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Prozession und Demonstration
von Walter Lotz

LeerMit Händen und Gebärden auf einen Gegenstand, eine Sache hinweisen, das ist bei den „alten Römern” der Sinn des Wortes demonstratio gewesen; nicht anders bei den Demonstrationen, die mehr oder weniger friedlich, mehr oder weniger freiwillig heute in unserer Welt gang und gäbe sind. Es ist etwas Außergewöhnliches, das Menschen zu einer Demonstration zusammenführt, einem Zug, in welchem sie das Besondere mit sich führen und zeigen, und sei es nur auf Plakaten, mit Parolen und Forderungen. Dem entsprach in früheren Zeiten die Prozession, in der man das Allerheiligste durch die Straßen trug. Das bekannteste Beispiel ist heute die Fronleichnamsprozession. Katholische Christen zeigen sich dabei demonstrativ in der Öffentlichkeit. In der Monstranz tragen sie ihr Allerheiligstes mit sich im Zug und bekennen sich dazu mit Liedern und Gebeten und mit ihrer engagierten Beteiligung an dem Zug. Der Demonstrationszug wird zur Prozession; oder umgekehrt: die Prozession demonstriert die Glaubenshaltung.

LeerEvangelische Christen begegnen dem distanziert oder verständnislos. Ja, es ist noch immer der Argwohn verbreitet, eine solche katholische Glaubensdemonstration sei gegen die Protestanten gerichtet.

LeerSolcher Argwohn ist durchaus nicht aus der Luft gegriffen. Wenn auch heutige Katholiken diese Absicht bestreiten mögen, ist sie im Ursprung gerade mit dieser Prozession eindeutig verbunden. Papst Urban IV., der die bis dahin nur örtlich verbreitete Feier des Fronleichnamsfestes 1264 allgemein einführte, verband sie ausdrücklich mit einer Sakramentsprozession, „um besonders den Wahnsinn und die Treulosigkeit der Ketzer zu verwirren!”. Das Konzil von Trient bestätigte die Prozession im gleichen Sinn: „damit die siegreiche Wahrheit über die Lüge und die Häresie triumphiere, so daß ihre Gegner im Anblick eines solchen Glanzes und solcher Freude der gesamten Kirche gelähmt und zerbrochen erbleichen oder von Scham ergriffen und verwirrt allmählich wieder zu Verstande kommen!”.

LeerDiese polemische Bedeutung, die von Anfang an der Fronleichnamsprozession mitgegeben war, sollte heute zugunsten einer positiven Demonstration zurücktreten. Auch für Evangelische ist die Glaubenstatsache, daß Gott Mensch geworden ist, eine zentrale Glaubensaussage, zu der es sich vor aller Welt zu bekennen gilt. Wie soll das aber in einer Prozession symbolisiert werden? Eine gängige Rede von „Wort und Sakrament” als den zentralen Schätzen der Kirche läßt sich ja nicht durch Tabernakel und Bibel darstellen. Auch die Bibel ist voller Sakrament. Und außerdem ist der bloße Buchstabe der Bibel nicht identisch mit dem Wort, das uns rettet. Es wäre also keine Lösung, eine Bibel mit im Zug herumzutragen. Die Wörter der Bibel eignen sich ebensowenig als Monstrum wie das gesegnete Brot, das man als Produkt einer Wandlung in einem Tabernakel einschließt. Das Wort ist zum Hören und das Brot ist zum Essen da, und beides, das Hören und das Essen, kann uns nur im Glauben retten, nicht in einem äußerlichen, ungläubigen Vollzug. Das heißt aber, eine Prozession könnte nur dadurch zeigen, worum es im christlichen Glauben geht, wenn sie von einem Gottesdienst ausginge oder zu einem Gottesdienst hinführte, der mit Wort und Sakrament das Wesentliche enthält, in der Verkündigung und im Mahl des Herrn.


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LeerWir haben keine Veranlassung, die Säkularisierung der Prozession achselzuckend hinzunehmen, wohl aber alle Veranlassung, uns der gottesdienstlichen Mitte zuzuwenden. Ein erneuerter Gottesdienst, der die Gemeinde in Wort und Sakrament zusammenführt, kann auch zum Ausgangs- und Zielpunkt von Prozessionen werden, die in der Öffentlichkeit die christliche Gemeinde in missionarischer Bezeugung ins Bild bringt. Unser Herr hat uns gesandt: „Gehet hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker, indem ihr sie taufet im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und sie halten lehret alles, das ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende” (Mt. 28, 19 f.). Dem sollten wir unbekümmert in aller Öffentlichkeit Ausdruck verleihen; nicht nur hinter Kirchenmauern. Es ist im Zeitalter der modernen Medien gewiß nicht die einzige Form, dem alten Auftrag gerecht zu werden. Aber es ist eine Form, deren wir uns nicht zu schämen brauchen. Die christliche Prozession, die auf der Straße demonstriert, ist eine allzu selten gewordenen Form, unsern Glauben zu bezeugen. Der Zug zum Gottesdienst kann zu einer leibhaften Gestalt des Wortes werden: „Kommt herzu, laßt uns dem Herrn frohlocken und jauchzen dem Hort unseres Heils! Lasset uns mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen ihm jauchzen! Heute, so ihr seine Stimme höret, so verstocket euer Herz nicht” (Psalm 95).

