|
von Waldemar Wucher |
In Arnoldshain ist am Palmsonntag der Michaelsbruder Bildhauer Helmuth Uhrig im Alter von 72 Jahren gestorben. In „Quatember” seiner zu gedenken, heißt, eine erste Würdigung seines Lebens und Werkes zu verbinden mit der Frage nach „christlicher Kunst” in unserer Zeit. Helmuth Uhrig hat sich ausdrücklich zur Zeitgenossenschaft mit der Kunst des 20, Jahrhunderts bekannt. Der Michaelsbruder Uhrig, der er seit 1951, also mehr als ein Vierteljahrhundert, gewesen ist, war überzeugter und tätiger Christ. Wie beides heute - oder künftig - miteinander zu verbinden oder neu zu versöhnen sei, darüber hat er sowohl nachgedacht als auch in seinem bildhauerischen und zeichnerischen Werk es immer neu versucht. Seine Begabung war groß, und es ist wohl erlaubt zu vermuten, daß er in der säkularen Kunstlandschaft des 20. Jahrhunderts einen weit bekannteren Namen bekommen hätte, wenn auch er der Experimentierfreudigkeit vieler „autonomer” Künstler seinen Tribut gezollt hätte. Doch er ist einen anderen Weg geführt worden. Der aus Heidenheim an der Brenz Gebürtige hatte in dem Stuttgarter Bildhauer Professor Alfred Lörcher einen Lehrer gefunden, der seine bildhauerische Begabung auf vielseitige Weise entband und förderte, wie das der Meisterschüler in einer eigenen kleinen Schrift später selbst hellsichtig analysiert hat. Diese Rückschau ist der literarische Beleg dafür, wie Uhrig den Sinn allen Denkens und Handelns zeitlebens in der zwischenmenschlichen Begegnung suchte und fand. Lörcher habe, so berichtet er, nie nur kunstpädagogische Theorien aufgestellt. Kunsttheoretisches Denken und praktisches bildnerisches Gestalten müßten dauernd zusammengehen, eine Einsicht, die Uhrigs künstlerischen Weg bis zuletzt begleitet hat. Auch Uhrigs Neigung zur Geometrie kam der Lehrer Lörcher entgegen. Die enge Verbindung von freier Gestaltung und mathematischer Bindung war Lörchers prädagogischer Lehrsatz und Uhrigs Schaffensmodell. Schließlich münden Uhrigs Erinnerungen an seinen Lehrer an einer Stelle, an der sich sein künstlerisches Herz für immer festmachte. Lörcher hielt streng auf die Qualität der Form, und insofern wies er seinen lernbegierigen Schüler auf den Weg der Kunst des 20, Jahrhunderts und begründete zugleich die heute fast zum Allgemeingut gewordene Kritik an vielen Erscheinungen „christlicher Kunst” besonders in der ersten Hälfte des 19, Jahrhunderts, die das Motiv als Hauptsache erachtete und die künstlerische Form vernachlässigte, was ungute Nachwirkungen bis in die Gegenwart gehabt hat. Uhrig berichtet am Schluß von einem Gespräch mit Alfred Lörcher, in dem er den Lehrer kurzerhand mit der für ihn brennend gewordenen Frage nach dem „Was” eines Bildes konfrontierte, Lörchers Antwort sei überraschend gewesen: „Vom Wie zum Was vorzustoßen, das ist die Aufgabe Ihrer Generation . . .”. Der innerste Gehalt dieser Szene bestimmt von da an offensichtlich Uhrigs Leben und Werk. Welches Können er auch als Zeichner und Maler hatte, das konnte man so recht ermessen, wenn er einem vertrauten Besucher einmal seine Landschafts-Aquarelle, die er während des Krieges in Rußland gemacht hatte, aus den Schränken holte, oder wenn er einem gelegentlich Einblick in seine „ludischen Studien” gab. Das waren köstliche Augenblicke, in denen er sich einmal ganz leicht und frei gab von dem ihn sonst ganz durchdringenden Streben, dem kirchlichen Handeln der Gegenwart neue künstlerische Impulse zu verleihen. Er wußte zutiefst um die Bedeutung des Bildhaften für alles Handeln der Kirche und beklagte nicht nur den Verlust dieser Erkenntnis, sondern suchte nach neuen praktischen Wegen. Es ist zu vermuten, daß ihm frühe Einsichten auf diesem Gebiet aus den Berneuchener Anfängen im Berneuchener Buch bekannt gewesen sind. Helmuth Uhrigs künstlerisches Lebenswerk ist so vielgestaltig, daß ein vollständiger