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Ökumenische Aspekte der Meditation
von Beda Müller OSB

LeerVor Jahren habe ich in dieser Zeitschrift schon einmal einen Erfahrungsbericht zu diesem Thema veröffentlicht. Damals war es der Bericht einer Dame, die ich in meinem ersten Meditationskurs auf diesen Weg aufmerksam machen konnte. Jetzt möchte ich versuchen, etwas über meine eigenen Erfahrungen mitzuteilen.

LeerWir haben in unseren Orden immer schon eine Anleitung zur Meditation bekommen und uns bemüht, ihr einen festen Platz in unserem Tageslauf zu geben. Meist nannten wir diese Übung „Betrachtung”. Es handelte sich im wesentlichen um die ignatianische Methode, die nicht nur im Jesuitenorden praktiziert wurde, sondern auch in den meisten anderen Orden während der letzten Jahrhunderte dominierte. Ignatius von Loyola wählte mit Vorliebe lebendige Szenen aus den Evangelien als „Betrachtungsstoff”. Man soll sich lebhaft Ort und Zeit der Handlung vorstellen, soll die beteiligten Menschen beobachten, soll sich die Worte ins Ohr dringen lassen, die gesprochen werden, vor allem die Worte Jesu. Dann soll man auf die Reaktionen achten, welche die Worte und Handlungen Jesu bei den Anwesenden bewirken: Staunen oder Fragen, Glauben oder Unglauben, Dank oder Ablehnung, Begeisterung und Liebe oder Haß. Endlich soll man sich selbst unter die Hörer Jesu mischen und bei sich selbst die Reaktionen und Emotionen auslösen, die aus der Konfrontation mit Jesus ergeben. Es geht hier also weniger um eine intellektuell-exegetische Bemühung - diese wird vorausgesetzt - als darum, daß ich die Bibel zu meinem Herzen reden lasse und mit dem Herzen auf die Botschaft antworte. Es ist dies eine gute Methode, die Bibel zu lesen. Hat nicht auch Martin Luther einen ähnlichen Umgang mit der Offenbarung empfohlen?

LeerIch muß jedoch gestehen, daß die Anleitung meines Novizenmeisters bei mir nicht so recht gezündet hat. Ich habe diese „Betrachtung” im Laufe meiner Ordensjahre mehr schlecht als recht durchgeführt, mehr als Pflichtübung denn mit spürbarem Gewinn und mit Begeisterung. Rückblickend von meinen jetzigen Erfahrungen aus muß ich sagen, es war eigentlich nicht mehr als eine besinnliche Lektüre. Ich dachte bisweilen, daß unser Novizenmeister uns nicht richtig in diese Methode eingeführt habe. Deswegen war ich überrascht, als Pater Lassalle, der als Jesuit doch sicher eine gediegene Einführung in diese Methode erhalten hatte, mir von der gleichen Erfahrung mit dieser „Betrachtung” erzählte. Auch ihm war in dieser Methode noch zu viel eigene Bemühung, zuviel Anstrengung der Phantasie und des Willens. Auch für ihn war es die große Entdeckung, als er in der Zen-Methode dem religiösen Leistungsdruck enthoben und zur Meditation des einfachen Da-seins, der äußeren und inneren Stille geführt wurde.

LeerEine andere Weisung meines Novizenmeisters hatte sich bei mir fruchtbarer ausgewirkt. Er riet uns, nach der Heiligen Messe und Kommunion eine Viertelstunde auf die „Danksagung” zu verwenden. Nach einigem Wenn und Aber mußte ich zugeben, daß dieser Rat gut war. Der Empfang der Eucharistie ist ja keine Schluckimpfung, die automatisch-magisch wirkt, sondern eine personale Begegnung von großer Intimität. Und für so etwas muß man sich Zeit nehmen. Ich kann rückblickend sagen, daß mir in diesen Viertelstunden am meisten geschenkt wurde, mehr als beim eigentlichen Gottesdienst, mehr als beim theologischen Studium, mehr als bei den jährlichen Exerzitien, die meist nur aus Vorträgen bestanden. Nicht als ob dieses alles wertlos gewesen wäre, aber in jenen Viertelstunden wurde alles „existentiell”, wurde ich konkret geführt, profilierte sich mein persönlicher Weg in der Nachfolge des Herrn und in der Bewältigung meiner Aufgaben in der Seelsorge. Hier empfing ich auch die Impulse für die ökumenische Tätigkeit, die mir im Laufe der Jahre zuwuchs.

