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Rudolf Bultmann - ein Lehrer des Glaubens
von Walter Lotz

LeerEinen Lehrer der Kirche kann man ihn wohl kaum nennen, im Unterschied zu dem anderen Vater der Dialektischen Theologie, Karl Barth, der sein vielbändiges Hauptwerk „Kirchliche Dogmatik” nannte. Eine Fülle von Stoff aus der kirchlich-theologischen Arbeit aller Jahrhunderte und aus der ganzen Christenheit war hier zusammengetragen. Reformatorische Bestimmtheit und katholische Weite wurden auf eine Weise vermählt, daß das Lebenswerk Karl Barths als eine Übergangshilfe zu einer wahrhaft ökumenischen Theologie erscheinen konnte.

LeerGanz anders und doch mit ähnlicher Konsequenz erscheint das Lebenswerk Rudolf Bultmanns, der im 92. Lebensjahr am 4. August dieses Jahres in Marburg zu Grabe getragen wurde. Die von nah und fern zusammengekommene Gemeinde erlebte eine Feier, für die der Verstorbene sich jede Rühmung, jede Rede, ja auch jede Predigt verbeten hatte. Nur Worte Heiliger Schrift sollten zur Geltung kommen. Zwischen Musik, geistlichen Chören und Gemeindegesang las Christian Zippert als früherer Gemeindepfarrer Bultmanns im Wortlaut der Lutherbibel Stücke aus den Paulusbriefen, aus dem Johannesevangelium und den ganzen 103. Psalm. Dann begab sich ein langer Trauerzug unterm Geläut einer kleinen Glocke zu Vaterunser und Bestattungshandlung an das Grab. Am Abend des nächsten Tages brachte eine kleine Schar in der Universitätskirche spontan ihren Dank und ihre Fürbitte in einer Gedächtnismesse vor Gott und wußte in die Feier der Eucharistie den Gelehrten eingeschlossen, der gerade auch in dieser Kirche in den Jahren, als Karl Bernhard Ritter ihr Pfarrer war, so manche fromme Predigt gehalten hat. In seinen Marburger Predigten stand Bultmann das gleiche Ziel vor Augen, dem er auch in seiner Wissenschaft dienen wollte: Hörer des Wortes zum Glauben zu rufen und ihnen das Glauben des Glaubens deutlich und wichtig zu machen.

LeerDieses Ziel schien für Bultmann gefährdet durch eine mehr äußerliche Auffassung des Glaubens, die sich mit Stützungen, Ableitungen und Beweisen um eine Fülle von Glaubensaussagen in einem festen, statischen System bemühte, um sicher zu gehen und nichts Wichtiges zu versäumen. Die These Wilhelm Stählins stand auch über Rudolf Bultmanns Bemühen: Nicht Sicherheit, sondern Gewißheit! Mehr als um das „Was” des Glaubens ging es ihm um das „Daß” des Glaubens und um das „Wie”. Als Lutheraner wußte und bekannte er, „daß der Mensch nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, seinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann.” Darum gebrauchte er seine Vernunft und Kraft, um falsche Sicherungen und zur Leblosigkeit erstarrte Glaubensformen bloßzustellen und den Weg zur Antwort auf das Wort freizumachen. Dabei gab er Anstöße zum Fragen und Verstehen, die für viele anstößig wirkten. Er handelte dabei jedoch nicht aus einer dialektischen Lust am Anstoßgeben, sondern aus unerbittlicher Redlichkeit.

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LeerBultmann wußte, daß er das Ärgernis Jesu nicht größer zu machen brauchte als es an sich schon war. Der Satz Jesu „selig ist, der sich nicht an mir ärgert” (Matth. 11,6) war für ihn keine nachösterliche Formulierung aus der Gemeindetheologie, sondern ein zentral wichtiges Dokument aus der Predigt und dem Anspruch Jesu selbst. Gefährlich erschien ihm jede Theologie, die dieses geschichtliche Ärgernis, das der unerhörte Anspruch des Menschen Jesus nun einmal bereitete, mit einem Gemisch aus orientalischen Mythen, griechischer Religionsphilosophie und lateinischer Rationalität zuzudecken suchten. Auf der anderen Seite aber wollte er auch den auflösenden Wirkungen der historisch-kritischen Theologie Einhalt gebieten, die immer mehr Inhalte des Neuen Testaments als unmöglich ausschied, weil sie mit dem heutigen oder gestrigen Weltbild nicht mehr übereinstimmten. Nicht das Ausscheiden sieht Bultmann als Lösung an, sondern das heutige Verstehen des damals Gemeinten, ohne billige Anpassung an heutige Allerweltsmeinungen, vielmehr in geschärfter Zuspitzung der Verkündigungsinhalte auf unsere heutige Existenz.

