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von Wolfgang Krönig |
Die Formulierung des Themas vermeidet mit Absicht eine erneute Deutung dessen, was man gemeinhin (und sehr vieldeutig) „moderne Kunst” nennt. Vielmehr möchte ich einige Gedanken äußern zu demjenigen Bereich der Kunst, den wir als „christliche Kunst” bezeichnen können. Wenn ich das als Mensch der Gegenwart und als Christ tun will, so soll damit nicht eine banale Selbstverständlichkeit ausgesprochen werden. Gemeint ist damit die Erörterung des Phänomens christlicher Kunst, vergangener und jetziger, und ihrer Wirkensweise heute; und Gegenwart, das soll bedeuten: in dieser Situation des Menschen und der Kunst heute, wie es sich für den Christen darstellt. In vier Abschnitten werden einige Grundfragen herausgegriffen und knapp, ja stichwortartig behandelt. Am Schluß möchte ich versuchen, einige Folgerungen aus dem Vorangehenden zu ziehen. 1. Zur Situation des Menschen und der Kunst in der Gegenwart Sie ist gekennzeichnet zunächst einmal durch eine überwältigende Fülle der Bilder, die ich nur anzudeuten brauche. Bilder stürmen auf uns ein nicht nur im Kino, im Fernsehen, im Überhandnehmen der „Illustrierten”, sondern in einer Bild-Propaganda, deren Mittel fast grenzenlos zu sein scheinen, und die, uns selbst unbewußt, uns auch da noch erreichen, uns beeinflussen, wo wir unseren eigenen Willen (etwa in einer Abschirmung) zu behaupten meinen. Die Fotografie hat eine völlige Veränderung unseres geistigen Haushalts herbeigeführt, sie ist eine Tatsache, die wir in ihrer Bedeutung noch garnicht richtig einschätzen, ja, die wir noch garnicht zutreffend benennen können, weil sich dieser Vorgang schon seit langem vorbereitet, in Wahrheit aber erst, lawinengleich, in neuester Zeit vollzogen hat. Die Fotografie ist zu einem Mittel, ja einem totalen Mittel der Wirklichkeitsbemächtigung, zu einem Ausdruck der Wirklichkeitserfahrung geworden und dies in deutlicher Unabhängigkeit und Unterscheidung von der modernen Kunst. Und dabei geschieht es dann (und sogar vielfach unbemerkt), daß sich diese Abbilder vor die Wirklichkeit stellen, vor die „Ur-Bilder”, daß diese Abbilder Selbstzweck werden, daß sie wichtiger werden als das, was sie vertreten. - Auch vermögen wir noch kaum zu benennen, was es bedeutet, daß geradezu auf der optischen Ebene argumentiert wird, auf ihr vielfach nur aufgenommen, nicht mehr im intellektuellen Sinn gelesen wird. Eine Häufung der Bilder finden wir auch im Bereich der Kunst: in ihrer musealen Anhäufung; in der Tendenz zum Musealen überhaupt; in der Reproduzierbarkeit, der unendlichen Wiederholbarkeit des Kunstwerks, die das Fernste überall und zu jeder Zeit gegenwärtig macht, in der Tatsache des „imaginären Museums”. In paradoxer Weise und zugleich in tragischer Weise wird das Einzelkunstwerk in seiner Wirkung einerseits gesteigert, andererseits gefährdet, wird die persönliche, die sich versenkende Begegnung mit einem einzelnen Kunstwerk erschwert. Es ist eine Lage, die in nächster Entsprechung steht zu derjenigen auf musikalischem Gebiet mit ihrem akustischen Massenangebot und Massenkonsum. Es ist nicht nur der Überdruß am Bilde, der uns in heutiger Kunst weit fortgeführt hat von allen früher gewohnten Gegenständen der Darstellung. Es ist der Verlust von Anschaulichkeit überhaupt in unserem Leben, in wesentlichen naturwissenschaftlichen und technischen Vorgängen und Erkenntnissen; es ist die Erschütterung unseres bisherigen Weltbildes und seiner in sich verständlichen religiösen und profanen Bilderwelt. All dies spiegelt sich in einer weithin ungegenständlich