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LeerIch benutzte bei dieser „Danksagung” eine Jesus-Litanei. Es mußten immer die gleichen Worte sein, an denen ich entlang ging. Seltsamerweise hatte ich nicht das geringste Bedürfnis, die Worte zu ändern. So konnte ich in ihnen ruhen und in ihre Tiefe steigen. Ich konnte sie, wie es von Maria heißt, „im Herzen bewahren und bewegen”. Viel später erst verstand ich, daß diese „Danksagung” meine Meditation war, von der ich in Wahrheit lebte, die Quelle der Gotteserfahrung meines monastischen Daseins.

LeerDiese Klärung begann im Jahre 1970, als Graf Dürckheim zur Neresheimer Werkwoche kam und uns mit östlichen Meditationsmethoden bekannt machte. Diese Woche bedeutet eine der entscheidenden Weichenstellungen in meinem Leben. Ich habe mich nur sehr zögernd bereit gefunden, den Bodensitz einzunehmen, und noch schwerer ging mir die „gegenstandslose” Meditation ein. Zur gedanklichen Klärung benötigte ich Jahre und kann auch jetzt noch nicht behaupten, daß sie abgeschlossen ist. Aber ich machte die Erfahrung, daß dieses regungslose Stillsitzen, das Loslassen der Gedanken mit Hilfe der Beobachtung des Atems eine wohltuende und heilsame Wirkung hatte. Es ist gar nicht leicht, diese Wirkung zu beschreiben. Man kann sie eigentlich nur rückblickend feststellen. Es ist ein Zu-sich-selbst-kommen, eine wunderbare innere Stille, ein Offenwerden für die tiefere Wirklichkeit der Natur, des Mitmenschen und Gottes. Es war ehe erstaunliche Entdeckung, die ich alsbald auch an Andere weiterzugeben begann. Und ich durfte feststellen, daß auch andere Menschen von dieser Übung reich beschenkt wurden, daß für viele - wie sie mir versicherten - ein neues Leben begann. Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder unter der Leitung von Erfahrenen geübt, bei Dürckheim, Pater Lasalle, Klemens Tilmann, Willi Massa, Pater Lutze, J. B. Lotz und anderen, von denen ich viel gelernt habe. Ich glaube aber, meinen eigenen Weg gefunden zu haben.

LeerNicht wenig hat mir auch die Kritik Anderer geholfen. Von meinen Mitbrüdern kam der Einwand: „Pater Beda, haben wir Benediktiner mit unserer fast 1500-jährigen Erfahrung es nötig, uns von den Buddhisten über Meditation belehren zu lassen?” Von evangelischen Freunden wurde mir eines Tages gesagt: „Pater Beda, die Götter des Zen haben von Ihnen Besitz ergriffen. Sie müssen zurück bis zu dem Punkt wo Sie den soliden biblischen Weg verlassen haben”. Obwohl ich diesen Kritikern nicht Recht geben konnte, vor allem dann nicht wenn sie sich nicht die Mühe machten, meine Arbeit selbst kennen zu lernen, und sich ihr Urteil nur vom Hörensagen bildeten so bemühte ich mich doch, dem Wahrheitsgehalt dieser Einsprüche gerecht zu werden. Auf diese Weise kaum ich zu meiner eigenen Methode, die ganz bewußt an die christliche Tradition anschließt, aber auch östliche Elemente aufnimmt.

LeerDabei zeigte sich, daß manches, was zunächst als spezifisch östlich erschien, etwas allgemein Menschliches oder gar etwas gut Biblisches war. Das gilt zum Beispiel von der Beachtung der Körperhaltung. Wie oft wird in der Bibel erwähnt daß der Mensch sich zur Erde wirft, wenn er etwas von der Wirklichkeit Gottes erfährt. Warum haben wir der Leiblichkeit so wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Unsere Liturgie weiß noch von der Bedeutung der Gebärde, die nicht nur Ausdruck meiner inneren Gesinnung sein kann, sondern auch auf diese zurückwirkt. Geist und Leib stehen in einer innigen Wechselbeziehung. Der Bodensitz und die tiefe Verneigung können Ausdruck meiner „humilitas” (Wortstamm: homo-humus) sein, können mir meine Erdhaftigkeit und Geschöpflichkeit bewußt machen, erlebbar machen, so daß ich mich leichter der Wirklichkeit des Schöpfers öffnen kann.

