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Heitere und ernste Erinnerungen einer Berneuchnerin
von Frieda Körte

LeerVor kurzem las ich: bdquo;Gott schenkte uns die Erinnerung, damit wir im Winter noch Rosen haben.” Und die Erinnerung an die Geistlichen Wochen des Berneuchener Dienstes sind ganze Arme voll Rosen! Aber diese Rosen will ich nun nicht mit Wehmutstränen begießen, sondern ich will lieber berichten, was wir in den unvergeßlichen Aufbruchsjahren des Berneuchener Dienstes Zukunftweisendes gelernt haben. Denn Tradition zu pflegen heißt nach Bergengruen: bdquo;Nicht Vergangenes betrauern, sondern leben aus dem, was immer gilt.”

I.


LeerWas haben wir damals gelernt? Gleich zu Anfang lernten wir, die Bibel ganz in unseren Alltag mit hineinzunehmen. Wilhelm Stählin sagte: bdquo;Alles, was am Morgen zuerst und am Abend zuletzt unsere Seele erreicht, das formt sie am meisten. Und was formt die Seele des Durchschnittsbürgers? Die Morgenzeitung!” Das war im Jahre 1934 vor allem die NS-Presse. Der wollten wir diese Ehre schon gewiß nicht antun, und so übernahmen wir freudig die Ordnung der täglichen Bibellese, die uns nun durch fast 50 Jahre begleitet hat und der wir sehr viel verdanken, besonders in den Notzeiten, die bald kamen, war sie eine große Hilfe. Am Morgen nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hieß die Lesung Hiob 5,17-26: bdquo;Und du wirst erfahren, daß deine Hütte Frieden hat, und wirst deine Behausung versorgen und nichts vermissen. . .” Wie sehr hat mich das getröstet. Denn diese Lesungen waren uns ja gegeben, nicht selbst gewählt. Das machte sie noch bedeutsamer, und außerdem führten sie uns unvermerkt ins Kirchenjahr hinein. In diesem ungeheuren, so reichen und doch vertrautem Raum dürfen wir seither leben.

II.


LeerWeiter lernten wir den Unterschied zwischen bdquo;sinnvoll” und bdquo;heilsnotwendig”, der leider auch nicht überall bekannt ist. Es wurde uns gezeigt, daß es sinnvoll sei, einen Gottesdienst gut vorzubereiten, einen Gottesdienstraum schön zu schmücken, eine angemessene Haltung zu haben, deutlich zu sprechen und zu singen, ohne daß das alles bdquo;heilsnotwendig” ist. bdquo;Sinnvoll” sei es auch, Gottesdienste in Sakralräumen zu halten, weil man in einem bdquo;durchbeteten Raum” besser feiern kann als in einem profanen. Auch das Auswendiglernen wurde uns als bdquo;sinnvoll” nahegelegt. Und als wir uns einmal beklagten, daß wir zu wenig Liederbücher hätten, da sagte Wilhelm Stählin kurz: bdquo;Im Himmel gibt's kein Papier! Lernts doch auswendig!” Und wir taten es! Dann kam sehr bald die Zeit, wo es auch auf Erden kaum mehr Papier gab. Wie froh war man da über den Schatz an auswendig gelernten Liedern, Gebeten und Psalmen! Wie haben die uns geholfen in verdunkelten Kellern und auf endlosen Fahrten in eisigen Zügen! Auch das Schweigen wurde uns als bdquo;sinnvoll” nahegebracht, in Urspring wurde es streng eingehalten, vom Ende der Complet bis nach dem Morgengebet, im Umkreis der Kirche und in der Mittagszeit. Ich bin nicht besonders begabt dafür und lernte es nur mit Geknurr, wir waren damals auch noch jung und herzhaft albern. Ich sehe mich noch in Urspring mit meiner Schwester bdquo;schweigend” in unserm Zimmer Mücken fangen, wobei wir immer wieder herausplatzten, was dem Schweigen auch nicht gerade förderlich war. Aber gelernt habe ich es doch, und ein Jahr später war ich dankbar dafür; denn auf einer Rüstzeit in Niederrödorn mit den Brüdern Zeuschner und Haendler gingen wir dreimal täglich von unserem Freizeitheim durch Felder zu der Dorfkirche, in der wir das Tagzeitengebet hielten. Da hatte ich das Gefühl, ich hätte vorher noch nie richtig ein reifendes Kornfeld gesehen: im Schweigen redet die Schöpfung zu uns. - Darum sollte auch in unserem schönen neuerrichteten Berneuchener Haus dem Schweigen wieder mehr Raum gegeben werden.

III.


