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Lebenslange Haft in der Endlichkeit
von Heinz Beckmann

LeerDas Wort Ausweglosigkeit wird unwillkürlich negativ empfunden. Tatsächlich aber beschreibt es nüchtern und sachlich einen entscheidenden Befund der modernen Welt, wie sie sich selbst versteht. Die Welt, deren wir uns heute bewußt sind, ist eine völlig im Endlichen, im Diesseits abgeschlossene Welt. Wenn dennoch bei demoskopischen Umfragen immer noch fast neunzig Prozent der Befragten versichern, sie glaubten an Gott, so hat dieser Gott kaum einen Winkel in ihrem alltäglichen Bewußtsein, ganz sicher aber keinen Anteil an ihren Vorstellungen über Entstehung und Sinn des Lebens, über Gegenwart oder gar Zukunft. An Gott glauben, das ist meist nur noch ein vages Gefühl, vielleicht eine Art Rückversicherung oder Heimschmuck schöner Seelen. Das mag herzlos klingen, doch läßt es sich beweisen. Von den neunzig Prozent, das kann man erkunden, wissen allenfalls drei Prozent, was Glauben heißt. Von Gott braucht man da gar nicht erst zu reden. Fast alle Menschen leben, denken und handeln heute, als gäbe es nur das hiesige Dasein, nur diese Endlichkeit, in der wir existieren. Diese Endlichkeit aber ist ausweglos, ist nirgendhin offen, es sei denn zum Tode. Diese Ausweglosigkeit, dieses in sich selbst Verschlossensein der modernen Welt kann man gar nicht ernst genug nehmen, denn die in sich selbst verriegelte Endlichkeit der modernen Welt hat den in sich selbst verriegelten, in sich selbst endenden Menschen zur Folge, einen Menschen, der sich nur noch aus sich selbst erklären kann. Das heute so weit verbreitete Interesse für Psychologie und Soziologie ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß der Mensch sich nur noch als sich selbst verstehen kann und will. Die berühmte Äußerung der ersten sowjetischen Astronauten, sie hätten im Weltraum nirgends Gott gesehen, brachte nichts geringeres als das allgemeine Bewußtsein des modernen Menschen zum Ausdruck.

LeerMit einer gewissen Genugtuung registriert der Mensch unserer Tage: dort im Weltraum ist kein Gott. Das Gleiche gilt auch, und das könnte sogar schwerwiegender sein, für die innersten Substanzen und winzigsten Elemente jenes aufgedeckten Geheimnisses, das wir Leben nennen. Er ist nicht da, dieser Gott. Daß die Heilige Schrift - im Buch Hiob, in manchen Psalmen, ganz zu schweigen von Golgatha - genau das gleiche sagt, kann der moderne Mensch nicht wissen, weil die Christenheit ihm das verschweigt.

LeerWas aber verbirgt sich hinter der vermeintlichen Erfahrung, daß Gott weder in der Unermeßlichkeit der Weltenräume noch in den winzigsten Teilchen des Lebens anzutreffen ist? Es verbirgt sich dahinter die furchtbare Erfahrung des Nichts, vor dem der Mensch sein Angesicht verhüllt, wie einst Moses vor seinem Gott. Nur verhüllt er es diesmal aus nackter Angst, mit allen Sinnen und allem forschenden Denken erfahren zu müssen, daß da nichts ist. Wenn der moderne Mensch mit seinen grandiosen wissenschaftlichen Errungenschaften eine Weltraumsonde auf den Weg schickt, von der er weiß, daß sie trotz ihrer unvorstellbaren Geschwindigkeit mehr als zehn Millionen Jahre unterwegs sein wird, ehe sie ihr Ziel im Sternbild des Stiers erreicht, dann legt sich die nicht mehr vollziehbare Vorstellung vom unermeßlichen All wie ein Alptraum auf ihn, und er erliegt unausweichlich der Empfindung, durch den blinden Zufall irgendeiner Evolution auf einem beliebigen Partikelchen des Weltraums zu existieren. In Ernst Barlachs Drama „Die Sündflut” kommt es zu der biblischen Begegnung zwischen Gott und Noah vor der Sintflut. Gott erscheint in der Gestalt eines Bettlers an Krücken. Noah hält ihn für seinen leiblichen Vater und redet auch so mit ihm. Da sagt der göttliche Bettler zu Noah: „Ja, wir sind weit auseinandergeraten, und meine Dinge sind nicht mehr deine Dinge - doch, doch, Noah, du warst einst mein Sohn.” In seiner Furcht vor dem Allmächtigen versucht der alte Noah, auch Gott irdisch einzugemeinden. Er reiht ihn in die hiesige Endlichkeit ein, sieht in ihm nichts mehr als seinen leiblichen Vater. Dieser Vorgang ist uns recht vertraut, seit auch viele Christen auf die Endlichkeit irdischer Existenz pochen. Und dann folgt die Antwort des Bettlers: „Ja, wir sind weit auseinandergeraten . . .”, es folgt eine Antwort, die mit nur fünf Worten beinahe den ganzen Franz Kafka beschreibt.