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LeerWie steht es mit der „Gegenstandslosigkeit” der Zen-Methode? Ist sie nicht ein genuines Element des Buddhismus? Gerät man hier nicht notwendig in den Sog einer nichtchristlichen Religion? Es gibt Erfahrungen, die uns warnen vor einem gedankenlosen Imitieren östlicher Praktiken. Aber finden wir bei unsern christlichen Mystikern nicht ähnliche Wege? Die frappierende Nähe zur Zen-Methode bei der „Wolke des Nichtwissens”, einer Gebetsanleitung eines englischen Mystikers des 14. Jahrhunderts, ist weithin bekannt. Wenn es in dem Tersteegen-Lied „Gott ist gegenwärtig” heißt: „Gott ist in der Mitten, alles in uns schweige und sich innigst vor Ihm beuge”, so dürfte es sich hier um den gleichen Vorgang handeln wie beim Zen. Hier fand ich auch die klassische Formulierung dessen, um was es uns in der Meditation geht: „Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten, laß mich so, still und froh, Deine Strahlen fassen und Dich wirken lassen”. Ein Tübinger Neurologe schrieb mir nach seiner Teilnahme an unsern Kursen: „Ich empfinde es als sehr positiv, wenn einzelne Theologen darangehen, Erfahrungen und Methoden aus dem außerchristlichen Raum aufzunehmen und in das Christentum zu integrieren. Seit je war diese Offenheit ein Zeichen der Stärke und sie ist heute nötiger denn je, um die Kirche aus ihrer Isolierung herauszuführen. Auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen mit der Meditation im Stil des Zen bin ich überzeugt, daß diese Methode jedem Christen und jedem suchenden Nichtchristen eine große Hilfe auf seinem Weg sein kann”

LeerDaß wir es nicht für „unter unserer Würde” erachten sollten, von den Nichtchristen zu lernen, wurde mir einmal bei einem Schwesternkurs mit Klemens Tilmann gezeigt. Ich hatte an Epiphanie die Eucharistiefeier zu leiten. Es wurde der bekannte Text aus Jes. 60 gelesen. Da heißt es in Vers 5 f: „Es strömt zu dir der Reichtum der Völker. . . Sie alle weben von Saba kommen und Gold und Weihrauch bringen . . .” Ist diese Verheißung schon erfüllt mit der Anbetung der Magier in Bethlehem, die Gold, Weihrauch und Myrrhe darbringen? Sind nicht auch die anderen Schätze des Ostens für Christus bestimmt und für die heilige Stadt, auch Yoga und Zen?

LeerWie mache ich es? Vor allem durch die Anregungen von Graf Dürckheim bin ich dazu gekommen, zu Beginn der Meditation ein Wort als „Einstieg” zu wählen, zum Beispiel „Ich werde getragen”, „Ich werde gerufen”, „DU sollst wachsen - ich soll abnehmen”. Dieses Wort soll mit dem Atemrhythmus verbunden werden, so daß es tief in uns hineinwirken kann. Es ist nicht als Thema gedacht, über das ich nachdenken soll, sondern als Impuls, um die Gedanken loszulassen, um mich einem größeren, übergreifenden Geschehen anzuvertrauen und darin zu ruhen. Wort und Atem sind gewissermaßen die beiden Geländer, an denen ich mich festhalten kann, um ohne Angst in den unbekannten Raum des inneren Schweigens eintreten zu können. Vor allem evangelische Christen haben mir immer wieder versichert, daß diese Methode ihnen sehr geholfen habe, in die Meditation hineinzukommen. Der evangelische Christ ist stark vom Wort geprägt und kann sich mit Hilfe eines solchen Wortes leichter zurechtfinden als mit der reinen Zen-Methode (wie sie von Pater Lasalle gelehrt wird), bei der keinerlei Worte mitgegeben werden. Bei längeren Kursen wähle ich gerne Einstiege aus allen drei Glaubensartikeln. Das Gebet vieler Christen scheint an einer christologischen Engführung zu leiden. Der erste Glaubensartikel kommt zu kurz. Und doch ist es wichtig, daß die Schöpfungswirklichkeit die breite Basis für unsere Gotteserfahrung bildet. Das Atemgeschehen, die Erde, die uns trägt, die Sonne, die uns wärmt, der Leib, den Gott uns bereitet hat, und anderes mehr sind wertvolle Ausgangspunkte für die Meditation.

