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von Edith Thomas |
In der Festschrift "Kosmos und Ekklesia" die 1953 zu Wilhelm Stählins 70, Geburtstag erschien, fand sich ein Brief von Wilhelm Thomas, überschrieben "An meine Theologensöhne": Einige Zeit nach dem Tod ihres Mannes am 18. November 1978 übergab uns Edith Thomas ihre Aufzeichnungen über den Osterweg - mit dem Untertitel "Ein Brief an unsere Kinder". Edith Thomas, selbst durch ihre Veröffentlichungen über Gottesdienst, Kirchenjahr und Brauchtum vielen unserer Leser bekannt, weckt damit noch einmal die Erinnerung an ihren Mann, der im Jahre 1926 als Pfarrer in Marburg a. d. Lahn das Berneuchener Buch mitunterzeichnete, im Jahre 1931 zu den Stiftern der Evangelischen Michaelsbruderschaft gehörte und zwei Jahre später Schriftleiter der "Evangelischen Jahresbriefe" wurde, aus denen schließlich "Quatember" hervorging. "Vor einigen Jahren habe ich Euch unseren "Weihnachtsweg" niedergeschrieben. Vater sagte, nun müsse der Osterweg folgen. Damit hatte er sicher recht aber ich konnte den Anfang des Osterweges nicht finden. Gewiß gab es bunte Eier und Osterhasen, aber damit fängt der Osterweg nicht an. Im Gegensatz zum Karfreitag gehörte der Ostergottesdienst keineswegs zu Ostern. Es ist sogar möglich, daß in unserer kleinen Gemeinde nicht jedes Jahr ein Ostergottesdienst stattfand, weil in der Diaspora der Reiseprediger mehrere Gemeinden zu versehen hatte. Osterlieder kannten wir kaum. Etwa 1924 lernten meine Eltern durch den Rundfunk "Christ ist erstanden" kennen und waren überwältigt von dem Eindruck, den dieses älteste deutsche Osterlied auf sie machte. Man kann wohl sagen, daß den "Gebildeten" von damals die Osterszenen aus dem "Faust" wesentlich vertrauter waren als die Osterevangelien und Osterchoräle. Hier war also kein Anfang des Osterweges zu finden. Der Karfreitag war für die Katholiken ein "halber Feiertag", das heißt der Kirchgang war nicht wie am Sonntag Pflicht und die Arbeit nicht untersagt. Wir trafen manchmal bei unseren Spaziergängen ein Bäuerlein beim Mistfahren und entrüsteten uns sehr. Es stimmt aber keineswegs, daß für die Katholiken ganz allgemein der Gottesdienst nicht zum Karfreitag gehörte, im Gegenteil: Der Besuch des "Heiligen Grabes", die Karfreitagszeremonien und die "Grabmusik" (z. B. die "Sieben Worte" von Haydn) sind in den katholischen Gemeinden immer wichtig gewesen. In der Diaspora ergibt es sich ganz von selbst, daß man auch das "andere Gesangbuch" kennen lernt, es sei denn man schirmt sich dagegen ab mit dem strengen Gesetz: Damit haben wir nichts zu tun. Eure Großeltern gehörten zum Glück nicht zu diesem Typ von Diasporachristen, und so lernten wir bei mancherlei Gelegenheiten die katholischen Feiern kennen. Nichts hat mich so ergriffen wie die Feiern der Kartage. Die reichen, zum Teil uralten Zeremonien waren sicher stark abgekürzt und ins Volkstümliche übertragen; erklärt hat sie mir niemand, und das Latein konnte ich nicht verstehen. Und doch habe ich damals gespürt, daß wir in der Kirche dem göttlichen Geheimnis begegnen, das größer ist, als unsere Worte auszusagen vermögen. Alles wies darauf hin: die halbdunkle Kirche, das verhüllte Kreuz und Altarbild, die knieenden Beter, der Priester, der sich bis zur Erde verneigte. Am Gründonnerstag bei den Trauermetten stand ein vielarmiger Leuchter vor dem Altar. Nach jedem Psalm, den der Chor betete, wurde eine Kerze gelöscht; schließlich brannte nur noch ein Licht, und auch dieses erlosch: Der Herr ist fortgegangen aus dem Kreis der Seinen. Am Karfreitag standen die sonst so reich geschmückten Altäre nackt und leer, keine Orgel, keine Glockerklang. Schweigend kniete die Gemeinde in den Bänken, während