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Die ostkirchliche Ikone zum Fest der Erscheinung des Herrn
von Ludolf Müller

LeerDie russische Orthodoxe Kirche feiert ebenso wie wir das Weihnachtsfest am 25. Dezember. Aber sie feiert es nach dem dort noch gültigen Julianischen Kalender, der dem unseren (dem sogenannten Gregorianischen) gegenüber jetzt um 13 Tage zurück ist. So fällt die russische Weihnacht beinahe zusammen mit unserem Epiphaniasfest, nämlich auf den 7. Januar. Das führt häufig zu dem Mißverständnis, als sei unser Epiphaniasfest identisch mit dem russischen Weihnachtsfest. Dem ist aber nicht so; vielmehr feiern die russischen orthodoxen Christen ebenso wie wir das Weihnachtsfest am 25. Dezember (= 7. Januar) und das Epiphaniasfest am 6. Januar (= 19. Januar). Allerdings hat das Fest dort einen etwas anderen Charakter und sogar einen etwas anderen Namen als bei uns: es heißt nicht „Epiphanie”, sondern „Theophanie”, nicht einfach „Erscheinung”, sondern „Gotteserscheinung”; die vollständige Bezeichnung lautet „Die heilige Gotteserscheinung unseres Herren und Gottes, des Heilandes Jesu Christi”; es wird aber auch „Tag der Erleuchtung” oder „Fest der Lichter” genannt. Unter „Erleuchtung” ist hier die Taufe zu verstehen, und in der Tat ist die Geschichte aus dem Evangelium, die im Mittelpunkt dieses Festes steht, dort nicht die von den Weisen aus dem Morgenlande und dem Stern von Bethlehem, sondern die von der Taufe Christi, der bei uns am Sonntag nach Epiphanias gedacht wird. Dieses Fest der „Theophanie”, der „Gotteserscheinung” (russisch „Bogojavienie”) hat in der Ostkirche einen reichen dogmatischen, heilsgeschichtlichen Gehalt. Zunächst wird des historischen Ereignisses der Taufe Jesu Christi durch Johannes den Täufer im Jordanfluß gedacht. Von der Taufe, die Jesus empfangen hat, geht der Blick dann auf die Taufe, die er eingesetzt hat; darum war dieses Fest neben der Osternacht auch der beliebteste Zeitpunkt innerhalb des Kirchenjahres für die Spendung der Taufe, und von daher erhielt es die Bezeichnung „Tag der Erleuchtung”; denn unter „Erleuchtung” ist eben die Taufe zu verstehen.

LeerEng mit der Taufe Jesu ist dann aber die „Theophanie” verbunden, das heißt das Offenbarwerden der göttlichen Herrlichkeit, der Gottessohnschaft Jesu Christi. Gott bekennt sich bei der Taufe Jesu vom Himmel her durch sein Wort und durch die Taube des Heiligen Geistes zu Jesus als seinem Sohn, und Johannes der Täufer legt alsbald öffentlich Zeugnis für ihn ab, indem er bekennt, daß der, der nackt als Mensch im Jordan steht und in Demut die Taufe empfängt, das fleischgewordene Wort ist, das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt.

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LeerDie „Theophanie” dieses Tages macht aber nicht nur Christus als den Sohn Gottes, sondern sie macht den ganzen dreifaltigen Gott offenbar. So wird in der Feier dieses Tages gesungen:
„Als du, Herr, im Jordan getauft wurdest,
Wurde offenbart die Anbetung der Dreifaltigkeit.
Denn die Stimme des Erzeugers legte Zeugnis ab für dich,
Indem sie dich ihren geliebten Sohn nannte.
Und der Geist in Gestalt einer Taube
Bekräftigte, daß dies Wort gewißlich wahr sei...”

LeerOder an anderer Stelle: „Unser Gott, die Dreifaltigkeit, ist uns heute erschienen als untrennbare Einheit”.

LeerEin vierter, höchst wichtiger Gehalt dieses Festes ist die Weihe des Wassers. Weil Christus in das Wasser des Jordan getreten ist, ist das Element des Wassers in der ganzen Welt geheiligt, und überall in den orthodoxen Kirchen wird an diesem Tag jene große Weihe des Wassers symbolisch wiederholt und es wird darum gebetet,
„daß dies Wasser allen,
die daraus schöpfen
und davon genießen,
zur Quelle der Unvergänglichkeit werde,
zum Geschenk der Heiligung,
zum Lösemittel für Sünden,
zur Abwehr von Krankheiten,
zum Verderben der Dämonen;
daß sie unangreifbar werden
für die feindlichen Mächte,
erfüllt von der Kraft der Engel...”