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LeerAm Schluß der Meditation, die sich schweigend vollzieht (10 Minuten bis zu 30 Minuten), spreche ich in der Regel ein kurzes freies Gebet. Das ist in der Zen-Methode nicht üblich, und ich erfahre hier immer wieder Einspruch von Teilnehmern, die noch nicht so weit sind und sich überfordert oder überfahren fühlen. Dennoch sind meine Erfahrungen mit diesem Gebet überwiegend gut. Verläuft hier nicht eine Scheidelinie zwischen christlicher und nichtchristlicher Meditation? Muß man einen umgepflügten Acker nicht bald einsäen, wenn die Verunkrautung nachher nicht schlimmer als vorher werden soll? Das freie Gebet hat bei evangelischen und katholischen Christen eine unterschiedliche Tradition. Für Katholiken ist es oft eine beglückende Neuentdeckung, während Evangelische hier nicht selten ungute Erfahrungen mitbringen. Immer wieder wird es geschenkt, daß die Meditation zu einer echten Gebetsgemeinschaft führt. Vielleicht ist die ganze Meditationsbewegung - auch Pater Lassalle hält das für möglich - eine Vorbereitung für eine charismatische Erneuerung der Kirche.

LeerAußerhalb der Kurse meditiere ich morgens um 7 Uhr und abends um 20 Uhr mit unseren jungen „Au-pair-Gästen”. Außerdem habe ich nach der Eucharistiefeier meine traditionelle „Danksagung” als meine persönliche Meditationszeit. Ich stelle bei mir fest, daß die Meditation in der Gruppe leichter gelingt. Schon aus Rücksicht auf die Anderen bleibe ich dann ruhig sitzen. Der gemeinsame Einstieg und das Gebet am Schluß geben dieser Gruppenmeditation einen tragfähigen Rahmen. Es sind aber nicht nur psychologische Gründe, die für die Gruppenmeditation sprechen, sondern es ist vor allem das Wort Jesu: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen”. Hier kann man die Wahrheit dieses Wortes erfahren.

LeerDie Eucharistiefeier führt uns dann noch einen Schritt weiter, führt vom „Christus unter uns” zum „Christus in uns”. Die Einwohnung Gottes in mir, von der die letzte Strophe des genannten Tersteegen-Liedes handelt, ist eines der großen Geheimnisse des Christenlebens, die von der Meditation erschlossen werden können. Darum ist mir die Meditation nach der Messe immer wichtiger geworden. Doch muß ich ehrlich zugeben, daß es auch hier Durststrecken gibt, und jetzt da ich dieses schreibe, stecke ich in einer solchen. Aber nicht nur bei mir selbst habe ich erfahren, daß Eucharistie und Meditation sich gegenseitig ergänzen, sondern auch bei meinen Meditationsschülern. Schon wiederholt ist es bei jungen Menschen vorgekommen, mit denen ich am Ende eines Kurses die Eucharistie feierte und nach der Kommunion zehn Minuten Meditationsstille einschaltete, daß sie am Ende nicht mehr weggehen wollten. Sie sagten, eine so tiefe Christusbegegnung hätten sie noch nie gehabt und die wollten sie festhalten.

LeerBei allen Einführungskursen werden eutonische Übungen zur Vorbereitung auf die eigentliche Meditation angeboten. Ich leite diese Übungen nicht selbst und habe für mich persönlich auch nicht das Bedürfnis nach diesen Übungen. Vielleicht hat unser monastisches Stundengebet noch soviele Elemente der „Verleiblichung”, daß ich diese Übungen nicht brauche. Sollten wir nicht neu über die Rolle des Leibes im Gottesdienst und Gebet nachdenken? Jedenfalls versichern mir die meisten der Kursteilnehmer, daß sie ohne die eutonischen Übungen nicht zur inneren Stille und Gelöstheit gekommen wären.

