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". . . samt allen Kreaturen"
von Gerhard Kappner

LeerDie "Frommen" (so ist doch die Meinung weithin in der Welt, und das gewiß nicht ganz ohne unsere Schuld) dürfen sich nicht mehr freuen an den Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Felde, sie müssen Augen und Ohren schließen vor den Wundern der Natur, damit die Seele durch diese schönen Bilder nur nicht verwirrt wird. Albert Schweitzer kennzeichnet diese Lage treffend, wenn er sagt: "Wie die Hausfrau, die ihre Stube gescheuert hat, Sorge trägt, daß die Tür zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das ganze Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, daß ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen." Wenn aber so ein wesentlicher Teil der Wirklichkeit außer acht gelassen wird, dann ist es nicht verwunderlich, wenn er - sich selbst überlassen - verkommt. Die Schöpfung wird dann zum mechanischen Gebilde, zur Maschinenfabrik, die der Mensch rein technisch und mechanisch und rationell verwaltet, ohne Ehrfurcht vor dem Leben und ohne Dankbarkeit gegenüber der Kreatur. Es bleibt das Schlacht- und Nutztier, der Gegenstand wissenschaftlicher oder neugieriger Betrachtung, das Spiel-, Sport- und Jagdtier. Und da der menschliche Egoismus auch immer einen Hang zur Zerstörung hat, sind große Schichten der Tierwelt überhaupt in Gefahr, von unserem Planeten zu verschwinden. Wir denken an die erschütternden Bilder, die der Film "Kein Platz für wilde Tiere" vor unsere Augen gestellt hat.

LeerDie Bibel kennt die künstliche Halbierung der Wirklichkeit in eine innerlichgöttliche und eine mechanisch-technische überhaupt nicht, sondern beides wird im Lichte der letzten Wahrheit aufs innigste zusammengesehen. Der Leib ist nicht weniger die Offenbarung göttlicher Schöpfermacht als die Seele. Und Gott will auch in den Werken seiner Kreatur erkannt und geliebt, geehrt und geheiligt werden: "Alle Kreatur Gottes ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird."

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LeerDer Schöpfungsbericht bezeugt, daß alle Kreatur das Werk Gottes ist. Aber in deutlichem Unterschied zur Herkunft der Pflanzen- und Tierwelt durch die schöpferische Beteiligung der mütterlichen Erde geschieht die Erschaffung des Menschen durch Gott persönlich. Und dem Menschen allein wird Gottesebenbildlichkeit verliehen, insofern er allein als Person verantwortlich vor Gott steht. Er ist als "Hoheitszeichen Gottes" in die geschaffene Welt gestellt, um den Herrschaftsanspruch des Schöpfers über die Erde zu wahren. Dieses Herrschaftsrecht kann vom Menschen nur so wahrgenommen werden, daß er für die ihm anvertrauten Geschöpfe sorgt, ihr Leben erhält und pflegt. Es fügt sich darum ganz in dieses Bild, daß ihm als Nahrung nur pflanzliche Speise zugewiesen ist. Erst nach dem Gottesgericht der Sintflut hören wir von tötendem Eingreifen des Menschen in die Tierwelt und von fleischlicher Nahrung.

LeerAber der Mensch ist einsam. Einsamkeit ist nicht gut. Der Mensch ist zur Gemeinschaft hin angelegt. Wie hoch wird von der Gemeinschaft zwischen Mensch und Tier gedacht, daß der Gedanke möglich wird, die Tiere könnten das gemäße Gegenüber sein, da eine menschliche Gesellschaft noch fehlt. Und die ganze Tragik der stummen Kreatur bricht sogleich auf, wenn die Tiere, nachdem sie benannt und damit dem Hoheitsrecht des Menschen unterstellt worden sind, wieder in ihren kreatürlichen Bereich zurücktreten. Die Nähe zwischen Mensch und Tier - und zugleich die Fremdheit - tritt vor uns hin.

