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von Carl Happich |
Seit Jahren versuche ich zu verstehen, was heute evangelische Theologen unter dem Heiligen Geist verstehen, und seit Jahren bekomme ich darauf die widersprechendsten und unzureichendsten Antworten. Eine ganze Reihe von guten evangelischen Theologen wird durch diese Frage augenscheinlich in große Verlegenheit gesetzt. Ein bedeutender Geistlicher mit ausgezeichneten theologischen Kenntnissen antwortete mir auf meine Frage: darüber würde eben gearbeitet und es seien schon zwei Bücher darüber erschienen. Mich hat da als Laien ein ausgesprochenes Entsetzen erfaßt. Da ich von den Theologen keine ausreichende Antwort bekommen konnte, versuche ich als Laie das zusammenzufassen, was ich mir vorstellen kann und was ich erlebt habe, und suche es an maßgebenden geistlichen Schriften zu orientieren. Diese Darstellung soll nichts anderes sein als der Ausdruck des Suchens eines Laien mit der Absicht, einzelnes Material zusammenzustellen. Vielen Theologen mag das, was ich sage, primitiv erscheinen oder längst überholt. Das weiß ich nicht und darauf kommt es mir im Augenblick auch nicht an, sondern ich habe das Gefühl, daß der Heilige Geist in seinem Wirken in dem Menschen ein Feuer anzündet und ihn brennen macht, und daß die vielen Theologen, mit denen ich gesprochen habe, eben nicht brannten und auch nicht wußten, wie es geschehen solle. Sie hatten zwar meist viel Kenntnisse, aber es schien mir, als ob diese Kenntnisse ihr inneres Leben erstickten. Zu meinem Erstaunen habe ich festgestellt, daß die meisten Geistlichen den Text des Nicaenischen Glaubensbekenntnisses nicht recht kannten, man kann sogar sagen, in seinem Wortlaut überhaupt nicht kannten. In der Dogmatik von Karl Barth 1932 § 12, Seite 507 wird der „positive Sinn der abendländischen Fassung des Dogmas vom Heiligen Geist” in allzu philosophischer Weise auseinandergesetzt: daß der Geist, der vom Vater ausgehe, im Wesen die Liebe sei. Das scheint mir eine sehr partielle, eine sehr eingeengte Auffassung vom Wesen des Heiligen Geistes zu sein, obwohl ich von katholischer Seite ähnliches kenne. us den Evangelien wissen wir, daß er an dem Pfingsttag die Jünger ganz erfüllte und daß sie weit über sich hinauswuchsen, daß sie von einem Feuer erfüllt wurden, das sie zu einer großen Missionstätigkeit befähigte, so sehr, daß man glaubte, Feuerzungen auf ihren Häuptern zu sehen. Nach der Taufe betete Jesus Christus, und der Himmel tat sich auf und der Heilige Geist fuhr hernieder in leiblicher Gestalt auf ihn wie eine Taube (Lucas 3,21). Danach kam Jesus „voll Heiligen Geistes” wieder aus dem Jordan (Lucas 4,1). Jesus war also nach der Taufe erfüllt vom Heiligen Geist. Das Apostolische Glaubensbekenntnis sagt von dem Heiligen Geist als Person nichts aus, und da in der Konfirmandenstunde nur das Apostolische Glaubensbekenntnis durchgesprochen wird, haben die Pfarrer meist nur dieses vor Augen. Das Nicaenische Glaubensbekenntnis sagt viel und Positives: Ich glaube an den Heiligen Geist, den Herrn, den Lebenschaffenden, der vom Vater und dem Sohne ausgeht, der zugleich mit dem Vater und dem Sohne angebetet und verehrt wird, der geredet hat durch die Propheten. Es wurde mir gesagt, der Heilige Geist ist in seinem Wirken gebunden an die Person Jesu Christi, und infolgedessen wirkt er nur innerhalb der Christenheit und außerdem wirke er nur in der Gemeinde als solcher und nicht im individuellen einzelnen Menschen. Beide Auffassungen scheinen mir unrichtig zu sein. Heiler hat in einer Missionsrede, meiner Meinung nach mit Recht, gesagt: Wenn man den Indern das Evangelium predigen wolle, dann müsse man ihnen als ihr altes Testament ihre heiligen Bücher lassen. Ich weiß, daß diese Gedanken vielen guten Christen sehr verständlich sind, den meisten Theologen aber nicht eingehen. Wenn wir den so allgemeinen Zusammenbruch des kirchlichen Lebens unter uns sehen, dann aber spüren, wie an einzelnen Stellen sich Funken wieder zum Feuer entfachen, dann glauben wir zu fühlen, daß auf weiten Strecken man nichts