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Symbol und Offenbarung
von Heinz Gerlach

Die Macht der Bilder

LeerDie Macht der Bilder wird uns nirgendwo besser demonstriert als in der Fernsehwerbung. Es sind schwindelerregende Preise, die Wirtschaftsunternehmen zahlen und offenbar zu zahlen bereit sind, um in wenigen Sekunden ihre Produkte anpreisen zu können. Die meisten Fernsehstationen in den USA leben ausschließlich von den Einnahmen der Werbesendungen. Daß Bilder eine Sache treffender zum Ausdruck bringen können als viele Worte, beweisen uns die Karikaturisten. Cartoons haben zur Zeit Hochkonjunktur. Ich habe fast den Verdacht, daß sie das Kabarett, das ja vor .allem vom Wort lebt, verdrängt haben. In Cartoons läßt sich schneller eine Pointe erfassen als im Monolog oder Dialog von Kabarettisten. Das sehende Lernen hat zwar das hörende Lernen nicht verdrängt, aber an Marktanteilen gewonnen. Das eidetische Lernen ist in seinen Möglichkeiten sicher noch nicht erschöpfend erforscht. Das „Anschauungsmaterial” im Unterricht ist schon so mannigfach geworden, daß kaum noch jemand den Überblick hat.

LeerK. Fror („Das Zeichnen im kirchlichen Unterricht” S. 18) schrieb: „Zwischen dem Tagesbewußtsein und dem vielschichtigen Unbewußten liegt die Bildschicht oder das Bildbewußtsein. In dieser Bildschicht werden die Eindrücke der Kindheit als optische Erfahrung aufbewahrt. Was in dieses Bildbewußtsein eingedrungen ist, hat nahezu unbegrenzte Haltbarkeit und Wirkungsmächtigkeit für das spätere Leben. Solange der Unterricht im Intellektuellen und Rationalen steckenbleibt, wird die Bildschicht nicht erreicht, und die Eindrücke werden durch andere, mit denen das helle Tagesbewußtsein fortgesetzt überschwemmt wird, beiseite geschoben. Erst wenn es gelingt, die entscheidenden Eindrücke des Unterrichts im Bildbewußtsein zu versenken, werden sie bestehen bleiben und eine nachhaltige Wirkung ausüben können.”

LeerEhe ein Baby die kosenden Worte der Mutter versteht, hat es das ihm liebevoll zugewandte und lächelnde Gesicht der Mutter in sich aufgenommen. Dieser Eindruck wird erst später mit dem Wort „Liebhaben” bezeichnet. Das Bild geht dein Wort voraus.

LeerIch muß die Mächtigkeit der Bilder wohl nicht länger durch Beispiele belegen. Es ist nicht verwunderlich, daß der Seher Johannes der angefochtenen Gemeinde in Kleinasien nicht nur Worte, theologische Wahrheiten in Form von Begriffen und Dogmen, sondern auch prägende Bilder gab. In der Offenbarung haben wir es aber nicht nur mit Bildern zu tun im Sinne von Gleichnisbild, Veranschaulichung oder Chiffrierung. Wir haben es auch mit Symbolen zu tun. Und das ist weit mehr.

Das Symbol

Leer„Mit diesem Begriff wird die Beziehung einer sinnlichen Erscheinung zu einem Sinngehalt bezeichnet. Mit einem sichtbaren oder vorstellbaren Symbol wird ein unsichtbarer und unvorstellbarer Inhalt verbunden. . . Im Symbol wird ein sonst Unerkennbares erkannt oder umgekehrt: Ein nicht vorstellbarer Sinninhalt manifestiert sich im Symbol, erscheint in ihm. Für das Symbol ist charakteristisch, daß Erscheinung und Inhalt nicht beliebig verbunden sind, sondern sich korrelativ bedingen” (Christian Rietschel: Sinnzeichen des Glaubens, Johannes Stauda Verlag, Kassel, 1965 S. 13) Das Verbum symballein heißt zusammensetzen, zusammenfügen. Wichtig ist, daß dabei nicht Beliebiges zusammengefügt wird, sondern solches, das wesenhaft zusammengehört.

