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von Jürgen Boeckh |
Zum dritten Male hielten wir im Berneuchener Haus Kloster Kirchberg eine Studientagung mit Dr. Helmut Barz vom C. G. Jung-Institut in Zürich. Vor zwei Jahren ging es um die Taufe, vor einem Jahr um das Böse in tiefenpsychologischer und theologischer Sicht. Das Thema der diesjährigen Tagung lautete: „Der Traum - Symbol und Wirklichkeit.” Dr. Barz ließ keine Zweifel darüber, daß dieses Wochenendseminar nicht als Kurz-Studium der Traumdeutung aufgefaßt werden dürfte. Viele Menschen bemühen sich heute um die Meditation in ihren verschiedenen Formen, aber, so meinte Barz, der einfachste und persönlichste Weg, die Welt des Unbewußten für unser bewußtes Leben aufzuschließen, wird wenig begangen, obwohl er doch jedem offensteht: Unsere Träume zu erinnern und mit ihnen zu leben. Barz schlug den Teilnehmern vor, sich ein Tagebuch anzulegen, auf dessen einer Seite jeweils das in der Außenwelt und mit Bewußtsein Erlebte, auf dessen anderer Seite jedoch unsere Träume aufzuzeichnen wären. Am Freitagabend zeigte sich, daß die Teilnehmer bereits viele Fragen mitbrachten. Eine Dame sagte allerdings: „Bei mir geht mit dem Aufwachen immer eine Falltür herunter. Ich kann mich an keinen Traum erinnern.” Niemand von den Anwesenden behauptete jedoch, wie man es manchmal hört, überhaupt nicht zu träumen. Viele der Teilnehmer waren der Aufforderung gefolgt, vor oder zu Beginn der Tagung der Leitung (mit oder ohne Namen, aber mit Angabe des Alters und des Geschlechtes) einen schriftlich aufgezeichneten Traum abzugeben. Sieben Träume von Teilnehmern, die sich bereit erklärten, sich zu ihrem Traum zu bekennen und auch mit anderen darüber zu sprechen, wurden am Samstag in sieben Gruppen besprochen. Wie aus den sich daran anschließenden Berichten im Plenum hervorging, hatten sich sehr fruchtbare Gespräche ergeben, da einerseits alle Beteiligten, andererseits die Träumenden selbst Assoziationen zu den Traumbildern liefern konnten. Bisweilen zeigte sich auch, daß wir unseren eigenen Träumen gegenüber oft „blind” sind und erst durch andere dazu gebracht werden, sie zu verstehen. Dr. Barz hatte zunächst diesem Experiment skeptisch gegenübergestanden, hatte dann jedoch seine Zustimmung gegeben. Schließlich konnten wir unsere Entscheidung nur als glücklich bezeichnen. So war vermieden, daß man nur einen Vortrag hörte und darüber diskutierte. Aber es war sicher auch gut, daß wir vor den Gruppengesprächen Dr. Barz hörten. Vielleicht hätten sich sonst auch nicht so viele bereiterklärt, gemeinsam mit anderen über ihren Traum zu sprechen. „Träume geben in symbolischer Sprache einen Kommentar aus der unbewußten Innenwelt zu dem, was die bewußte Seele am Tage bewegt und plant.” Diese Definition des Traumes wurde uns in dem Vortrag gegeben, der in die drei Unterabschnitte Symbol - Wirklichkeit - Traum gegliedert war. Der oberflächlichen Redeweise „nur ein Symbol” stellte Barz die Behauptung entgegen : Das Symbol enthält einen höheren Wirklichkeitsgrad! Es gibt Dinge und Geschehnisse, die „nur wirklich”, aber nicht symbolisch sind. „Das Symbol ist der bestmögliche Ausdruck für etwas, was nicht anders ausgedrückt werden kann.” Im Anschluß an das Traumgespräch in Gruppen hatten wir noch eine gemeinsame Aussprache mit Dr. Barz. Am Samstagabend jedoch unterbrachen wir unseren Gesprächsgang und hörten von Dr. Rang/Eutin ausgewählte Träume von bekannten Persönlichkeiten und aus der schönen Literatur: von Friedrich dem