LeerDas Wissen um eine letzte Gemeinsamkeit allen Lebens klingt im Alten Testament immer wieder an: Alles Lebendige ist "Fleisch" und damit sterblich. Der Prediger Salomo hat für diese Solidarität des Todes eindringliche Worte gefunden: "Das Geschick der Menschenkinder ist gleich dem Geschick des Tieres. Ein Geschick haben sie beide. Der Mensch hat vor dem Tier keinen Vorzug, denn an einen Ort gehen sie beide, alle sind sie aus Staub geworden . . ." Aber das Tier ist nicht nur Mitgenosse der Vergänglichkeit des Menschen, sondern auch der Verheißung, die ihm gegeben ist. Wir finden bei Jesaja den Ausblick auf das kommende Gottesreich, wo der gestörte Friede innerhalb der kreatürlichen Welt wiederhergestellt ist: "Da wird der Wolf zu Gast sein bei dem Lamme, und der Panther bei dem Böcklein lagern. Kalb und Jungleu weiden beieinander, und ein Kind leitet sie . . ."

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LeerAber bevor dieses Friedensreich anbricht, mußte der Christus kommen: Jesus. In einem apokryphen Evangelium wird berichtet, wie Ochs und Esel das Kind anbeten, entsprechend dem Wort des Propheten Jesaja: "Der Ochs kennt seinen Herrn, der Esel seines Meisters Krippe!" Und auch auf den Propheten Habakuk wird da verwiesen: "Inmitten zweier Tiere wirst du dich offenbaren!" Die Legende weiß sogar zu berichten, daß Löwen und Leoparden ihn anbeteten und ihn begleiteten in der Wüste.

LeerSein Aufenthalt bei den Tieren in der Wüste, den der Evangelist Markus in der Geschichte von der Versuchung ausdrücklich erwähnt, ist der lebendige Ausdruck für sein Hinabsteigen in das Elend der gefallenen Schöpfung. Und er spricht vom Wolf, der die Schafe erwürgt und zerstreut, als dem Urbild des Feindes, der die Gemeinde Gottes zerstört. Ein ernstes Wissen um die unerlöste Tierheit, die seine Friedensbotschaft bedroht, klingt mahnend aus den Worten: "Ihr sollt das Heiligtum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselben nicht zertreten mit ihren Füßen und sich wenden und euch zerreißen." Aber Gott hat diese gefallene Welt nicht verlassen. Er sorgt für die Menschen wie für die Vögel unter dem Himmel als gütiger Vater. Und daß auch über der letzten Feindschaft die Verheißung des Friedens einer neuen Schöpfung liegt, ist wohl tiefer und umfassender nie ausgesprochen worden als in dem schlichten Sendungswort an die Jünger: "Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben."

LeerWenn der Apostel Paulus im achten Kapitel des Römerbriefes vom Sehnen und den Ängsten der Kreatur spricht, so sind es wohl vor allem drei Tatsachen, die ihn dazu führten. Zunächst ist es die Tatsache der Vergänglichkeit: Es gibt wohl kaum einen Frontsoldaten, den nicht das tiefe Grauen des Sterbens aus den Augen eines Pferdes angeschaut hätte. Der Fluch, der den Menschen getroffen hat, wirkt sich auf das Tier noch schwerer aus, denn es ist ihm wider seinen Willen unterworfen worden. Trotzdem besteht ein großer Unterschied im Sterben von Mensch und Tier. Luther schreibt: "Der Tod im Menschen ist ein unendlich größeres Unglück als der Tod der anderen Lebewesen. Denn obgleich Pferde, Kühe und alle Tiere sterben, so sterben sie dennoch nicht unter dem Zorne Gottes. Vielmehr ist der Tod für sie ein gewisses zeitliches Ungemach, von Gott so geordnet; nicht etwa zur Strafe, sondern deshalb, weil es Gott so irgendwie gut erschien." Luther kann auch sagen, daß der Tod der Tiere im Unterschied zu dem der Menschen sich in der Vollstreckung eines bloßen "Naturgesetzes" erschöpfe. Demgegenüber ist das Sterben des Menschen gekennzeichnet durch seine Gottesbeziehung. Wir sind mit dem Ziel geschaffen worden, im Gehorsam gegen das Wort des Schöpfers zu leben. Unser Tod ist nicht nur Verlust des leiblichen Lebens, sondern kann zugleich Verlust der letzten Gemeinschaft mit Gott sein.