Taufe des Herrn - Suzdal um 1233

Die Taufe des Herrn („Krescenie Gospodne”)
Ritzzeichnung mit Feuervergoldung (oder Goldfluß) auf Kupfer von der westlichen Goldenen Pforte der Kirche der Geburt der Gottsmutter in Suzdal (Rußland) um 1233
(Nach N. A. Ovchinnikov „Golden Gate in Suzdal” Moscow 1978 - Tafel 17)


LeerDie Maler der Festtagsikone standen vor der Aufgabe, diesen vierfachen Gehalt des großen Festes dem gläubigen Betrachter anschaulich, anschaubar zu machen. Wie haben sie die Aufgabe gelöst? Die einfachste Komposition, wie sie etwa in der diesem Aufsatz beigegebenen Abbildung nach der Darstellung auf der westlichen Goldenen Pforte der Kathedrale in Suzdal (bei Moskau, um 1233) vorliegt, zeigt folgende Elemente: Christus, nackt in den Fluten des Jordan stehend, zu seiner Rechten (vom Betrachter aus gesehen links) am Flußufer Johannes der Täufer, der seine rechte Hand auf das Haupt Christi legt; zu seiner Linken Engel mit verhüllten Händen; am oberen Bildrand in der Mitte ein Kreisabschnitt (manchmal auch ein ganzer, geschlossener Kreis), aus dem sich eine Hand in Richtung des Hauptes Christi streckt; aus der Hand kommt ein Strahl, in dem Strahl schwebt in einem kleinen Kreis eine Taube. Auf vielen Ikonen der Taufe Christi kommen weitere Elemente hinzu: Neben Christus in den Fluten des Jordan häufig eine oder zwei Gestalten - Symbole des Jordan und des Meeres; unter Christi Füßen drachenartige Wesen; im Wasser neben Christus noch eine Säule, auf der ein Kreuz steht (so auch auf unserem Bild), rechts und links am felsigen Ufer blühende Pflanzen.

LeerBetrachten wir diese verschiedenen Motive nun im einzelnen und fragen wir dabei nach ihrer theologischen Aussage und ihrer Beziehung zu dem Fest der Theophanie. Die größte Hilfe zum richtigen Verstehen des Bildes bieten außer den wenigen Sätzen, die in der Bibel über die Taufe Christi berichten, die liturgischen Texte der Vorfeier des großen Festes und des Festes selbst. Ich zitiere sie nach dem griechischen „Synekdemos orthodoxu christianu” („Mitpilger des orthodoxen Christen”), Athen, o. J.

LeerDie beherrschende Mitte des Bildes ist die Gestalt Christi, kenntlich an dem traditionellen Gesichtsausdruck und an dem Kreuznimbus (= Heiligenschein mit eingezeichnetem Kreuz), der sein Haupt umgibt. Auf unserer Darstellung sind in die drei sichtbaren Kreuzarme drei Edelsteine eingefügt; meist stehen hier die drei Buchstaben der alttestamentlichen Offenbarung des Gottesnamens in ihrer griechischen Form „ho on” = „der Seiende” (nach 2. Mose 3,14). Die Verbindung des göttlichen Würdenamens mit dem Kreuz deutet an, daß die Göttlichkeit Jesu Christi sich gerade im Kreuz offenbart. In die gleiche Richtung deutet die Tatsache, daß Christus völlig nackt dargestellt wird. Manchmal haben die Maler, offenbar aus Schamhaftigkeit, die Gestalt Christi mit einem Lendenschurz dargestellt, aber die liturgischen Texte betonen gerade die Nacktheit. Sie bezeichnet den äußersten Grad der Erniedrigung dessen, der, etwa bei der Verklärung, in das Gewand der Herrlichkeit gekleidet ist (S. 413):
„Nackt steigst du, Herr, in den Fluß,
der du die Himmel mit Wolken verhüllst
und der du entblößt hast alle Bosheit des Feindes
und die Erdgeborenen gekleidet hast in Unverweslichkeit”.

LeerDie Nacktheit Christi, des neuen Adam, wird in Beziehung gesetzt zur Nacktheit des ersten Adam, deren Unschuld er durch den Sündenfall verloren hat (S.414):
„Freue dich, Adam, zusammen mit der Urmutter!
Verberget euch nicht, wie im Paradies zuvor!
Denn da er euch nackt sah,
ist er erschienen,
daß er euch wieder kleide
in euer erstes Gewand.
Christus ist erschienen,
willens, die ganze Schöpfung zu erneuern”.