LeerWenn im griechischen Altertum ein Vater seinen Sohn auf Reisen schickte, so brach er ein Holzstäbchen entzwei und schickte die eine Hälfte einem Gastfreund zu. Kam nun der Sohn zu jenem Gastfreund und fügte sich der zweite Teil, den der Sohn mitbrachte, zu jenem zerbrochenen Stäbchen, so daß beide Bruchstellen genau ineinander paßten, so war die Identität des Sohnes erwiesen, das Symbolon hergestellt. Die Ganzheitlichkeit ist es, um deretwillen das Glaubensbekenntnis Symbolon genannt wird. Im Gegensatz zum Häretiker, der aus dem Ganzen etwas herausbricht und damit zum Sektierer wird, bewahrt der orthodox Glaubende die Ganzheit des Bekenntnisses.

LeerIm Evangelium des Lukas (2.19) heißt es von Maria, daß sie „alle diese Worte in ihrem Herzen bewegte”. Und diese Bewegung wird im Griechischen mit dem Partizip symballousa wiedergegeben. Die offenbar unvereinbaren Dinge wie die Ankündigung der Geburt trotz Jungfräulichkeit, die ärmlichen Umstände der Geburt und der himmlische Lobgesang der Engel, brachte Maria in ihrem Herzen zusammen. Ihr gelang es, dies alles zusammen zu schauen, in ihrem Herzen zu vereinen, hinter dem äußeren Erscheinungsbild den tiefen Sinngehalt zu erkennen.

LeerAuch die Heilige Schrift kann als Sprachsymbol verstanden werden, denn das Wort - etwas Geistiges - ward „Fleisch” - etwas Formhaftes. Daß Gott in, mit und unter dem biblischen Wort sich offenbart, sein Wesen zeigt, ist Teil der Inkarnation.

Leer„Das Wesen des Sinnzeichens ist nicht seine Gestalt an sich, auch nicht der dahinterstehende Sinn, der sich eines beliebigen Ausdrucks bedient, sondern das Zusammenfallen (Symballein) von Sinn und Gestalt. Das Zeichen ohne Sinn ist nur eine formale Figur. Ohne Zeichen träte der Sinn nicht in Erscheinung. Das Sinnzeichen ist ein Zeichen, in dem ein Sinn repräsentiert wird, für den es steht, ohne selbst schon Sinn zu haben.

LeerDas Sinnzeichen weist stets über sich hinaus.” (Rietschel, S. 31.)

Linie

LeerNun ist charakteristisch für das Symbol, daß es sich der nur rationalen Betrachtung, dem analytischen Denken entzieht.

Leer„Das Sinnzeichen hat Anteil am Wesen des Gottesgeheimnisses. Es verhüllt und verdeckt, verschleiert und repräsentiert, verschlüsselt und entschlüsselt zugleich den in ihm wirkenden Sinn. Das Sinnzeichen ist wie eine transparente Wand, durch die das Eigentliche hindurchscheint, ohne daß wir es fassen, begreifen können. Es bezeichnet die Grenze und den Durchgang zu dem nicht mehr Erfaßbaren. Das eigentliche Wesen des Sinnzeichens erschließt sich nicht dem Intellekt der Menschen unserer Tage, sondern dem verweilenden, bildhaften, schauenden Denken der Meditation.” (Rietschel, S. 32.)

LeerDa manche Begriffe oft unscharf gebraucht werden, und eine Begriffsverwirrung Verständigung unmöglich macht, möchte ich den Begriff des Symbols noch etwas abgrenzen. Ich folge dabei wieder Christian Rietschel. Zeichen kann man erfinden und einem Sinn zuordnen (z. B. Verkehrszeichen). Den Sinngehalt von Zeichen kann man auch durch Übereinkunft abändern. Den Bedeutungsgehalt von Signalen muß man erlernen wie Vokabeln. Daß das beruhigende „Grün” bei der Verkehrsampel nicht zum Verweilen auffordert, sondern zum Weiterfahren, ist das Ergebnis von Vereinbarung. „Grün” und „Weiterfahren” hängen nicht wesensmäßig zusammen. Einige Bemerkungen zum Verhältnis von Wort und Symbol: Manche Theologen sind skeptisch gegenüber dem Symbol, weil sie es für mystisch verschwommen halten.

