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von Reinhard Brandhorst |
Ein „Präludium zu einem Präludium”, so nannte Prof. Per Lønning vom Straßburger Institut für ökumenische Forschung in seinem einleitenden Referat das 13. Kirchberger Gespräch: Ein erstes Anstimmen eines Themas also zu all den Vorspielen in Konferenzen und Veröffentlichungen, die auf das Luther-Jubiläum (seinen 500. Geburtstag) im November 1983 hinzielen. „Der angefochtene Glaube - Die Bedeutung Martin Luthers für die Ökumene heute” mit diesem Thema waren von der Evangelischen Michaelsbruderschaft für den 24. bis 28. Marz 1982 wieder Freunde aus der Ökumene eingeladen worden. Und etwa 30 evangelische sowie römisch-katholische, anglikanische, alt-katholische und orthodoxe Theologen und „Laien” aus zehn europäischen Ländern fanden sich unter der Leitung von Pfr. Dr. H. Mayr im Kloster Kirchberg zusammen. Eingefügt waren die Referate und Aussprachen der Gruppen in das gemeinsame gottesdienstliche Feiern: Die Stundengebete am Mittag, als Vesper und Komplet nach dem Tagzeitenbuch der Michaelsbrüder sowie am Morgen jeweils eine Eucharistie, die nach evangelischer, nach römisch-katholischer Ordnung und in anglikanisch-altkatholischer Konzelebration gefeiert wurde. Eucharistische Gastfreundschaft wurde dabei nicht nur immer angeboten, sondern auch von fast alien Teilnehmern wahrgenommen. Überhaupt ließ die Art dieser Gottesdienste spüren, wie nahe man sich im Liturgischen gekommen ist - weil eben doch eine gemeinsame Tradition da ist, deren Grundstrukturen man neu entdeckt und stärker geltend macht. Bei einzelnen Elementen wird längst ökumenische Offenheit praktiziert: Zum rämisch-katholischen Abendmahl läßt sich ebenso das bekannte reformatorische Neuenrader Sanctus von 1564 singen, wie umgekehrt die ökumenischen Meßtexte ihren Platz in evangelischen Eucharistiefeiern gefunden haben. Ein Teilnehmer meinte: „Man mußte schon genau aufpassen, um an einzelnen Formulierungen den konfessionellen Unterschied festmachen zu können.” Durch die Predigten - es war ja die Woche nach Lätare - wurde das Thema der Tagung bewußt auch in die Gottesdienste hineingenommen. Mit dem Beispiel von Jean Pauls „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei” kam neuzeitliche Glaubensanfechtung zur Sprache. Anhand der Tageslesung aus dem Buch der Weisheit (Kap. 2) wurde versucht, das Kreuzesgeschehen als „Prüfung” und „experimentum” des sich auf Gottes Geheimnis einlassenden Glaubens zu begreifen. Und das Gleichnis von der bittenden Witwe (Luk 18) bot Anlaß, sich darin als Gemeinde - als angefochtene, weil über dem Ausbleiben von Parusie und Gericht verlassen vorkommende Gemeinde - zu sehen, die dennoch zur Beharrlichkeit im Vertrauen und zum Gebet gerufen wird. Zweifelsohne wird Luther mit seiner Theologie - so Prof. Lønning in seinem Referat über die „ökumenische Erschließung Luthers” - heute in der Ökumene mehr verstanden und geschätzt als viele Jahrhunderte zuvor. Im römischen Katholizismus ist man längst über die „Commentaria” von Cochläus (1549) und Pistorius' „Anatomia Lutheri” (1595) hinaus, wo der Vorwurf der Kirchenzerstörung aus selbstüberschätzender Subjektivität teilweise mit persönlichen Diffamierungen verbunden war. Heute wird sowohl der „katholische Luther” wiederentdeckt als auch seine theologische Intention anerkannt bis dahin, daß in der Rechtfertigungslehre zwischen Luther und Thomas v. Aquin nur noch eine unterschiedliche Begrifflichkeit, aber kein Gegensatz in der Sache gesehen wird, „eine legitime Pluralität von Artikulationsweisen des einen zuletzt immer unsagbaren Mysteriums” (O. H. Pesch). Wahrend in den „reformiert” bestimmten Kirchen Luther zumeist positiv gesehen und an ihm in erster Linie kritisiert wird, daß er zwar den richtigen Weg, aber nicht weit genug gegangen sei, ist die anglikanische Tradition ihm gegenüber eher ambivalent. Der östlichen Orthodoxie liegt Luthers Theologie wohl darum noch fem, weil hier eigentlich keine Fragegemeinschaft - Augustin wurde dort eben nicht so rezipiert wie im Westen - besteht. Doch stellt sich bei aller ökumenischen Erschließung die Frage, ob man vom Grundanliegen Luthers her nicht auch eine „Verschlossenheit” feststellen muß. Denn das Heil als Gottes freie Gabe in Jesus Christus, die „unverkürzte gratia und gratitudo” (Lønning) als Grund für die Gewißheit des Glaubens sieht Luther sowohl bedroht, wenn menschliche Verdienstlichkeit eingemischt, als auch wenn die Wirkung der Gnade spiritualistisch von den sie tragenden und versprechenden Zeichen getrennt wird. Jedesmal will sich - nach Luther - der alte Adam die Radikalität der gnädigen Herrschaft Gottes nicht gefallen lassen. Aber wie kann er dann der Anfechtung begegnen? Was solche „Anfechtung in Leben und Theologie Luthers” bedeutet, konkretisierte Prof. A. Peters, Heidelberg: Angesichts des letzten Gerichts erfährt sich der Mensch vor und an Gott als ein Scheiternder, dem in der Anfechtung „alles zum Ankläger wird”. So wie sich für Luther existentiell verschiedene Lebenssituationen mit dieser Anfechtung verbunden haben, so versucht er auch immer wieder konkret Rat und Hilfe zu geben, wie man hier - etwa Schwermütigen - vom Glauben aus beistehen kann. „Aus katholischer Sicht” suchte Dr. habil. F. Wolfinger, München, sich der Anfechtungsproblematik zu nähern. Er zeigte auf, wie sich Luther an mittelalterliche Theologie (Anselm, Thomas, Devotio moderna) anlehnt oder sich davon abgrenzt, und legte in einem zweiten Teil dar, wie sich die heutige Theologie insbesondere der anfechtenden Herausforderung des Leides in der Welt stellen möchte, indem der Mensch, der sich vor Gott doch auch in seiner Freiheit begreift, durch den Glauben zu solidarischem Handeln gerufen weiß. Quatember 1982, S. 173-175 |
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