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Der Mensch der Gegenwart und die christliche Kunst
von Wolfgang Krönig

LeerDie Formulierung des Themas vermeidet mit Absicht eine erneute Deutung dessen, was man gemeinhin (und sehr vieldeutig) „moderne Kunst” nennt. Vielmehr möchte ich einige Gedanken äußern zu demjenigen Bereich der Kunst, den wir als „christliche Kunst” bezeichnen können. Wenn ich das als Mensch der Gegenwart und als Christ tun will, so soll damit nicht eine banale Selbstverständlichkeit ausgesprochen werden. Gemeint ist damit die Erörterung des Phänomens christlicher Kunst, vergangener und jetziger, und ihrer Wirkensweise heute; und Gegenwart, das soll bedeuten: in dieser Situation des Menschen und der Kunst heute, wie es sich für den Christen darstellt.

LeerIn vier Abschnitten werden einige Grundfragen herausgegriffen und knapp, ja stichwortartig behandelt. Am Schluß möchte ich versuchen, einige Folgerungen aus dem Vorangehenden zu ziehen.

1. Zur Situation des Menschen und der Kunst in der Gegenwart

LeerSie ist gekennzeichnet zunächst einmal durch eine überwältigende Fülle der Bilder, die ich nur anzudeuten brauche. Bilder stürmen auf uns ein nicht nur im Kino, im Fernsehen, im Überhandnehmen der „Illustrierten”, sondern in einer Bild-Propaganda, deren Mittel fast grenzenlos zu sein scheinen, und die, uns selbst unbewußt, uns auch da noch erreichen, uns beeinflussen, wo wir unseren eigenen Willen (etwa in einer Abschirmung) zu behaupten meinen. Die Fotografie hat eine völlige Veränderung unseres geistigen Haushalts herbeigeführt, sie ist eine Tatsache, die wir in ihrer Bedeutung noch garnicht richtig einschätzen, ja, die wir noch garnicht zutreffend benennen können, weil sich dieser Vorgang schon seit langem vorbereitet, in Wahrheit aber erst, lawinengleich, in neuester Zeit vollzogen hat. Die Fotografie ist zu einem Mittel, ja einem totalen Mittel der Wirklichkeitsbemächtigung, zu einem Ausdruck der Wirklichkeitserfahrung geworden und dies in deutlicher Unabhängigkeit und Unterscheidung von der modernen Kunst. Und dabei geschieht es dann (und sogar vielfach unbemerkt), daß sich diese Abbilder vor die Wirklichkeit stellen, vor die „Ur-Bilder”, daß diese Abbilder Selbstzweck werden, daß sie wichtiger werden als das, was sie vertreten. - Auch vermögen wir noch kaum zu benennen, was es bedeutet, daß geradezu auf der optischen Ebene argumentiert wird, auf ihr vielfach nur aufgenommen, nicht mehr im intellektuellen Sinn gelesen wird.

LeerEine Häufung der Bilder finden wir auch im Bereich der Kunst: in ihrer musealen Anhäufung; in der Tendenz zum Musealen überhaupt; in der Reproduzierbarkeit, der unendlichen Wiederholbarkeit des Kunstwerks, die das Fernste überall und zu jeder Zeit gegenwärtig macht, in der Tatsache des „imaginären Museums”. In paradoxer Weise und zugleich in tragischer Weise wird das Einzelkunstwerk in seiner Wirkung einerseits gesteigert, andererseits gefährdet, wird die persönliche, die sich versenkende Begegnung mit einem einzelnen Kunstwerk erschwert. Es ist eine Lage, die in nächster Entsprechung steht zu derjenigen auf musikalischem Gebiet mit ihrem akustischen Massenangebot und Massenkonsum.

