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Ordo Crucis in Norwegen
von Reinhard und Hildegart Mumm

LeerIm Fürbittengebet der Michaelsbruderschaft wird unter anderen nahestehenden Gemeinschaften der Ordo Crucis genannt. Dieser Ordo wurde 1933 von Professor Hans Ording, Sogneprest Odd Godal - beide leben nicht mehr - und von dem soeben emeritierten Bischof von Hamar Alex Johnson begründet. Er entstand somit rund zwei Jahre später als die Michaelsbruderschaft. Von Anbeginn verbanden freundschaftliche Beziehungen die Stifter beider Bruderschaften.

LeerDie kirchliche Amtsbezeichnung „Sogneprest” heißt in wörtlicher Übersetzung „Gemeindepriester”. Wie die Begriffe „Messe” und „Hochmesse” in der lutherischen Kirche Norwegens selbstverständlich gebraucht werden, ohne Anstoß zu erregen, so auch die Worte „Priester” und „Priesterweihe”. Da gibt es keine antikatholischen Affekte. Der Sogneprest ist der jeweils erste Pfarrer einer Gemeinde, der zweite wird als Res. Cap. (residierender Capellan) bezeichnet. Außerdem gibt es den Hjelpeprest; er entspricht etwa dem deutschen Hilfsprediger. In Norwegen ist die mittelalterliche Pfarrordnung noch erhalten, die nur einen Pfarrer als Vorsteher jeder Gemeinde kennt. Reste dieser Ordnung treffen wir in lutherischen Landeskirchen an, zum Beispiel in Bayern; dort obliegt allein dem ersten Pfarrer der Vorsitz im Kirchenvorstand und die Geschäftsführung. Der erste Pfarrer wird nach einer höheren Gehaltsstufe besoldet und von Unterrichtspflichten entlastet. Die norwegische Amtsbezeichnung Sogneprest mit Pastor wiederzugeben, ist demnach ungenau; „erster Pfarrer” kennzeichnet die Stellung besser.

LeerIm Sommer 1974 begegneten wir dem Pater oder Leiter des Ordo, Notto Norman Thelle, der seit 1960 seiner Bruderschaft vorsteht. Lange Jahre hat er als Missionar in Nanking und Hongkong gewirkt, um Buddhisten für den christlichen Glauben zu gewinnen. Taiwan und Tokio sind ihm bekannt; er ist ein welterfahrener Mann, wie viele Norweger. In seinen letzten Amtsjahren wirkte er in Oslo und kann sich nun zusammen mit dem „Kollegium”, das den Vorstand bildet, als Emeritus ganz den Aufgaben des Ordo widmen.

LeerVon Notto Thelle, von Prof. Molland und weiteren Brüdern in Oslo, dazu von Randi Bojer Godal, der Witwe des vorletzten Leiters des Ordo, haben wir einiges über den Ordo Crucis erfahren. Heute umfaßt diese uns befreundete Bruderschaft etwa 200 Mitglieder. Wenn wir bedenken, daß es im geteilten Deutschland, dazu in Österreich, der Schweiz und dem Elsaß nur 6-700 Michaelsbrüder gibt, dann sind 200 Ordo-Brüder unter etwa 3,8 Millionen norwegischen Lutheranern eine vergleichsweise stattliche Schar. Außer Bischof Johnson sind aus dem Ordo drei weitere Bischöfe hervorgegangen: der heutige Primas von Norwegen, Bischof Stoylen von Oslo, dazu die Bischöfe Thor Godal von Trondheim und Per Loenning von Frederikstad; letzterer ist im Lutherischen Weltbund und sonst in der Ökumene gut bekannt. Michaelsbrüder sind nicht in solchem Maß zu leitenden Ämtern in der Kirche berufen worden. Die Zahl der Brüder des Ordo Crucis und ihr Gewicht in der Kirche Norwegens lassen auf eine beachtliche Bedeutung dieser Gemeinschaft schließen.

LeerDer Ordo Crucis richtet seine Kräfte vorwiegend auf das innere geistliche Leben. In Oslo versammeln sich etwa 12-15 Brüder jede Woche zu einer Feier der Messe in der Frogner-Kirche, mit anschließendem Frühstück und Konvent. An der Retraite im Winter beteiligen sich nahezu alle Brüder. Sie legen großen Wert auf die Einzelbeichte. An einer nach außen gerichteten Werbung sind sie nicht interessiert. Es gibt ökumenische Kontakte, etwa zur Societas St. Birgittae in Schweden. Den Rundbrief der Michaelsbruderschaft nimmt man gern zur Kenntnis. Aber es gibt keinen Drang nach publicity.