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LeerBei den Aufbaukursen haben wir diese Entspannungsübungen (bis jetzt) weggelassen und dafür andere Elemente des geistlichen Lebens hinzugenommen, Aus dem evangelischen Raum stammen das Bibelgespräch und die freie Gebetsgemeinschaft, aus der katholischen Überlieferung kommen die Feier der Liturgie und die Praxis der Meditation. Evangelische und katholische Spiritualität ergänzen und befruchten sich gegenseitig, weswegen wir diese Aufbaukurse „Ökumenische Tage im Kloster” genannt haben.

LeerSehr glücklich ist auch die Verbindung von Meditation und Bibelgespräch mit Fasten, wie ich es nun schon viermal auf Schloß Craheim erlebt habe. In der katholischen Kirche hat die Übung des Fastens eine lange Tradition. Aber in der letzten Zeit ist sie immer mehr abgebaut worden. Auch in unsern Klöstern spielt das Fasten leider keine besondere Rolle mehr. Trauen wir uns nicht mehr, spürbare Verzichte zu fordern? Dafür haben Ärzte die Bedeutung des Fastens neu entdeckt. Meines Wissens wurden im Kloster Kirchberg zum erstenmal Fastenwochen durchgeführt, die unter ärztlicher und geistlicher Leitung standen. Seltsam, daß vierzig Mönchsjahre vergehen mußten, bis ich Gelegenheit bekam, eine ganze Woche wirklich zu fasten. Ich war überrascht, wie wohltuend sich diese Übung auswirkt, wie sie spirituelle Kräfte freisetzt, wie sie die Meditationserfahrungen bereichert und vertieft.

LeerHöhepunkte des Meditationsweges können die sogenannten „Sesshins” werden. Das sind strenge Zen-Kurse, wie sie bei uns vor allem durch Pater Lassalle bekannt geworden sind. Ich habe dreimal einen fünftägigen Kurs bei ihm mitgemacht. In diesem Frühjahr leitete ich zum erstenmal selbst einen solchen. Die Tage werden in völligem Schweigen gehalten. Ausnahme: täglich ein Vortrag oder ein Erfahrungsaustausch am letzten Tag, persönlicher kurzer Rechenschaftsbericht beim Leiter. Die Hauptsache: das Sitzen, 7 - 10 mal eine halbe Stunde täglich. Zu diesen Meditationen werden keine „Einstiege” gegeben und keine Gebete gesprochen. Doch wird die Teilnahme an der Liturgie ermöglicht und empfohlen. Dieses gemeinsame „geballte” Schweigen wird für viele Menschen zu einem außerordentlich stärkenden Erlebnis, obwohl die Teilnahme keine geringe Anstrengung kostet. Wir haben in den letzten Jahren bei keiner anderen Veranstaltung einen solchen Andrang erlebt wie bei diesen „Sesshins”. Der heutige Mensch ist überprogrammiert und hat ein tiefes Verlangen, all den vordergründigen Ballast einmal loszuwerden, um frei und offen zu werden für das Eigentliche, für Gott. Er sucht nicht Belehrung - diese wird ihm in den üblichen Gottesdiensten und den kirchlichen Medien fast im Übermaß zuteil - sondern verlangt nach Erfahrung. Er sehnt sich nach einem Exerzitienmeister, der strenge Forderungen zu stellen wagt.

LeerDie Wirkung eines solchen „Sesshins” möchte ich mit einem Vergleich beschreiben: Wenn abends die Sonne untergegangen ist, dann kommt die Dämmerung, ein eigenartiger Zwischenzustand zwischen Tag und Nacht. Wenn man im Freien ausharrt und der Himmel klar ist, so geht eine neue Welt auf, die Sternenwelt. Genau genommen, ist es aber keine neue Welt, denn die Sterne waren vorher schon da und wurden nur von der Sonne überblendet. Wenn ich in die Nacht der inneren Stille eintrete, so kommt auch zunächst dieser eigenartige Zwischenzustand, wo ich nicht recht weiß, was soll dieses Dösen und Träumen. Wenn ich aber beharrlich weiterübe im Loslassen der Gedanken und Absichten, dann geht eine neue Welt auf, nicht über mir, sondern in mir.