LeerWeiter lernten wir, daß der eigentliche Sinn des Gottesdienstes das Lob Gottes sei. Ich hatte immer gedacht, er sei religiöse Belehrung, eine Art Religionsstunde. Aber mir wurde bedeutet, daß das, wie vieles andere, ein Mißverständnis sei bdquo;von der Aufklärung her”. Wilhelm Stählin sagte uns: bdquo;Wann ist der natürliche Mensch von sich aus geneigt, Gott uneingeschränkt zu loben? Doch höchstens am Tage seiner Verlobung!” So wurde uns gezeigt, daß man das Lob Gottes einüben und sich dazu anhalten müsse, wie man auch andere Fähigkeiten üben müsse, und daß das Lob Gottes am schönsten erklingt in der Gemeinschaft. Darum könnten die Gottesdienste gar nicht schon und reich genug sein. Dazu bemerkte Wilhelm Stählin etwas schnöde, der sogenannte schlichte Gottesdienst sei für ihn bdquo;nichts anderes als die glorifizierte Armseligkeit”. Da zuckten natürlich die Schwaben unter uns zusammen. Als Trost wurde ihnen folgende Geschichte erzählt: Als Wilhelm Stählin in Münster Universitätsgottesdienste hielt mit großer Liturgie, da kamen kaum je Glieder der Theologischen Fakultät, nur ein Kollege von einer anderen Fakultät kam regelmäßig. Nach einer Zeit fragte Wilhelm Stählin ihn, ob ihm solch ein Gottesdienst sehr fremd sei. Der Kollege antwortete, zuerst sei es ihm vorgekommen, als ob da, wo er nur baden wolle, ein ganzer Wasserfall über ihn herunterstürze, aber nun sei ihm die Schönheit des Wasserfalls doch aufgegangen und auch seine Notwendigkeit. Wir lernten auch Folgendes: bdquo;Der Geist braucht die Abwechslung, und die Seele braucht die Wiederholung. Darum wendet sich die Predigt an den Geist und die Liturgie an die Seele.” Eine Tatsache, die sich bis heute bei den Theologen nicht herumgesprochen hat!

LeerZur Einübung in das Lob Gottes gehörte auch das Psalmensingen, das wir mit Freude lernten. Nur hatte es die Schwierigkeit, daß sich die Brüder immer dabei in die Haare kriegten, welche Form richtig und welche falsch sei, was recht zeitraubend war. Und so beglückte es uns sehr, als Wilhelm Stählin eines Tages energisch sagte: bdquo;.

. . Leerund wenn es schon falsch ist, dann machen wir es eben in evangelischer Freiheit falsch!” Mit dieser Erlaubnis haben wir im späteren Leben vieles bdquo;in evangelischer Freiheit” falsch gemacht!

LeerDiese ersten Geistlichen Wochen in Urspring mit oft 70 bis 80 Teilnehmern hatten einen ganz besonderen Glanz, wohl auch, weil man die kommende Katastrophe schon spürte. Vor wenigen Tagen vertraute mir Frau Planck an, vor einer dieser Wochen habe sie auf dem Wege von Schelklingen nach Urspring zu ihrem Mann gesagt: bdquo;Wenn ich jetzt gefragt würde, ob ich lieber in den Himmel oder nach Urspring wolle, so würde ich sagen: Nach Urspring!”


IV.


LeerAuch über das Wesen der Kirche erhielten wir ganz neue Erkenntnisse. Wir kamen - wenigstens ich - mit milder Toleranz, erheblicher Distanz und starker Kritik an der Kirche an, aber die verging uns schnell! Wir wurden erst einmal gefragt: bdquo;Wer ist die Kirche?” und als wir etwas zögernd antworteten bdquo;die Pfarrer”, bdquo;das Konsistorium”, bdquo;die Gemeinden”, da fuhr uns Wilhelm Stählin an: bdquo;Ihr seid die Kirche, jeder getaufte Christ ist ein Stück Kirche und somit für ihre Gestalt verantwortlich!” Wir lernten: bdquo;Kirche ist ein Organismus, keine Organisation. Darum lebt sie nicht von Bekenntnissen, sondern von lebendigen Zeugen!” Als uns einmal die Frage gestellt wurde, was das eigentliche Bekenntnis des Christen sei, nannten wir das Apostolikum, das Nicaenum, die Augsburgische Konfession und andere Bekenntnisschriften. Aber alles war falsch. Bis Wilhelm Stählin schließlich sagte: bdquo;Wißt Ihr's wirklich nicht? Das eigentliche Bekenntnis des Christen ist das christliche Leben!” Nun wußten wir es. Wir lernten auch, mit der Kirche zu leben und in ihr Verantwortung zu übernehmen. Als sich einige Teilnehmer über das Zunehmen der Sekten beklagten, wurde uns erklärt: bdquo;Die Sekten sind die Krankheitszeichen am Leibe der Kirche. Wenn die Heilige Schrift nicht mehr ernst genommen wird, kommen die ‚Ernsten Bibelforscher’ auf; wenn die Taufe an Bedeutung verliert, breiten sich die Baptisten aus; wenn nicht mehr von Umkehr und Buße gepredigt wird, gewinnen die Methodisten an Einfluß; wenn bei uns das Bemühen um Erkenntnis und das Ernstnehmen der zukünftigen Welt vernachlässigt wird, so wenden unsere Gemeindeglieder sich ab zu den Anthroposophen.” Wir lernten, unsere Kirche zu lieben, auch in ihrer armen Gestalt, wir lernten, in ihr mitzuarbeiten und an ihr zu leiden. Als etwa 20 Jahre später einmal zehn Berneuchener Frauen in Stuttgart zu einer Besprechung beisammen waren, da ergab sich zufällig, daß sieben von ihnen Kirchenälteste waren. Die Kirche weiß die Menschen zu finden, die zur Verantwortung bereit sind.