weiß und nichts fühlt vom Heiligen Geist, und daß deshalb alles Leben dort erlischt und der Geist dort nicht wirken kann und nicht will und eine gewisse Verurteilung der heutigen Kirche in dieser Tatsache liegt, daß er aber wieder an anderen Stellen wirksam ist und neues Leben entfacht. Ohne eine saubere Theologie wird auf die Dauer sich eine solche religiöse Entfachung nicht halten lassen, aber ich glaube, daß die stoßkräftigen Träger dieser Sehnsucht, die vom Heiligen Geist geführt werden, in der Hauptsache nicht Geistliche, sondern Laien sind. Die Geistlichen aber taufen die Laien - wäre es nicht ihre Aufgabe, sie dann mit Hilfe des Heiligen Geistes zu führen, zu beraten und vor Schaden zu bewahren? Dieser Schaden könnte und würde eintreten, wenn das Wirken des Heiligen Geistes allein auf individuelles Leben beschränkt bliebe. Man hat gesagt, der Heilige Geist sei nur wirksam innerhalb der Gemeinde und im Zusammenhang mit ihr. Das ist auf der einen Seite sehr wohl zu verstehen, auf der anderen Seite aber wird doch wohl der Heilige Geist einen einzelnen Menschen entzünden, entfachen und erfüllen können, damit er durch den lebenerweckenden Heiligen Geist eine tote Gemeinde wieder aufweckt und ihr zu neuem Leben verhilft. Ist das Auftreten Luthers anders zu bewerten? Auf diese Frage hat mir ein sehr bewußt protestantischer Geistlicher geantwortet: „Das ist ganz richtig, von hier aus gesehen, ist Luther tatsachlich Häretiker!” Diese Ansicht ist, mindestens von unserer Fragestellung aus gesehen, falsch. Aber aus dieser Antwort kann man ersehen, wie beschränkt theologische Anschauung wird, wenn sie nicht auf eigenem Erleben beruht. Vor diesem „Erleben” oder gar dem „Erlebnis” haben bekanntlich die protestantischen Theologen eine ausgesprochene Angst. Da der Heilige Geist vom Vater und dem Sohne ausgeht (4. Laterankonzil und 11. Konzil von Toledo 675), so ist man der Meinung, daß der Heilige Geist nur innerhalb der von Jesus Christus gegründeten Kirche tätig sein könne. Man geht fast so weit zu sagen, er dürfe gar nicht an einer anderen Stelle tätig sein. Wer wirklich aus eigener Anschauung die große Welt nichtchristlicher Religionen und das ungeheure Suchen und Sehnen der hervorragenden Religiösen dieser außerchristlichen Welt kennt, der glaubt ganz deutlich und intensiv zu spüren, wie dort der Heilige Geist arbeitet und zu Christus hinführen will. Ich brauche nur zwei Tatsachen zu erwähnen: Der Abt einer chinesisch-buddhistischen Meditationsgruppe liest jeden Tag seit vielen Jahren absolut regelmäßig das Neue Testament (mündlich berichtet von Prof. Richard Wilhelm und Prof. Erwin Rousselle); in Südindien an einem großen Vishnutempel wird das Lucasevangelium verkauft. Auf die Frage, von wem handelt dieses Buch, wurde geantwortet: „Von Jesus; er ist die letzte Erscheinung Vishnus” (d. h. Gottes). (Rudolf Otto: Indiens Gnadenreligion und das Christentum.) Daß die alleinige Verehrung des Heiligen Geistes , losgelöst von den beiden anderen Personen der Trinität, jedenfalls losgelöst von der Person Christi zu schwärmerischen Ekstasen und auf Abwege fuhren muß, das zeigt unter anderen vielen Beispielen die Geschichte der Albigenser in Südfrankreich. Ihre Dogmen leiteten sich von der Verehrung ab, daß Gott Geist sei und reine Liebe. Alles Irdische sei Wirkung Lucifers. Ihr oberstes Fest war die „Manisola”, das Fest des Parakleten. Ihm war die feierliche Sakramentshandlung dieser Katharer geweiht, die Tröstung des Heiligen Geistes, das Consolamentum Spiritus Sancti. Wenn auch bei den Katharern zum Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geist gebetet wurde, so war dieses Sakrament des Consolamentum das Höchste und sollte soviel Reinigung bringen, daß es oft vorkam, daß Katharer nach dem Empfang des Consolamentum Freitod begingen, nicht aus Angst oder Lebensüberdruß, sondern weil sie sich von der Materie jetzt vollkommen losgelöst glaubten. Wer das Consolamentum empfangen hatte, gehörte zu den „Vollkommenen”. Natürlich hatten die Katharer oder Albigenser noch andere Glaubenssätze, die als ketzerisch