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Predigt zur 25-Jahr-Feier des Berneuchener Hauses Kloster Kirchberg am Pfingstfest 1983 über Johannes 14,23-27
von Hartmut Löwe

I.


LeerPfingsten ist das Fest der Kirche. Aber das Wort Kirche kommt im verlesenen Evangelium gar nicht vor. Auch vom heiligen Geist ist nur wie nebenbei, nur als Erläuterung die Rede. Was die Kirche ist und was der heilige Geist bewirkt, war denen, zu denen Jesus spricht, offenbar bekannt, vielleicht zu bekannt. Es sollte deshalb neu ins Bewußtsein gehoben, noch einmal bedacht, aus einer besonderen Perspektive erklärt und gedeutet werden. Wir gehen an das Evangelium mit drei Fragen heran und warten auf Antwort:

Leer1. Wozu gibt es das, Kirche?
Leer2. Was geschieht in der Kirche?
Leer3. Wovon lebt die Kirche?


II.


Leer1. Zunächst also: Wozu gibt es das, Kirche?

LeerSo fragen nicht nur die, die die Kirche verlassen. In ihrer Kosten-Nutzen-Rechnung sind sie zu dem Schluß gekommen: Kirche ist überflüssig. Wer in der Kirche arbeitet und sich mit ihrer Unzulänglichkeit noch nicht resigniert abgefunden hat, stellt manchmal auch die Frage, was Gott sich eigentlich dabei gedacht hat, als er die Kirche erfand. Es ist doch ein seltsamer Haufe von Menschen, der die christliche Kirche bildet: mal enthusiastisch und voll schneller Begeisterung und dann wieder müde und ohne jeden Schwung. Und doch: Kirche soll sein nach Gottes Willen. Denn der Geist Jesu will eine Bleibe haben in der Welt. Gescheite Leute sagen, Geist sei nicht an Zeit und Raum gebunden. Und dann konstruieren sie ein seltsam abstraktes Reich des reinen Geistes. Jesus aber will konkret da sein, zum Anfassen und Anschauen, für Herz, Verstand und Gefühl, er bindet sich an Raum und Zeit, wird Fleisch und Blut, bleibt der Welt nah. Gottes Art ist es nicht, wie eine Tangente den Kreis zu berühren und im übrigen „jenseits” zu bleiben. Gott sucht sich eine Bleibe im Diesseits. Gott mischt sich ein in das Abenteuer der Geschichte. Wo einer hinhört auf Jesus, sich ihm liebend zuwendet, sein Wort hineinnimmt in sein Leben, dort wohnt Gott. Es ist sinnlos, wie ein Sterngucker in den Himmel zu starren, irgendwo weit oben Gott zu suchen - frei nach dem Motto: „Brüder - überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen” - und darüber den Boden unter den Füßen zu verlieren. Längst schon hat Gott seine Bleibe unter den Menschen. Gott wohnt, wo einer anfängt, die Unbegreiflichkeit seines Daseins liebend anzunehmen. Gott lebt, wo einer seine Freiheit in Jesu Hände legt und seinem Wort glaubt. Gott ist da, wo einer, vielleicht nur leise und scheu, mit Angelus Silesius singt und sagt:
Ich will dich lieben, o mein Leben,
als meinen allerbesten Freund;
ich will dich lieben und erheben,
solange mich dein Glanz bescheint.
LeerWozu gibt es Kirche? Damit wir Gott nicht nur ahnen, sondern erfahren, nicht nur suchen, sondern finden, nicht nur vor uns, sondern bei uns haben können.

Leer2. Was geschieht in der Kirche?

LeerVieles, zu vieles, das verwirrt: Kirchenleitungen dichten Worte zur Lage, Kirchentage verfassen einen Sack voller Resolutionen, Kirchenzeitungen bleiben dem Zeitgeist auf der Spur, Konfirmanden werden unterwiesen, Eheleute getraut, Tote begraben, und immer wieder: es wird Gottesdienst gefeiert, Tag für Tag, Woche für Woche. All das gibt es in der Kirche: Diakonie und öffentliche Verantwortung, die Denkmühsal der Theologen, Verträge mit dem Staat, Gespräche mit den gesellschaftlichen Gruppen. Das verwirrende Vierlerlei hat aber ein klares Zentrum. Jesus faßt es in den Satz:

Leer„Der Tröster, der heilige Geist, welchen mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch erinnern alles des, was ich euch gesagt habe” (V. 26).