Großen, Goethe, Eckermann, Rahel Varnhagen und Georg Heym. Ein Traumbericht von Johann Peter Hebel beginnt mit der Behauptung: „Man hat doch im Schlaf ganz andere Einfalle, als im Wachen, wenn schon keine klügeren.” Im Gegensatz dazu hat Jean Paul, wie Dr. Barz zitierte, gesagt: „Der Mensch ist in seinen Träumen unvergleichlich viel weiser, als auch der Klügste in seinem Wachbewußtsein ist.” Nach dem Abendmahlsgottesdienst am Sonntag früh mit anschließendem Frühstück trafen sich die Tagungsteilnehmer in drei Gruppen und besprachen je einen Bibeltext: den Traum Jakobs von der Himmelsleiter (1. Mos. 28,10-22), den dreifachen Ruf an den schlafenden Samuel (L. Sam. 3) und den Wachtraum des Petrus (Apg. 10, 9-29). In einem letzten Gesprächsgang tauschten wir noch einmal unsere Gedanken aus und abschließend versuchte ich auf einige Fragen, die dem Theologen gestellt waren, zu antworten: In seiner Predigt am Pfingstfest zitiert der Apostel Paulus den Propheten Joel: „Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen und eure Jünglinge sollen Geschichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben ...” - Wie kommt es, daß im Protestantismus diese Verheißungen am wenigsten in Erfüllung gegangen sind? Wahrscheinlich weil schon zu Beginn der Reformation die „Schwärmer”, bei denen „Traum und Gesicht” über dem Medium „Buch” standen, aus der reformatorischen Bewegung ausgeschieden wurden. Ganz gewiß redet Gott nicht nur aus dem Reich des Unbewußten zu uns, aber auch dort will seine Stimme gehört werden: „Im Traum. . . öffnet er das Ohr des Menschen.” (Hiob 33, 15 f.) Zum Abschluß der Tagung, vor dem Mittagsgebet, das uns zum letzten Mal in der Kapelle vereinte, las ich noch zwei Träume vor, die aus dem Kreis der Teilnehmer gekommen, aber nicht gemeinsam besprochen werden konnten. Es waren Träume von Nicht-Theologen: Der religiöse Berufungstraum eines Mannes, der schließlich zur Evangelischen Michaelsbruderschaft fand, und der Kirchen-Traum einer Frau in mittleren Jahren. Als Ergänzung zu den in Helmut Barz' Buch aufgeführten „Träumen von der Kirche” wird er für viele von Interesse sein: „Eine große Beerdigung - festlich-feierliche Stimmung. In einer großen Kirche: ich stehe mit vielen Menschen im Altarraum, dort steht auch der Sarg. Ein bunter, wohlformierter Zug von Kindern zieht aus dem Altarraum durch den Mittelgang der Kirche auf den Ausgang zu. Alle sind in mittelalterlichen Kostümen in englischrot, braun und schwarz - einer voran, dann drei, dahinter ein kleiner auf einem kleinen schwarzen Pferd. Pferd und Reiter sind nicht größer als die Fußgänger. Der Kleine auf dem Pferd sieht sich ständig um - den ganzen Oberkörper nach hinten gewendet, bestaunt er den ihm folgenden Zug rot/braun/schwarzgewandeter Kinder und wohl auch den Sarg und die Menschen im Altarraum. Er scheint fast verwachsen mit dem Pferdchen - zeigt im Reitsitz keine Unsicherheit, und da Pferd geht genau in der Formation ohne die geringste Abweichung, obwohl vom Reiter doch gar nicht gelenkt. Es ist ein ausgesprochen hübscher Anblick der ganze wohlformierte Zug. Im Altarraum neben mir ein alter Freund Achim. Es gibt Sekt und Schnitten Achim hat noch nicht gefrühstückt und mag es nicht sagen. So steigt ihm de Sekt zu Kopfe. Ich überlege, wie ich mich verhalten hätte. Ganz sicher hätte ich zuerst gestanden, noch nichts in Magen zu haben und um eine Schnitte gebeten, bevor ich den Sekt getrunken hätte.” Quatember 1974, S. 176-179 |
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