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LeerWenn wir aber nun mit kühnen Griff noch einen weiteren Zeitgenossen von Ernst Barlach und Franz Kafka heranholen, den Theologen Karl Barth, dann ahnen wir ungefähr, was im Aufbruch des zwanzigsten Jahrhunderts geschah, denn Karl Barth beklagte schon nicht mehr, daß Gott und Mensch so weit auseinandergeraten seien, sondern er nahm Gott den Menschen weg, entfernte ihn auf unermeßlichen Abstand aus jeder endlichen Verfügbarkeit. Es wäre gewiß interessant, solchen Bewegungen im Aufbruch des zwanzigsten Jahrhunderts nachzugehen, nur hülfe das kaum noch, denn der moderne Mensch, mit ihm die Christen, hat den großen Aufbruch unseres Jahrhunderts längst beiseite gelegt und sich dem domestizierten Haustier Mensch verschrieben. Er ist aus dem metaphysischen Abenteuer zurückgekehrt in seine Dreizimmerwohnung an der Fritz-Müller-Straße, in die bewußt angenommene Ausweglosigkeit einer nur endlichen, nur hiesigen Existenz, die Ernst Barlach einst ein „raffiniertes Zuchthaus” nannte.

LeerMit Karl Barth stellt sich von ungefähr die Frage, ob ,es nicht notwendig wäre, dem Menschen der modernen Welt Gott wegzunehmen, jedenfalls jenen Gott, an den neunzig Prozent unserer Zeitgenossen „noch” zu glauben meinen. Auch dafür gibt es in einem Drama von Ernst Barlach eine aufschlußreiche Szene, in dem Drama „Der blaue Boll”. Ein kostbares Zwiegespräch zwischen dem Gutsbesitzer Kurt Boll und seiner Frau Martha leitet das Drama ein. Kurt Boll hat die Empfindung, am Beginn einer merkwürdigen Verwandlung zu stehen. Auf dem Marktplatz einer mecklenburgischen Kleinstadt sagt er zu seiner Frau: „Hast Recht, Martha - immerhin, sieh die verwischte Perspektive, mags wohl leiden - es kann mehr dahinter stecken, als man denkt, kann anders kommen, als ausgemacht ist - und schließlich, was hat man auf die Dauer von dem flotten Lebenswandel mit garantiert ausgeschlossenen Beinbrüchen - wie sagst du, Martha?” Da antwortet Frau Boll: „Ich weiß es nicht und niemand kann wissen, wozu es gut sein mag, daß etwas anders kommt, als man denkt, aber darum lege ichs noch lange nicht darauf an und laß den Respekt vor mir außer Acht - dazu versteh ich den lieben Gott viel zu gut, als wollt er wohl was anderes mit mir im Sinn haben, wie ich einsehen kann - nein - o nein!”