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LeerMeist hält Christus auf der Ikone der Taufe das Haupt gebeugt. Dies ist ein weiteres Zeichen der Selbsterniedrigung des Gottessohnes in der Taufe (S.436):
„Es neigt sein Haupt,
der die Himmel sich neigen läßt”.

LeerIn besonderer Weise heben die liturgischen Texte, wie auch schon der Bericht des Matthäusevangeliums (Matth. 3,14 f.), hervor, daß Christus, der verheißene Messias, sich vor seinem Vorläufer verneigt:
„das Licht vor dem Leuchter,
die Sonne vor dem Glanz,
das WORT vor dem Vorläufer,
der Bräutigam vor dem Freund”.

LeerManchmal allerdings wird Christus auch dargestellt, wie er mit erhobenem Haupt zu Johannes schaut; hier soll jener Augenblick des Zwiegespräches festgehalten werden, von dem Matthäus (3,14 f.) berichtet.

LeerAuf den meisten Ikonen steht Christus im Wasser des Jordan wie in einer Höhle, die sich über ihm schließt. Offenbar denken die Maler dabei an die Höhle des Grabes, die am Ende der öffentlichen Wirksamkeit den Leib Christi aufnimmt; denn Taufe und Tod stehen ja zueinander in enger Beziehung (Röm. 6,3 ff., Kol. 2,12).

LeerMeist wird Christus nicht stehend, sondern schreitend dargestellt. Die liturgischen Texte betonen, daß Christus aus eigenem, freien Antrieb zur Taufe kommt, ja eilt, um das Heilswerk zu vollenden (S. 418):
„Als Mensch kamst du zum Flusse,
Christus, König,
und du eilst, o Guter,
die Taufe des Knechts zu empfangen
von den Händen des Vorläufers
um unserer Sünden willen,
du Menschenliebender”.

LeerAuf manchen Ikonen tritt Jesus, im Jordan stehend, auf Drachen. Damit wird der Sieg symbolisiert, den Christus über den altbösen Feind, der sich gerade auch in den menschenfeindlichen, alles menschliche Leben und alles Menschenwerk bedrohenden Wasserfluten verbirgt, errungen hat, indem er in dessen Herrschaftsbereich, das Wasser, hinabgestiegen ist. So läßt die liturgische Dichtung Christus zu Johannes sagen (S. 428):

Leer„... Ich eile herbei, zu verderben den in den Wassern verborgenen Feind, den Fürsten der Finsternis, zu erlösen die Welt aus ihren Plagen und ihr zu schenken, als Menschenliebender, das ewige Leben”.

LeerHierdurch wird die Taufe Christi eng mit seiner Hadesfahrt, seinem Abstieg in das Reich des Todes verbunden.

LeerIn den gleichen Vorstellungskreis gehört das, was in der Handhaltung Christi zum Ausdruck kommt. Er segnet mit seiner Rechten das Wasser, das von nun an nicht mehr Wohnstätte des Feindes, sondern lebenspendendes Element der Taufe ist, er vollzieht jene erste Wasserweihe, die der Priester in jedem Jahr an diesem Festtag symbolisch vergegenwärtigt: „Heute wird die Natur der Gewässer geheiligt” (S. 418); denn „Christus ist erschienen im Jordan, die Gewässer zu heiligen” (S. 414).

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LeerMit der Wasserweihe im Zusammenhang steht auch das Kreuz, das auf der Goldenen Tür in Suzdal (wie auf vielen Ikonen dieses Typs) neben den Beinen Christi in den Fluten des Jordan dargestellt ist. Dieses Kreuz auf der Säule ist einerseits ein entfernter ikonographischer Nachklang eines Denkmals der Taufe Christi, das im 6. Jahrhundert an der Stelle errichtet war, an der Johannes getauft hatte, und das aus einer Marmorsäule bestand, auf der ein eisernes Kreuz befestigt war. (Siehe darüber Clemens Kopp, „Die heiligen Stätten der Evangelien”, 2. Aufl., Regensburg, 1964, S. 157 ff.; Gerhard Kroll, „Auf den Spuren Jesu”, 5. Aufl., Leipzig, 1973, S. 230). Andererseits aber weist es auf das Kreuzesleiden Christi hin, das der Abschluß des Weges ist, den Christus mit der Jordantaufe beginnt, und es ist, ähnlich wie der Segensgestus, mit dem Christus die Wasser heiligt, die Urform eines Teils der jährlich sich wiederholenden Wasserweihe, an deren Höhepunkt dreimal ein Kreuz ins Wasser getaucht wird. (Eine Photographie einer solchen Wasserweihe findet sich in dem schönen Bildband „Die Orthodoxe Kirche in Rußland”, von Fred Mayer und anderen, erschienen 1982 im Orell Füssli-Verlag in Zürich, Tafel 39.)