LeerEs sind oft die gleichen Theologen, die sich auch mit dem Sakrament etwas schwertun und das Abendmahl nur als Zeichen oder als Ausdruck der Gemeinschaft verstehen. Sie werten demgegenüber das Wort und die Begrifflichkeit so hoch auf, daß anderen wieder angst wird vor solcher Wort-Magie und fast sakramentalem Wortverständnis. Ich zitiere Christian Rietschel: „Während im Wort die Klarheit und Verständlichkeit göttlicher Wahrheit in Erscheinung tritt, kommt im Sinnzeichen die unausschöpfliche Tiefe des Geheimnisses eben dieser Wahrheit zum Ausdruck. Der Logos Gottes umgreift beides: Klarheit und Unergründlichkeit, Offenbarung und Geheimnis . . . Wort ohne Zeichen, d. h. ohne zeichenhafte Tiefe und Hintergründigkeit, wird zur platten Rede, zur rationalen Interpretation, Zeichen ohne Wort wird zum magischen Zeichen, zur Verleugnung der Offenbarungsklarheit, zur Geheimniskrämerei und zum Mystizismus. Wort und Sinnzeichen gehören unzertrennbar zusammen; fast möchte man hinzufügen nach der Formel des Konzils von Chalcedon (451): Sie gehören zusammen wie die Naturen Christi, die offenbare menschliche und die verhüllte göttliche, unvermischt und unverwandelt, ungeteilt und ungetrennt.” (S. 29)

Symbole der Offenbarung

LeerIch möchte nun drei Symbole der Offenbarung näher betrachten, Gott als das A und O, die Anbetung vor dem Thron Gottes und das neue Jerusalem.

Gott als das A und O

LeerAn drei Stellen in der Offenbarung des Johannes ist von Gott als dem A und O die Rede (1.8, 21.6, 22.13). Daß Gott als Anfang und Ende benannt wird, das bedeutet im Gegensatz zum heidnischen, mythischen Denken: Es gibt eine zielgerichtete Geschichte. Das zyklische Denken wird abgelöst durch ein kausales und finales Denken.

LeerDer in sich geschlossene, immer wieder in sich zurückfließende, unendliche Kreis wird aufgehoben zu einer gerichteten Geraden. Man muß sich klarmachen, was dies bedeutet für Menschen in der Verfolgung und Anfechtung, wenn ihnen gesagt wird: Sei getrost, das Karussell der Sinnlosigkeit dreht sich nicht ewig, am Ende steht Gott, alles zwischen Anfang und Ende - auch alles Leid - empfängt von diesem Ziel her seinen Sinn.

LeerBiblisches Denken ist Ausbruch aus dem zyklischen Denken der Antike. „Das Sinnzeichen geschichtlichen Daseins ist die fortlaufende Gerade.” (Rietschel, S. 26) Christus ist die Wende der Geschichte, die Mitte der Zeiten. Alles Gewesene, Seiende und Kommende kann auf diese Mitte hin bezogen werden. Und derjenige, von dem es heißt, „Der da ist und der da war und der da kommt”, hat diese Gerade der Geschichte von oben her durchkreuzt, ist herabgekommen auf die Gerade, mehr noch, ist durch sie hindurchgedrungen in die tiefste Tiefe des Todes, damit es in keiner nur denkbaren Dimension heißen könnte, dort sei er nicht Herr. „Die Senkrechte der heilsgeschichtlichen Gottestat durchstößt die Waagerechte der geschichtlichen Zeit: Das Zeichen des Logos ist das Kreuz.” (Rietschel, S. 26)

LeerWird die Welt durch das Kreuzsymbol interpretiert, werden Anfang und Ende, Oben und Unten, Himmel und Erde, Schöpfung und Endgericht auf Christus bezogen und in ihm zusammengebunden (symballein), so gewinnt die Gegenwart eine neue Wertigkeit. Die Weltvergötterung - und damit verbunden die Anbetung des Kaisers - wird als dem Wesen Christi und seines Kreuzes entgegengesetzt erwiesen. Im Kreis dreht sich der Mensch nur um sich. Dort kann auch der Kaiserkult seinen Ort haben. Aber wo der Kreis gesprengt wird, aufgebogen zum Kreuz, dort wird der Mensch bezogen auf Anfang und Ende, er wird in die Entscheidung gestellt, steht zwischen Oben und Unten. Es ist nicht von ungefähr, daß das Wort von „Anfang und Ende” ganz zu Beginn der Offenbarung und ganz am Schluß steht. Es ist ein Wort, das Mut zuspricht und Getrostheit in der Anfechtung, das aber zugleich zumutet, die Anfechtung bis zum Ende durchzuhalten, das Kreuz auf sich zu nehmen.

