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Marburg 1981 von Laurentius Klein OSB |
Lieber Bruder Ältester! Liebe Brüder und Schwestern! Mit Freude und Dankbarkeit bin ich Ihrer Einladung gefolgt, um Ihnen an Ihrem Festtag zu bezeugen, wie sehr sich die benediktinischen Gemeinschaften von Trier und Jerusalem mit Ihnen in der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche verbunden wissen. Diese Verbindung findet ihren lebendigen Ausdruck in dem Stellenwert, den Sie und den auch wir dem Gebet zuweisen. Das erste Kapitel Ihrer Regel handelt vom Gebet der Brüder, und in der Benediktus-Regel heißt es, dem Gebet sei nichts vorzuziehen. Beide Weisungen orientieren sich an der ersten Werte setzenden Entscheidung, die in der Urkirche getroffen wurde, als der „Dienst an den Tischen”, wie es in der Apostelgeschichte heißt, mit dem „Dienst am Wort” konkurrierte. Damals beschlossen die Zwölf unter Zustimmung der ganzen Gemeinde-. „Wir wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben” (6, 4). Diese Entscheidung ist für Sie und auch für uns bindend, und deshalb stehen wir gemeinsam in der apostolischen Sukzession des Gebetes, dem wir eindeutig den Primat zuweisen. Das ist unser gemeinsames Bekenntnis zur Hierarchie der Wahrheiten und der Werte, ein Bekenntnis, das in unseren Tagen der Hochwertung von Aktionen und Strukturen nicht selten die Züge der biblischen Martyria mit all ihren Schmerzen, aber auch mit all ihren Freuden annimmt. Schmerzlich trifft uns der Vorwurf, wir zögen uns allzu gerne auf die Liturgie wie auf eine Insel der Seligen zurück und desavouierten die Haltung der Kirche in ihrer Sorge um das Wohl der Menschen von heute. Ein schmerzlicher Vorwurf, in der Tat, demgegenüber wir aber gelegen oder ungelegen bezeugen, daß die Grundhaltung der Kirche die der ecclesia orans, der betenden Kirche ist. Die Freuden dieser Martyria aber gründen in der sicheren Zuversicht, daß der Herr unsere vertrauensvollen Bitten erhört und der Christenheit die Einheit schenken wird, damit die Welt erkennt, daß er der Gesandte Gottes und ihr Heilbringer ist. Diese feste Zuversicht hat uns der Herr selbst geschenkt. Denn wenn immer wir den Vater um die Gnade der Einheit bitten, sind wir im Namen Jesu versammelt. Dann erfüllt der Herr seine Verheißung: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen”. Wo aber Jesus ist, da ist auch die Kirche. In diesem gemeinsamen Gebet erfüllt sich also nicht nur die Verheißung der Gegenwart des Herrn, sondern es ereignet sich auch die Kirche in ihrer Einheit, konkret und sichtbar, ein sakramenthaft-objektives Zeichen, dem die innere Wirklichkeit entspricht. Betrachten wir dieses Heilsgeschehen im Lichte des Stellenwertes, der dem Geist zukommt, so ergibt sich eindeutig, daß die Einheit der Christen in ihrer zentralen Lebensäußerung, dem Gebet, bereits begonnen hat. Dieses soll im folgenden weiter ausgeführt werden: Dem christlichen Gebet geht das Hören voraus. Ehe wir miteinander beten, erfahren wir uns als Gemeinschaft derer, die auf das Wort Gottes hört, wenn immer die Heiligen Schriften in der Kirche verkündet werden. Im gemeinsamen Hören auf Gottes Wort erleben wir uns als eine Gemeinschaft der Empfangenden, der von Gott Beschenkten und von seinem Heiligen Geist Ergriffenen. Das ist die fundamentale Einheit aller Christen. Hier wird das Geschenk Gottes offenbar, die unverlierbare und unzerstörbare Einheit der Kirche als der Gemeinschaft der Hörenden. Aus dem gemeinsamen Hören fließen gemeinsame Antworten. Das Gebet ist des Menschen Antwort auf Gottes Wort. Die Ur-Reaktion des gläubigen Hörers ist das „Amen”, die bedingungslose Zustimmung und Annahme des Wortes Gottes, die im „Halleluja” doxologischen Charakter annimmt. Diesen UrGebeten folgt das Gebet des Herrn, das Vaterunser. Das Kyrie eleison, das Gloria in excelsis, das Sanctus und das Agnus Dei sind Gebete des gesamtchristlichen Erbes. Miteinander beten wir die Psalmen, singen gemeinsame Lieder und beten ungezählte Gebete miteinander. Wahrhaftig, die Spaltung ist nicht bis in die Wurzeln gedrungen und im gemeinsamen Vollzug dieser Gebete bereits überwunden. Die dialogische Struktur des Menschen vollzieht sich im Gebet. Im verkündigten Wort Gottes ruft Gott den Menschen mit Du an, und der Mensch antwortet Gott, indem auch er ihn mit Du anredet. Das Gebet ist als Antwort auf Gottes Wort die - oft wortlose - Verbalisierung des Intimverhältnisses zwischen Gott und Mensch. Es ist die Artikulierung der innersten Gedanken und Gefühle im Dialog mit Gott dem Herrn. Das Gebet ist die maskenlose Selbstidentifikation vor Gott und daher das Selbstwerden des Menschen in seiner Personmitte. Was bereits die griechischen Philosophen erkannten, das gilt auch für die Christen: Im Umgang mit Gott gewinnt der Mensch seine eigene Gestalt. So persönlich-individuell dies alles klingt, so wenig darf es individualistisch mißverstanden werden. Gott spricht alle Menschen an, und die so Angesprochenen machen im Umgang mit Gott weitgehend dieselben menschlichen Grunderfahrungen. Wenn immer sich Menschen darüber austauschen, werden sie gewahr, wie sehr sie einander gleichen. Das gilt ganz besonders für die Christen, denen das lebendige Wort Gottes verkündet,wird. Auch in diesem Bereich erfahren sie sich als Brüder, und es geschieht Kirche. Gemeinsames Hören, Beten und Bekennen fordern den gemeinsamen Gehorsam. Im Hören auf Gottes Wort werden wir von Gott beschenkt. Wir antworten ihm im Gebet, dessen Urform „Amen” zugleich impliziert, das tun zu wollen, wozu uns Gottes Wort aufruft. Gottes Wort fordert zum Gehorsam. Das Gebet artikuliert unsere Bereitschaft dazu. Wer Gott den Vater als den Schöpfer des Himmels und der Erde bekennt, der unterwirft sich ihm im Glaubensgehorsam, der vollzieht seinen Willen, der ihm im verkündigten Wort Gottes und in der Schöpfungsordnung kundgetan wird. Wer Gott den Sohn bekennt, bekennt sich zum Erlöser der Welt, er weiß sich in seine Nachfolge berufen, in die er durch Glaubensgehorsam und Umkehr eintritt. Er weiß sich zum Diener seiner Brüder bestellt und bekennt sich zu diesem Dienst im Gebet. Wer Gott den Heiligen Geist bekennt, bekennt sich zur herrlichen Hoffnung auf die Vollendung im Reich Gottes und wird in dieser Hoffnung tätig, weil er deren Sinnhaftigkeit erfahren hat. Gebet ohne Gehorsam ist undenkbar, und gemeinsames Gebet fordert den gemeinsamen Gehorsam ein. Andererseits gilt aber auch: Gehorsam ohne Gebet hält in der Anfechtung nicht durch, weder im Leben des Einzelnen noch im Leben der Gemeinschaft. Das Gebet ist Fundament der Lehre. Von dem verkündigten Wort Gottes über das Hören, das Gebet, das Bekenntnis und den Gehorsam führt der Weg zur wissenschaftlichen Theologie und damit zur Lehre. Glaubenserfülltes Gebet verhält sich zur wissenschaftlichen Theologie wie das Leben zu seinem Begriff. Theologie in diesem Sinn ist ein Konzentrat aus dem Gesamt des Glaubenslebens, sozusagen eine Engführung desselben und daher niemals in der Lage, die Fülle geistlicher Erfahrung wiederzugeben. Und doch hat die Theologie eine kritische Funktion dem Gebetsleben der Gläubigen gegenüber, wie aber auch andererseits das Gebetsleben der Gläubigen eine kritische Funktion der wissenschaftlichen Theologie gegenüber besitzt. Wer dies nicht sieht, steht in der Gefahr, entweder theologisch oder spirituell die Balance zu verlieren. Und umgekehrt: Eine Lehre, de sich unmittelbar an der Lehrtradition festmacht, ohne auf das Gebet der Gemeinde als je neue Antwort auf die Verkündigung des Wortes Gottes einzugehen, ist theologisch ungesund. Wenn sich heute in der Lehre so manche Annäherungen zwischen den getrennten Konfessionen zeigen - die Fülle der Konsenspapiere beweist dies -, dann ist dies nicht zuletzt darin begründet, daß es in fast allen Konfessionen heute zu einer echten Erneuerung, mindestens aber zu einer neuen Hochschätzung des Gebetes und des Gottesdienstes gekommen ist. Dieser gemeinsame spirituelle Raum ermöglicht überhaupt erst eine echte Annäherung in der Lehre. Es ist ein Trost zu wissen, daß dieser spirituelle Raum heutzutage bereits wesentlich größer ist, als es lehrmäßig erfaßt wurde. Er bildet das enorme Depot, aus dem sich weitere Übereinstimmungen ermitteln lassen. Aus allem bisher Gesagten folgen noch weitere Konsequenzen für das Gebet der Brüder als Zeichen der begehenden Einheit und als Mittel, die Einheit völlig zu erreichen. Zunächst eine negative Feststellung: Das Gebet ist Absage an alle Selbsterlösungsversuche. Aus dem dialogischen Wesen des Gebetes, dem gemeinsamen Gehorsam und dem gemeinsamen lobpreisenden Bekenntnis ergibt sich die Erlösungsbedürftigkeit, aber auch die Bereitschaft, sich erlösen zu lassen seitens der Gläubigen. Aus diesem Grunde bedeutet das Gebet des Christen die radikale Absage an alle