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Ökumenisch beten - in einer säkularen Welt
von Hans-Rudolf Müller-Schwefe

LeerDas Zeitalter der Ökumene hat begonnen; wir beten gemeinsam. Christ! Geist trägt und beflügelt uns, seine Bitte an den Vater: „auf daß sie alle eins seien... und die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und liebest sie, gleichwie du mich liebst.” (Joh. 17). Aber wir müssen es erst lernen, uns diesem Geist der Vereinigung anzuvertrauen und zu überlassen: in den verschiedenen Stilen, gewachsen in den Lebensaltern der Kirche, in den so gegensätzlichen Situationen in der ersten, zweiten oder dritten Welt, in der Differenz zu der einen Welt, die nicht glaubt und das große Wort von der Einheit benutzt, um sich zu behaupten. Luther unterschied sehr schön: gleich, nicht eins. Aber diese Wahrheit will eingeübt sein und erfahren - im Gebet. Das Zeitalter der Ökumene hat begonnen; ein neues Lebensalter der Kirche zeichnet sich ab. Wir kehren ja nicht wieder um zum Ursprung, sondern wir bewegen uns auf das Ende zu. Wie die Renaissance keine Rückkehr zu Platon oder Aristoteles brachte, sondern eine Mutation der Tradition, wie die Reformation kein Urchristentum wiederholte, sondern den Ursprung hermeneutisch auslegte und damit die gesamte Christenheit verwandelte, so tritt heute die Christenheit auf Erden in eine neue Phase ihrer Existenz ein. Die Bekenntnisse der ökumenischen Konzile verbinden uns alle; sie weisen uns aber ein in den Prozeß der Geschichte Gottes mit seiner Welt, die noch nicht zu Ende ist. Die Gestalt des Papstes repräsentiert wohl die Einheit der Kirche im Prozeß der Geschichte; er ist aber selbst der Vergebung bedürftig für seine Verleugnung des Herrn. Die Denominationen entfalten den Reichturn der Gaben des Geistes; wie aber wird die Gabe der Unterscheidung der Geister in ihnen wirksam?

LeerDas Zeitalter der Ökumene hat begonnen; es wird eine Ökumene des Gebetes sein. Im Gebet kommen wir her vom Bekenntnis und überschreiten es doch zugleich, indem wir uns von ihm in die Bewegung der Geschichte zum Zeugnis einweisen lassen. Im Gebet scharen wir uns um den Vater der Christenheit als um den Repräsentanten der Einheit, die doch nur als Einheit der Sünder und der Wiedergeborenen wirklich werden kann. Im Gebet sprechen wir in vielen Zungen und Zeiten und nehmen doch teil an der Bewegung des  e i n e n  Geistes, der die Schöpfung zu ihrer Bestimmung führen will. Ökumene des Gebetes ist unsere Situation und unsere Aufgabe. Wo die Welt sich auf dem Boden der einen Vernunft selbst zu verwirklichen sucht, da führt uns der  e i n e  Geist Gottes zusammen, der nicht von dieser Welt ist, der aber diese Welt erfassen und richten, verwandeln und zum Ziel führen will.

LeerDiese .Einheit im Gebet will vollzogen und verstanden sein. Sie führt uns in neue Erfahrungen hinein und nimmt alle Differenzen und Unterschiede hinein in die eine Bewegung, die zum Ziel führt, zum Reich Gottes.


I.