LeerIn dem Vielerlei soll die Stimme Jesu laut werden. Und weil Jesus die Erde verlassen hat und in Gottes Himmel eingegangen ist, schickt Gott einen anderen, der den Schmerz der Trennung überwinden hilft, Jesu Tun und Leben in Erinnerung hält, der tröstet.

LeerMan hat eingewandt, Luthers Übersetzung „Tröster” sei zu frei gewählt und durch den griechischen Wortsinn nicht gedeckt. Aber Luther wußte sehr wohl, was er tat. Als Randglosse notiert er: „Paracletus heißet ein Advokat, Fürsprecher oder Beistand vor Gericht, der den Schuldigen tröstet, stärkt und hilft... ”

LeerDie Jünger Jesu werden in den Prozeß der Weltgeschichte hineingezogen, in dem es um Glaube und Unglaube, Wahrheit und Lüge, Licht und Finsternis, Himmel und Hölle geht. Sie sollen für Gottes Wahrheit einstehen und fühlen sich oft allein gelassen, verstört, mutlos. Sie verfallen der Melancholie und kommen sich mit ihrem Glauben seltsam fremd vor in der Welt. Sie sind trostlos einsam, wie nach dem Tod eines geliebten Menschen, verwundbar und reizbar.

LeerGott aber, verspricht Jesus, kommt ihnen in dieser Situation zu Hilfe. Als heiliger Geist tröstet er, legt Fürsprache ein, stärkt er und hilft. Der Trost wird wirksam im erinnernden Gedächtnis an alles, was Jesus gelehrt hat. Harmlose Erinnerungen sind das nicht, solche, die einlullen und narkotisieren, die von der guten alten Zeit träumen lassen, die Vergangenheit verklären und als balsamierten Leichnam festhalten. J. B. Metz hat von gefährlichen Erinnerungen gesprochen, die verstummte oder verdrängte Hoffnungen und Schrecken neu aufscheinen lassen, die Heimsuchungen sind aus der Vergangenheit.

LeerUnsere Zeit ist versessen auf Neues und dem Überlieferten feind. Wer große Traditionen dem Gedächtnis der Zeitgenossen gegenwärtig halten möchte, wird als reaktionär diffamiert. Aber der fortwahrende Ausgriff ins Ungewohnte macht die Seele heimatlos. Die Neomanie macht nicht nur unsere Wälder krank und hinterläßt Wüsten. Adorno notiert einmal den Satz: „Tradition stellt heute vor einen unauflöslichen Widerspruch. Keine ist gegenwärtig und zu beschwören; ist aber eine jegliche ausgelöscht, so beginnt der Einmarsch in die Unmenschlichkeit.”

Linie

LeerLängst schon vollzieht sich dieser Einmarsch. Nicht nur in Auschwitz. Auch in der Herrschaft einer technokratischen Vernunft, die das Leben manipuliert und die Liebe degenerieren laßt zu einer besonderen Ansammlung von Hormonen. Dagegen können pausbäckige Sonntagsreden wenig ausrichten. Auch die Beschwörung einer geistigen Wende ist noch nicht der Anfang einer Umkehr. Solche Erinnerungen sind viel zu harmlos und kennen nicht das Maß unserer Verstrickung. Sie verkennen, in was für einer erinnerungsarmen Zeit wir leben.