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LeerDieser Allmacht der Bilder ist die totale Ohnmacht der Bilder unmittelbar zugesellt; neben dem Übermaß an Bildern steht der Überdruß am Bilde. Und so kann es denn zu charakteristischen radikalen Äußerungen von Künstlern kommen: „die Kunst der Vergangenheit ist verbraucht; sie ist Museumsobjekt, Spekulation, Reproduktion”, und solche Einseitigkeit wird dann absolut gesetzt und soll das eigene Schaffen rechtfertigen. Es ist gewiß, daß aus solchem Überdruß wichtige Erscheinungen neuzeitlicher Kunst verstanden werden können: der Verlust des Gegenständlichen, ja die Angst vor dem gegenständlichen, vor einem wie auch immer gearteten außerkünstlerischen Engagement in der Kunst; ferner: das tatsächliche und das vermeintliche Suchen nach dem Wesen der Dinge, der tragische Subjektivismus. Alles wird in Frage gestellt; auch die Kunst selbst. So heißt es zum Beispiel: Kunst ist Leben - Leben ist Kunst - Kunst kennt keine Grenzen; was dann praktisch bedeutet: alles ist Kunst! Aber ebenso auch: nichts ist mehr Kunst. Einerseits: alles wird radikal abgelehnt, in Frage gestellt; andererseits: alles ist erlaubt, alles ist machbar. Da ist dann nicht mehr die Rede von Gestaltung, von Rang- und Qualitäts-Unterschieden. Zugleich blicken wir vielfach in ein Schreckensantlitz in heutiger künstlerischer Produktion, in heutigen Aussagen auch von Künstlern selbst zur Situation, zum eigenen Schaffen. Angst, Zerfall, Deformation, Destruktion - ist das alles Deutung unserer Lage? Ist das Vision drohender Katastrophen, sind es die schon erlebten, die ringsum ständig wirklichen Katastrophen? Man wird die tiefe Berechtigung nicht leugnen können, wenn heutige Kunst Verzweiflung und Unerlöstheit zum Ausdruck bringt und wiederspiegelt.

LeerEs ist nicht nur der Überdruß am Bilde, der uns in heutiger Kunst weit fortgeführt hat von allen früher gewohnten Gegenständen der Darstellung. Es ist der Verlust von Anschaulichkeit überhaupt in unserem Leben, in wesentlichen naturwissenschaftlichen und technischen Vorgängen und Erkenntnissen; es ist die Erschütterung unseres bisherigen Weltbildes und seiner in sich verständlichen religiösen und profanen Bilderwelt. All dies spiegelt sich in einer weithin ungegenständlich gewordenen Kunst. Der Einsicht aber in die Folgerichtigkeit, in die historische Notwendigkeit unserer neuzeitlichen abendländischen (oder auch „westlichen”) Kunstentwicklung kann man sich schwerlich entziehen. Doch dies bedeutet keineswegs, daß damit alles gutzuheißen, positiv zu bewerten sei. Denn das Indiz: Ausdruck der Zeit zu sein, ist ja kein ausreichender Wertmaßstab.

LeerIn einer solchen, kurz skizzierten Situation fragen wir nach Möglichkeit und Aufgabe christlicher Kunst in der Gegenwart.

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2. Christliche Kunst heute

LeerWir möchten unter christlicher Kunst nicht eine durch ihren Inhalt allein als solche bestimmte verstehen, vielmehr in unserem Zusammenhang: die dem Leben der Kirche, dem Gottesdienst zugehörige, also liturgische Kunst. Der Ort also, und die spezifische Aufgabe sind wichtig, sie wirken zurück auf die „Form”. Das rechte Bild am rechten Ort! Das heißt: ein Bild wird durch seinen Ort, seine liturgische Bestimmung genau so zusätzlich interpretiert, wie ein liturgischer Text, eine Perikope im Kirchenjahr, im Gottesdienst. Die Nichtbeachtung dieser Erkenntnis bedeutet Verlust einer Tiefendimension - wie in der Praxis leider oft festzustellen ist.

LeerWir Menschen der Gegenwart sind in besonderer Weise empfindlich geworden einerseits für die Entwurzelung eines Kunstwerks aus seinem ursprünglichen Lebens- und Wirkenszusammenhang, etwa eines Altarbildes in einem Museum (bei Kunstwerken der Vergangenheit). Wir sind (hoffentlich!) sensibel und bewußt in der Einbeziehung und Aufnahme mittelalterlicher (und überhaupt älterer) Kunst in unser kirchliches Handeln und Gestalten in der Gegenwart, worauf wir keineswegs verzichten können und wollen. Das Wichtige bei diesen (und bei allen) Bildern ist die sehr zu bedenkende Tatsache, daß sie eine Fülle von Beziehungen, Vorstellungen und Bedeutungen auslösen, die danach verlangen, weitererzählt zu werden, in Worte gefaßt zu werden; die also etwas in Bewegung setzen, die uns in Bewegung setzen. Jeder Gläubige ist ständig gefordert, die Überlieferung zu befragen mit den Möglichkeiten unserer Zeit.