Die Anbetung

LeerAn vier Stellen der Offenbarung haben wir ausführliche Schilderungen der Anbetung Gottes im Himmel, die jeweils eine Doxologie enthalten (4.8, 5.12, 7.10, 19.6).

LeerMir geht es jetzt nicht um Einzelheiten in den Schilderungen der Anbetungsszenen, sondern um das, was ihnen allen gemeinsam ist, daß nämlich die Anbetung bestimmter Ausdrucksformen bedarf, daß sie ein symbolischer Akt ist, in dem der Sinn des Aktes und seine Form wesensgleich sind. Es ist wenig sinnvoll, nach der Bedeutung des Kniefalls zu fragen. Der Kniefall selbst ist der Sinn. Akt und Bedeutsamkeit fallen in eins. Teilhard de Chardin sagt: „Anbeten heißt, sich im Unergründlichen verlieren, ins Unausschöpfbare eintauchen, im Unvergänglichen Frieden finden, in der begrenzten Unermeßlichkeit aufgehen, sich dem Feuer und der Transparenz hingeben, sich bewußt und willentlich in dem Maße vernichten, als man seiner selbst bewußter wird, sich vom Grund auf jenem schenken, der ohne Grund ist! Wen können wir anbeten? Je mehr der Mensch Mensch wird, um so mehr wird er vom Bedürfnis gepackt, und zwar von einem immer ausdrücklicheren, immer reineren, immer unmäßigeren Bedürfnis, anzubeten.” (Der göttliche Bereich, Walter-Verlag 1963, S. 168).

LeerEs stellt sich uns die Frage: Wie kann Anbetung geschehen, wenn der Anzubetende nicht sichtbar vorfindlich ist?

LeerDie Gegenwart des Anzubetenden und die Anbetung muß bezeichenbar sein. Von Gott muß man im Demonstrativpronomen reden. Wo dies möglich wird, geschieht Segnung. Denn segnen heißt significare, ein Zeichen machen - nicht Worte machen. Und wenn ein Katholik seine Kirche betritt, weiß er, wo der Tabernakel steht, wird es ihm significant, daß Christus der Gegenwärtige ist, und er macht eine Kniebeugung. Dem Argument, daß es vielleicht gedankenlos geschieht, ist entgegenzuhalten, daß wir auch gedankenlos atmen und das unbewußt routinierte Atmen durchaus für nützlich halten. Abusus non tollit usum - Mißbrauch hebt den Gebrauch nicht auf. Wir brauchen Formen, in denen sich Anbetung vollziehen kann. Daß viele Protestanten, statt zum Gottesdienst zu gehen, den Waldspaziergang vorziehen und der Pfarrer auch oft genug zu hören bekommt, daß dort die Zwiesprache mit Gott besser gelinge als in der Kirche, müßte uns Anlaß zum Nachdenken sein. Staunen vor der Schöpfung ist für viele die einzige Möglichkeit, ihrem Glauben Ausdruck zu geben.

LeerWo der Glaube keine Weise der Anbetung findet, verkümmert er zur Ideologie, zur Weltanschauung. Wie können wir besser als bisher deutlich machen, was es bedeutet, wenn wir singen: „Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten. . .”? Und wie können wir zur Anbetung helfen? Das ist mir eine wichtige Frage. Welche Symbole, Symbolhandlungen, Gesten und Reden stehen uns zur Verfügung? Welche sind in Vergessenheit geraten? Bischof Lohse äußerte vor etwa einem Jahr (s. Quatember 46. Jg./1982, S. 254), daß er es neidvoll mit ansehe, wie Christen überall in der Ökumene sich bekreuzigten, sich auch zeichenhaft unter das Kreuz stellten. Er ermutigte dazu, Luthers Rat zu befolgen und sich morgens und abends zu bekreuzigen, das Signum zu machen, sich bewußt unter die Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Herrn zu stellen. Dies ist nur ein Beispiel.