LeerDas ist der Gott, der weggenommen werden muß, der verfügbare Gott, der Gott, der allemal in die Endlichkeit paßt, den man versteht, mit dem man hantiert. Darum, wenn neunzig Prozent an Gott zu glauben meinen, steht nicht Gott zur Diskussion. Den Gott der Martha Boll gibt es ja nicht, aber es steht das Wort „Glauben” zur Diskussion. Vielleicht muß man noch deutlicher werden, selbst auf die Gefahr der Verletzung hin, denn nicht nur Gott muß dem modernen Menschen weggenommen werden, sondern auch Jesus Christus. Ihn erst recht hat der moderne Mensch eingemeindet, eingesperrt in die Endlichkeit. Schon Martin Luther wußte, wie das geht: „Die Vernunft kann von Christus keinen weiteren Begriff haben als bloß den eines heiligen, frommen Mannes, der ein feines Vorbild von sich gibt, dem nachzufolgen sei. Die Vernunft kann ihn nicht weiter verstehen, und wenn er gleich heute unter uns wandelte. Nur, wer ihn in diesem Sinne annimmt, dem ist der Himmel noch verschlossen: er hat Christus weder begriffen noch erkannt.”

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LeerWarum wird da plötzlich Luther zitiert, da wir doch von der modernen Welt (und möglicherweise deren Gott) sprechen? Die Frage läßt sich einfach und hart beantworten: Weil das große Betrugsmanöver endlich aufgedeckt werden muß, dessen wir uns gegenüber dem Menschen der modernen Welt fortwährend schuldig machen. Wir verschweigen ihm, daß Gott höher ist denn alle Vernunft, denn alle erforschbaren Räume des Makrokosmos und des Mikrokosmos, verschweigen ihm, daß es nach seinen Maßen in der Endlichkeit tatsächlich keinen Gott gibt, denn nicht der Mensch kann Gott, sondern nur Gott den Menschen finden. Wir machen uns mitschuldig an der Gottverlassenheit der modernen Welt, an der lebenslangen Haft des Menschen in der Endlichkeit, indem wir ihm, wie Martha Boll, einen Gott nach eigener Erfindung offerieren und nicht mehr einzugestehen wagen, daß Gottverlassenheit ungleich näher bei Gott ist als das Walten menschlicher Vernunft in der abgeriegelten Endlichkeit hiesigen Daseins.

LeerDas Betrugsmanöver fängt schon bei der Schöpfungsgeschichte an. Fast jeder Religionslehrer heute kann es gar nicht abwarten, den Kindern möglichst früh beizubringen, daß das mit der Schöpfung so natürlich nicht gewesen sein könne, zumal es zwei verschiedene Schöpfungsgeschichten gebe. Den Schluß, den ein kleines Schulkind aus solcher Methode zieht, lautet folgendermaßen: Dann stimmt also auch alles andere nicht in der Bibel. Das ist ein sehr vernünftiger, kaum zu widerlegender Schluß. Martin Luther sagte in einer Predigt über den sorglosen Gehorsam des Glaubens: „So hat er mich zum Prediger angenommen, der ich eine Mücke und Wasserblase bin und den er zuvor aus dem Nichts geschaffen hat.” Das ist in Wahrheit die Schöpfungsgeschichte: den er zuvor aus dem Nichts geschaffen hat! Selbstverständlich gibt es das Nichts. Es ist sogar mehr wert als alle unsere ausweglose Endlichkeit.

LeerLuther predigte über den sorglosen Gehorsam des Glaubens - Gehorsam, bitte schön, auch für evangelische Christen! -, und damit kommen wir abermals zurück auf das große Betrugsmanöver. Haben wir je einem unserer Zeitgenossen unter der Vollmacht des Heiligen Geistes klar zu machen versucht, daß Glauben ganz etwas anderes ist, als was der Mensch sonst ist, daß demnach Glauben nicht zu den natürlichen Eigenschaften des Menschen gehört, sondern ihnen eher widerspricht? Versuchen wir nicht ständig, Gott in Einklang zu bringen mit der gegenwärtigen Endlichkeit, statt uns das umgekehrte Verfahren aufzuhalsen? Und da kommt uns nun plötzlich eine Welle religiöser Unruhe entgegen, die die Christen so gerne für sich vereinnahmen möchten. Sie merken gar nicht, daß diese Unruhe einer tiefen, rasch um sich greifenden Resignation entstammt und mit christlichem Glauben nicht das mindeste gemein hat. Des Glaubens beraubt, hat der Mensch sich endlich ganz dem Diesseits verschrieben, hat aus seiner metaphysischen Not eine Tugend gemacht - wirklich eine Tugend! - und den grandiosen Versuch unternommen, die Menschenwelt hier auf Erden in ihrer Endlichkeit nach eigener Einsicht und Vernunft in den Griff zu bekommen und einigermaßen gedeihlich zu ordnen.