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LeerAndererseits sind wir ebenso empfindlich geworden für Formlosigkeit und Beziehungslosigkeit oder auch bloße Subjektivität der Form in sogenannter christlicher Kunst, die nicht ausgerichtet ist an der Objektivität, an dem Reichtum von Liturgie und christlichem Glauben, die auch für die christliche Kunst bestimmend sein sollten. Zugleich ist es kennzeichnend für den „Menschen der Gegenwart”, daß er auch als Christ aus seiner Zeit und mit seiner Zeit lebt, daß er mit ihrer Kunst lebt, daß er ihre kritischen Ansichten und Einsichten gegenüber manchen künstlerischen Erscheinungen teilt. Und dies bedeutet: es kann kein Stehenbleiben geben bei einmal gefundenen Bildformen christlichen Glaubens. (Ich nenne hier nur zwei wichtige und zugleich ehrwürdige Beispiele des 19. und 20. Jahrhunderts: die „Nazarener” und die „Beuroner Kunst”.) Noch einmal gilt: wir und auch die Künstler sind stets gefordert, die Überlieferung zu befragen mit den Möglichkeiten unserer Zeit. Aber diese unsere Zeit hat uns die Möglichkeit christlicher Kunst von unseren eigenen Voraussetzungen des Glaubens, Denkens und Gestaltens aus sehr viel problematischer, skeptischer, ganz einfach schwieriger sehen gelehrt. Es scheint, als ringen hier in der Praxis zwei verschiedene Tendenzen miteinander; die eine sucht an den traditionellen Bildgestalten christlicher Ikonographie festzuhalten, wenn auch mit formalen Mitteln moderner Art; die andere betont die Autonomie der Kunst im Sinn einer Freiheit vom Gegenstand und möchte damit heutigem Erkenntnisstand entsprechende Formen in die christliche Kunst einbringen. Bei solchem Stand der Dinge sollte festgehalten werden, daß bedeutende katholische Theologen eindringlich auf zweierlei hingewiesen haben: auf die Würde des Künstlers, soweit er für die Kirche schafft, auf seine Verantwortung, ja auf seinen Anteil am Priesteramt und am Lehramt der Kirche; zugleich aber auf die Eigengesetzlichkeit der Kunst, die auch Papst Johannes Paul II. in seiner Münchener Ansprache 1980 betont hat. Mit Recht wird von der Dämonie der Kunst gesprochen. „Wer es nicht glauben will, daß die Kunst so nahe am Götzendienst ist, der lasse sich von der Hl. Schrift belehren.” Nun gilt auch für alle christliche Kunst, daß Gott nie Bildgegenstand sein kann; es gilt das Verbot von Exodus 20, 4: „Du sollst dir kein Bild Gottes machen”, weil du ihn dadurch zu einem Objekt machst, also sein Wesen von Grund auf verfehlst, das Wesen des Allgegenwärtigen und Unsichtbaren. Die Darstellung Christi jedoch ist gerechtfertigt: er ist „wahrer Gott und wahrer Mensch”. Der Weg aber von solcher Begründung zu einer Gestaltung, die nicht einfach eine von der Tradition geprägte Bildform übernimmt, wiederholt und variiert, ist weit - und wer wollte es der Ehrlichkeit heutiger Künstler verdenken, wenn sie dies nicht mehr als möglich ansehen. Wenn wir aber das Kriterium künstlerischer Echtheit und Wahrhaftigkeit anerkennen, dann müssen wir damit auch die Grenzen möglicher Gestaltung offen halten. Andererseits gibt es Grenzen: nämlich diejenigen verschiedener konkreter kirchlicher Aufgaben und die einer echten liturgischen Kunst.

