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Rede auf die Kirche
von Hans-Rudolf Müller-Schwefe

LeerLiebe Brüder!

LeerKein Fest ohne Damenrede; das ist der Brauch, den wir kennen. Kein Liebesmahl der Brüder, ohne daß wir die Kirche preisen und leben lassen. Eine Damenrede hält in der Regel der Jüngste in der Runde. Vielleicht wollten die Älteren sich an dem schönen Bild ergötzen, das er in seiner Sehnsucht oder Unerfahrenheit entwarf; ihnen selbst wäre ein Preisbild vielleicht schwerer gefallen. - Eine Rede aber auf die Kirche halten wir Älteren; wir halten sie, weil wir Erfahrung haben, in unserem Kreise Erfahrung nicht nur aus eigenem Erleben, sondern schwer von Tradition aus Generationen von Christen.

LeerLeicht wird uns aber die Rede auf die Kirche nicht. Wir sind alle ja gezeichnet von der Entfremdung, die unser Verhältnis geprägt hat. Unsere Väter schlossen sich zusammen, weil sie an der Kirche litten; sie suchten sie, weil sie verloren gegangen war. Und sie begriffen auch, daß es sich bei der Kirche nicht um einen Gegenstand der Lehre handelt, sondern um eine Realität, aus Fleisch und Blut sozusagen. Und sie waren bereit, ihr ihr eigenes Leben zu spenden, damit (und weil) sie wirklich würde durch die Hingabe. Das war ihr Ansatz, voll Verheißung. In welche Erfahrung traten wir da ein! Ich erinnere mich an Wilhelm Stählin, den Erfahrenen, der ein Leben lang mit der Kirche verheiratet war. Er kennzeichnete mir einmal im Gespräch die Klimax seines Umgangs: „Pastor in Nürnberg, das war erfüllend - Professor in Münster, nun Du kennst die Theologie-Professoren in ihrer Einstellung zur Praxis - Bischof, Hirte von Pastoren und Gemeinden, das war schwer - aber jetzt als Laie, unerträglich!” Wir suchten und suchen die Kirche. Tief im Herzen tragen wir ihr Bild. Stählin hatte auf seinem Schreibtisch eine „Verkündigung” stehen. Das Geheimnis der Menschwerdung leitete ihn sein Leben lang. Ritter schaute, griechisch gewissermaßen, die Immaculata, die das neue Leben empfing. Darum war ihm der Gedanke, daß eine Frau als Priesterin den Herrn beim Austeilen seines Leibes vertreten könnte, unerträglich. Reuber, der fromme Arzt und Betreuer der Verlorenen in Stalingrad, malte seinen Soldaten eine Schutz-Mantel-Madonna. Und welches Bild von der Kirche habt Ihr, meine Brüder? Wir reihen uns gern ein in die Tradition. Aber in ihr sehen wir, wie das Bild von der Ekklesia sich wandelt. Schon in der Offenbarung schaute der Seher sie in verschiedener Gestalt, als Himmelskönigin, Herrscherin über den Kosmos mit Sonne, Mond und Sternen, aber auch als bedrohtes Weib, in Todesgefahr wegen des Kindes, das sie zur Welt bringen soll, schließlich als Weib in der Wüste, verborgen vor den Augen der Welt, verborgener Schutz für ihre Kinder.

LeerWelche Erfahrung ist heute verbindlich für uns, und welche verbindet uns Brüder? Wenn ich unsere Lage richtig deute, dann kann ich nur sagen: Wir haben kein Bild von der Kirche. Oder, damit ich angemessener rede, vor jede Ikone, die wir verehren, schiebt sich die harte, bedrückende, leidvolle Realität der Kirche. Wenn wir ins Große sehen, dann sehen wir, wie die Mutter Kirche sich in eine geschäftige, herrische Frau verwandelt, oft in eine Frau, die ihr himmlisches Geheimnis, das sie doch hüten solil, verrät (prostituiert) an die Mächte dieser Welt. Auch unsere Landeskirchen vergessen unser Mutterbild; sie verwalten ein schrumpfendes Unternehmen für Sozialpsychologie, die erste Liebe hat sie verlassen.