gewordenen Kunst. Der Einsicht aber in die Folgerichtigkeit, in die historische Notwendigkeit unserer neuzeitlichen abendländischen (oder auch „westlichen”) Kunstentwicklung kann man sich schwerlich entziehen. Doch dies bedeutet keineswegs, daß damit alles gutzuheißen, positiv zu bewerten sei. Denn das Indiz: Ausdruck der Zeit zu sein, ist ja kein ausreichender Wertmaßstab. In einer solchen, kurz skizzierten Situation fragen wir nach Möglichkeit und Aufgabe christlicher Kunst in der Gegenwart. Wir möchten unter christlicher Kunst nicht eine durch ihren Inhalt allein als solche bestimmte verstehen, vielmehr in unserem Zusammenhang: die dem Leben der Kirche, dem Gottesdienst zugehörige, also liturgische Kunst. Der Ort also, und die spezifische Aufgabe sind wichtig, sie wirken zurück auf die „Form”. Das rechte Bild am rechten Ort! Das heißt: ein Bild wird durch seinen Ort, seine liturgische Bestimmung genau so zusätzlich interpretiert, wie ein liturgischer Text, eine Perikope im Kirchenjahr, im Gottesdienst. Die Nichtbeachtung dieser Erkenntnis bedeutet Verlust einer Tiefendimension - wie in der Praxis leider oft festzustellen ist. Wir Menschen der Gegenwart sind in besonderer Weise empfindlich geworden einerseits für die Entwurzelung eines Kunstwerks aus seinem ursprünglichen Lebens- und Wirkenszusammenhang, etwa eines Altarbildes in einem Museum (bei Kunstwerken der Vergangenheit). Wir sind (hoffentlich!) sensibel und bewußt in der Einbeziehung und Aufnahme mittelalterlicher (und überhaupt älterer) Kunst in unser kirchliches Handeln und Gestalten in der Gegenwart, worauf wir keineswegs verzichten können und wollen. Das Wichtige bei diesen (und bei allen) Bildern ist die sehr zu bedenkende Tatsache, daß sie eine Fülle von Beziehungen, Vorstellungen und Bedeutungen auslösen, die danach verlangen, weitererzählt zu werden, in Worte gefaßt zu werden; die also etwas in Bewegung setzen, die uns in Bewegung setzen. Jeder Gläubige ist ständig gefordert, die Überlieferung zu befragen mit den Möglichkeiten unserer Zeit.
Als Menschen der Gegenwart stehen wir den Bildern nicht entfernt so unbefangen gegenüber wie frühere Zeiten. Die Tiefenräume psychologischer, systematischer und historischer Forschung haben uns vielfältigste Erkenntnisse gebracht. Wir wissen, daß das, was wir „Kunst” nennen, in anderen Zeiten und Zonen etwas gänzlich anderes war: es war Religion selbst, Leben, magische Beschwörung, Preis des Herrschers, schlichte Mitteilung und vieles andere mehr - es war nicht, was es jetzt ist: ästhetische Schöpfung. Und im Lichte dieser Erkenntnis, daß z. B. im Mittelalter das, was wir heute „Kunst” nennen, garnicht „Kunst” war, daß die „artes liberales” gänzlich anderes meinten, können wir dem heutzutage wieder wankend gewordenen Kunstbegriff auch gelassener zuschauen. Ebenso wissen wir auch, daß es unter der einen Bezeichnung „Bild” sehr verschiedene Formen gibt, die im Bereiche christlicher Kunst verschiedenen geistigen Bedürfnissen, Absichten und Zweckbestimmungen entsprechen: daß es lehrhaft-symbolische, darstellend-erzählende, streng repräsentative Bilder gibt. Grade auch im Bereich christlicher Kunst ist es wichtig, die Unabhängigkeit des Bildes vom Wort einsichtig zu machen, vom Text, von jedem vorgegebenen Text. Diese richtig verstandene Unabhängigkeit muß überall da betont werden, wo die Gefahr besteht, das Bild nicht nur zu unterschätzen, sondern gradezu mißzuverstehen - es in Abhängigkeit bloßer Illustration des Textes, des Wortes, auch der Bibel zu sehen. Die rechte christliche Kunst, die wir ins Auge fassen wollen, ist ebenso wie die wahrhaftige