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Leer Zwei Hinweise mögen am Schluß dieses Abschnitts stehen. Die anläßlich des „Katholikentages 1980” in Berlin von den dortigen staatlichen Museen gezeigte Kunstausstellung unter dem Titel „Zeichen des Glaubens - Geist der Avant-Garde” konnte man kaum als eine Ausstellung christlicher Kunst bezeichnen, so bedeutsam sie auch war. Man konnte vielmehr fragen, warum diese geradezu ausgeschlossen war. Die Antwort lag auf der Hand; sie wurde nachträglich auch bestätigt: die Organisatoren sehen im Bereich heutiger christlicher Kunst nichts, was sie besonders anginge oder ihnen bedeutend erschiene. Das ist in dieser Einseitigkeit nicht begründet, denn es gibt Gestaltungen und Lösungen, die Aufmerksamkeit verdienen, und ein solches Urteil liegt zweifellos an fehlendem Engagement in dieser Richtung. Wichtig ist aber gleichwohl das Fazit dieser Ausstellung: Theologie und Kirche sollten sich diesem Rufen aus der Wüste unserer Zeit, das hier vernehmlich wurde, das echt ist und das gehört zu werden verdient, sehr viel stärker stellen als bisher geschehen. Vorurteile in beide Richtungen könnten abgebaut werden. Der zweite Hinweis betrifft zwei erstaunliche Tatsachen, die in eigentümlicher Weise unabhängig voneinander bestehen oder doch zu bestehen scheinen:
  • die Tatsache, daß das Leben abstrakt geworden ist, daß unsere Erfahrungen gleichsam nur noch aus zweiter Hand stammen; daß die Künste abstrakt geworden sind.
  • die Tatsache, daß die Selbstbesinnung, die liturgische Erneuerung der Kirche (und der Kirchen) das Bild auf dem Altar, das Altarretabel, nicht mehr möglich erscheinen läßt; daß die Altar-mensa als Trägerin der Elemente der Eucharistie nicht überwuchert werden darf durch einen kolossalen Bildaufbau - womit zugleich ein Anknüpfen an die Ursprünge des Christentums gegeben ist und zugleich eine praktische, eine tatsächliche Annäherung der Konfessionen, der Kirchen, die über das bewußt Gewollte und das offiziell Zugegebene erfreulich hinausgeht.
LeerZweifellos besteht hier ein tiefer ursächlicher Zusammenhang zwischen beiden Tatsachen und damit zugleich ein solcher zu dem schon zuvor angesprochenen Phänomen des Übermaßes an Bildern, denen ein Überdruß am Bilde entspricht, eine Reduktion der Bilder - beide Male erhalten wir somit wichtige Hinweise darauf, welche Rolle das Bild im geistigen Haushalt des Menschen heute spielt. - Die ganz entscheidende Bedeutung des gottesdienstlichen, des liturgischen Raumes und seiner Gestaltung muß ich leider ausklammern.

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3. Über die Wirkensweise der Bilder

LeerAls Menschen der Gegenwart stehen wir den Bildern nicht entfernt so unbefangen gegenüber wie frühere Zeiten. Die Tiefenräume psychologischer, systematischer und historischer Forschung haben uns vielfältigste Erkenntnisse gebracht. Wir wissen, daß das, was wir „Kunst” nennen, in anderen Zeiten und Zonen etwas gänzlich anderes war: es war Religion selbst, Leben, magische Beschwörung, Preis des Herrschers, schlichte Mitteilung und vieles andere mehr - es war nicht, was es jetzt ist: ästhetische Schöpfung. Und im Lichte dieser Erkenntnis, daß z. B. im Mittelalter das, was wir heute „Kunst” nennen, garnicht „Kunst” war, daß die „artes liberales” gänzlich anderes meinten, können wir dem heutzutage wieder wankend gewordenen Kunstbegriff auch gelassener zuschauen.

LeerEbenso wissen wir auch, daß es unter der einen Bezeichnung „Bild” sehr verschiedene Formen gibt, die im Bereiche christlicher Kunst verschiedenen geistigen Bedürfnissen, Absichten und Zweckbestimmungen entsprechen: daß es lehrhaft-symbolische, darstellend-erzählende, streng repräsentative Bilder gibt.

LeerGrade auch im Bereich christlicher Kunst ist es wichtig, die Unabhängigkeit des Bildes vom Wort einsichtig zu machen, vom Text, von jedem vorgegebenen Text. Diese richtig verstandene Unabhängigkeit muß überall da betont werden, wo die Gefahr besteht, das Bild nicht nur zu unterschätzen, sondern gradezu mißzuverstehen - es in Abhängigkeit bloßer Illustration des Textes, des Wortes, auch der Bibel zu sehen.