LeerWas man sich früher in drei Stockwerken unter Himmel, Erde und Hölle vorstellen konnte, rückt uns heute näher auf den Leib und ist weder in die Ferne noch in die Zukunft abzuschieben. Unverfügbar, aber auch unausweichlich ist die Stimme des Du, die unter mythologischer Einkleidung oder in Sprach- und Denkformen vergangener Weltbilder heute und hier zu uns spricht und das Ja einer glaubenden Existenz herausfordert.

LeerDie nüchterne Bescheidenheit, mit der Bultmann uns das wissenschaftliche Handwerkszeug zu handhaben lehrte, war nicht wichtiger als die Unbeirrbarkeit, in der er uns Luthers „Allein aus dem Glauben” vorlebte. Nicht jeder, der sich an vergangene Glaubensformulierungen klammert, muß ein Heuchler sein. Aber wer es durch Bultmanns Ermutigung gewagt hat, unter Einsatz der eigenen Existenz Jesus als Herrn anzunehmen, der weiß, was das kostet und wie befreiend es ist. Wenn er damit anstößig wirkte auf Menschen, denen es mehr um das leere Grab als um den lebendigen Herrn ging, so ließen ihn auch heftigste Angriffe und Schmähungen völlig gelassen. Er wirkte darin glaubwürdiger als der unverständige Übereifer manches Gegners, der sich selbst für gläubiger hielt.

LeerBultmanns Wirksamkeit erstreckte sich auch in weite Bereiche der katholischen Theologie hinein, wo er verhältnismäßig sehr früh ein positives Echo fand, vielleicht weil dort schon länger und verstärkt ein Verlangen nach wurzelhafter Lebendigkeit des Glaubens sich aufgestaut hatte. So hat Bultmann aus seiner Studierstube heraus auch für die Ökumene Bedeutung gewonnen, obwohl er die ökumenische Problematik nicht als sein Arbeitsfeld ansah. Das gilt auch von andern Bereichen, etwa der Tiefenpsychologie und der Liturgie. Einmal auf die kultisch-sakramentale Entfaltung neutestamentlicher Ansätze angesprochen, sagte er: „Davon verstehe ich zu wenig.” Solche Selbstbeschränkung hinderte ihn aber nicht, einen Pfarrer zu ermutigen, der aus seiner Praxis berichtete, wie Mythus, Sakrament und Kultus aus der glaubenden Existenz heraus in der Gemeinde eine neue Bedeutung gewonnen habe: „Wenn Sie wissen, was Sie tun, dann tun Sie es nur getrost!” Seine in ruhige Beharrlichkeit gefaßte gläubige Entschiedenheit ließ sich auch von liebloser Polemik und pharisäischen Häresie-Vorwürfen nicht aus der Ruhe bringen. Darin erwies er sich als ein gläubiger Lehrer des Glaubens, auch wenn er vergangene Glaubensformulierungen in großem Umfang links liegen ließ.

LeerRudolf Bultmann hat es noch erlebt, wie das Gespräch der Zeit an ihm vorbeiging und seine Auffassung von moderner Naturwissenschaft ebenso wie das Heideggersche Sprachgewand seines philosophischen Vorverständnisses altmodisch wurden; auch wie man neu danach fragte, welchen erkennbaren Rückhalt die spätere Entwicklung der christlichen Botschaft im geschichtlichen Leben und der Lehre Jesu selbst hatte. Er hat das weitergehende Gespräch mit Wachheit verfolgt, ohne selbst noch einzugreifen. Daß man über ihn hinaus ging, bedeutet nicht, daß man je wieder hinter ihn zurück könnte. Er bleibt in der Wurzelhaftigkeit seines Fragens ein bedeutsamer und hilfreicher Lehrer des Glaubens auf dem Weg der Christenheit, dem Weg des Glaubens und nicht des Schauens.

Quatember 1976, S. 212-214

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-08
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