LeerIn vielen hessischen Dörfern gibt es den Brauch, zum Empfang des Abendmahls in einem Zug um den Altar zu gehen, wobei die Frauen ein Reisetuch über dem linken Arm tragen, während die Männer ihren Hut unterrn Arm mitführen. Das ist eine Prozession, die demonstriert, daß wir unterwegs sind, daß wir das Mahl des Herrn als Pilgermahl empfangen. Wir erinnern uns an den Auszug des Volkes Israel aus der Gefangenschaft in Ägypten. „Als die hinwegeilen sollt ihrs essen; denn es ist des Herrn Passah” (Ex. 12, 11). „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir” (Hebr. 13, 14). Aber wir sind auf dem Weg durch die Wüsten und Gefährdungen dieses Lebens nicht allein. Der Herr selbst geht mit uns. Er ist unter uns gegenwärtig in der Gestalt des gesegneten Brotes. Das ist unser kostbarer Schatz, von dem wir freilich wissen, daß wir ihn nicht einschließen und festhalten können. Und doch treibt er uns immer wieder zu sichtbaren Gestaltungen seiner Wohnung, des Tabernakels, des Tempels. Wir bauen unsre Kirchen nicht als zweckbestimmte Versammlungsräume, deren Größe sich aus der Zahl der zu versammelnden Menschen ergibt. Vielmehr strebt auch die kleinste Gemeinde danach, ihren Kirchenraum so hoch und weit wie möglich zu bauen, ihn zu einem sichtbaren Zeichen, einer Demonstration für die Größe des Herrn zu machen. Und mit dem Einzug ins Heiligtum und dem Zug zum Altar gestalten wir die Prozession, durch die wir demonstrieren, worum es uns letztlich in allem geht. Ich will hineingehen zum Altare Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist (Psalm 43, 4).

LeerDie Prozession der Konfirmanden hat nicht die Konfirmanden zum Gegenstand und Mittelpunkt, sondern will bezeugen, daß Sinn und Ziel des Lebens auch für diese Konfirmanden der eine Herr ist, in dessen Dienst wir alle verbunden sind. Die Prozession des Brautpaares im Hochzeitszug zur Kirche oder von der Pforte der Kirche zum Altar will bezeugen, wer der Herr in diesem neu begründeten Hausstand sein soll. „Ich und mein Haus, wir sind bereit, dir, Herr, die ganze Lebenszeit mit Seel und Leib zu dienen” (EKG 173). So werden immer wieder Prozessionen zu Demonstrationen. Der leibhafte Vollzug schrumpft freilich immer mehr zu einem bloßen Gedanken zusamrnen. Man sitzt in der Kirchenbank und singt nur noch mit Worten von der Prozession: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit” (EKG 6). Beim Einzug Jesu in Jerusalem heißt es, daß sie ihm Teppiche aus Kleidern bereiteten, und die vorangingen und nachfolgten, sangen: „Hosianna dem Sohne Davids, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosianna in der Höhe!” (Mt. 21, 9). Wenn wir heute in der Liturgie des Heiligen Mahles das Sanctus singen, fügen wir diesen Einzugsgesang hinzu „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn”, und bezeugen so, daß wir den Herrn grüßen, der im Sakrament leibhaft zu uns kommt. Er in uns und wir in ihm - so stellt sich zusammengedrängt unsere christliche Existenz dar. Im Gang zum Altar findet unser Christsein dichten Ausdruck als Prozession, die demonstriert, was Grund und Ziel unsers Lebens ist. Die Erneuerung der Abendmahlsfrömmigkeit in unserer Zeit hilft uns, Gefäß zu werden und da zu sein für das Eine, das not ist: Christus, der ist mein Leben! Und so beten wir: „Erhalt uns, Herr, im rechten Glauben noch fernerhin bis an das End; ach laß uns nicht die Schätze rauben: dein heilig Wort und Sakrament!”

Quatember 1982, S. 12-14

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-29
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