V.


LeerGanz neu war uns damals der Gedanke der Ökumene, und von der katholischen Kirche hatten wir meist kaum eine Ahnung oder nur ein verzerrtes Bild. Wilhelm Stählin sagte: bdquo;Der Protestantismus vieler Menschen besteht nur darin, daß sie auf die Katholiken schimpfen; von ihrer eigenen Kirche machen sie keinen Gebrauch.” Er zeigte uns, wie viele kostbare Traditionen in der Schwesterkirche bewahrt worden sind, die wir in der Aufklärung verloren haben. Er erklärte uns, daß z. B. der bdquo;Rosenkranz” kein sinnloses Geplapper ist, sondern durch das Gesetz der Wiederholung tief ins Unterbewußtsein wirkt. Er zeigte uns - wie später auch Oskar Planck - die Bedeutung des Mönchtums für die gesamte Kultur des Abendlandes. Er erklärte uns, daß die Mönche jede Woche alle 150 Psalmen durchbeten und sich dabei nicht langweilen, weil sie wissen, daß sie bei diesem Dienst bdquo;der Schöpfung ihren Mund leihen”; wir bekamen auch eine Ahnung von der Bedeutung der Heiligen. Das jetzige Bild beider Kirchen zeichnete Wilhelm Stählin etwa so: bdquo;Die protestantische Kirche ist ein besorgter Vater, der mit seinen halberwachsenen oder erwachsenen Kindern ernste und gute Gespräche führt, aber mit den kleineren Kindern nichts anfangen kann. Die katholische Kirche ist eine liebevolle Mutter, die ihre unmündigen Kinder fest in die Arme schließt, es aber gar nicht schätzt, wenn sie mündig werden.” Beides sind Fehlentwicklungen. Stählin formulierte es so: bdquo;Wir sind nach beiden Seiten vom Pferd gefallen!” und er meinte, nur wenn beide Kirchen das wieder einbrächten, was sie bewahrt haben, erst dann könne die wahre Kirche Jesu Christi sichtbar werden.

VI.


LeerUnd noch etwas lernten wir, und dafür sind wir besonders dankbar: Wir wurden - jedenfalls die meisten von uns - durch die neuen Erkenntnisse von der Verführung durch die Ideologie des bdquo;Dritten Reiches” bewahrt. Wir lernten, daß der Kampf in der geistigen Welt nicht ausgetragen wird zwischen Glaube und Unglaube, sondern zwischen Glaube und Illusion! Und daß der Mythos von der herrlichen, nordischen Rasse und ihrem Anspruch auf Weltherrschaft eine zutiefst antichristliche Illusion sei. Das hatten wir schnell begriffen. Das Buch von Solowjof über den bdquo;Antichristen” ging damals von Hand zu Hand und tat uns die Augen auf, nicht zur Freude der damaligen Machthaber. - Wilhelm Stählin sagte: bdquo;Die Hauptbeschäftigung des Teufels ist die, die Menschen von seiner Nichtexistenz zu überzeugen. Darum wird er sich hüten, je Fleisch zu werden!” Und an diesem negativen Satz ist mir das unfaßliche Wunder der Fleischwerdung Gottes plötzlich aufgegangen. - Auch wurde uns gesagt: bdquo;Der Böse ist immer damit beschäftigt, das Gute als ‚altmodisch’ zu brandmarken und das Bose als ‚modern’ zu empfehlen”, ein Satz, den ich heute noch manchmal jungen Menschen sage und der immer ankommt! Dieses alles ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem, was wir damals lernten. Und nun frage ich, ob das nicht alles auch heute noch gilt? Auf diesem Grunde haben viele Glieder der Michaelsbruderschaft weiter aufgebaut. Man kann nicht alle Namen nennen und all die Orte, an denen das geschehen ist. Und so geht es uns wie Bodelschwingh: Auch wir können erst in der Ewigkeit allen, denen wir begegnet sind, danken für das, was sie an unserer Seele getan haben. Aber einen Dank will ich heute aussprechen: an alle Brüder und Schwestern der Hausgemeinde von Kloster Kirchberg, die nicht mehr unter uns weilenden und diejenigen, die heute dort beten und arbeiten. Sie bdquo;bauen und bewahren” den Kirchberg als einen Ort, an dem Tradition gepflegt wird, das heißt weitergegeben wird, was wir empfangen haben, damit auch neue Generationen noch bdquo;Rosen im Alter haben”

. Quatember 1983, S. 156-160

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-03
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