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LeerEin solcher Versuch setzte entschlossene Diesseitigkeit voraus, wie sie sich etwa in dem Satz „Religion ist Opium für das Volk” niederschlug, einem sehr ehrenwerten und sicher richtigen Satz, solange der Mensch davon überzeugt ist, daß ihm eine friedliche, gerechte und heile Ordnung der Welt gelingen wird. Gerade weil der Satz wider die Religionen seinen Ursprung hat in einem gigantischen Plan zur Überwindung des Elends und des Unfriedens in der menschlichen Gesellschaft, ist es uns schlechterdings verboten, auch nur annähernd so etwas wie Schadenfreude zu empfinden, sobald sich Anzeichen eines Mißlingens des gigantischen Plans bemerkbar machen, sobald deshalb Resignation um sich greift und damit die Flucht in die Religion. Was auf diesem dunklen Weg der Enttäuschungen, der Bitterkeit heute geschieht, wissen wir alle. Aber wir sollten auch die andere Seite dieses tragischen Vorgangs im Bewußtsein der modernen Welt kennen, nämlich das Versagen der Christenheit, die sich zwar allenthalben zum Komplicen des gigantischen Plans macht, aber nicht mehr den Mut aufbringt, die in ihrer endlichen Diesseitigkeit eingeriegelte Menschenwelt zu öffnen. Dazu ist sie augenscheinlich nicht mehr imstande, weil sie sich selbst des „Jenseits” beraubt hat und darum den eigentlichen Bezugspunkt, den allmächtigen Partner des Menschen nicht mehr bezeugen kann.

LeerSo überläßt man denn die moderne Menschenwelt den Religionen, gleich welcher Art, und scheint nicht mehr zu wissen, welche Schrecken in den Religionen verborgen sein können. Vor allem aber hat man vergessen, daß die Offenbarung des Neuen Testamentes einst die Religionen überwand. Die radikale Behauptung, daß christlicher Glaube keine Religion ist, war niemals so notwendig wie in unseren Tagen. Wüßte man das noch, so würde man sich gewiß nicht freuen über die neuen religiösen Unruhen und Anfälligkeiten, deren Nährboden doch aus einem Gemisch von Resignation und Angst besteht. In der modernen Welt ist Gott nicht da. Es gibt keinen Gott. Aber zugleich gilt jener Satz aus dem „Spiel um Job” von Archibald Mac Leish: „Gott ist Gott, oder wir sind nichts - Maikäfer, die ihre Schalen dalassen.” Wir werden nicht darum herumkommen, den Menschen in der modernen Welt beizubringen, daß es im Sinn des Menschen, im Sinn seiner neuerlichen religiösen Anwandlungen keinen Gott gibt. Gott ist nun einmal nicht verfügbar bald für diese, bald für jene Ideologie oder Gesellschaftsstruktur - auch nicht verfügbar als Sinn unseres Lebens, er ist überhaupt nicht verfügbar. Das haben schon die drei Weisen aus dem Morgenland erfahren, als sie den so seltsam verharrenden Stern in ihre astronomischen Berechnungen einzuordnen versuchten. Das mißlang ihnen. Also machten sie sich auf und wanderten durch die Wüste, um nachzusehen, was da wider alle Berechnung geschehen war.