Kunst aller Zeiten und Formen dadurch gekennzeichnet, daß in ihr Abbildendes und Sinnbildendes, Abbildhaftes und Sinnbildhaftes fast immer gemeinsam auftreten, wobei es freilich verschiedene „Mischungsgrade” geben kann. Diese Einsicht ist sehr wichtig, denn mit ihr erfassen wir nicht nur wechselnde, verschiedene Stilformen des Bildes, sondern seine Verhaltensformen. Überblicken wir die Vielfalt geschichtlicher Entwicklungen der Kunst, so läßt sie sich im wesentlichen auf diese zwei großen, unterschiedlichen Verhaltensweisen vereinfachend zurückführen, läßt sich in ihnen kennzeichnen:
Alle bisherigen Überlegungen, und besonders die letzte, machen es endlich notwendig, etwas Zusammenfassendes zu sagen über Sinnbild, Zeichen, Symbol. Ich möchte alles in dem präziseren Begriff des Symbols fassen, in dem die sichtbare Repräsentanz eines Unsichtbaren geschieht, in dem beides - nach dem griechischen Wortsinn - zusammenfällt, sich deckt, ineinander enthalten ist. Definitionen sind notwendig, aber sie sind nicht das Letzte, das Eigentliche einer lebendigen Erfahrung. Deshalb möchte ich versuchen, sozusagen für jeden nachprüfbar und nachvollziehbar, einige Hinweise auf das Wesen des Symbols zu geben. Zweitens: das Kreuz - und jedes echte Symbol -meint etwas, bezeichnet etwas, nämlich bestimmte geistige Inhalte, Tatsachen, Lehren, und vor allem: es macht anschaulich, anschaubar, was eigentlich unanschaulich ist, also auch: es enthüllt etwas, aber zugleich verhüllt es auch. Es ist nämlich nur dem in der Gefolgschaft stehenden Offenbarung, Zeichen, Enthüllung gemeinsamen Sinnes und Glaubens; dem Draußenstehenden ist es unverständlich, geheimnisvoll, verhüllend und deshalb womöglich abstoßend, unheimlich. Man muß um diese Grundtatsachen wissen, um zu begreifen, daß keine Zeit, keine Gemeinschaft (welcher Art auch immer) auf das Symbol verzichten kann: „Ich schwöre der Fahne die Treue”; „Ich glaube an das Kreuz”. Das Symbol, das Zeichen, ist identisch mit dem Unsichtbaren, daß es vertritt, das in ihm enthalten ist, in ihm anschaulich wird. Diese Lebensmacht, diese Lebensnotwendigkeit des Symbols wird deutlich in einer weiteren Eigenschaft: nämlich darin, daß es über dem Wort steht. In einem knappen Zeichen, in der „Sprache des Bildes”, des Bildzeichens, wird für Kind und Greis, wird für einfache und für geistig anspruchsvolle Menschen „gesagt”, was in Worten vielfältig, verschiedenartig und sehr ausführlich sein müßte. Zugleich aber steht das Symbol unter dem Wort, insofern es ständiger Exegese bedarf. Grade in diesem „zugleich” zeigt sich seine Unentbehrlichkeit, denn es ist unausschöpfbar. Damit ergibt sich, wie ich meine, beiläufig die große Verantwortung für alle, die mit dem Symbol zu tun haben, aber auch mit allem, was „Bild” in einem umfassenderen Sinn ist: gestaltend, Auftrag gebend, unterweisend, deutend. Denn „Bild” ist selbst Glaubensbekenntnis geworden; Bild ist und soll sein der Leib des Wahren, der die Wahrheit enthält und verhüllt. Noch einmal: nicht Beschreibung, nicht Begriffe ersetzen das Bild, ja sie können es nicht einmal erreichen. Wir befinden uns in einer merkwürdig zwiespältigen Lage den Bildern gegenüber: Wir stellen uns über die Bilder - wertend, urteilend, historisch einordnend, vergleichend und wir stehen zugleich unter den Bildern; unbewußt: ihrer Wirkung ausgesetzt; bewußt: „hinhorchend” auf die geistigen Mächte und Ordnungen, die in ihnen sichtbar werden, auf den tragenden Grund, der nur dem Glaubenden sichtbar wird. Es ist also oder sollte sein zugleich ein Hinhören, Aufmerken, Innewerden. Aber auch da kann die Wirkung eines