LeerDie rechte christliche Kunst, die wir ins Auge fassen wollen, ist ebenso wie die wahrhaftige Kunst aller Zeiten und Formen dadurch gekennzeichnet, daß in ihr Abbildendes und Sinnbildendes, Abbildhaftes und Sinnbildhaftes fast immer gemeinsam auftreten, wobei es freilich verschiedene „Mischungsgrade” geben kann. Diese Einsicht ist sehr wichtig, denn mit ihr erfassen wir nicht nur wechselnde, verschiedene Stilformen des Bildes, sondern seine Verhaltensformen. Überblicken wir die Vielfalt geschichtlicher Entwicklungen der Kunst, so läßt sie sich im wesentlichen auf diese zwei großen, unterschiedlichen Verhaltensweisen vereinfachend zurückführen, läßt sich in ihnen kennzeichnen:
  • eine sinnbildliche, zeichenhafte, daher auch unrealistische, nicht perspektivische.
  • eine abbildhafte, realistische, räumliche, perspektivische Kunst.
LeerDoch trotz solcher Unterscheidung: es gibt viele Mischungsverhältnisse zwischen beiden; jede hat auch Anteil am Wesen der anderen! Grade dies gilt es, vor den Bildern einzusehen.

LeerAlle bisherigen Überlegungen, und besonders die letzte, machen es endlich notwendig, etwas Zusammenfassendes zu sagen über Sinnbild, Zeichen, Symbol. Ich möchte alles in dem präziseren Begriff des Symbols fassen, in dem die sichtbare Repräsentanz eines Unsichtbaren geschieht, in dem beides - nach dem griechischen Wortsinn - zusammenfällt, sich deckt, ineinander enthalten ist.

LeerDefinitionen sind notwendig, aber sie sind nicht das Letzte, das Eigentliche einer lebendigen Erfahrung. Deshalb möchte ich versuchen, sozusagen für jeden nachprüfbar und nachvollziehbar, einige Hinweise auf das Wesen des Symbols zu geben.

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LeerDas Kreuz ist ein solches Symbol, ein solches Zeichen; es ist das christliche Symbol schlechthin, Inbegriff der Erniedrigung und zugleich des Sieges, des Todes und der Auferstehung Christi. Wir gewinnen daher als erste Feststellung: Das Kreuz - und jedes echte Symbol - wendet sich an eine Gefolgschaft,, es ruft auf zur Gemeinschaft; und es kommt aus einer Gefolgschaft, Gemeinschaft. Daraus folgt: es kann nicht willkürliches Werk eines einzelnen sein.

LeerZweitens: das Kreuz - und jedes echte Symbol -meint etwas, bezeichnet etwas, nämlich bestimmte geistige Inhalte, Tatsachen, Lehren, und vor allem: es macht anschaulich, anschaubar, was eigentlich unanschaulich ist, also auch: es enthüllt etwas, aber zugleich verhüllt es auch. Es ist nämlich nur dem in der Gefolgschaft stehenden Offenbarung, Zeichen, Enthüllung gemeinsamen Sinnes und Glaubens; dem Draußenstehenden ist es unverständlich, geheimnisvoll, verhüllend und deshalb womöglich abstoßend, unheimlich.

LeerMan muß um diese Grundtatsachen wissen, um zu begreifen, daß keine Zeit, keine Gemeinschaft (welcher Art auch immer) auf das Symbol verzichten kann: „Ich schwöre der Fahne die Treue”; „Ich glaube an das Kreuz”.

LeerDas Symbol, das Zeichen, ist identisch mit dem Unsichtbaren, daß es vertritt, das in ihm enthalten ist, in ihm anschaulich wird.

LeerDiese Lebensmacht, diese Lebensnotwendigkeit des Symbols wird deutlich in einer weiteren Eigenschaft: nämlich darin, daß es über dem Wort steht. In einem knappen Zeichen, in der „Sprache des Bildes”, des Bildzeichens, wird für Kind und Greis, wird für einfache und für geistig anspruchsvolle Menschen „gesagt”, was in Worten vielfältig, verschiedenartig und sehr ausführlich sein müßte.

LeerZugleich aber steht das Symbol unter dem Wort, insofern es ständiger Exegese bedarf. Grade in diesem „zugleich” zeigt sich seine Unentbehrlichkeit, denn es ist unausschöpfbar.

LeerDamit ergibt sich, wie ich meine, beiläufig die große Verantwortung für alle, die mit dem Symbol zu tun haben, aber auch mit allem, was „Bild” in einem umfassenderen Sinn ist: gestaltend, Auftrag gebend, unterweisend, deutend. Denn „Bild” ist selbst Glaubensbekenntnis geworden; Bild ist und soll sein der Leib des Wahren, der die Wahrheit enthält und verhüllt.