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LeerDas ist der Weg, den der moderne Mensch verweigert. Er lebt in einer weithin verfügbaren, errechenbaren Welt und kann sich Unverfügbares kaum noch vorstellen. Wo es ihm dennoch in den Weg tritt, geht er zum Psychotherapeuten, wird Okkultist oder religiös. Den Weg durch die Wüste geht er nicht. Niemand ermuntert ihn dazu. Gott wohnt entweder gleich nebenan im irdischen Maß oder ist nicht vorhanden. Jesus Christus war ein vorbildlicher, ein idealer Mensch oder die jungen Christengemeinden haben ihn erschwindelt. Also bleibt man wieder lebenslang eingesperrt in die Endlichkeit. Was das an Elend mit sich bringt, innerem Elend, Resignation, Angst, Verzweiflung und Leistungszwang mit sich bringt, davon scheint nicht einmal mehr die Christenheit eine Ahnung zu haben. Nur so erklärt es sich, daß die Christenheit heute die lebenslange Haft in der Endlichkeit nicht mehr sprengt kraft ihres Glaubens, sondern bestätigt. Hungernden und unterdrückten Völkern, so sagen die Christen heute, darf man das Wort Gottes, also die Erlösung des Menschen erst verkündigen, wenn man deren Hunger und Unterdrückung beseitigt hat. Jedermann müßte wissen, falls er gelegentlich das Neue Testament gelesen hat, daß das das Ende aller Verkündigung bedeutet.

LeerDer moderne Mensch ist zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Auch wenn er sich selbst dazu verurteilt hat und blindlings auf seiner Haft besteht, kann es für die Christenheit keine andere Aufgabe geben, als ihm die Haft zu öffnen. Vom Jammertal sprachen früher die Christen. Sie sangen auch davon in ihren Chorälen. Wir aber, die wir dieses Erdenleben heute sehr viel bewußter, sehr viel wacher und empfindlicher als eine Kette von Jammer erfahren, bald hier und bald dort in immer schrecklicheren Verknotungen, und jedesmal zeigt sich der Mensch als des Menschen Wolf und bleibt doch allein auf den Menschen angewiesen in seiner endlichen Haft - wir aber haben uns die Rede vom Jammertal längst verbeten. Es ist das Reich des Menschen, und der Mensch wird das Reich glücklich machen, wird ihm das Heil bringen. Weil aber jeder wache Mensch im Grund seines Herzens weiß - täglich am Fernsehschirm sieht! -, daß der Mensch nicht das Heil bringen wird, weil immer schon der Wolf hinter ihm steht, darum gibt es die neuerlichen religiösen Unruhen, gibt es die Stunde der Christenheit, die die „Religionen” durchbrechen könnte.

LeerEs geht nicht um Gott in der modernen Welt, es geht um den Glauben. Und dies ist nun wahrlich ein Jammer in der lebenslangen Haft des modernen Menschen, daß die Christen heute gerade im Glauben versagen. Früher bot man den Menschen in ihrer unausbleiblichen Resignation, in ihren religiösen Unruhen Gottesbeweise an, sehr kluge, sehr törichte, sehr eifernde Beweise der Existenz Gottes. Heute geht es um den Glaubensbeweis, den man nicht ausdenken, nicht errechnen, sondern nur leben kann. Allerdings darf man seine Zeitgenossen nicht über den Abgrund des Glaubens hinwegtäuschen. Gertrud von Le Fort hat in einer ihrer Hymnen an die Kirche gesagt (gestammelt), was das ist mit dem Glauben:


Ich bin in das Gesetz deines Glaubens gefallen
wie in ein nackendes Schwert!
Mitten durch meinen Verstand ging seine Schärfe,
mitten durch die Leuchte meiner Erkenntnis!
Nie wieder werde ich wandeln unter dem Stern
meiner Augen und am Stab meiner Kraft!
Du hast meine Ufer weggerissen und hast Gewalt
angetan der Erde zu meinen Füßen!
Meine Schiffe treiben im Meer, alle meine Anker
hast du gelichtet!
Die Ketten meiner Gedanken sind zerbrochen,
sie hängen wie Wildnis im Abgrund.
Ich irre wie ein Vogel um meines Vaters Haus,
ob ein Spalt ist, der dein fremdes Licht einläßt,
Aber es ist keiner auf Erden, außer der Wunde
in meinem Geist -
LeerNur diese Wunde in unserm Geist kann die in sich selbst verriegelte Menschenwelt unserer Tage offen halten für Gott.

Quatember 1974, S. 210-215

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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