LeerWenn wir die Erfahrung überblicken, die wir als Ökumene des Gebetes machen, dann fallen uns vier Kennzeichen ins Auge.
  1.Wir beten um das Kommen des Reiches.
LeerDas Vaterunser verbindet uns alle. Wir sind glücklich, daß wir es in Deutschland in einer gemeinsamen Form beten können. Es ist für uns darum so wichtig, weil der Herr selbst uns mit diesem Gebet in das Kommen des Reiches Gottes hineinnimmt. Zweierlei ist mit ihm gegeben. Einmal machen wir in ihm die Grundbewegung des Glaubens. Luther macht einmal die Bemerkung, aus dem Vaterunser werde ein Teufelsgebet, wenn wir es von hinten nach vorn beten, also mit der Bitte um Erlösung von dem Bösen beginnen würden. Unsere Hinwendung zu Gott im Gebet muß damit anheben, daß wir Gott die Mitte sein lassen. Dann erhebt sich sofort die Gegenströmung; Gott will die menschlichen Mächte und Reiche, er muß auch unser eigenes Herz und unseren eigenen Willen brechen und überwinden. Wir beten also gegen uns selbst an. Wir demütigen uns und bitten, daß der Widerstand der Welt gegen Gott von ihm selbst überwunden werde. Damit verbindet sich der andere Impuls dieses Gebetes: Wir stellen uns selbst in diese Bewegung des kommenden Reiches Gottes hinein und sprechen: Dein Wille geschehe. Wir beten nicht: Mach du es, wie es dir gefällt, sondern: Nimm meinen Willen auf in deinen Willen! Diese Bitte um das Kommen des Reiches verbindet uns mit den beiden anderen Reich-Gottes-Völkern, mit den Juden und den Moslems. Mit beiden sind wir von der Verheißung ergriffen, daß Gott sich durchsetzen wird in seiner Schöpfung. Auch die Sohne Mohameds kennen das Herrengebet. Auch die Juden beten um das Kommen des Reiches. Aber beide beten nicht im Namen Jesu.
  2.Wir beten im Namen Jesu.
LeerAuch Mohamed kennt das Gebet des Herrn. Aber er beginnt es mit den Worten: „Unser Herr, der im Himmel ist, geheiligt werde dein Name.” Er nennt Gott nicht „Vater”; er beruft sich nicht auf den, der uns erlaubte, Gott so anzureden. - Die Juden dagegen können Gott Vater nennen; sie beten um das Kommen des Reiches. Aber sie vermögen nicht zu erkennen und anzuerkennen, daß mit Jesus das Reich schon begonnen hat, daß Gott es durch das Leiden seines Sohnes heraufführt. Es ist wie im „Prozeß” von Franz Kafka. Herr K. wartet sein Leben lang vor der Tür des Gesetzes auf Einlaß, um dann am Ende zu hören, daß diese Tür nicht für ihn bestimmt war, sondern die andere Tür der Barmherzigkeit. Gott beginnt sein Reich nicht mit der Scheidung von Gut und Böse, sondern mit der Annahme des verlorenen Sohnes. Es wird nicht durch das Leiden der Gerechten heraufgeführt, sondern durch das Leiden des Gottessohnes für die Gerechten und die Ungerechten.
  3.Das Gebet um das Kommen des Reiches Gottes im Namen Jesu integriert uns in eine Bewegung, die durch die Jahrhunderte geht und uns erfaßt. Die Kirche nimmt uns hinein in ihr Gebet. Wir müssen nicht selbst immer neu anfangen; die Gebete der Väter und Mütter tragen uns und nehmen uns mit. Wir denken an die großen Ausformungen in unseren Gottesdiensten, an Credo und Agnus Dei, an Gloria in excelsis und die großen Fürbitten, etwa die Ektenie des Chrysostomus. Überall schlagen die Tone der Bibel durch und wollen die Bitten, Lobpreisungen und Klagen bestimmen. Am auffälligsten ist uns das in der Heiligen Liturgie der orthodoxen Kirche. - Dabei werden wir aufmerksam auf den Zuwachs an Formen. Die Christenheit hat gelernt, die Erfahrungen, die sie machte, in ihr Gebet mit hineinzunehmen; so entstanden die Kollektengebete des Großen Gregor, diese zuchtvolle Stilisierung der Substanz unseres Glaubens, so Luthers demütiges Andringen an seinen Gott, so des Ignatius Weise, die Seele bewußt in die Gottesbegegnung einzuüben, so Kierkegaards Reflexionen vor dem Angesicht Gottes.

LeerWir sind glücklich in dieser reichen Tradition. Aber wir merken auch, daß wir sie überschreiten müssen. Wir müssen  u n s e r e  Erfahrungen,  u n s e r e n  Lebensstil,  u n s e r e  Versuchungen hineinnehmen in unser Gebet. Wir  t u n  das auch.
  4.Wir nehmen unsere Zeit und Welt hinein in unser Gebet.
LeerFür die Welt zu beten, war immer das Anliegen der Christen. Schon der 1. Timotheusbrief ermahnt die Gemeindeglieder: „mit Bitten und Gebeten, Fürbitten und Dankgebeten für alle Menschen einzutreten; für die Konige und Hochgestellten, damit wir ein Leben in Ruhe und Frieden führen können” (I.Tim. 2,1.2).