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LeerDie andere Tatsache, die uns im Hinblick auf die Tierwelt beunruhigen muß, hat uns vor allem der Begriff des "Kampfes ums Dasein" zum Bewußtsein gebracht. Lesen wir dazu Manfred Hausmann. In seiner Betrachtung "Einer muß wachen" heißt es: "Da mag ein Waldtal sich noch so herrlich hinschwingen mit Sonnenlicht und warmem Duft von Laub und Einsamkeit und Kuckucksrufen, wer um alles weiß, was sich da an Grausamkeit und Entsetzen, an qualvoller Geburt und noch qualvollerem Tod, an Fressen und Gefressenwerden von Pflanze und Getier, von Milliarden und Abermilliarden Zellen blind und wirr durch die Jahreszeiten hindurch begibt, wer wirklich darum weiß, den befällt die gnadenlose Urangst."

LeerSchließlich sei noch auf eine Tatsache hingewiesen, in der sich uns die Tierwelt vielleicht am unheimlichsten und undurchschaubarsten darstellt, das ist ihre unberechenbare Willkür und ihre herzlose Launenhaftigkeit. Ernest Thompson Seton erzählt die Geschichte eines Schäferhundes, Wully. Er hatte die rührendsten Beweise von Treue, Liebe und Intelligenz erbracht. Doch aus unerklärlichen Gründen kommt über ihn eine unbezwingliche Mordlust, die ihn zum "blutdürstigen Wüterich bei Nacht" und - als er sich entdeckt sieht - beinahe zum Mörder seiner Herrin werden läßt.

LeerGott hat die außermenschliche irdische Kreatur um des Menschen willen unter die Knechtschaft der Nichtigkeit gestellt. In dieser Schicksalsgemeinschaft mit uns liegt aber auch ihre Hoffnung begründet. Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus wendet nicht nur unsere Lage, sondern öffnet auch den anderen Lebewesen das Tor zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Gleichsam vorweggenommen ist diese Erlösung in vielen herrlichen Beispielen der Treue und Liebe der Tiere untereinander als Partner und Mütter, und uns gegenüber als Freunde und gute Hausgenossen.

LeerWenn wir wissen, daß auch das Tier eine Zukunft hat, dann werden wir es seinem Schicksal nicht preisgeben. Wir werden auch nicht warten, bis die letzte Stunde der Erlösung anbricht, sondern jeder, der sich Christ nennt, wird dieses neue Verhältnis zum Tier schon heute suchen. Der Schöpfer gab uns den Auftrag zur Herrschaft über die kreatürliche Welt - nicht um das Tier auszubeuten und zu quälen, sondern um für es zu sorgen, sein Leben zu erhalten und zu pflegen. Es hat um unsertwillen seinen Frieden verloren, aber um Christi willen gleich uns teil an der Verheißung der neuen Schöpfung. Dieser letzten Gemeinsamkeit vor Gott wegen sind wir verpflichtet, Schutz, Schonung, Hilfe, Vertrauen und Freude zu schenken jedem Tier, dem wir je begegnen.