LeerMan hat uns Menschen der Gegenwart als geschichtslos beschrieben, abgeschnitten von der Vergangenheit. Seelische und geistige Krankheiten haben häufig ihre Ursache im Verdrängen wichtiger Daten der eigenen Biographie. Heilung setzt dann ein geduldiges Zurücktasten in die Vergangenheit voraus. Erst so wieder wird der Blick frei für die Gegenwart und für die Zukunft. Auch auf der Geschichte von Völkern und Kirchen lasten Vergessen und Verdrängen. Die Geschichte ist nicht, wie ein naiver Fortschrittsoptimismus lange Zeit wähnte, der einbahnige Weg zu immer höheren Einsichten. Deshalb bedürfen Krankheiten der Gesellschaft der Erinnerung, die Verdrängtes freisetzt und Vergessenes ans Licht bringt. Die Erinnerungsarmut der Gegenwart ist eine kollektive Erkrankung der sakular gewordenen Welt. Abgeschnitten von ihren Wurzeln, blind gegenüber ihrer Herkunft, sieht sie auch keine Zukunft und wird geplagt von Illusionen und Angsten. In dieser Situation ist der Kirchberg, dessen glanzvollen Wiederaufbau wir heute zusammen mit dem 25-jährigen Jubiäum des Berneuchener Hauses feiern, nicht eine Oase weltabgeschiedener Stille, sondern ein Ort gefährlicher Erinnerungen. Bei all dem, was in Brauchtum, liturgischen Formen und Gebärden zunächst fremd anmutet und wie aus einer fernen Zeit kommt: hier soll niemand in die Vergangenheit verbracht werden oder auf eine Insel der Seligen. Er soll vielmehr verschütteten Kräften begegnen, frischen Saft aus den Wurzeln saugen, um heute das Leben zu bestehen. In einer Zeit, die an millionenfachem Leid fühllos vorübergeht, wird in der memoria Christi die Geschichte seines Leidens vor Augen gemalt. So entsteht Solidarität mit allen Leidenden, auch der leidenden Kreatur und Natur. In einer Zeit, deren Gedächtnis kurz geworden ist, die immer nur an die Sieger denkt und die Unterlegenen vergißt, wird auf dem Kirchberg das Erinnern geübt, werden Geschichten erzählt, die Überlieferung der Bibel und die Erfahrungen aus der Geschichte der Kirche ins Gedächtnis gerufen. „Tut dies zu meinem Gedächtnis! ” (1. Kor 11,25) steht als Überschrift auch über der Eucharistiefeier. Und so wird heute morgen wie sonst gegenüber der Langeweile in einer nur noch technisch funktionierenden Welt im Gedächtnis Jesu Christi die Kraft seines Opfers, die Ungewöhnlichkeit seiner Freiheit, die Beständigkeit seiner Liebe erfahren! In solcher Erinnerung kommen Geist und Tradition zusammen, sind sie nicht länger mehr Gegensätze. Tradition braucht nicht mehr wortreich beschworen zu werden, weil sie der heilige Geist selber austeilt und damit den wachsenden Wüsten Einhalt gebietet. In Marburg las ich jetzt in einer Ausstellung zur 750-Jahrfeier der Elisabethkirche einen Satz, der für die Baumeister der Gotik leitend war: „Neues kann nur geschaffen werden, weil es Überliefertes gibt. ” Ich denke, das ist auch ein Leitmotiv für die Arbeit, die auf dem Kirchberg geschieht: aus der Kraft einer großen Überlieferung zu neuem Leben verhelfen.

Leer3. Wovon lebt die Kirche?

LeerJesus hinterläßt den Seinen ein Abschiedsgeschenk: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht” (V. 27). Fast scheue ich mich, das Wort Frieden in den Mund zu nehmen. Es ist geschunden, getreten, mißbraucht. Und doch zieht es eine unendliche Sehnsucht auf sich. Weil viele innerlich zerrissen sind und eine heillose Welt erleben, schreien sie ihre Friedenssehnsucht heraus, gehen sie auf die Straße, unterschreiben sie Resolutionen, formieren sie eine Friedensbewegung. Darüber soll niemand spotten, so bizarr und unvernünftig auch vieles sich darstellt. Bei den anderen, die den Rüstungswettlauf vorantreiben, sitzt keineswegs mehr Vernunft, eher ein bloß technisches Kalkül.

LeerAber der Friede, der bis zum Überdruß in aller Munde ist, und der Friede, den Jesus austeilt, liegen auseinander wie zwei Welten. Deshalb spricht Jesus so betont von seinem Frieden: „Meinen Frieden gebe ich euch. ” Der Friede, den Jesus austeilt, kommt von oben nach unten, wächst von innen nach außen. Er ist nicht das Ergebnis von Verhandlungen, er braucht nicht einmal eine moralische Anstrengung: er ist ein Raum, den man betritt, eine Möglichkeit, die bereitliegt, ein Geschenk, nach dem man greifen kann. Wer Gott zum Freund hat, wer mit den eigenen Unzulänglichkeiten zu leben lernt, seinen Platz akzeptiert, wer sich nicht mehr festklammert an die Welt, sondern getrost sterben kann, der hat Frieden.

LeerNicht, daß es nun keine Katastrophen und Schrecken mehr geben könnte. Aber der Friede Jesu gibt Gelassenheit in allen Widersprüchen, Ruhe im Zentrum der Schrecken, einen Mut, der die Gefahren nicht leugnet und sich keinen Illusionen hingibt über die Zukunft der Welt.

Quatember 1983, S. 160-164

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-03
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