LeerWir merken bei diesen Worten sofort, daß sie unser Verhältnis zur Welt nur teilweise noch abdecken. Wohl verbindet uns alle die Achtung vor denen, die Verantwortung im öffentlichen Leben tragen. Wir kennen nicht nur ihre Macht und Versuchung, sondern auch den Ernst ihrer Aufgabe. Darum gehört die Bitte für die Welt in diesem Sinne zu unserem Gebet. Aber im Zeitalter der Ökumene verändert sich der Ton. Ich meine nicht nur, daß wir in der Demokratie selber ein Stück Obrigkeit sind, öffentliche Verantwortung tragen, sondern etwas Tiefergreifendes: Was wir Welt nennen, die öffentliche Dimension unseres Lebens: Wirtschaft und Wissenschaft, Technik und Planung, das alles ist nicht mehr zu Gott hin offen. Die Welt ist autonom, sie lebt im Prinzip von dem, was faßbar oder unfaßbar diesseitig ist. Nat ürlich ist es immer so gewesen, daft der Mensch seine Welt selbst gestalten wollte; nur wenn das daneben ging, dann rief er zu Gott, demütigte sich und schrie: „Herr, mach uns frei”. Aber in unserer Zeit haben die Krafte des öffentlichen Lebens säkulare und damit dämonische Z üge angenommen. Sie erlauben keinen Hinblick auf Gott. Das schließt uns als Christen gegenüber der Welt zusammen, deren Teil wir doch sind. Und unser Gebet ringt dann selbst um Atem: Wir erklären Gott ja nicht nur unsere Verantwortung für diese Welt, sondern klagen ihm auch die Unzulänglichkeit und Selbstverschlossenheit der Strukturen. Wir machen es uns viel zu selten klar, daß unsere Welt ihre Selbstverschlossenheit schon im Ansatz zeigt. Der Kapitalismus arbeitet mit der Selbstverwirklichung des einzelnen wie des Ganzen; sein Prinzip ist der Mehrwert. Aber der Sozialismus prozediert nicht anders: es geht allein um die gleichen Rechte eines jeden auf Leben. Und die Wissenschaft setzt nicht anders an: ihr Denken ist grundsätzlich darauf aus, das Wirkliche als verfügbar, das Verfügbare als wirklich anzusehen. Da kann es uns nicht wunder nehmen, daß erst Erschöpfung, Scheitern, Schulden und Katastrophen den Menschen an die Wahrheit erinnern, daß die Wirklichkeit nicht in sich selbst beruht.

LeerDas also ist die Lage dessen, der den dreieinigen Gott anbetet: er ist mit der dämonischen Selbstverschlossenheit der Welt konfrontiert. Dann ruft er mit den alten Hymnen den Kyrios an, der in verborgenen Bereichen herrscht; die Gegenwart wird beschworen. Dann hält er sich an den im Sakrament anwesenden Herrn, der im Tode siegt. Dann beschwören protestantische Gebete den Herrn, der die große Umkehrung in der Welt verheißen hat: „Er stürzt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen”.

LeerAlles in allem: Das Gebet um das Kommen des Reiches, im Namen Jesu und im Gebrauch der großen Gebetstradition konzentriert sich im Gebet für die selbstverschlossene Welt. Da sind wir beieinander. Und die Einsicht, daß unsere Sünden, auch der Christen und Kirchen Sünden, diese Selbstverschlossenheit mitbewirkt haben, nimmt uns zugleich jede Selbstrechtfertigung. Wir appellieren an das Lamm Gottes, das der Welt Sünden trägt. Vielleicht erinnern wir jene Szene in den „Hundejahren” von Grass: Da sitzen die Freunde im Feuerofen und können alles, was Gottesverehrung ist, blasphemisch verkehren. Nur das Agnus Dei, das sparen sie aus.

II.