LeerNoch einmal: nicht Beschreibung, nicht Begriffe ersetzen das Bild, ja sie können es nicht einmal erreichen.

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4. Erwägungen zu uns, den Betrachtern der Bilder

LeerWir befinden uns in einer merkwürdig zwiespältigen Lage den Bildern gegenüber: Wir stellen uns über die Bilder - wertend, urteilend, historisch einordnend, vergleichend und wir stehen zugleich unter den Bildern; unbewußt: ihrer Wirkung ausgesetzt; bewußt: „hinhorchend” auf die geistigen Mächte und Ordnungen, die in ihnen sichtbar werden, auf den tragenden Grund, der nur dem Glaubenden sichtbar wird. Es ist also oder sollte sein zugleich ein Hinhören, Aufmerken, Innewerden. Aber auch da kann die Wirkung eines Bildes auf verschiedene Betrachter eine völlig verschiedenartige sein; denn sie ist abhängig von dem, was wir von uns aus mitbringen, an Vorwissen, an Bereitschaft, an möglichen Assoziationen. Und wiederum verbinden sich auch dann noch beide Weisen des Verhaltens zum Bilde miteinander.

LeerSchließlich sind noch einige wenigstens andeutende Worte notwendig zu der so gewaltigen und garnicht in Kürze zu behandelnden Frage nach Brauch und Mißbrauch des Bildes im Bereich christlicher Kunst; sie muß nach ihrer systematischen wie auch nach ihrer historischen Seite hier ganz ausgeklammert bleiben. Es kann sich in unserem Zusammenhang nur um Erörterungen auf einer gemein-christlichen Grundlage handeln.

LeerEin Wort Goethe's mag dabei als Einführung dienen zu einem, wie mir scheint, zentral wichtigen Gedanken: „Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst - und man verbindet sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst”. Diese bedeutende Einsicht, die einfach das Paradoxon stehen läßt, weil sie es stehen lassen muß, gilt auch von Kunst und Religion. Die Kunst kann die größte Helferin sein auf dem Wege zur Religion, und sie kann doch zu einem Selbstzweck, einem willkommenen Vorwand werden, der Religion, der Begegnung mit Gott, mit Christus auszuweichen. Das heißt also: der Mißbrauch ist stets gegeben - in allen Künsten. Der Mißbrauch liegt dann entscheidend in der Person, im Subjekt.

LeerEduard Spranger: „Es ist das Schicksal des Menschen, das Metaphysische nur in Bildern ausrücken zu können.”

LeerPaulus (1. Korinther, 13, 12): „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht.”

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LeerEinige Sätze, gleichsam Folgerungen aus dem Vorangehenden, möchten auch in die Praxis hineinwirken.

  1.Die ältere christliche Kunst, die unter uns gegenwärtig ist, wird wirksam nach den geheimnisvollen Gesetzen sich wandelnden menschlichen Lebens, der Gesinnung, der Sitte, des Lebensstils, des Geschmacks und kann daher in jedem Augenblick zu einer neuen Wirkung und Wirksamkeit gelangen. So ist es nie zu vermeiden und nie auszuschließen, daß einer Gemeinschaft oder einem Einzelnen von dem an sich gleichsam ständig gegenwärtigen Schatz älterer christlicher Kunst bald das eine viel bedeutet, ja völlig neu „aufgeht”, das andere dagegen wenig bedeutet und gänzlich zurücktritt. Wir sollten aber gleichsam den großen Atem haben, den Zeugen vergangener Zeiten auch da noch Lebensraum zuzubilligen, wo sie heutigem Empfinden ferner stehen.
  2.Aus der „optischen Überlastung”, aus dem Überdruß am Bilde müssen Folgerungen gezogen werden, die in Richtung auf eine „schauende Askese” gehen, die dem Betrachter not tut. „Meditation”! Damit meine ich etwas Ähnliches für den Bereich des Bildes: wie aus einem Bereich des Schweigens, ja des Schweigen-Könnens das Wort erst wieder zu Wert und Wirkung kommen kann, so auch im Bereich des Bildes. Und dies würde jedenfalls bedeuten: statt des Vielen das Wenige und das sozusagen „Gezielte”.
  3.Es ist falsch, die Einsicht in die in gewissem Sinne als folgerichtig und notwendig zu bezeichnende neuzeitliche abendländische (westliche) Kunstentwicklung einmünden zu lassen in die Meinung oder gar programmatische Feststellung: es kann keine christliche Kunst mehr geben, also darf es keine mehr geben. Leider begegnet man öfter einer solchen Einstellung. Für den Christen kann eine solche Argumentation keine Gültigkeit haben. Die Christen haben eine Tradition zu wahren, die in jeder Gegenwart Anspruch darauf hat, lebendig gehalten zu werden. Denn wo eine große Überlieferung mit einer neuen Gegenwartsaufgabe und echter Hingabe zusammentrifft, da kann Wesentliches geschehen. Und diese Möglichkeit sollten wir uns stets offen halten. Und, wie Pater Regamey in seinem bedeutenden Buch „L'art sacré au vingtième siècle” ganz schlicht sagt: der Sinn für das Mögliche - er ist wichtig.
  4.Es gilt also den Weg zu finden zwischen Skylla und Charybdis, zwischen vorgefaßter Ausschließung des Bildes und der Gefahr, eine „modern” genannte Schematik zu gebrauchen.