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LeerDer Ordo Crucis trägt Kennzeichen, die denen der Michaelsbruderschaft in ihrer Anfangszeit ähneln, aber nicht mehr der heute unter uns geübten Praxis entsprechen. So kommen zu den Feiern der Messe und zu den Konventen in der Regel nur die Brüder. Die Frauen der Brüder, die Witwen und interessierte Gäste könnten zwar an den Gottesdiensten teilnehmen, aber sie fühlen sich nicht eingeladen, und man geht kaum darauf aus, diesen Zustand zu ändern. Der Gedanke, offene Konvente zu halten, ist ihnen neu und ungewohnt. Es gibt keinen weiteren Kreis um den Ordo, der unserem Berneuchener Dienst entspräche. Auch in einem anderen Punkt unterscheidet sich der Ordo von der Michaelsbruderschaft: Er umfaßt in der Hauptsache Theologen; die Laienchristen bilden eine deutliche Minderheit. Die Ursache dazu ist schon von Anbeginn gegeben, da der Ordo aus einer geistlichen Not in der Pfarrschaft entstanden ist, während der Stiftung der Michaelsbruderschaft die Berneuchener Konferenzen vorangegangen waren, die nicht nur die Probleme des Pfarrerstandes im Sinn hatten.

LeerSo hat sich neben dem Ordo Crucis, angeregt durch Eindrücke in verschiedenen deutschen Kommunitäten, vor allem in der Cella des Ordo Pacis in Hamburg, ein Kreis von Frauen in Oslo gebildet, der in der norwegischen christlichen Akademie hilft und danach trachtet, das Gebet und die Meditation zu fördern. Gebet und Meditation sind in Norwegen auf dem Hintergrund der Geschichte des Luthertums in diesem Land zu sehen. Erweckungsbewegungen haben viele Gemeinden und auch Pfarrer geprägt. Die Oxford-Gruppenbewegung fand zahlreiche Anhänger. Formen pietistischer Frömmigkeit sind verbreitet. Das Studium der Bibel, Gebet und stille Zeit werden ernst genommen. Die Strömungen liberaler und kritischer Theologen haben die Kirche dieses Landes nicht so gezeichnet wie den deutschen Protestantismus. Neben der theologischen Staatsfakultät in Oslo besteht eine Gemeindefakultät mit einer großen Studentenschaft. Der Ordo Crucis vereinigt unter seinen Mitgliedern Absolventen beider Fakultäten. Er versteht sich als eine Gemeinschaft, die beide Seiten verbindet.

LeerDie Kirche von Norwegen ist, ähnlich wie ihre Schwesterkirchen in Schweden und Dänemark, noch heute eine Staatskirche. Staatliche Instanzen besolden und ernennen Pfarrer und Bischöfe. König Olaf V. sammelt alljährlich die zehn Bischöfe um sich. Die Kommunalbehörden sorgen für die kirchlichen Gebäude und bestimmen, wann und wo Neubauten errichtet werden. Soll diese Ordnung erhalten bleiben? Diese Frage wird hin und her erwogen. Solange die Hand des Staates nicht lastend auf der Kirche liegt, neigen viele dazu, die gegenwärtige Ordnung vorzuziehen, da sie es der Kirche erlaubt, mit dem ganzen Volk in Berührung zu bleiben. Durch die Lage ihres Landes und die Führung ihrer Geschichte bejahen viele Norweger die Einheit von Nation und Kirche. Norwegen kennt keine konfessionelle Spaltung und keine Komplexe gegenüber der eigenen Geschichte, wie sie für die innere Situation des deutschen Volkes der Gegenwart charakteristisch sind.

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LeerNatur und Geschichte prägen das norwegische Volk in hohem Maß. Das zu wissen, ist für das Verständnis einer geistlichen Gemeinschaft dieses Landes wichtig. Das harte Klima, die weiten Wege, die bäuerliche Kultur haben einen großen Einfluß auf die Menschen. Hier und da sind noch Bräuche aus vorchristlicher Zeit lebendig. Ein praktischer Sinn für die Notwendigkeiten des Alltags verbindet sich in vielen Norwegern mit tiefen Gedanken und Empfindungen. Die Liebe zur Heimat und zum Vaterland sind fest eingewurzelt. Die Zeit der Besetzung Norwegens von 1940-1945 haben Volk und Kirche im Widerstand gegen die Unfreiheit erneut verbunden. Äußere Zeichen des christlichen Glaubens sucht man auf den Felder und Bergen, zumeist auch in den Häusern vergebens; aber die Bereitschaft, den Glauben an Christus für das eigene Leben ernst zu nehmen, scheint stärker verbreitet zu sein als im deutschen Protestantismus.