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LeerIm Osten bleibt wohl die Kirche die Wahrerin der Geheimnisse; sie gleicht in vielem dem Weib in der Wüste. Aber dort vermag sie die Welt nicht mehr zu verwandeln. Das Kreuz bleibt im Ghetto.

LeerUnd wir in unseren Gemeinden? Wir freuen uns an Gottesdiensten, die diesen Namen verdienen, oder wir kämpfen um die Erneuerung ihrer Gestalt. Und wir haben Freude am Zusammensein mit gleichgesinnten Brüdern und Schwestern. Manchmal gelingt es uns auch, junge Menschen zu gewinnen. Aber auch hier: bestimmend ist nicht die Erfahrung der Himmelskönigin oder des Weibes in der Wüste, der Annunciata oder der Theotokos.

LeerBestimmend ist eher die Mutter Jesu, die warten muß oder die nicht versteht, was der Herr tut.

LeerVielleicht ist das unsere Lage: Wir sollen die alten Bilder, die uns verzaubern, lassen und uns der Wirklichkeit stellen. Die Kirche, sie ist keine Königin des Himmels, keine Unberührte. Die Kirche gleicht eher der kleinen Hure, die Hosea auf Geheiß seines Herrn ehelichen soll. Vielleicht ist das unsere Rettung, daß wir auf alle Bilder verzichten, daß wir die bittere Realität annehmen und bekennen: Diese Kirche sind wir. Die Väter haben sich zu der Devise bekannt: Wir sind diese Kirche; wir müssen sie realisieren. Das Buch von Berneuchen hat darin seine eigentliche Bedeutung und Größe. Aber wir, die zweite Generation, müssen die Konsequenzen bedenken. Die doppelte Buchführung, die sich eingeschlichen hat, muß aufhören. Wir dürfen nicht langer ein altes Zauberbild als Richtbild an die Wirklichkeit halten, um diese nach dem Ideal zu kritisieren und zu gestalten. Wir müssen uns zu unserer Armut, Schuldbeladenheit, Weltverflochtenheit bekennen. Dann können wir Kirche sein, die gefallene Frau, die der Herr annimmt und ihr alle Sünden vergibt.

LeerIhr dürft jetzt nicht erschrecken! Jedes Bild wird durch die Geschichte gebrochen. Wenn es sich um unsere Mutter Kirche handelt, dann dürfen, ja müssen wir mit ihr nach dem zweiten Gebot verfahren: Kein Bildnis noch Gleichnis! Alle unsere Bilder - ohne die wir nicht leben können - sind kreatürliche Großen! Wir sind Bilder, die Gott geschaffen hat. Wir müssen mit ihnen wirklich werden, ja in ihnen uns verwirklichen. Wir also sind Kirche; wir realisieren sie. Und wie eine Frau ihr Leben verwirklicht, indem sie geschichtlich wird, so auch wir. Seht Euch um. Der Bruder rechts von Dir ist ein Stück Kirche, Fleisch und Blut wie Du, von Gottes Gnade gehalten, von des Herrn Herablassung besucht, vom Geist angerufen. Und gehören nicht unsere Familien dazu, der große Zusammenhang von Glück und Schuld, Banalität und Schicksal. Und der Blick erfaßt auch unsere Gemeinden, manche bröckeln ab, andere sind wie neu erweckt vom Geist des Lebens. Und die Landeskirchen, sie sind unsere Heimat. Wir atmen auch ökumenischen Geist, am besten in realer Begegnung. Wir schwärmen jetzt nicht. Gottes Blick hält uns alle zusammen. Und wir rühmen nicht uns, nicht Maria, sondern sprechen mit ihr ,,Meine Seele erhebt den Herrn!" Denn Er hält uns zusammen, der uns besucht und uns das Zeichen seiner Nähe gewährt. Er ist das Bild aller Bilder, Gottes Liebe, die sich in unsere Welt hinein schenkt. Das Bild aller Bilder, das dann unsere Bilder und Traume reinigen, kreuzigen, aber auch beleben kann. Möchte der Herr das auch tun mit dem Bild, das wir von unserer Mutter Kirche im Herzen tragen.

Quatember 1981, S. 131-133

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-27
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