Feier der Taufe Christi

Festagsikone: Feier der Taufe Christi
© Ikonenzentrum Alexej Saweljew www.ikonenzentrum-saweljew.de


LeerZur Rechten Christi, über ihm auf einem Uferfelsen des Jordan stehend, befindet sich Johannes der Täufer, auf den meisten Ikonen leicht zu erkennen an seinem ungepflegten Haar- und Bartwuchs und an seinem Kleid aus Kamelhaaren (Matth. 3,4). Auch er wird meist in demütiger Haltung dargestellt, da er sich gemäß dem Bericht von Matth. 3,14 dessen bewußt ist, daß er unwürdig ist, Christus zu taufen - ein Motiv, das in den liturgischen Texten noch stärker entfaltet wird als in der Erzählung des Matthäus. Sein Blick ist entweder auf Christus gerichtet oder, wie auf unserem Bild aus Suzdal, nach oben, von wo er die Stimme Gottes vernimmt und wo er die Taube des Heiligen Geistes sieht.

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LeerSeine rechte Hand ruht auf dem Haupt Christi, wie es der Taufritus vorsieht und wie es in den liturgischen Texten häufig erwähnt wird; so sagt dort Christus zu dem Täufer (S. 413):
„Täufer Johannes,
der du schon im Mutterleib
mich erkannt hast, das Lamm Gottes,
diene mir nun im Fluß,
tu mit Engeln zusammen mir den heiligen Dienst,
strecke deine Hand aus
und berühre mit ihr
mein unbeflecktes Haupt!
Und wenn du die Berge beben siehst
und den Jordan seinen Lauf zurückwenden,
so rufe mit ihnen:
‚Herr, fleischgeworden aus der Jungfrau
zu unserem Heil, Ehre sei dir!’”.

LeerDie linke Hand des Täufers öffnet sich in einer Gebärde, die ähnlich ist der bei der Fürbitte; gilt doch Johannes in der Orthodoxen Kirche neben Maria als der große Fürbitter des Menschengeschlechtes. Darum werden auch die Gottesmutter und der Vorläufer im Zentrum der Ikonostase, der „Deesis”, uns fürbittend vor dem Weltenrichter Christus vor Augen gestellt. In der Liturgie des 6. Januar bitten ihn die Gläubigen (S. 432 f.):
„Deine Hand, die das reine Haupt des Herrn berühren durfte,
mit deren Fingern du uns auf ihn gewiesen hast,
erhebe sich für uns zu ihm, o Täufer,
da du viel Freimütigkeit bei ihm besitzest,
der ja selbst von dir gezeugt hat,
daß du größer bist als die Propheten alle.
Deine Augen aber, die den allheiligen Geist gesehen haben,
wie er herabkam in der Gestalt einer Taube,
richte wieder auf ihn. o Täufer,
ihn gnädig stimmend”.

LeerWie Christus, so wird auch Johannes meist schreitend dargestellt; er hat gleichsam seine Zweifel überwunden und geht nun mit Entschlossenheit an die Erfüllung der Aufgabe, gegen die er sich zunächst im Gefühl seiner Unwürdigkeit gesträubt hatte (S. 416). Auf manchen Ikonen trägt der Täufer in seiner linken Hand eine Schriftrolle mit den Worten: „Siehe, das ist das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt” (Joh. 1 ,29).

LeerAm anderen Ufer des Jordan, dem Täufer gegenüber, stehen Engel. Auch von ihnen sprechen die liturgischen Texte des Festes der Theophanie. Da werden die Engelsmächte aufgefordert: „Gehet voraus von Bethlehem zum Strom des Jordan!” (S. 415); sie sollen dort, wie wir schon gehört haben, mit Johannes zusammen den „heiligen Dienst” (griechisch „leiturgia”) tun; und als sie dann Zeugen des Geschehens werden, „erschrecken sie in Furcht und Freude” (S. 432; vgl. Matth. 28,8). Daß ihre Hände von Tüchern bedeckt sind, entspricht einem alten Brauch, in Gegenwart geheiligter Personen die Hände zu verhüllen. Oft sind es mehr als zwei Engel; häufig schaut, wie auf unserem Bild, einer von ihnen, der hinten stehende, nicht hinab zu Christus, sondern hinauf, dorthin, woher die Stimme aus dem Himmel ertönt.