der Chor sang. Und nun beginnt schon der Osterweg sich deutlicher abzuzeichnen, denn kurz nach diesem Karfreitag lernte ich Vater kennen. Unser erstes gemeinsames Osterfest in Augsburg-Hochzoll begann allerdings damit - Ihr werdet lachen! - daß wir in Ermanglung eines Besseren in aller Frühe ins breite Kiesbett des Lech gingen, und ich spielte auf der Geige: "Christ ist erstanden". Wandervogelromantik nennt man das heute - aber müssen nicht auch solch wunderliche Versuche gemacht werden, wenn man nicht nur das Alte fortsetzen will? Zu diesem Osterfest gehört nun auch das Wort: "Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten!" (Epheser 5, 14). Damit schloß Vaters Predigt, und seitdem begleitet es uns durch alle Osterfeste und Sonntage. 1925 kam Marburg, die zweite Station auf unserem Weg; und hier wird der Osterweg deutlicher sichtbar, an zwei Stellen. Hier erlebten wir zum erstenmal den Beginn des Ostermorgens mit der Feier des Heiligen Mahles in der kleinen Kreuzkapelle bei der Universitätskirche. Der vorherige Versuch, in der Universitätskirche eine Ostermorgenfeier neuer Art zu halten, mußte wieder aufgegeben werden. Die Universitätskirche war reformiert, die Gemeinde empfand schon Blumen und gar Kerzen auf dem Altar als ärgerniserregend und das Amtieren zweier Pastoren, die sich in den Dienst teilten und im Wechsel die Gebete sprachen, als ein "katholisches Theater". Ähnliches haben wir noch oft erlebt. Neuerungen in der Gemeinde soll man eben nicht einführen, ohne wenigstens einen Teil der Gemeindeglieder gut darauf vorbereitet zu haben. War also dieser Versuch verfrüht, so blieb doch die Abendmahlsfeier in kleinem Kreis am frühen Morgen Brauch, bis die Zeit reif war für die Begehung der Osternacht. Als wir 1930 nach Bremke bei Göttingen kamen und damit in die Hannoversche Landeskirche, waren wir zunächst dankbar überrascht, daß der Karfreitagsgottesdienst sein eigenes Gepräge hatte und nicht nach der Sonntagsliturgie gehalten wurde. Dort war es auch Sitte, daß alle Feste von den Posaunen eingeblasen wurden. Die Übungsstunden im Souterrain des Pfarrhauses waren zwar kein Ohrenschmaus, aber das Erklingen der Osterchoräle am frühen Morgen war doch schön. An einem Ostermorgen hatten wir dann alle Bläser eingeladen zu Riesenmengen von heißem Kaffee, Butterkuchen und Ostereiern. Da feierten sie dann, spielten bis zum Gottesdienst um 1/2 11 Uhr und freuten sich der Überraschung. Von Bremke aus haben wir auch das erste Erscheinen der Celler Passion erlebt. Ludwig Doormann ließ sie von seinem Chor in der Göttinger Marien- und Jakobikirche singen und holte Vater als Evangelisten dazu. Damals haben wir zum erstenmal eine Passion als Gottesdienst erlebt. Der Chor stand vor dem Altar; der Evangelist, im Talar in der Mitte stehend, kniete nach den Worten von Jesu Tod zum stillen Gebet vor dem Altar nieder. Es war Doormanns besonderes Anliegen, daß die gesungene Passion kein Kirchenkonzert, sondern ein Gottesdienst sein sollte. Die Beteiligung der Gemeinde durch Choräle kam freilich erst später. Wir haben es dann gewagt, die Celler Passion von unserem kleinen Bremker Chor singen zu lassen, die Einzelstimmen von den ganz ungeschulten Dorfleuten besetzt. Sie sangen durchaus nicht jedes Wort genau nach den Noten, und sangen doch genau wie es gemeint ist. Auch der Introitus an den Festen war damals schon Brauch, und natürlich besonders beliebt die große Doxologie von Bortniansky. Am Ostermontag feierten wir die Taufe. Vater hatte im Jahr zuvor am Ostermontag über Johannes 20, 11-16 gepredigt: Wenn Menschen einander nicht kennen, nennen sie ihren eigenen Namen, sie stellen sich vor. Jesus nennt nicht Seinen Namen; Er ruft Maria bei Ihrem Namen, und