücklich, daß Du unsere Sorgen teilst. Ich kann Dir kaum sagen, wie stark ich in Rom empfunden habe, daß eine gewisse Theologie die evangelische Seite in hohem Maße gesprächsunfähig macht. Man kann einer Kirche, die mitten in einem großen pastoralen Aufbruch ist und ihren Dienst an der Welt neu entdeckt hat und sich durch eine echte Reformation für diesen Dienst fähig machen will, nicht begegnen mit Abstrakta einer theologischen Wissenschaft, die in Gefahr ist, völlig zu vergessen, was Theologie eigentlich ist. Da muß man aneinander vorbeileben und unempfindlich sein für das doch so deutliche Wehen des Pneuma. Mit herzlichen Wünschen zum Christfest. . .”

LeerDieser Brief bezog sich auf mein Buch „Die gottesdienstliche Predigt”, evangelische Predigtlehre (Heidelberg 1963). Ich vertrat darin die Auffassung, daß die Kirche sich in der Welt vor allem kraft ihres Amtes im Gottesdienst darstellt. Alles andere geht daraus hervor. Darum (darum!) hat die auf das Leben bezogene Predigt im Gottesdienst ihren Wurzelgrund. Wird dieser Grund zerstört, wird also der Gottesdienst in eine politische oder weltanschauliche Programmveranstaltung „umfunktioniert”, wie es heute - unbegreiflicherweise mit Duldung vieler Kirchenleitungen - geschieht, so verliert die Predigt ihre Vollmacht. Damit wird aber auch der Dialog zwischen den Kirchen entwertet. Besonders unter diesem Aspekt erinnere ich mich dankbar meines Briefwechsels mit Karl Bernhard Ritter und hoffe, auch den Lesern von Quatember durch die kleine Auslese einen Dienst zu tun.

Quatember 1974, S. 158-162

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-09
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