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LeerEs kann da für den Christen keine verbindlichen Vorschriften geben. Da aber in Liturgie und Verkündigung der Kirche das künstlerische Element ein selbstverständliches, ein leibhaftiges Ausdrucksmittel ist, kann es sich nur darum handeln, der Kunst die angemessenen Kategorien ihres Wirkens zu bestimmen. Und das heißt: es muß an die Kunst die Wahrheitsfrage gestellt werden und auch die kritische Frage künstlerischer Analyse. Was können wir dabei tun? Wir können Mitverantwortung tragen, denn nicht nur die Künstler, auch die Auftraggeber (und diese in einem sehr weiten Sinn) haben ein hohes Maß von Verantwortung: die Möglichkeit des Rats, der Auftragerteilung, des Gesprächs, der Einwände. Der Künstler braucht dies alles; er wünscht nicht allein gelassen zu werden.

LeerWir machen uns noch einmal klar, daß für uns Heutige die Notwendigkeit bestehen kann, gegenständliche Darstellungen in der Kirche zurücktreten zu lassen. Romano Guardini sagte einmal: „die Aufgabe, das Angesicht Gottes zu suchen, scheint im leeren Kirchenraum leichter zu sein, als dann, wenn ein (gegenständliches) Bild den Blick hemmt”.

LeerDoch kann dieser völlige Verzicht auch ein negatives Zeichen dafür sein, daß wir gänzlich verzichten auf die Deutung der konkreten Glaubensinhalte und auf die Aufgabe, die Deutung der uns umgebenden Welt ernst zu nehmen. Außer Frage aber steht es, daß eine objektive Verbindlichkeit sich heute nicht erreichen läßt, ja man wird hinzufügen müssen, daß sie außerhalb der orthodoxen Kirche von keiner anderen Kirche oder kirchlichen Instanz gefordert worden ist. Auch heute noch gilt, daß das Leben der Kirche sich auch und sehr wesentlich in der Kunst äußern kann. Das Zeugnis christlicher Kunst erreicht auch heute noch viele Menschen, die nicht mehr in der Kirche leben und die sich dennoch von ihr getroffen fühlen.

LeerDie letzte Begründung aber für das christliche Bild wird immer ein elementares Bedürfnis sein, das wie im Wort, so auch im Bild und im Ton nicht verzichten kann und will auf einen Umgang mit dem Heiligen und das Zeugnis geben möchte - das sich vergegenwärtigen, das inne werden will auch in denjenigen Schichten des Menschen, die das rationale Wort nicht erreicht, und das auch diesen Bereich nicht einer ebenso unkünstlerischen wie unchristlichen Bilderflut und damit jenen Mächten überlassen möchte, die wir als antichristlich bezeichnen müssen. Entscheidend wird stets der Dienst sein, den auch das christliche Bild als Lobpreis Gottes und als Zeugnis, als Gebetshilfe, als Meditationshilfe für den einzelnen und für die Gemeinde zu leisten vermag, in welcher Formensprache auch immer. Und dies ist das Geschenk eines wirklichen Künstlers, ein Geschenk Gottes.

Quatember 1982, S. 152-161

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-29
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