LeerEs gibt in Norwegen kleine Freikirchen und eine winzige, aber aktive römisch-katholische Minorität. Einige katholische Priester suchen die Gemeinschaft des Ordo Crucis. Das wirft keine großen Probleme auf. Die Kirche von Norwegen hat bestimmte katholische Formen bewahrt. Die Pfarrer tragen zur Predigt das schwarze Gewand mit einer Halskrause, ähnlich der liturgischen Tracht in Hamburg und Lübeck, zur Feier des Altarsakraments Alba (Chorhemd) und Casel, jedoch keine Stola. Damit hält es die Kirche von Norwegen im Ganzen ähnlich, wie Luther es einst in Wittenberg gehalten hat. Die Ordnung des Hauptgottesdienstes entspricht der Liturgie in den lutherischen Kirchen Deutschlands. Der Ordo Crucis hält sich bei seinen Zusammenkünften an die allgemeine kirchliche Gottesdienstordnung. Meist werden kleine Einzelkelche verwendet. Die Handkommunion haben wir nicht erlebt. Zur Einsegnung legen die Konfirmanden weiße Kleider an. Die Jugend, die wir im Gottesdienst sahen, war ernsthaft beteiligt.

LeerDie ökumenische Gebetswoche im Januar wird gemeinsam mit Katholiken und freikirchlichen Christen gehalten. Auch sonst gibt es ökumenische Zusammenkünfte. Im Haus von Frau Godal in Hosle bei Oslo trafen wir mit leitenden Brüdern des Ordo und mit Mitgliedern der ökumenischen Fellowship St. Alban und St. Sergius, unter ihnen mit dem orthodoxen Bischof Therapon, zusammen. Diese Abende wurden mit der gesungenen Komplet in der Hauskapelle beschlossen.

LeerDie Regel des Ordo Crucis ist kurz und einfach abgefaßt. Der Ordo weiß sich an die Bekenntnisse gewiesen und mit der Kirche und ihren Bischöfen verbunden. Kirche und Christentum sollen nicht geschieden werden. Die Brüder suchen die kirchliche Einheit in Christus über alle Sonderinteressen hinaus. Einige Sätze aus der Ordensregel, die ergänzt wird durch einen „Initialpsalm” und Gebete zum Morgen, zur Mittagsstunde und zur Abendzeit, mögen diesen Bericht beschließen:

Leer„Wir wollen eine Gebetsgemeinschaft in unserer Kirche sein. Wir wollen beten für die ganze heilige allgemeine Kirche und täglich unserer Brüder in unseren Gebeten gedenken. Wir wollen fleißig an der Feier des Nachtmahles teilnehmen, weil Christus es so will und weil wir es brauchen. Bei unserem Altargang in der Gemeinde sind wir mit dieser verbunden und untereinander vereint als die Diener Christi und der Gemeinde. Außer der Teilnahme am Gemeindegottesdienst wollen wir regelmäßig unsere eigenen gottesdienstlichen Versammlungen halten. Die Brüder, die über die Welt verstreut sind, sollen wissen, wann die Brüder in Oslo versammelt sind, so daß jeder an seinem Platz mit dabei sein kann.

LeerWir wollen suchen - und einander geben - seelsorgerliche und persönliche Hilfe in allem, was unsere Arbeit und unsere persönlichen Schwierigkeiten betrifft. Und wir sind verpflichtet, Hilfe zu suchen und im Gespräch mit unseren Brüdern zu handeln. Wir wollen selbst die Beichte gebrauchen und sie in der norwegischen Kirche wieder einführen.

LeerWir wollen so leben, wie es den Dienern unserer Kirche würdig ist, Luxus vermeiden, uns nicht über Geldsachen ausbreiten, maßhalten, Eitelkeit und Trägheit scheuen.

LeerBei unserer Aufnahme in den Orden wollen wir zuerst geloben, diese Regel zu halten und den Gottesdienst mit Abendmahl zusammen mit den Brüdern feiern.

LeerWir beten, daß Gott unseren Orden segnen möge, und daß das, was wir tun,. geschehen möge zu Gottes Ehre.”

Quatember 1975, S. 43-46

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-08
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