angesprochen wurden; da aber Jesus für sie nicht der Christus der Kirche war, mußten sie mit ihrer Verehrung des Geistes Gottes innerhalb der christlichen Kirche auf Abwege geraten. Im christlichen Dogma ist der Heilige Geist eine der drei Personen der Dreieinigkeit. Die Theologie sagt, daß dieses Dogma notwendig sei, obwohl unser menschlicher Verstand das Geheimnis der Trinität nicht begreifen könne. Es ist also richtig, über dieses Geheimnis sich nicht zu zergrübeln. Wir sehen aber, daß trotzdem die Theologie sich über dieses Geheimnis viele, wie mir scheint, allzu viele Gedanken macht und dafür notwendige andere unterläßt. Augustin sagt: „Wie die drei göttlichen Personen unzertrennlich verbunden sind, so wirken sie auch in unzertrennlicher Verbundenheit”, immer wirkt „der Vater durch den Sohn im Heiligen Geist”. Es würde zu weit führen, hier von den zahllosen Stellen, die in Büchern davon reden, noch weitere anzuführen. Wenn aber aus dem eben zitierten geschlossen werden soll, daß der Heilige Geist nur im Christentum lebendig sein könne, so halte ich diese Behauptung für eine übergroße Beschränkung und auch für eine Anmaßung. Sicher muß man glauben, daß der Heilige Geist auch außerhalb des Christentums wirke, auf den Sohn hin. Dasselbe wird geschehen innerhalb der Christenheit, die keine Christenheit mehr ist, die sich oft nur noch so nennt. Sie haben augenscheinlich Angst, daß das Feuer des Heiligen Geistes sie hinwegreißen könnte. Infolgedessen fürchten sie sich vor dem Entzündetwerden und dem Entflammtsein und bleiben kühl und stumpf. Eins ist sicher: wenn unsere heutige Welt wieder erweckt werden soll, dann kann es nur geschehen durch das Feuer des Heiligen Geistes, durch eine „Begeisterung”. Dieses Erfülltsein mit dem Geist, natürlich mit dem Heiligen Geist, kann nicht sein eine Rechthaberei, ein in der äußerlichen Welt Siegen-Wollen, kann nicht ausgehen auf Konstitutionen und Gesetze. Natürlich muß Ordnung sein in der Welt, und diejenigen, die die Pflicht dazu haben, mögen auf sie achten und sie herstellen, wo es nötig ist. Aber das geschieht ja schon überall und viel zu sehr, und geschieht so, daß infolge aller Ordnung das Leben erstickt. Sicher ist es vom Teufel, wenn in einer nicht demütigen Begeisterung Ordnungslosigkeit einreißt. Aber mir scheint, auch davor hat man wieder einmal so viel Angst, daß man lieber gar kein Leben und gar keine Begeisterung haben will, damit nur nicht die Möglichkeit einer Unordnung aufkomme. In der Katholischen Kirche weiß man augenscheinlich mehr vom Heiligen Geist als in der Evangelischen, mindestens deshalb, weil im Credo der Messe auch der dritte Artikel in der Form des Nicaenischen Glaubensbekenntnisses zu hören ist. Es scheint mir richtig vorzuschlagen, daß wir in unserer Berneuchener Bruderschaft in einer bestimmten Regelmäßigkeit das Nicaenische Glaubensbekenntnis beten, daß wir überhaupt im Ganzen mehr und feierlicher mit den feststehenden formulierten Grundlagen unseres Glaubens bekannt gemacht werden. Weiterhin scheint es wichtig, daß wir für uns wirklich über das Wesen und Wirken des Heiligen Geistes forschen, aber nicht um einer bloßen Diagnose willen, die mindestens seit Jahrzehnten immer wieder versucht wird und welche, nun medizinisch gesprochen, eine Therapie verhindert, d. h. es nicht zu einer Tat kommen laßt, nicht zu einer Hingabe an den Heiligen Geist und nicht zu einem Sich-Öffnen seiner Wirkung gegenüber; es sind zuviel Hemmungen da. Diese Andeutungen sind der ungenügende Versuch eines Laien, der sagen will, daß er dauernd leidet an einer, wie ihm scheint, einseitigen Handhabung der Lehre und einer allzu intellektuellen Handhabung des Dogmas. Die religiösen Vorgänge sind irrational; unsere Zeit aber versucht sie der sogenannten „Wissenschaftlichkeit” entsprechend rational zu gestalten. Komm Heiliger Geist,Quatember 1983, S. 66-71 [Carl Happich († 1947) schrieb diesen Brief an Wilhelm Stählin im Oktober 1939. Der Antwortbrief Stählins wurde in Quatember Heft 3/1983 veröffentlicht] |
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