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LeerDoch auch hier gilt, daß es keine neue Welt ist. Es sind die wertvollen Ereignisse und Erfahrungen meines Lebens, die immer deutlicher hervortreten. Erlebnisse aus der Kindheit, die lieben Menschen, die mein Leben begleitet und reich gemacht haben, Gottesbegegnungen. Wie Sterne treten diese aus dem Dunkel meines Bewußtseins hervor. Eine wunderbare Erfahrung! Ich sehe ihn noch vor mir den Oberstudiendirektor mit seiner Frau, die mit Tränen der Freude, der Ergriffenheit und des Dankes sich von mir verabschiedeten.

LeerBeim letztjährigen Sesshin ist bei mir etwas passiert, das ich erst nach mehreren Monaten in seiner Bedeutung erkannt habe. Am dritten Tag stieg aus dem Schweigen der Psalmvers in mir auf, mit dem wir Benediktiner unsere „Profeß” machen, das sogenannte „Suscipe”. Es ist ein Vers aus dem 119. Psalm: „Nimm mich an, o Gott, nach deinem Wort und ich werde leben. Und laß mich nicht zuschanden werden in meiner Hoffnung!” Eine ganze halbe Stunde lang erfüllt mich dieser Text bis an den Rand und ich konnte ihn aus tiefstem Herzen vollziehen, bewußter als damals, da ich zum ersten Mal diesen Vers sang. Nach Monaten wurde mir klar, daß es das vierzigste Jahr seit meinem ersten Gelöbnis war, und am Ende des Jahres wußte ich, daß eine schleichende Berufskrise, die mir seit Jahren zu schaffen gemacht hatte, überwunden wurde. Eine Frucht des „Sesshins”.

LeerImmer wieder werde ich gefragt, ob es nicht gefährlich sei, sich so der totalen Leere auszusetzen. Da könne der Mensch doch in Abgründe stürzen. Diese Gefahr ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen. Ich möchte die Teilnahme an einem „Sesshin” mit der Besteigung eines Dreitausenders vergleichen. Da braucht man eine gute Kondition, eine solide Ausrüstung, einen guten Führer und eine zuverlässige Mannschaft.

LeerEine negative Erfahrung muß ich ehrlicherweise auch berichten. Bis jetzt ist es mir noch nicht gelungen, auf Reisen und im Urlaub zu meditieren. Eigentlich sollte man meinen, daß es hier, frei von allem Streß und allen Zwängen, besonders gut gelingen sollte. Bei Anderen mag dies auch zutreffen. Ich brauche für die Meditation feste Zeiten und den vertrauten Raum. Wahrscheinlich ist auch die schützende Atmosphäre des Klosters und die Geborgenheit in einem betenden Konvent nicht ohne Bedeutung. Doch leite ich ja auch außerhalb des Klosters Meditationskurse. Dann hilft mir die Gruppe und der, der uns seine Gegenwart verheißen hat, wenn wir uns in seinem Namen versammeln. Natürlich ist es das Ziel der Meditationsübung, sich immer und überall in Gottes Gegenwart zu versenken. Aber ich bin noch lange nicht soweit. Allen, die ernstlich mit der Meditation beginnen wollen, ist zu raten, sorgfältig nach dem geeigneten Ort und der besten Zeit zu suchen und dann beharrlich dabei zu bleiben.

LeerZum Schluß noch einige Gedanken über den ökumenischen Aspekt der Meditation. Im gemeinsamen Schweigen können evangelische und katholische Christen eine Gotteserfahrung machen, die uns tiefer zueinander führt als theologische Erörterungen, kirchenamtliche Vereinbarungen oder gemeinsame diakonische Aktivitäten. Auch die üblichen ökumenischen Gottesdienste führen nur ein kleines Stück voran. Im gemeinsamen Stillewerden vor dem Herrn kommen wir weiter, werden die alten Unterschiede nicht weggewischt, aber relativiert und erscheinen in neuem Licht. Eine tiefere Einmütigkeit wächst, ein Vertrauen wird geschenkt, in dem wir viel unbefangener über die Kontroversfragen sprechen können. Ich durfte inzwischen sechs evangelische Pfarrkonvente in die Meditation einführen und auch noch mehr Gruppen von Diakonen und Schwestern der württembergischen Landeskirche. Ich sehe hier einen spezifisch monastischen Beitrag zum ökumenischen Geschehen.

Quatember 1978, S. 28-35
© P. Beda Müller OSB

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-08
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