LeerWenn wir miteinander beten, dann werden wir wach für die Verschiedenheit und Eigentümlichkeit der Gebetstraditionen unserer Kirchen und Denominationen. Wir entdecken den Reichtum, wir sind überwaltigt von der geordneten Vielfalt der Stimmen und Tonarten, in denen das Gotteslob und die Bitte sich entfalten. Jede Kirche und Konfession zeigt ihre unverwechselbaren Züge. Man kann sozusagen eine Stilkunde des christlichen Gebetes entwerfen.
  1.Die griechisch-orthodoxe Kirche hat die ältesten, ursprünglichen Töne, in denen das Gotteslob sich ausformte, unverstellt bewahrt. Keine Liturgie irgendeiner Denomination kann die großen Hymnen entbehren, in denen das Geheimnis der Dreieinigkeit gepriesen und angebetet wird. Wir bewundern die Einfalt, mit der die älteste Schwester in der Christenheit ihr Gotteslob singt. Sie wendet ihr Gesicht ganz dem Heiligen zu und läßt sich durch nichts beirren. Aber, so fragen wir, wenn so der Grundton rein erklingt, wo ist die Kraft, die wechselnden Erfahrungen, die die Christenheit mit ihrem Herrn in der Welt gemacht hat, in das Gotteslob zu integrieren? Wir bewundern die Reinheit des Tones. Aber wir fragen, wenn wir von „Fürstent ümern und Gewalten” singen, wo die Kraft bleibt, die Mächte mit den Namen unserer Zeit anzureden und in die Anbetung hineinzunehmen. Konnte darum die selbst verschlossene Gesellschaft in Rußland zum Siege kommen, weil die Integration der neuen Dinge nicht gewagt wurde?
  2.Die römische Kirche singt ihre Liturgie in anderer Tonart. Wir sehen es an den liturgischen Entwürfen des Westens, wie sich das Gebet um das Sakrament versammelt. Nicht dem „überhimmlischen Altar” wendet sie sich in Entrückung zu; sie sucht die Nähe Gottes hier auf Erden, im Geheimnis seiner Gegenwart im Sakrament. Verstehe ich die Weise zu beten bei unseren katholischen Brüdern und Schwestern recht, so beten sie den Herrn dort an, wo er sich in die Tiefe der menschlichen Natur hinabgelassen hat. Das ergibt dann eine Freiheit, von Jesu Nähe her auch die Wunder und Geheimnisse der Schöpfung zu preisen, wie es Bruder Franz im Sonnengesang tat, oder sich mit jenen zusammenzuschließen, die in der Nachfolge des Herrn sich den Versuchungen dieser Welt gestellt haben.

LeerHeute entstehen darum im katholischen Raum kühne Entwürfe: weil Christus sich so tief in die menschliche Natur eingelassen hat, darum muß der Christ ihn im Dunkeln, im Verborgenen suchen. Er muß ihn hineinbringen in die Welt, die der Erlösung und Befreiung harrt. Und er kann es, weil Christus Immer schon dort ist.
  3.Die Kirchen der Reformation bringen einen neuen Ton in den Gottesdienst und das Gebet ein. Zunachst bei Luther konnte es noch so scheinen, als ob nur die Konzentration auf den Basiston, das „durch Jesus Christus, unseren Herrn” der Beitrag wäre. Aber dann kam bald heraus, daß alle Anrede und Bitte an Gott sozusagen in eine hermeneutische Dimension eintrat. Ich meine damit: Die Gebete bemühten sich sehr stark, vor Gott gewissermaßen Gott und sich selber klar zu machen, was denn bedankt, erbeten, bekannt werden sollte. Die Erhellung des Bewußtseins war das Neue. Natürlich bewegen sich schon die Gebete der großen Kappadozier in Meditationen und Cogitationen; sie betrachten Gottes Umgang mit der Welt. Jetzt aber, an der Schwelle der Neuzeit, wird die Perspektive solcher Betrachtungen anders. Ein subjektives Element tritt hinzu. Wer mag, der kann an die Kantaten von Bach denken, an die Art und Weise, in der Choräle, Arien und Lieder die einzelnen Aspekte einer Perikope aufnehmen und entfalten. Das kann dann bis zu den merkwürdigen Reflexionen vor dem Angesicht Gottes führen, mit denen Kierkegaard die Innenwelt in die Anbetung hineingezogen hat. Wir wissen längst, wohin dieser Weg führen kann. Der Glaubige entfaltet sein Leben, seine Gedanken - vor Gott. Dann legt er sich selbst in seinem Tun und Denken vor Gott aus, wie die Neupietisten tun; Bekehrung wird als Wendepunkt des Lebens zum Schlüssel für alle Wirklichkeit. Gerät schließlich das Nachdenken vor Gott in das Einflußfeld der selbstverschlossenen, der säkularen Welt, dann wird aus diesem Nachdenken vor Gott ein „politisches Nachtgebet”. Das Gebet mündet in den Entschluß, fortzusetzen, was Jesus mit seiner Pro-Existenz begonnen hat.