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LeerGott-Vater, von dem diese Stimme ausgeht, darf nach der orthodoxen Bilderlehre nicht dargestellt werden; ein Kreis oder der Teil eines Kreises deutet die Himmelssphäre an, da der Kreis, die immer in sich selbst zurückkehrende Linie, das Symbol der Ewigkeit ist. Eine Hand, die sich aus dem Kreis herausstreckt, symbolisiert die Stimme, die aus dieser Welt der Ewigkeit herab die Göttlichkeit des Sohnes, der in die Erniedrigung des Menschseins gegangen ist, verkündet.

LeerVon der Hand des Vaters geht ein Strahl zum Haupt Christi. Dieser Strahl, der aus dem Urquell des Lichtes in unsere Welt fällt, ist jenes „geistige Licht”, das schon im Namen des Festes aufleuchtet (S. 413). Dieser Strahl gleicht dem, der auf den Weihnachtsikonen aus dem Himmel zum Kind in der Krippe sich erstreckt. Aber während dort der Stern von Bethlehem die Mitte dieses Strahles bildet, schwebt hier eine Taube darin. Der Heilige Geist darf auf dieser Ikone als Taube dargestellt werden, weil es in dem biblischen Bericht ausdrücklich heißt, der Geist sei „gleich wie eine Taube gesehen” worden. Eine Moskauer Synode hat aber im Jahre 1667 darauf hingewiesen, daß der Heilige Geist nur auf dieser Ikone der Taufe Christi - also nicht zu Pfingsten - in der Gestalt einer Taube gemalt werden dürfe, denn nur damals sei er, der seiner Natur nach Gott ist, in der Gestalt einer Taube erschienen. Wir sagten es schon zu Anfang: Dadurch, daß bei der Taufe Christi Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Heiliger Geist gemeinsam in Erscheinung treten, ist die Theophanie des Sohnes gleichzeitig eine Theopanie der göttlichen Dreifaltigkeit. Darum endet auf manchen Ikonen der Strahl über dem Haupt Christi in drei Zacken - wiederum ein Hinweis auf das dreisonnige Licht der trinitarischen Gottheit.

LeerAuf der Suzdaler Goldenen Tür fehlt wegen der äußersten Konzentration der Darstellung ein Motiv, das auf den meisten Ikonen dieses Typs vorhanden ist: das Symbol des Flusses Jordan in Gestalt eines halbnackten Mannes, der eine Urne in der Hand hält, neben dem rechten, und das des Meeres in Gestalt einer halbnackten Frau (das Wort für Meer ist im Griechischen weiblichen Geschlechtes) neben dem linken Bein Christi. Der Mann sitzt und wendet sich zu Christus um, die Frau reitet auf einem Fisch, der sie davonträgt. Hier werden die Worte des 114. Psalmes, der von den Wundern beim Auszug der Kinder Israel aus Ägypten redet, auf die Taufe Christi im Jordan übertragen (S. 428):
„Heute eilt die Prophezeiung des Psalmes, in Erfüllung zu gehen;
denn, so heißt es,
‚Das Meer sah es und floh,
der Jordan wandte sich zurück
vor dem Antlitz des Gottes Jakobs’,
als der Herr kam, von dem Knecht die Taufe zu empfangen,
auf daß wir, gewaschen von der Unreinheit des Götzendienstes,
durch ihn erleuchtet werden an unseren Seelen”.

LeerSo werden durch die Übertragung von Worten des Alten Testamentes auf Ereignisse des Lebens Jesu die Heilstaten Gottes im Alten Bund in Beziehung gesetzt zu denen des Neuen Bundes, wie denn ja auch in den alttestamentlichen Lesungen zum 6. Januar fast alle Berichte des Alten Testamentes über Wasserwunder vorkommen.

LeerAuf manchen Ikonen der Taufe Christi erblühen inmitten der Felsenwüste rechts und links vom Jordan Blumen - Zeichen des Paradieses, das sich dem Menschen wieder öffnet, da die Schuld Adams abgewaschen wird in dem Wasser der Taufe.

LeerWir sahen zu Anfang, wie reich der theologische, heilsgeschichtliche Gehalt des Festes der Theophanie, „der heiligen Gotteserscheinung”, in der Ostkirche ist. Wir müssen jetzt, nach aufmerksamer Betrachtung der Festtagsikone dieses hohen Festes, bewundem, wieviel von diesem Gehalt die Ikonenmaler in ihren Bildern dem gläubigen Beschauer zu vermitteln wußten.

© Prof. Dr. Dr. Ludolf Müller
Quatember 1983, S. 2-10

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-31
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