Versuche, sich selbst zu erlösen. Und an solchen Versuchen mangelt es in unseren Tagen wahrhaftig nicht. Gebet in seinem dialogischen Charakter ist daher die Absage an alle Selbsterlösungsversuche durch bestimmte Formen der Meditation. Es ist radikale Absage an die Selbsterlösungsversuche durch die so überaus zahlreichen Mysterienkulte unserer Zeit (man denke nur einmal an die sogenannten Jugendreligionen). Gebet ist auch die Absage an eine moderne Gnosis, die glaubt, durch Wissenschaft, Intellektualismus und Technik der Menschheit das Heil bringen zu können, wobei sie oft nicht einmal in der Lage ist, den Menschen das Wohl zu bringen. Gebet ist aber auch die Absage an die Versuchung zur Macht, die abgrundtiefste aller Selbsterlösungsversuche des Menschen, die glaubt, autonom und ohne Bindung an Gott das Paradies auf Erden schaffen zu können. Daher ist das Gebet auch die Absage an alle Wiedervereinigungsbestrebungen der Christen, die - ausgesprochen oder unausgesprochen - die wiedervereinigte Christenheit als eine neue Machtstruktur betrachten, während sie lediglich Dienstfunktion hat, nämlich die Welt zur Erkenntnis Jesu zu bringen. Das gilt auch für die zwischenmenschliche Vergebung, die erst dann tragfähig wird, wenn sie ich nicht nur an den Mitmenschen wendet, mit dem man iün Konflikt geraten ist, sondern wenn sich die im Konflikt Lebenden gemeinsam an Gott wenden, indem sie ihn gemeinsam um Vergebung bitten. Dieses Beten und Handeln verändert das Verhältnis der Menschen zueinander tiefgreifend. Damit ist aber etwas ganz Wesentliches über das Gebet ausgesagt: Das Gebet verändert die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit nämlich setzt sich aus Sachbeziehungen und Personalbeziehungen zusammen, die ineinander verwoben sind (man kann hier auch von Sachstrukturen und Personalstrukturen sprechen). Werden Sachbeziehungen verändert, so spricht man - wenigstens traditionellerweise - vom Wunder. Das oft weit größere Wunder aber ist die Veränderung von Personalbeziehungen. Wenn Menschen miteinander beten und im Gebet vor Gott einander verzeihen, dann sind die Personalbeziehungen, dann ist damit die Wirklichkeit verändert. Das alles darf nicht rein individualistisch betrachtet werden, als gehe es hier nur um Einzelmenschen. Auch Gruppen geraten miteinander in Konflikt. Christliche Konfessionen sind Konfliktparteien, und die Zeit der Ökumene ist die Zeit der gesamtchristlichen Kontliktbewältigung. Und sie ist mehr als dieses. Das Gebet ist Grundlage der Ökumene. Das Hören auf Gottes Wort, das Gebet und das lobpreisende Bekenntnis führen zur Umkehr, die sich im gemeinsamen Gebet um die allumfassende Vergebung Gottes und die gegenseitige Vergebung artikuliert. Gemeinschaften, Konfessionen und Kirchen, die so miteinander gebetet haben und beten, haben ihr Verhältnis zueinander geändert und die Konflikte in der Wurzel bereinigt. Sie sind willens und auch befähigt, Konfliktreste aufzuarbeiten. Im Werte setzenden Vergleich mit der erreichten Einheit im versöhnenden Gebet erscheinen noch bestehende Differenzen in Lehr- und Strukturfragen nur noch als Konfliktreste. Das ist unser herrliches Zeugnis: Wir beweisen aller Welt, daß sich Konfliktparteien, die sich in der Vergangenheit blutige Religionskriege leisteten und ungezählte Rufmorde aneinander begingen, heute in der Kraft des versöhnenden Gebetes zur Einheit zusammengefunden haben. Wesentlich mehr als es bislang geschehen ist, müssen wir der Welt dieses ins Bewußtsein rufen. Um der heiligen Gnade Gottes willen sind wir nicht befugt, unser Licht unter den Scheffel zu stellen, sondern hoch auf den Leuchter, damit alle von seiner Helligkeit und Wärme angezogen die rechten Wege zueinander finden. Wenn Brüder und Schwestern im gemeinsamen Gebet am gleichen Ort und zur selben Zeit zusammenfinden, wie wir es gleich wieder tun werden, geschieht Einheit der Kirche dergestalt, daß die Versammelten „ein Herz und eine Seele” werden. Sie werden „ein Leib und ein Geist in Christus”. Deshalb werden die so Versammelten von Gott auch nicht mehr in der Mehrzahl angesprochen, sondern in der Einzahl. Sie sind ihm zu einem einzigen Du geworden. Was der Herr zu sagen hat, ist nichts anderes als Segen: der Herr lasse sein Antlitz über Dir leuchten und sei Dir gnädig, der Herr erhebe sein Antlitz hin zu Dir und schaffe Dir Heil. |
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