LeerDiese Skizze von Gebetsweisen ist naturlich sehr grob. Ich denke aber, daß ich Typisches bei den großen Konfessionen getroffen und zugleich die geschichtliche Bewegung deutlich gemacht habe, in der die Christenheit auf ihrem Wege in immer neue Weisen zu beten hineingewachsen ist. Diese Weisen zu beten sind uns geschenkt worden. Sie stellen auch keine Alternativen dar. Aber sie beschreiben doch auch einen Weg. Nicht von Fortschritt würde ich reden, sondern von einem Verhalten in der Wirklichkeit, in der wir leben, vor dem Angesicht Gottes. Und diese Wirklichkeit wandelt sich; sie wandelt sich durch unser Gebet und bedarf zugleich einer neuen Weise zu beten. Das führt uns natürlich zu der Frage, was es also heißt, heute zu beten. Zunächst: Jeder bringe seine Weise in das gemeinsame Gebet ein. Dann werden wir der Fülle froh werden, die Polyphonie erfahren, die Gott seiner Kirche erlaubt hat, in den Jahrhunderten zu entfalten und zu wandeln. Aber nun wird es doch schwer für uns.

III.

LeerWir könnten uns die Sache leicht machen und sagen: Wenn wir so alle unsere eigenen Stimmen einbringen und gemeinsam ökumenisch beten, dann erfahren wir, daß das Gebet im Namen Jesu uns eint. Und die Fremdheit und Feindschaft der Welt wird ein übriges tun, daß wir uns noch voller und immer mehr integrieren.

LeerAber damit hätten wir, meine ich, unsere Gebets-Situation nicht wirklich ökumenisch verstanden. Es kann sich ja nicht um eine Addition von Gebetsstilen handeln, die wir dann ökumenisch nennen, sondern wir müssen erkennen, welchen neuen Ton Jesus, unser Herr, uns im Zeitalter der Säkularisation erlaubt und gebietet.

LeerKonstitutiv ist, so hatten wir zu Beginn festgestellt, die Bitte um das Kommen des Reiches, ist das Gebet im Namen Jesu. Aber nun müssen wir dieses „im Namen Jesu” noch näher und präziser fassen. Es kann bedeuten, daß wir uns auf Ihn berufen, wenn wir vor Gott treten. Das hat sein Recht und seinen Sinn. Aber im Namen Jesu beten bedeutet doch mehr: Wir beten in seiner Gegenwart. Der Gegenwärtige ist selbst unter uns mit dem Kommen des Reiches Gottes befaßt.

LeerDarum kann es kein wirklich ökumenisches Gebet geben ohne den Zusammenhang mit der sakramentalen Gegenwart des Herrn. Dieser Punkt ist für mich entscheidend. Ich will ihn in vier Richtungen deutlich machen.
  1.Wir können uns offenbar aus einsehbaren Gründen den Schmerz nicht ersparen, daß wir die Gegenwart des Herrn im Sakrament nicht gemeinsam begehen. Ich selbst kann die Ordnung des Priesteramtes nicht für ein entscheidendes Hindernis halten. Allein wichtig ist mir die Frage, ob wir anerkennen, daß der Herr selber seine Nähe im Mahl schenkt. Daß diese Unterscheidung in der Kirche der Reformation keine Rolle mehr spielt, das ist ein Ärgernis. Viele Irrwege, falsche Akzente, Einseitigkeiten hängen.mit dieser Unschärfe zusammen.
  2.Man kann deutlich sehen: wo die Präsenz des Herrn im Mahl nicht festgehalten wird, da kommt es zu Wucherungen unseres Gebets. Die eine liegt in einer falschen und übertriebenen Innerlichkeit. Ohne das Senkblei des Sakraments hat unser Gebet keine Tiefe. Es ist die Versuchung aller Meditation, daß sie die Konkretion, die Leiblichkeit der Existenz, Elend und Hoheit des kreatürlichen Lebens ausläßt. Unser Meditieren, unser Weg Ins Innere, muß an den im Mysterium anwesenden Herrn angebunden sein und bleiben.