LeerWir müssen uns fragen: Was bedeutet es für die angefochtenen Christen, denen die Johannesoffenbarung zugedacht war, wenn Johannes ihnen an mehreren Stellen die Anbetung Gottes im Himmel schildert? Er meint doch damit: Solche Ehre kommt nur dem zu, der da ist und der da war und der da kommt. Und wer diesem zustimmt, muß seine innere Überzeugung auch zum Ausdruck bringen, indem er den Kaiserkult verweigert. In der Anbetung kommt sinnenfällig zum Ausdruck, wie der Mensch sich selbst versteht, wie er seine Stellung gegenüber Gott einschätzt, auf wen er seine Hoffnung setzt, von wem er das Heil erwartet. In der Anbetung löst der Mensch sich von sich selbst und sucht und findet seinen Halt in Gott. Anbetung ist Vertrauenfassen im Vollzug. Anbetung ist Gestaltwerdung von Geborgenheit und Herbeiflehen desselben in eins.

Das neue Jerusalem

LeerIch komme zu einem letzten Symbol: die neue Stadt, das himmlische Jerusalem (Offb. 21,10 ff.). Diese prächtige Stadt von gleicher Höhe, Länge und Breite wird ausführlich geschildert. Mir geht es bei diesem Symbol vor allem um einen kleinen, aber leicht zu übersehenden Nebenzug, nämlich, daß diese Stadt zwar Mauern und Tore hat, die Tore aber nicht abgeschlossen werden. Wilhelm Stählin (Wissen und Weisheit, Symbolon 3. Band, S. 85 ff.) hat hierauf besonders aufmerksam gemacht. Man muß doch fragen: Was soll eine Mauer, wenn ihre Tore nicht verschlossen werden? Die Kirche hat die Visionen der Offenbarung immer auf ihre eigene Geschichte bezogen und so natürlich auch in der Schilderung des himmlischen Jerusalems ein Idealbild der Kirche gesehen.

LeerSo sollte sie sein! Nicht aus sich selbst, sondern von Gott herabfahrend. Nicht mit Schrullen und Flicken, sondern leuchtend klar wie Edelsteine. Die zwölf Tore tragen die Namen der Stämme Israels und die zwölf Grundsteine der Mauern die Namen der zwölf Apostel. Die Kirche gründet sich auf die Auserwählung, die dem Volk Israel zuteil wurde, die Kirche als das neue Israel gründet sich auf die zwölf Apostel. Diese Kirche ist umgrenzt. Es gibt also ein Drinnen und ein Draußen. Und die sieben Sendschreiben und andere Ermahnungen der Offenbarung zeigen, daß nicht alle im „Buch des Lebens” verzeichnet sein werden, daß es Abfall vom wahren Glauben geben kann. Aber die Tore eröffnen die Möglichkeit zur Kommunikation zwischen drinnen und draußen. Die Tore sind Warnung und Einladung zugleich. Warnung an die drinnen, sie möchten ihr Heil innerhalb der Mauern durch Abfall nicht verspielen, und Einladung an jene draußen, hineinzukommen in die Kirche.

LeerIch glaube, daß dieses Bild von der offenen Kirche in unserer Zeit besonders hilfreich sein kann. Die Kirche braucht Mauern, klare Grenzziehungen, aber sie braucht auch die offenen Tore. Wer dieses Symbol von dem himmlischen Jerusalem in sich aufnimmt, wird vorsichtiger werden sowohl mit dem Schleifen von Mauern, mit der Nivellierung aller Unterschiede, mit einem Synkretismus von Christentum und Ideologien, aber er wird auch vorsichtiger werden im Zuschlagen von Türen. Er wird sich fragen, ob die Mauern der Kirche zu abweisend sind, ob ihre Tore überhaupt noch als geöffnet wahrgenommen werden.

Quatember 1983, S. 97-103

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-14
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