daran erkennt sie ihn. So steht dieses "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen" für immer über dem Leben Eurer kleinen Schwester, die Er dann so bald wieder zu sich rief. Dann folgte ein trauriges Ostern. Im Februar 1934 hatten es die Parteigrössen erreicht, daß Vater vom Amt suspendiert wurde. Der Konfirmation durch den Nachbarpastor wohnten wir noch bei; aber über Ostern flohen wir nach Hannover. Gründonnerstag feierten wir in Hildesheim in St. Michael und erlebten zum erstenmal im Dom eine gemeinsam zelebrierte Messe des Klerus. Das war damals nur an einem einzigen Tag im Jahr erlaubt, eben am Gründonnerstag. Sonst hatte jeder Priester jeden Tag selbst die Messe zu halten. Während der Gründonnerstagsfeier beim "Ehre sei Gott in der Höhe" sahen wir, wie vom hohen Chor aus (damals hinter dem Lettner) die Glocken geläutet wurden, ehe sie verstummten bis zum Gloria in der Osternacht. Sollte es nicht doch ein erfüllbarer Wunsch der katholischen Brüder sein, daß wir diese Sitte aufnehmen und uns dem Karfreitagsschweigen anschließen? Ostern feierten wir in der kleinen Kirche in Hannover-Stöcken und sangen dort zum erstenmal mit der Gemeinde das Lied der Böhmischen Brüder "Singen wir heut mit gleichem Mund". Den Liedern der Böhmischen Brüder - "O wie lieblich ist diese Osterzeit" zählt auch dazu - gehörte Vaters besondere Liebe. Das Disziplinarverfahren verlief ohne Ergebnis; aber es genügte, um Vaters Bleiben in Bremke und auch die Übernahme einer neuen Pfarrstelle unmöglich zu machen. So waren wir dankbar, daß es den Freunden aus dem Kirchenkampf gelang, aus der Hilfsarbeiterstellung bei Bischof Marahrens einen Dauerposten zu machen. Aber es war doch, trotz aller Not in Bremke, sehr schwer, keine eigene Gemeinde zu haben. So flüchteten wir wieder, Ostern 1936, nach Soest, wo Stählin im Predigerseminar mit einer Freizeitgemeinde mehrere Jahre die heilige Woche hielt. Damals lag schon im Wesentlichen die Ordnung für Karwoche und Ostern vor, wie sie jetzt in dem Heft "Die heilige Woche" zu finden ist. Mir war besonders eindrücklich die Einführung in die österlichen Feiern der alten Kirche: Am Gründonnerstage lagen die Büßer, auf der Erde ausgestreckt, vor der Kirchtür und warteten auf die Wiederaufnahme in die Gemeinde. Zweimal trat ein Diakon vor sie hin, hob seine brennende Kerze - und blies sie aus. Erst der dritte Diakon, in einer Hand das Licht, faßt mit der anderen Hand den ersten Büßer und hebt ihn auf, dieser nimmt den zweiten an der Hand, und so führen sie einander in langer Kette durch die Kirche zum Altar, wo sie zum erstenmal seit langer Zeit wieder am Mahl des Herrn teilnehmen durften. Davon mußte ich Euch hernach immer wieder erzählen. Wie selbstverständlich verstehen Kinder die Gebärdensprache! Damals wurde mir klar: Die schwierigste Frage bei Freizeiten ist die Gestaltung der freien Zeit. Was können wir tun, um still zu verweilen in dem, was wir gehört haben, zu verweilen im Gebet? Das ist ein Gebiet, auf dem wir Protestanten besonders hilflos sind. Es war kein Zufall, daß manche von uns am Nachmittag des Karfreitag im Patroklusdom einkehrten, wo in Gegenwart einer großen Gemeinde von vier Priestern abwechselnd die Klagelieder Jeremiae gesungen wurden. Wir selbst sangen zur Todesstunde Jesu die Improperien von Palestrina. Damals lernten wir auch das Lied kennen, das leider aus dem alten hannoverschen Gesangbuch nicht ins neue übernommen wurde: Also heilig ist der Tag,Es gehört zu den ganz wenigen Liedern, in denen der Satz "Niedergefahren zur Hölle" Gestalt gewonnen hat, wie in so vielen Bildern, und wie in dem Weihnachtslied "Nun ist geboren unser aller Trost, der die Höllenpfort mit seinem Kreuz aufstoßt". Der Stille