LeerDie andere Abirrung ist ein übertriebener Aktivismus. Wir kennen wohl die Impulse, die von einem ökumenischen Gebet im Stil des Politischen Nachtgebets von Köln ausgehen. Aber wer sich von der Präsenz Christi loslöst, wer behauptet, wir müßten vollenden, was Er angestoßen hat, der übertreibt. Immer bleibt uns Christus in seiner Hingabe voraus, immer ist er der Erste, aus seiner Präsenz erwächst unsere Präsenz an den dunklen Orten der Welt. Die Übertreibung des Camilo Torres, er wolle erst wieder das Sakrament feiern, wenn den Armen geholfen sei, stellt die Wahrheit auf den Kopf.
  3.Natürlich ist nun, unter der Voraussetzung der Gegenwart des Herrn, zu bedenken, was Paulus seinen Korinthern warnend vorhält: Die Schäden der Gemeinschaft, auch im einzelnen Christenleben bis hin zu Krankheitserscheinungen, rühren daher, daß wir „unwürdig von diesem Brot essen oder von diesem Kelch trinken.”. Ich muß das als eine Anfrage an uns alle verstehen: Wenn wir die Gegenwart des Herrn als Waffe, als Grund der Trennung nehmen, dann machen wir uns krank. Wir verwickeln uns in einen existentiellen Widerspruch: Der Herr hebt durch seine Hingabe alle Trennung auf, wir aber trennen uns. Darüber dürfen wir nicht ruhig werden.
  4.Aber nun, unter der Voraussetzung, daß die Gegenwart des Herrn unser Gebet ermöglicht und ermächtigt, die entscheidende Frage: Erkennen wir nicht, erfahren wir nicht, daß der Herr seine Präsenz in die Welt hinein ausdehnt und uns darum überall ökumenisches Beten erlaubt und gebietet?

LeerIch kann, was ich meine, gefährlich vielleicht, mit Teilhard de Chardin ausdrücken. Dessen mystische Erfahrung war, daß der im Sakrament sich der Materie mitteilende Herr sich in den Kosmos hinein verschwendet und also von uns überall in der Welt als gegenwärtig geglaubt sein will.

LeerIch kann dasselbe auch weniger spekulativ ausdrücken. Heute wird kein Wort der Schrift so häufig zitiert, wie die Identifizierung des Herrn mit den Armen, Gefangenen, Hungrigen, Verlassenen in Matthäus 25. Dieses Herrenwort bezieht seine Kraft und Wahrheit doch nicht aus der Identität Christi mit bedrängten Menschen, sondern aus seiner Identifizierung mit ihnen. Er schließt sie ein in seine Hingabe, in seinen Leib. Sie bekommen Teil an ihm. Dieser Hinweis Christi schließt uns also sozusagen eine sakramentale Dimension der menschlichen Gesellschaft, ja des Lebens überhaupt auf. Seine Präsenz im Mahl findet ihre Entsprechung in seiner verborgenen Gegenwart in der gesamten Wirklichkeit, Daß uns diese seine Erscheinung in den Geknechteten dieser Erde zur Identifizierung einlädt und ermächtigt, ist dann die Kehrseite der Medaille.

LeerErst in dieser Dimension erreicht unser ökumenisches Gebet den Ort seiner Bestimmung. Die säkulare Welt, die sich in sich selbst verschließt, nur auf Selbstbehauptung aus ist, wird und ist von der Hingabe des Herrn umschlossen. Wohin wir uns auch bewegen, wo in der Welt wir auch sind, überall ist er schon präsent mit seiner Liebe, die alles konkret macht, zum Gegenstand seiner und unserer Liebe.

LeerWie wahr diese Elemente sind, das konnen wir leicht an den ökumenischen Gebeten prüfen, die uns in den Jahren seit dem 2. Weltkrieg geschenkt wurden. Ich nenne nur: Michel Quoist's Meditationen, von leichtem, liebenswürdigem Gewicht, Drutmar Cremers zum Teil hochkarätige Sammlungen, darunter vor allem „Herr wohin?”

LeerAuf die Höhe des ökumenischen Plateaus sind wir gegangen. Da findet die große Ausweitung unseres Gebets im Namen Jesu statt. Vom Sakrament herkommend suchen wir den Herrn, in aller Wirklichkeit, weil er sich ihr mitgeteilt hat und immer nahe sein und nahe kommen will. Wir immigrieren in die säkulare Welt, weil Christus in sie eingegangen ist.

LeerÖkumene löst nicht die Kirchen auf, in denen wir leben und die Nähe des Herrn erfahren. Aber der gegenwärtige Herr selbst ruft uns hinaus in das weite Feld der Wirklichkeit. Er eint uns angesichts der Aufgabe, ihn in der Welt wiederzufinden und uns selbst in Liebe in sie hinein zu verschwenden. Tun wir das, dann wird uns geschenkt werden, worum wir bitten. Wir werden die Trennungen überwinden und alle eins sein, von Ihm her und auf Ihn hin. Eins - nicht gleich.

Quatember 1983, S. 11-19

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-01
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