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LeerDas gilt für uns alle, nicht nur für den Landmann oder den Förster, für den Züchter oder den Forscher. Ja, auch für den Forscher. Albert Schweitzer schreibt dazu in "Kultur und Ethik": "Diejenigen, die an Tieren Operationen oder Medikamente versuchen oder ihnen Krankheiten einimpfen, um mit den gewonnenen Resultaten Menschen Hilfe zu bringen, dürfen sich nie allgemein dabei beruhigen, daß ihr grausames Tun einen wertvollen Zweck verfolge. In jedem einzelnen Fall müssen sie erwogen haben, ob wirklich Notwendigkeit vorliegt, einem Tiere diese Opfer für die Menschheit aufzuerlegen. Und ängstlich müssen sie darum besorgt sein, das Weh, so viel sie nur tun können, zu mildern. Wie viel wird in wissenschaftlichen Instituten durch versäumte Narkose, die man der Zeit- und Müheersparnis halber unterläßt, gefrevelt! Wieviel auch dadurch, daß Tiere der Qual unterworfen werden, nur um Studenten allgemein bekannte Phänomene zu demonstrieren! Gerade dadurch, daß das Tier als Versuchstier in seinem Schmerze so unendlich viel für den leidenden Menschen erduldet hat, ist ein neues, einzigartiges Solidaritätsverhältnis zwischen ihm und uns geschaffen worden. Ein Zwang, aller Kreatur alles irgend mögliche Gute anzutun, ergibt sich daraus für jeden von uns."

LeerUnd wo wir töten müssen - der Schlächter, der Jäger, der Fischer, sie leben davon - sollte es so quallos wie möglich geschehen und nie aus Willkür. Wir leben alle vom Tod der Kreatur; schon das Wasser, das wir bedenkenlos kochen - - tötet! Gott hat es so geordnet oder vielmehr: erlaubt. Ursprünglich hat er es so nicht gedacht, auch unser Sterben nicht.

LeerWir aber wollten sein wie Er und wählten den Tod und damit auch den Tod des Tieres. Es wird uns darum nichts anderes übrigbleiben, als bis zum Jüngsten Tage die Unterscheidung zu beachten, wie sie Karl Barth in seiner Kirchlichen Dogmatik trifft: "Morden darf der Mensch auch das Tier nicht. Nur töten kann er es. Aber im Wissen, daß es nicht ihm, sondern Gott gehört. Daß er es mit der Tötung IHM übergibt, um dann das, was er für sich braucht und wünscht, wieder von IHM zurückzuempfangen. Tiertötung ist im Gehorsam nur möglich als ein im tiefsten ehrerbietiger Akt der Buße, der Danksagung, des Lobpreises des begnadeten Sünders gegenüber dem, der der Schöpfer und der Herr des Menschen wie auch des Tieres ist. Tiertötung ist, wenn mit der Erlaubnis und unter dem Gebot Gottes vollzogen, ein priesterlicher Akt von endzeitlichem Charakter: mit gutem Gewissen nur vollziehbar im Rückblick und im Ausblick auf Schöpfung und Vollendung als den Grenzen des Bereiches, in welchem die Nötigung überhaupt in Frage kommt." Darum steht in dieser Zeit zwischen Schöpfung und Vollendung das heilige Schmerzensbild des "Lammes, das erwürget ist", in dem alle Geheimnisse einer verlorenen und wiederhergestellten Schöpfung offenbar sind. In diesem heiligen Bilde treffen all die unfaßbaren Widersprüche zusammen, die das Leben der Kreatur zerreißen: Reinheit und Unschuld, Bosheit und Willkür. Aber in ihm grüßt uns auch die Einheit einer neuen Welt, in der das Opfer Speise, Kraft und Leben ist: "Wir haben ein Osterlamm, das für uns geopfert ist, Christus." Was hoffnungslos zerstört war, in dieser "Speise des Lebens" ist es zusammengefügt zu einer lebendigen Hoffnung auf eine neue Schöpfung, in der weder Tod noch Leid noch Geschrei noch Schmerz mehr sein werden.

LeerGott spricht: "Mein ist alles Getier des Waldes, das Wild auf meinen Bergen zu Tausenden. Ich kenne alle Vögel des Himmels, und was auf dem Felde sich regt, ist mir kund. Wenn mich hungerte, ich brauchte es dir nicht zu sagen, denn mein ist der Erdkreis und was ihn erfüllt. Sollte ich das Fleisch von Stieren essen und das Blut von Böcken trinken? - Bringe Gott Dank als Opfer dar und bezahle so dem Höchsten deine Gelübde. Und rufe mich an am Tage der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen."
(Psalm 50)

Quatember 1981, S. 196-200

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-27
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