Samstag, die Zeitspanne zwischen Tod und Auferstehung, ist wie kein anderer Tag angetan, sich in dieses Bild zu versenken: Der Herr, der den Tod erlitten hat, kehrt ein ins Reich der Toten; er faßt sie bei der Hand, Adam, Eva, die Frommen des Alten Bundes, und all die Namenlosen, die Ihn nicht gekannt haben, und führt sie aus dem Tod ins Leben. Die Wiederaufnahme der Litanei stellt zwar in dem ohnehin langen Gottesdienst an alle Beteiligten eine große Anforderung, aber sie ist ohne Zweifel eine Hilfe gegen das Abgleiten in bloße Stimmung. Nach wie vor war die entscheidende Frage: Die Teilnehmer mehren sich zwar von Jahr zu Jahr, aber gehen sie auch mit? Was kann man tun, daß aus Zuschauern und Zuhörern eine wirklich tragende Gemeinde wird'? Die Geschichte der Osternacht zeigt besonders deutlich, wie jede Gottesdienstreform einer geduldigen und sorgfältigen Vorbereitung aller Beteiligten bedarf, auch wirklich sicherer Sänger. Jede Unsicherheit überträgt sich auf die Gemeinde, während auch fremde Formen oft überzeugen, wenn sie mit Sicherheit durchgeführt werden. Die Kleefelder Gemeinde hat als eine der ersten in Hannover die liturgische Kleidung für Liturgen und Chor eingeführt. Der Liturg trug über dem Talar einen weißen Überwurf nach altem lutherischen Brauch, der sich in manchen Gemeinden erhalten hat - so lange den meisten Gemeinden das weiße Gewand noch fremd und anstößig ist, wahrscheinlich die beste Lösung. Das erste Osterfest seit unserer Rückkehr nach Hildesheim im Jahr 1961 war verbunden mit unserer ersten Einkehrzeit über Karwoche und Ostern. Es war eine schwere, schöne Aufgabe. Wir wagten damals noch nicht, die täglich wechselnden Psalmen von der Freizeitgemeinde beten zu lassen; sie wurden von zwei Liturgen im Wechsel gesprochen. Von der Osternacht in St. Michael waren wir ein wenig enttäuscht. Man merkte, daß die Ordnung in der Gemeinde noch nicht recht verwurzelt war, auch fehlte damals die Mitwirkung des Chores. So eine Neueinführung braucht eben doch Jahre, bis die Gemeinde darin heimisch wird. Seit 1964 dürfen wir nun Jahr für Jahr über Karwoche und Ostern die Einkehrtage in St. Michael halten und, was uns besonders beglückt, wir können beobachten, wie von Jahr zu Jahr die Gemeinde mehr mit der Ordnung der Osternacht vertraut wird. 1965 hat zum erstenmal der Chor mitgewirkt, es war ein wirklich lebendiges Einander-Zurufen und Antworten, wie die Liturgie sein soll, und die Gemeinde stimmte mit ein. 1966 wurde die Ordnung noch besser ausgebaut: Eine Schola stand mit den Liturgen im Chor der Kirche, die übrige Kantorei verteilte sich im Kirchenschiff. So war es sogar möglich, die Antiphon zum 42. Psalm von der Gemeinde singen zu lassen. Zu unserer Osterfreizeit gehörte auch jedes Jahr die "Historia von der Auferstehung" von H. Schütz. Wir haben alle noch den Klang des großen Osterlobgesangs (Exsultet) im Ohr - und hören beglückt, wie dieser Klang in dem Schützschen Oratorium weiterklingt. Wenn ich zurückdenke bis dorthin, wo ich den Anfang des Osterweges kaum finden konnte, dann staune ich, wie viel sich in diesen Jahrzehnten gewandelt hat. Ostern-Sonntag-Eucharistie - das ist die große Drei-Einheit der christlichen Kirche. Daß wir den Weg, auf dem dieses Wissen wiedergefunden wurde, mitgehen durften, dafür sind wir dankbar. Denken wir noch einmal an den Leitsatz: "Wer verstehen will, worum es in der Kirche geht, muß ihre Gottesdienstordnungen kennenlernen; die Dogmatik ist erst die nachträgliche Erklärung dessen, was im Gottesdienst geschieht." Dies eine ist sicher: Es gibt keinen wichtigeren Dienst, als ein lebendiges Zeugnis der österlichen Freude." Quatember 1981, S. 77-86 |
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