Bildes auf verschiedene Betrachter eine völlig verschiedenartige sein; denn sie ist abhängig von dem, was wir von uns aus mitbringen, an Vorwissen, an Bereitschaft, an möglichen Assoziationen. Und wiederum verbinden sich auch dann noch beide Weisen des Verhaltens zum Bilde miteinander. Schließlich sind noch einige wenigstens andeutende Worte notwendig zu der so gewaltigen und garnicht in Kürze zu behandelnden Frage nach Brauch und Mißbrauch des Bildes im Bereich christlicher Kunst; sie muß nach ihrer systematischen wie auch nach ihrer historischen Seite hier ganz ausgeklammert bleiben. Es kann sich in unserem Zusammenhang nur um Erörterungen auf einer gemein-christlichen Grundlage handeln. Ein Wort Goethe's mag dabei als Einführung dienen zu einem, wie mir scheint, zentral wichtigen Gedanken: „Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst - und man verbindet sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst”. Diese bedeutende Einsicht, die einfach das Paradoxon stehen läßt, weil sie es stehen lassen muß, gilt auch von Kunst und Religion. Die Kunst kann die größte Helferin sein auf dem Wege zur Religion, und sie kann doch zu einem Selbstzweck, einem willkommenen Vorwand werden, der Religion, der Begegnung mit Gott, mit Christus auszuweichen. Das heißt also: der Mißbrauch ist stets gegeben - in allen Künsten. Der Mißbrauch liegt dann entscheidend in der Person, im Subjekt. Eduard Spranger: „Es ist das Schicksal des Menschen, das Metaphysische nur in Bildern ausrücken zu können.” Paulus (1. Korinther, 13, 12): „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht.”
Wir machen uns noch einmal klar, daß für uns Heutige die Notwendigkeit bestehen kann, gegenständliche Darstellungen in der Kirche zurücktreten zu lassen. Romano Guardini sagte einmal: „die Aufgabe, das Angesicht Gottes zu suchen, scheint im leeren Kirchenraum leichter zu sein, als dann, wenn ein (gegenständliches) Bild den Blick hemmt”. Doch kann dieser völlige Verzicht auch ein negatives Zeichen dafür sein, daß wir gänzlich verzichten auf die Deutung der konkreten Glaubensinhalte und auf die Aufgabe, die Deutung der uns umgebenden Welt ernst zu nehmen. Außer Frage aber steht es, daß eine objektive Verbindlichkeit sich heute nicht erreichen läßt, ja man wird hinzufügen müssen, daß sie außerhalb der orthodoxen Kirche von keiner anderen Kirche oder kirchlichen Instanz gefordert worden ist. Auch heute noch gilt, daß das Leben der Kirche sich auch und sehr wesentlich in der Kunst äußern kann. Das Zeugnis christlicher Kunst erreicht auch heute noch viele Menschen, die nicht mehr in der Kirche leben und die sich dennoch von ihr getroffen fühlen. Die letzte Begründung aber für das christliche Bild wird immer ein elementares Bedürfnis sein, das wie im Wort, so auch im Bild und im Ton nicht verzichten kann und will auf einen Umgang mit dem Heiligen und das Zeugnis geben möchte - das sich vergegenwärtigen, das inne werden will auch in denjenigen Schichten des Menschen, die das rationale Wort nicht erreicht, und das auch diesen Bereich nicht einer ebenso unkünstlerischen wie unchristlichen Bilderflut und damit jenen Mächten überlassen möchte, die wir als antichristlich bezeichnen müssen. Entscheidend wird stets der Dienst sein, den auch das christliche Bild als Lobpreis Gottes und als Zeugnis, als Gebetshilfe, als Meditationshilfe für den einzelnen und für die Gemeinde zu leisten vermag, in welcher Formensprache auch immer. Und dies ist das Geschenk eines wirklichen Künstlers, ein Geschenk Gottes. Quatember 1982, S. 152-161 |
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