Überblick noch kaum möglich erscheint. Es ist zu hoffen, daß es eines Tages nicht nur registriert, sondern auch im Zusammenhang mit der zeitgenössischen Kunst- und Kirchengeschichte gesehen und analysiert wird. Charakteristisch für sein Arbeiten ist es, daß er in vielen Fällen um die einheitliche Ausgestaltung von Kirchenräumen gebeten worden ist. Dabei reicht sein Wirkungsraum über die ganze Bundesrepublik hinweg, vielfach handelt es sich um Kirchen, an denen Michaelsbrüder als Pfarrer tätig waren. Er war in vielen Techniken zuhause, so daß es von ihm Figürlich-Bildhauerisches, Kanzel- und Altargestaltungen und Glasfenster ebenso gibt wie zahlreiche Entwürfe für Altar- und Kanzelparamente, die er zumeist in der engen und fruchtbaren Zusammenarbeit mit der Paramentenwerkstatt des Darmstädter Elisabethenstiftes gemacht hat. Wohl aus der Erkenntnis, daß es infolge der Übermacht des Rationalen auch im kirchlichen Raum heute nicht so leicht eine „Initialzündung” des Künstlerischen geben werde, hat Uhrig sich unablässig bemüht, didaktische Hilfen für das kirchliche Handeln und speziell für den kirchlichen Unterricht zu geben, von dem er meinte, daß er auf dem eingefahrenen, nur verbalen Wege gar nicht zum eigentlichen Ziele führen könne. Denn er wußte um den ganzen Menschen mit all seinen Sinnen und besonders um die Kraft des Schauens. Nächst dem von ihm entwickelten und in einem im Johannes Stauda Verlag 1970 erschienenen Buch dargestellten und begründeten „Sprechzeichnen”, das er als „Brücke vom Denken über das Vorstellen zum Verstehen” verstand und von dem er meinte, daß er damit in die sehr aktuelle Problematik eingreife, die sich mit dem Wandel des Denkens in unseren Tagen beschäftigt, müssen nun ganz besonders die vielen Zeichnungen und Holzschnitte zur Bibel gewürdigt werden, die in einer Zeit erlahmender Bildvertrautheit der erneuten Hinführung zur Heilsgeschichte zu dienen bestimmt waren und diesen Dienst auch in Zukunft leisten werden. Auch Uhrig wußte sehr wohl, daß die christliche Kunst früherer Jahrhunderte an ein Ende gekommen war, daß die Auseinandersetzung mit der Kunst der Zeit unausweichlich blieb und daß die Probleme einer Kunst, die im Dienste des Gotteswortes stehen soll, ebenso neu zu erarbeiten wären, wie die im bilderfeindlichen protestantischen Raum verlorengegangene christliche Ikonologie einer grundlegenden Erneuerung bedürfe. Er wußte auch, daß dazu die Auseinandersetzung mit theologischen und philosophischen Gegenwartsströmungen und -Erkenntnissen nötig sei. Daher hat er in vielfältigem persönlichem und brieflichem Kontakt mit führenden Persönlichkeiten des geistigen Lebens gestanden und sich mit den Fragen der modernen Kunst unvoreingenommen auseinandergesetzt. Er wußte beispielsweise genau um die grundlegende Bedeutung des Kubismus, von Kandinsky ebenso wie von Picasso. Der Weg der Kirche zur modernen Kunst ist offensichtlich ein weiter Weg. Helmuth Uhrig hat mit Fleiß und Ernst einen ehrlichen Beitrag dazu geleistet. Er wußte um die Mühsal. In seinen letzten, von Krankheit überschatteten Lebensjahren hat er die Bemühungen des Arnoldshainer Arbeitskreises „Bildende Kunst”, dem er von Anfang an angehörte, nur noch still, wenn auch mit innerer Anteilnahme begleiten können. Er merkte auf, wenn man ihm davon erzählte, wie in der Michaelsbruderschaft die Fragen Berneuchens nach Bild, Gestalt und Verleiblichung allmählich wieder virulent zu werden schienen und im 1. Berneuchener Gespräch zum ersten Male wieder neu formuliert wurden. Auch in dem ihm in seinen letzten Jahren abverlangten äußeren Maßhalten spürte man noch immer in jeder neuen leibhaften Begegnung mit ihm, wie er innerlich bis zuletzt aus Kraft und Fülle lebte, die ihm im Glauben geschenkt waren. Quatember 1979, S. 165-166 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-11-08 Haftungsausschluss |